Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2908 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Juristenmangel an den Gerichten? Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 15.01.2019 - Drs. 18/2591 an die Staatskanzlei übersandt am 17.01.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 18.02.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Unter der Überschrift „Deutsche Justiz an der Belastungsgrenze“ berichtete die Welt am 02.01.2019, dass die deutsche Justiz einen erheblichen Personalmangel beklage. Die Justiz arbeite in vielen Teilen Deutschlands an der Belastungsgrenze, was eine Umfrage der Deutschen Presse -Agentur in den Bundesländern ergeben habe. Dies habe weitreichende Konsequenzen für das gesamte Justizsystem: „Richter und Staatsanwälte würden unter einer Klageflut etwa bei Asylverfahren ächzen.“ Strafverfahren zögen sich oft in die Länge oder müssten eingestellt werden. Die Justizbehörden kämpften vielerorts um Nachwuchs und konkurrierten dabei häufig mit der freien Wirtschaft und den lukrativen Jobs dort. Bis zum Jahr 2030 gingen bundesweit etwa 40 % aller Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand. Auch berichtete der NDR unter der Überschrift „Mehr Richterstellen, doch wenige wollen den Job“ am 16.12.2018, dass 35 neue Stellen für Richter und 24 neue Stellen für Staatsanwälte geschaffen worden wären. In diesem Jahr solle die Zahl der Richter um weitere 20,5 Stellen aufgestockt werden , genauso hoch solle die Stärkung der Staatsanwaltsstellen sein. Insgesamt wolle Justizministerin Barbara Havliza (CDU) im Laufe der Legislaturperiode rund 250 neue Richter und Staatsanwälte einstellen. Problematisch sei allerdings, dass zu wenige die Berufe auch ausüben wollten. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Situation an den Gerichten in Niedersachsen, ist die Arbeitsbelastung für Richter und Staatsanwälte (m/w) zu hoch? Die Arbeitsbelastung an den Gerichten und Staatsanwaltschaften wird nach dem Personalbedarfssystem (PEBB§Y) gemessen. Bei PEBB§Y handelt es sich um ein mathematisch-analytisches Berechnungsverfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs in Vollzeitäquivalenten für jede Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften. Maßgebliche Berechnungsfaktoren sind die Anzahl der Verfahrenseingänge , die Jahresarbeitszeit, das tatsächlich eingesetzte Personal sowie die vom PEBB§Y-Gutachter ermittelte Basiszahl. Hinzu kommen nicht vorhersehbare Sondereffekte, die zwar nur punktuell auftreten, jedoch gleichwohl Auswirkungen auf die Berechnung des Personalbedarfs insgesamt haben. Dazu gehörten in der Vergangenheit z. B. die starke Belastung durch die Hartz-IV-Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit oder die Asylverfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit . Da sich nach PEBB§Y noch ein Stellenfehlbedarf ergibt, ist die Arbeitsbelastung für Richter und Staatsanwälte wie in den vergangenen Jahren nach wie vor hoch. 2. Wie viele Richter und Staatsanwälte (m/w) sind über einen längeren Zeitraum (mehr als sechs Wochen) krankgeschrieben? Im Kalenderjahr 2018 waren 99 von insgesamt 2 835 Richtern und Staatsanwälten (m/w) über einen längeren Zeitraum (mehr als sechs Wochen) krankgeschrieben. Dies entsprach einer Quote von 3,49 %. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2908 2 3. Ist das Thema „Burn-Out“ bei der jetzigen Arbeitsbelastung der Richter und Staatsanwälte (m/w) ein zunehmendes Thema? Valide Aussagen darüber, inwieweit krankheitsbedingte Ausfälle auf ein „Burn-Out-Syndrom“ zurückgehen , können schon deshalb nicht getätigt werden, weil die Ursachen einer langfristigen Erkrankung zum einen von den Betroffenen nicht immer eindeutig benannt werden und zum anderen dem Arbeitgeber nicht mitgeteilt werden müssen. Dass das Thema „Burn-Out“ in Anbetracht der jetzigen Arbeitsbelastung im Vergleich zur Vergangenheit an Bedeutung zugenommen hat, kann nicht festgestellt werden. Indes kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Thematik in der Zukunft gerade auch in Anbetracht der stetig wachsenden Herausforderungen (u. a. durch Großverfahren ) an Bedeutung gewinnen wird. Hier ist die niedersächsische Justiz durch ihre ausdifferenzierten Angebote des Gesundheitsmanagements (u. a. kollegiale Beratung, Supervision, Coaching, psychosoziale Beratung, Stressbewältigungsseminare) jedoch sehr gut aufgestellt, um den Kolleginnen und Kollegen notwendige Unterstützung anbieten zu können. 4. Hält die Landesregierung die insgesamt geplanten 250 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte (m/w) für ausreichend? Mit Ausnahme der vom PEBB§Y-Gutachter ermittelten Basiszahl sind die Berechnungsfaktoren und Sondereffekte nicht statisch und unterliegen mehr oder weniger starken Schwankungen im Jahresdurchschnitt. Sie sind durch die Landesregierung nicht beeinflussbar oder vorhersehbar. Es kann daher grundsätzlich erst im Nachhinein für das vorangegangene Kalenderjahr berechnet werden , ob PEBB§Y 1,0 erreicht wurde bzw. wie hoch die Abweichung davon ist. In Abhängigkeit davon kann auch erst im Nachhinein ein etwaiger Stellenfehlbedarf festgestellt werden, welcher ebenfalls von Jahr zu Jahr stark schwanken kann. Derzeit ist von einem Fehlbedarf von weniger als 250 Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auszugehen. 5. Welchen verbindlichen Zeitplan hat die Landesregierung beschlossen, um die anvisierten 250 neuen Richter und Staatsanwälte (m/w) auch praktisch in den Dienst stellen zu können? Die Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Landesverband Niedersachsen, und der Christlich-Demokratischen Union in Niedersachsen für die 18. Wahlperiode des Landtages von 2017 bis 2022 sieht vor, dass an dem Personalbedarfsberechnungssystem (PEBB§Y) festgehalten wird. Ziel sei eine Erreichung von PEBB§Y 1,0 über das gesamte System. Dafür bedürfe es eines mehrjährigen Stufenplans. Die Landesregierung verfolgt dieses Ziel nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel konsequent weiter. 6. Sind genügend Bewerber für die Stellen vorhanden? Die Einstellungsbedarfe der Jahre 2017 und 2018 konnten mit 150 bzw. 116 Neueinstellungen im Richter- und Staatsanwaltsdienst gedeckt werden, wobei die Durchschnittsnoten der eingestellten Nachwuchskräfte sowohl in der Ersten Juristischen Prüfung als auch im Zweiten Staatsexamen in beiden Jahren klar überdurchschnittlich waren. Es wird davon ausgegangen, dass auch der künftige Personalbedarf gedeckt werden kann, wobei sich in den letzten Jahren ein deutlich zunehmender Arbeitgeberwettbewerb um überdurchschnittlich qualifizierte Juristinnen und Juristen abzeichnet . Vor diesem Hintergrund steht die Nachwuchsgewinnung und -förderung im Fokus des Justizministeriums . 7. Falls nein, sollten die Bewerbungskriterien heruntergestuft werden? Die Einstellungsvoraussetzungen sollen nicht gelockert werden. 8. Hält es die Landesregierung für notwendig, die Einstiegsgehälter der Richter und Staatsanwälte (m/w) zu erhöhen? Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2908 3 Es gelingt bislang immer noch, überdurchschnittlich qualifizierte Nachwuchskräfte für den Richterund Staatsanwaltsdienst zu gewinnen. Die im Vergleich zur Wirtschaft bzw. Anwaltschaft geringere Vergütung stellt bereits seit Jahrzehnten einen Wettbewerbsnachteil dar. Darüber hinaus verbessern Wirtschaft und Anwaltschaft fortlaufend ihre Arbeitsbedingungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sodass dies kein Alleinstellungsmerkmal des öffentlichen Dienstes mehr ist. Die Besoldung ist jedoch lediglich einer von mehreren Faktoren, die für die Attraktivität des Richter- bzw. Staatsanwaltsberufs bei der Bewerbungsentscheidung eine Rolle spielen. Daneben sind insbesondere die mit den Ämtern verbundenen Aufgaben, die damit einhergehende Verantwortung sowie die Identifikation mit der Aufgabe von zentraler Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist eine Erhöhung der Einstiegsgehälter derzeit noch nicht zwingend erforderlich. 9. Sollte das Referendariatsgehalt angehoben werden? Die Vergütung der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare in Niedersachsen kann derzeit als angemessen betrachtet werden. (Verteilt am 20.02.2019) Drucksache 18/2908 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Juristenmangel an den Gerichten?