Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2995 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Wie wird die Schuldenbremse in Niedersachsen ausgestaltet sein? Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP), eingegangen am 25.01.2019 - Drs. 18/2701 an die Staatskanzlei übersandt am 31.01.2019 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 22.02.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Am 22.01.2019 gab die Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Verankerung der Schuldenbremse in Niedersachsen zur Verbändebeteiligung frei. Der einer Presseinformation vom 22.01.2019 beigefügte Gesetzentwurf setzt die in Artikel 109 Abs. 3 GG verankerte Schuldenbremse durch die Aufnahme des Artikels 71 in die Niedersächsische Verfassung um. Nach der dort angelegten Ausgestaltung ist eine Nettokreditaufnahme ab 2020 nur noch im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Situationen bei Zweidrittelmehrheit des Landtages zulässig. Über die Bestimmung einer Konjunkturkomponente im Haushaltsaufstellungsverfahren soll sichergestellt werden, dass sich die langfristige Orientierung der Ausgabenentwicklung für den Haushalt in der mittelfristigen Finanzplanung und in der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs an konjunkturunabhängigen erwartbaren Einnahmen orientiert. Die Konjunkturkomponente bildet konjunkturbedingte Abweichungen von der konjunkturellen Normallage ab. Dies erfolgt über ein im Auf- und Abschwung symmetrisches Konjunkturbereinigungsverfahren. Vorbemerkung der Landesregierung Wie die Schuldenbremse in Niedersachsen letztendlich ausgestaltet sein wird, wird vom Ergebnis der Beratungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren abhängen. Die Landesregierung hat mit dem in die Verbandsbeteiligung gegebenen Entwurf eines Gesetzes über die Schuldenbremse in Niedersachsen aus ihrer Sicht eine geeignete, mit Umsicht erarbeitete und ausgewogene Beratungsgrundlage vorgelegt. Die Regelungen des Gesetzentwurfs setzen die Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse wirksam um und nutzen im Sinne der finanziellen Handlungsfähigkeit des Landes die im Grundgesetz vorgesehenen Ausnahmeregelungen zur Sicherung der Handlungsfähigkeit in Notsituationen und bei besonderen konjunkturellen Entwicklungen. 1. Nach welchen Kriterien beurteilt die Landesregierung das Vorliegen einer Naturkatastrophe bzw. einer außergewöhnlichen Notsituation? Artikel 71 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung (NV) in der Fassung des Gesetzentwurfs enthält die Regelung, mit der das Land von der in Artikel 109 Abs. 3 Satz 2 GG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, „Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen , die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen “, zu erlassen. Damit entspricht der Begriff der Naturkatastrophe bzw. der der außergewöhnlichen Notsituation in Artikel 71 Abs. 4 Satz 1 NV in der Fassung des Gesetzentwurfs jeweils demjenigen des Artikels 109 Abs. 3 Satz 2 GG, sodass auf Landesebene die gleichen Kriterien zur Beurteilung des Vorliegens einer Naturkatastrophe bzw. einer außergewöhnlichen Notsituation heranzuziehen sind wie auf Bundesebene. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2995 2 Mit der Regelung soll die Handlungsfähigkeit des Staates zur Krisenbewältigung gewährleistet werden . Da eine abschließende enumerative verfassungsrechtliche Benennung möglicher Notsituationen wegen der Vielzahl und Unterschiedlichkeit denkbarer Anwendungsfälle nicht möglich ist, erfolgt eine Eingrenzung durch drei Kriterien, die gleichzeitig erfüllt sein müssen (vgl. hierzu und zum Folgenden die Gesetzesbegründung zu Artikel 109 Abs. 3 Satz 2 GG, BT-Drs. 16/12410, S. 11, sowie die Begründung zu Artikel 1 Nr. 2 des in die Verbandsanhörung gegebenen Entwurfs eines Gesetzes zur Schuldenbremse in Niedersachsen, hier S. 8): – Die Notsituation muss außergewöhnlich sein, – ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und – sie muss den Haushalt erheblich beeinträchtigen. Naturkatastrophen sind dabei in Orientierung an der Rechtslage bei der Amtshilfe nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, z. B. Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen. Außergewöhnliche Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen, mithin auf äußeren Einflüssen beruhen, die nicht oder im Wesentlichen nicht der staatlichen Kontrolle unterliegen, können beispielsweise sein: – besonders schwere Unglücksfälle im Sinne des Artikels 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, d. h. Schadensereignisse von großem Ausmaß und von Bedeutung für die Öffentlichkeit, die durch Unfälle, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst oder von Dritten absichtlich herbeigeführt werden, – eine plötzliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe in einem extremen Ausmaß aufgrund eines exogenen Schocks, wie beispielsweise der Finanzkrise 2008/2009, die aus Gründen des Gemeinwohls aktive Stützungsmaßnahmen des Staates zur Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Wirtschaftsabläufe erforderte. Auch ein Ereignis von positiver historischer Tragweite, wie die Deutsche Wiedervereinigung, das einen erheblichen Finanzbedarf auslöst, kann einen Anwendungsfall der Klausel bilden. Die Regelung des Gesetzentwurfs arbeitet folglich - wie auch die grundgesetzliche Regelung - mit unbestimmten Rechtsbegriffen, gerade weil handhabbare Konkretisierungen der in Betracht kommenden Notsituationen kaum möglich sind bzw. nicht erkennbar ist, dass sie die Orientierungsfunktion der gesetzlichen Vorgaben sachgerecht verbessern würden. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für solche Fälle anerkannt, dass auf Präzisierungen insoweit verzichtet werden kann und nur in der Gesetzesbegründung exemplarisch Beispiele aufgeführt werden, die zur Orientierung dienen können (vgl. BVerfGE 133, 241 [265 f.]). Die abschließende Beurteilung, ob im Falle des Falles das Vorliegen einer Naturkatastrophe bzw. einer außergewöhnlichen Notsituation angenommen wird und damit die Rechtsfolge von Artikel 71 Abs. 4 Satz 1 NV in der Entwurfsfassung ausgelöst wird, obliegt nach Artikel 71 Abs. 4 NV in der Entwurfsfassung zudem allein dem Landtag. Dieser hat mit seinem mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu fassenden Beschluss das Vorliegen einer Naturkatastrophe bzw. einer außergewöhnlichen Notsituation im Sinne der Verfassungsbestimmung festzustellen. 2. Welches Verfahren (EU-Modell, Trendsteuereinnahmenmodell bzw. Referenzwertmodell ) soll als Konjunkturbereinigungsverfahren zur Anwendung kommen? Das mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Schuldenbremse in Niedersachsen gewählte und diesem zugrundeliegende Konjunkturbereinigungsverfahren basiert auf dem vom Bund gemäß Artikel 115 Abs. 2 Satz 5 GG in Verbindung mit § 5 des Gesetzes zur Ausführung von Artikel 115 des Grundgesetzes für die Ermittlung der Konjunkturkomponente des Bundeshaushalts angewandten Verfahren , welches sich seinerseits an den auf EU-Ebene etablierten Methoden und Vorgaben zur Berücksichtigung konjunktureller Wirkungen auf öffentliche Haushalte orientiert. Grundlegend für die nach diesem Verfahren ermittelte Konjunkturkomponente ist die erwartete Unter- oder Überauslas- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2995 3 tung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten (Produktionslücke) und deren Wirkung auf die Einnahmen und Ausgaben. In dem vom Gesetzentwurf für Niedersachsen vorgesehenen Verfahren wird die Konjunkturkomponente im Entwurf des Haushaltsplans aus der Wirkung der für den Gesamtstaat berechneten Produktionslücke auf den Haushalt des Landes abgeleitet, vgl. § 18 b Abs. 2 Satz 1 der Landeshaushaltsordnung (LHO) in der Fassung des Gesetzentwurfs. Damit greift man auf ein an die EU-Methode angelehntes Verfahren zurück, bei dem die Berechnung der Konjunkturkomponente im Haushaltsaufstellungsverfahren auf Basis der erwarteten Produktionslücke und der durch die Europäische Kommission im Verein mit der Bundesregierung ermittelten Budgetsemielastizität für die Ländergesamtheit erfolgt. Die Budgetsemielastizität zeigt die Veränderung der Ausgaben und Einnahmen infolge einer konjunkturellen Veränderung des Bruttoinlandsproduktes an. Die Konjunkturkomponente gibt damit an, wie sich eine Abweichung der ökonomischen Aktivität von der konjunkturellen Normallage auf den Landeshaushalt auswirkt. Die hiernach im Entwurf des Haushaltsplans festgestellte Konjunkturkomponente ist bei einer Änderung der im Haushaltsplanentwurf etatisierten Steuereinnahmeansätze bzw. bei einer abweichenden Entwicklung der tatsächlich vereinnahmten Steuereinnahmen um die sogenannte Steuerabweichungskomponente (§ 18 b Abs. 2 Sätze 3 bis 6 LHO in der Entwurfsfassung) fortzuschreiben . Diese Steuerabweichungskomponente drückt die Wirkung der veränderten Abweichung von der konjunkturellen Entwicklung auf die Steuereinnahmen des Landes aus. Insoweit weicht das Verfahren von dem des Bundes ab. Grund hierfür ist, dass sich die konjunkturelle Wirkung auf Länderebene primär und signifikant - anders als beim Bundeshaushalt oder bei den kommunalen Haushalten - auf der Steuereinnahmeseite zeigt. Die Landeshaushalte weisen kaum konjunkturell beeinflusste Ausgaben auf. Die Ermittlung und Berücksichtigung einer Steuerabweichungskomponente ist dem bewährten Verfahren der Verwaltungsvereinbarung zur Gewährung von Konsolidierungshilfen entlehnt und auch im Rahmen der haushaltspolitischen Überwachung zur Einhaltung der Schuldenbremse im Stabilitätsrat anerkannt. Das technische Verfahren zur Ermittlung der Konjunkturkomponente nach § 18 b Abs. 2 LHO in der Entwurfsfassung soll auf der Grundlage des § 18 e LHO in der Entwurfsfassung in einer Verordnung des Finanzministeriums geregelt werden. 3. Warum hat sich das Land Niedersachsen für das gewählte Verfahren entschieden? Das mit dem Gesetzentwurf für Niedersachsen vorgesehene Verfahren stellt entsprechend der verfassungsrechtlichen Symmetrievorgabe ein in Aufstellung, Führung und Rechnung des Haushalts geschlossenes symmetrisches System dar. Es orientiert sich an den auf EU-Ebene etablierten Methoden und Vorgaben zur Berücksichtigung konjunktureller Wirkungen auf öffentliche Haushalte, welche nachhaltig und öffentlich dokumentiert sind, und gewährleistet insoweit Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Gleichzeitig berücksichtigt es die besondere Konjunkturreagibilität der Länderhaushalte (Einnahmenlastigkeit) und dient als Grundlage von Planungssicherheit der Verstetigung der Ausgabenpolitik. Zudem knüpft es an öffentlich dokumentierte Daten an, ist damit wenig manipulationsanfällig und bietet einen hohen Grad der Vergleichbarkeit zum Verfahren im Stabilitätsrat. Das mit dem Gesetzentwurf gewählte Verfahren stellt ein zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und inhaltlichen Anforderungen geeignetes Verfahren zur Konjunkturbereinigung dar, welches in wesentlichen Elementen bereits im Rahmen der Verwaltungsvereinbarung zum Gesetz über die Gewährung von Konsolidierungshilfen seit Jahren zur Anwendung kommt. Bessere Alternativen zu der mit dem Gesetzentwurf gewählten Variante eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sind derzeit nicht ersichtlich. 4. Werden bei der Berechnung verschiedener Modellkomponenten im gewählten Verfahren externe Experten herangezogen? Falls ja, wie wird eine effektive, parlamentarische Kontrolle sichergestellt? Bei der Ermittlung der Konjunkturkomponente nach § 18 b Abs. 2 LHO in der Fassung des Gesetzentwurfs werden keine externen Experten herangezogen. Das technische Verfahren zur Ermittlung Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2995 4 der Konjunkturkomponente wird in der auf Grundlage von § 18 e LHO in der Fassung des Gesetzentwurfs zu erlassenden Verordnung in Anlehnung an das Bundesverfahren festgelegt. Die danach für die Ermittlung erforderlichen Kalkulationen werden vom Finanzministerium selbst - ohne Einbeziehung von Experten aus Wirtschaft oder Wissenschaft - vorgenommen, wobei sich die Datengrundlage , soweit sie sich aus derjenigen für den Gesamtstaat ableitet, aus der jeweils aktuellen gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzung der Bundesregierung und den Berechnungen auf EU- Ebene ergibt. Insoweit wird auch auf die Ausführungen zu Frage 2 hingewiesen. (Verteilt am 26.02.2019) Drucksache 18/2995 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums Wie wird die Schuldenbremse in Niedersachsen ausgestaltet sein?