Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3045 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Verurteilungen und Freispruch im Verfahren gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „Jabat al-Nusra“ Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE), eingegangen am 29.01.2019 - Drs. 18/2711 an die Staatskanzlei übersandt am 01.02.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 27.02.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle (so in seiner Presseinformation vom 14.12.2018) hat am 13.12.2018 nach 38 Verhandlungstagen zwei Brüder syrischer Staatsangehörigkeit wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Jabat al-Nusra“, JaN) zu Freiheitsstrafen verurteilt, sie aber wegen weitergehender Anklagepunkte, insbesondere wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), freigesprochen. Ein dritter Mitangeklagter und Bruder der Verurteilten wurde insgesamt freigesprochen. Hierzu berichtete der NDR bereits am 13.12.2018, „dass die Angeklagten sich bereits Monate zuvor nicht mehr in Untersuchungshaft befanden. Die zuvor belastenden polizeilichen Zeugenaussagen stellten sich im Prozess als Halbwissen heraus, und die Arbeit der Polizei wurde laut NDR durch den Oberstaatsanwalt kritisiert. Bei der Polizei ‚sei vieles nicht vollständig dokumentiert worden, es habe Übersetzungsprobleme gegeben, fehlende Fragen, und voneinander unabhängige Zeugen seien gemeinsam vernommen worden.“ Ein Verteidiger warf den Ermittlern „mangelnde Objektivität“ vor. Einer der insgesamt vier Beschuldigten soll sich nach dem Bericht des NDR bereits vor Prozessbeginn in der Untersuchungshaft selbst getötet haben, „wohl aus Kummer, aufgrund der Vorwürfe“. Unter Ermittlern heißt es hinter vorgehaltener Hand: Bei ihm, Abdullah, wäre von den ursprünglichen Terror -Vorwürfen noch weniger übriggeblieben als bei seinen Brüdern. Vorbemerkung der Landesregierung Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Behörden und Beamtinnen und Beamten des Polizeidienstes, Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten (§ 163 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung [StPO]). Die Qualität und Professionalität ihrer Ermittlungsarbeit stellen wesentliche Bausteine für den Erfolg der Kriminalitätsbekämpfung und für die Gewährleistung eines sicheren Strafverfahrens dar. Diese Arbeit zeichnet sich u. a. durch die konsequente und zielgerichtete Anwendung der gesetzlich geschaffenen Handlungsmöglichkeiten und der technischen Instrumente zur Beweisführung aus und ist nur realisierbar, wenn die verantwortlichen Bediensteten über das jeweils erforderliche Wissen im Hinblick auf Rechtsanwendung, Methodik und Verfahrensabläufe verfügen. In Niedersachsen ist es im Rahmen der polizeilichen Aus- und Fortbildung das Ziel, neben der Vermittlung unverzichtbarer Basiskompetenzen dem Gebot der Spezialisierung der Kriminalitätsbekämpfung Rechnung zu tragen. Dafür schafft das Bachelorstudium an der Polizeiakademie Niedersachsen eine anerkannte Grundlage. Der Studiengang ist dabei bewusst interdisziplinär aufgebaut. Verschiedene Phänomene werden rechtlich (strafrechtlich wie strafprozessual und gefahrenabwehrrechtlich ), einsatztechnisch und -taktisch, kriminalistisch und kriminologisch und auch sozial- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3045 2 wissenschaftlich gewürdigt und bearbeitet. Daneben hält die Polizeiakademie für die ermittelnden Organisationsbereiche ein umfangreiches Fortbildungsangebot bereit, das deliktsbezogene Fortbildungsmaßnahmen für Ermittlerinnen und Ermittler und das Angebot deliktsübergreifender Veranstaltungen (z. B. Fahndung, Analyse, Prävention, Vernehmung, Kriminaltechnik) beinhaltet. Seminarangebote gibt es u. a. zur Politisch motivierten Kriminalität. Insgesamt wird der Aus- und Fortbildung auch für ermittelnde Organisationsbereiche innerhalb der Polizei Niedersachsen eine große Bedeutung beigemessen. 1. Wie viele Personen, inklusiv eingesetzter V-Leute, waren an den Ermittlungen in Niedersachsen bzw. in anderen Bundesländern und dem Bund in welchem Zeitraum, mit welchen Ausbildungen sowie welchen Spezialkenntnissen zum terroristischen Islamismus in welchem Zeitraum beteiligt (bitte jeweils auflisten)? Die Einleitung des in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens gegen die vier später Angeklagten wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland seitens des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (GBA) erfolgte im November 2016. Vorangehend und begleitend waren bereits Ermittlungsmaßnahmen auch auf der Grundlage des Gefahrenabwehrrechts erfolgt. In Niedersachsen war für das Ermittlungsverfahren des GBA die Polizeidirektion Lüneburg verfahrensverantwortlich, dort die Ermittlungseinheit Polizeilicher Staatsschutz bei der Zentralen Kriminalinspektion (ZKI) Lüneburg. Mit anderen Polizeidienststellen der Länder und des Bundes wurden derweil u. a. ermittlungsbegleitende Maßnahmen abgestimmt, es wurden aber keine ermittlungsrelevanten Tätigkeiten an andere Dienststellen abgegeben. Für die Ermittlungen im Rahmen des betreffenden Strafverfahrens, vom November 2016 bis Dezember 2017, waren in der Polizeidirektion Lüneburg in wechselnder Besetzung insgesamt zwölf Beamtinnen und Beamte zuständig, allerdings haben diese zum Teil auch im Kontext stehende gefahrenabwehrrechtliche Ermittlungen geführt. 2016 2017 Monat 11 12 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 Anzahl eingesetzter Beamtinnen / Beamter 6 6 7 8 8 7 9 9 9 10 10 8 8 8 Von den betreffenden Beamtinnen und Beamten hatten insgesamt vier das „Basismodul Staatsschutzkriminalität “ und insgesamt zwei den Lehrgang „Politisch Motivierte Kriminalität Ausländer“ absolviert, davon in einem Fall beide Lehrgänge. Von diesen waren Schlüsselpositionen der Sachbearbeitung besetzt. Einer der Beamten arbeitete bis September 2017 in dem Verfahren und ab Oktober 2017 ein anderer Beamter, sodass gleichzeitig jeweils vier Personen mit der spezifischen Fortbildung zur Verfahrensbearbeitung eingesetzt waren. Der Begriff „V-Leute“ ist in der Landespolizei nicht gebräuchlich. Unabhängig davon können Fragen zu einem konkreten Einsatz von Vertrauenspersonen in öffentlich zugänglichen Drucksachen grundsätzlich nicht beantwortet werden. Die Bestätigung eines solchen Einsatzes wäre grundsätzlich geeignet, die Wiederverwendbarkeit einer Vertrauensperson zu erschweren bzw. unmöglich zu machen oder die künftige Durchführbarkeit derartiger Maßnahmen insgesamt zu beeinträchtigen. Insbesondere muss aber eine Gefährdung von Leib oder Leben einer eingesetzten Vertrauensperson oder ihr nahestehender Personen einkalkuliert werden, so denn der Umstand bekannt wird, dass eine Vertrauensperson eingesetzt wurde. Dagegen würde eine Angabe über das Nichtbestehen eines entsprechenden Einsatzes den Schluss auf das Vorliegen in anderen Fällen zulassen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3045 3 2. Wie bewertet die Landesregierung das Urteil unter Berücksichtigung der Selbsttötung eines der Beschuldigten, des Freispruchs und der beiden Verurteilungen angesichts der umfangreichen Ermittlungen in Bezug auf die Wahrheitsfindung insbesondere bei islamistischem Terrorismus? Wesentliche Grundlagen unseres Staates sind die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte . Die Sachleitungsbefugnis im Rahmen strafprozessualer Ermittlungsverfahren obliegt der Staatsanwaltschaft , im o. a. Fall lag diese beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Nach § 161 StPO kann die Staatsanwaltschaft zur Aufhellung des Sachverhaltes grundsätzlich Ermittlungen jeder Art selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamtinnen und Beamten des Polizeidienstes vornehmen lassen. Sofern die Ermittlungen genügenden Anlass dafür bieten, erhebt die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 StPO öffentliche Klage; im vorliegenden Fall erfolgte das im Januar 2018. Im Strafverfahren schließt sich sodann das Zwischenverfahren an, in welchem das zuständige Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet. Findet ein Hauptverfahren statt, wird im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung eine Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht durchgeführt. Das Hauptverfahren endet mit der Entscheidung des Gerichts. Vor dem Hintergrund der beteiligten Entscheidungsträger und der rechtsstaatlich vorgegebenen Verfahrensabläufe erscheint im Sinne der Fragestellung ein Vergleich zwischen Aufwand respektive als umfangreich bewerteten Ermittlungen als solchen und dem Ergebnis des Strafverfahrens im vorliegenden Fall nicht hinreichend sachgerecht erbringbar. Unabhängig davon bestand gegen den Beschuldigten, der sich - in einer Untersuchungshaftanstalt außerhalb Niedersachsens - das Leben nahm, ein Untersuchungshaftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs wegen des dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz in zwei Fällen. Hinweise auf Suizidgedanken ergaben sich im Verlauf der Ermittlungen der ZKI Lüneburg nicht. Ausführungen zur Motivation des Mannes wären rein spekulativ. 3. Beabsichtigt die Landesregierung Änderungen und/oder bessere Kontrollen in der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden und eingesetzten V-Leuten, um die Voraussetzungen für eine sicherere Verurteilung, zumindest soweit es möglich ist, zu erreichen? Wenn nein, warum nicht? Unbenommen der in der Antwort zu Frage 2 dargelegten rechtsstaatlichen Prinzipien wird unter Hinweis auf die Vorbemerkung in allen Aufgabenfeldern der Polizei Niedersachsen das höchstmögliche Maß an Qualität, Effizienz sowie Effektivität im Rahmen einer professionellen Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben angestrebt. Vor dem Hintergrund sich verändernder Extremismus- und Kriminalitätsphänomene, Rechtgrundlagen , Techniken und wissenschaftlicher Fortentwicklungen sind Grundsätze, Basiswissen und Prozesse in der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden nie als fortwährend statisch, sondern vielmehr als grundsätzlich weiterzuentwickelnd zu betrachten. Den Sicherheitsbehörden stehen insbesondere für eine wirksame Bekämpfung und Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus /Terrorismus auf Bundes- und Landesebene verschiedene Handlungsempfehlungen, Richtlinien und Maßnahmenkonzepte zur Verfügung. Im Rahmen der Aufgabenbewältigung werden Abläufe , die Organisation und Verfahren hinsichtlich etwaiger Anpassungs- respektive Optimierungsbedarfe im Sinne eines fortwährenden Prozesses geprüft. So wurde beispielsweise als Neuerung im Bereich polizeilicher Ermittlungen, insbesondere in Bezug auf den Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität - religiöse Ideologie -, die landesweite Einstellung von Islamwissenschaftlerinnen oder Islamwissenschaftlern mit fundierten Kenntnissen der arabischen Sprache in den Polizeibehörden Niedersachsens umgesetzt. Im Kontext des in Rede stehenden Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass in der ZKI Lüneburg die Nachbereitung der Führung von Umfangsverfahren mit der Staatsanwaltschaft eine bewährte Maßnahme zur Qualitätssicherung ist. Diese wird nach Rechtskraft der Urteile abschließend möglich. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3045 4 Vor diesem Hintergrund sind Änderungsbedarfe im Sinne der Fragestellung aus dem Kontext des o. a. einzelnen Verfahrens gegenwärtig nicht ableitbar; gleichwohl unterliegt auch der Einsatz von Vertrauenspersonen fortlaufenden fachaufsichtlichen Überprüfungs- und Optimierungsprozessen. (Verteilt am 01.03.2019) Drucksache 18/3045 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Verurteilungen und Freispruch im Verfahren gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „Jabat al-Nusra“