Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3049 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Bundeseinheitliche Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE), eingegangen am 25.01.2019 an die Staatskanzlei übersandt am 29.01.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 26.02.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Der Strafvollzugsausschuss der Länder hat im Jahr 2014 eine bundeseinheitliche Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug beschlossen. Ab 2016 wird in den Ländern jährlich zum Stichtag 31. März die Anzahl der zu Beginn der Inhaftierung suchtmittelabhängigen oder Suchtmittelmissbrauch betreibenden Personen erhoben. Dabei wird nach Hauptsubstanzklassen differenziert. Des Weiteren werden auch die Inhaftierten erfasst, die zum Stichtag substituiert werden. In einer jährlichen Verlaufserhebung werden zudem die durchgeführten medizinisch begleiteten Entgiftungen sowie die Entlassungen in eine stationäre oder ambulante Suchtentwöhnungsbehandlung ermittelt. Auf der 125. Tagung des Strafvollzugsausschusses der Länder vom 10. bis 12. Mai 2017 wurde beschlossen, dass die bundeseinheitliche Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug zwei weitere Jahre in allen Bundesländern fortgeführt wird. Vorbemerkung der Landesregierung Mit der bundeseinheitlichen Erhebung werden alle im Justizvollzug untergebrachten Inhaftierten und Verwahrten, ausgenommen Arrestantinnen und Arrestanten des Jugendvollzugs, erfasst. Bei den bisher durchgeführten Erhebungen in Niedersachsen lag die Fallzahl jährlich zwischen 4 500 und 5 000. Mit der Stichtagserhebung werden das Vorliegen und die Ausprägung einer Suchtproblematik zu Beginn der Inhaftierung abgefragt. Dabei ist aus kriminologischer Sicht anzumerken, dass die Validität der erhobenen Daten durch folgende vier Faktoren eingeschränkt ist: So war erstens bei den bisherigen Erhebungen neben den Neuzugängen eine erhebliche - wenngleich von Jahr zu Jahr abnehmende - Anzahl von Altfällen einzubeziehen, das heißt von Inhaftierten und Verwahrten, die sich vor dem ersten Stichtag 2016 bereits im Vollzug befanden. Während die Neuzugänge ausschließlich durch Ärzte suchtdiagnostisch eingestuft wurden, wurde die Konsumeinschätzung bei den Altfällen von diesbezüglich geschulten nichtmedizinischen Suchtberaterinnen und -beratern vorgenommen. Zweitens beruhen die Konsumeinschätzungen nur teilweise auf objektiven Untersuchungsergebnissen (wie z. B. Blutuntersuchungen ), zum anderen Teil auch auf Selbstauskünften der Gefangenen. Drittens hat die Beschränkung auf eine einmal jährliche Stichtagserhebung zur Folge, dass die Gruppe der kurzstrafigen Gefangenen unterrepräsentiert ist, bei der von einer anderen Suchtprävalenz als bei Langstrafigen auszugehen ist. Zu berücksichtigen ist viertens, dass die Datenerfassung in Niedersachsen über ein IT-gestütztes medizinisches Fallmanagementprogramm erfolgte, das eigens für diese Erhebung erweitert worden ist. Mit diesem neuen Programmmodul musste sich das medizinische Fachpersonal erst vertraut machen. Das hatte zur Folge, dass die Datenerfassung zumindest bezogen auf das erste Erhebungsjahr nicht vollständig und fehlerfrei ablief. Im Ergebnis sind die Da- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3049 2 ten der Erhebung aus dem Jahr 2016, das im Übrigen bundesweit als Probelauf verstanden wurde, nur bedingt bzw. bezogen auf einzelne Parameter nicht verwertbar. Einschränkend ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Strafvollzugsausschuss der Länder als Auftraggeber der bundeseinheitlichen Erhebung die Gesamtergebnisse bislang nicht zur Veröffentlichung freigegeben hat. Daher können erste Ergebnisse nur bezogen auf Niedersachsen vorgelegt werden. Ungeachtet der vorliegenden Erhebung ist festzuhalten, dass suchtmittelabhängige und suchtgefährdete Gefangene und Verwahrte in allen niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen fachliche Beratung, Betreuung und Behandlung erhalten. Landesweit sind 39 ausgebildete Suchtkrankenhelferinnen und Suchtkrankenhelfer in Voll- oder Teilzeit im Bereich der Suchtberatung tätig. Diese bieten Einzel- und Gruppenmaßnahmen zur Motivierung und Vorbereitung auf Therapien an, leisten psychosoziale Begleitung bei ärztlich verordneten Substitutionen und unterstützen bei der Vermittlung in stationäre und ambulante Entwöhnungsbehandlungen sowie bei der Kontaktaufnahme mit externen Hilfeeinrichtungen und -gruppen. In allen niedersächsischen Justizvollzugsanstalten werden zudem Gruppenbehandlungsmaßnahmen für suchtgefährdete und abhängige sowie für opiatabhängige Inhaftierte angeboten. Substitutionsbehandlungen erfolgen durch Ärztinnen und Ärzte mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation. Die Jugendanstalt Hameln verfügt als einzige niedersächsische Justizvollzugseinrichtung über eine Abteilung zur stationären Suchtbehandlung. 1. Welche konkreten Ergebnisse haben die Erhebungen im Einzelnen für Niedersachsen erbracht (bitte detaillierte jährliche Darstellung)? Die folgende Darstellung bezieht sich auf die wesentlichen Ergebnisse der in dem Zeitraum 2016 bis 2018 in Niedersachsen durchgeführten Erhebungen. Im Folgenden werden zu den einzelnen Gesichtspunkten überwiegend Prozentzahlen angegeben. Diese sind in Bezug zu folgenden Belegungszahlen zu setzen: Männer Frauen Jugendliche Insgesamt 2016 4537 249 366 4 786 2017 4582 243 334 4 825 2018 4337 198 304 4 535 Der Anteil der Inhaftierten und Verwahrten mit einer Suchtproblematik an der Gesamtbelegung betrug : 31.03.2016 31.03.2017 31.03.2018 Anteil der Inhaftierten u. Verwahrten mit einer Suchtproblematik 62,2 % 55,5 % 57,1% – davon Inhaftierte und Verwahrte mit einer Suchtmittelabhängigkeit 36,8 % 37,1 % 32,9 % – davon Inhaftierte und Verwahrte mit missbräuchlichem Suchtmittelkonsum 25,4 % 18,4 % 24,2 % Mit Blick auf die männlichen, weiblichen und jugendlichen Inhaftierten und Verwahrten ergibt sich bei der Suchtmittelabhängigkeit bezogen auf die jeweilige Gesamtzahl der Inhaftierten und Verwahrten folgendes Bild: 31.03.2016 31.03.2017 31.03.2018 Inhaftierte und verwahrte Männer mit Suchtmittelabhängigkeit 34,3 % 34,9 % 30,4 % Inhaftierte und verwahrte Frauen mit Suchtmittelabhängigkeit 35,3 % 39,1 % 56,1 % Inhaftierte Jugendliche mit Suchtmittelabhängigkeit 32,5 % 29,9 % 19,7 % Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3049 3 Differenziert nach einzelnen Substanzen zeigen sich bei Männern, Frauen und Jugendlichen im Vollzug unterschiedliche Präferenzen. Da sich die Zahlenverhältnisse gegenüber den beiden Vorjahren nicht wesentlich verändert haben, beschränkt sich die folgende Darstellung auf die zum Stichtag 31.03.2018 erhobenen Daten. Dabei wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit von abgefragten neun Substanzklassen jeweils nur die vier häufigsten Nennungen ausgewählt. Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtbelegung. Suchtmittelabhängigkeit differenziert nach einzelnen Suchtmitteln bei Männern 1. multipler Gebrauch 12,4 % 2. Alkohol 6,8 % 3. Opioide 5,2 % 4. Cannabinoide 1,6 % bei Frauen 1. multipler Gebrauch 34,3 % 2. Opioide 13,1 % 3. Alkohol 4,0 % 4. Kokain 2,0 % bei Jugendlichen 1. Cannabinoide 10,5 % 2. multipler Gebrauch 5,9 % 3. Alkohol 1,3 % 4. Kokain 1,3 % Bei den Zahlen der substituierten Inhaftierten und Verwahrten ist nicht zuletzt aufgrund der Änderung der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung von substitutionsgestützter Behandlung und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) im Jahr 2017 eine leichte Zunahme zu verzeichnen. Da eine medikamentöse Substitution nur bei Opiat- beziehungsweise multipler Abhängigkeit in Betracht kommt, sind die absoluten Zahlen in Bezug zu der entsprechenden Untergruppe der Gefangenenbelegung zu setzen. Dabei sollte beachtet werden, dass diese Quote eher eine Unterschätzung der tatsächlichen Versorgung der Zielgruppe darstellt, da sich unter der Kategorie „multiple Abhängigkeit“ auch solche Personen befinden können, die keine Opioidproblematik haben. Im Folgenden werden nur die Zahlen für 2017 und 2018 referiert, da die Zahlen aus 2016 nicht verwertbar waren. 31.03.2017 31.03.2018 Zahl der substituierten Inhaftierten und Verwahrten 288 290 Anteil der substituierten Inhaftierten und Verwahrten im Verhältnis zu den Opioid- und multipel Abhängigen 27,5 % 30,8 % In eine stationäre oder ambulante Suchttherapieeinrichtung wurden im Jahresverlauf 2017 insgesamt 278 Personen aus dem niedersächsischen Vollzug entlassen. Diese Entlassungen können entweder unter Zurückstellung der (Rest-)Strafe gemäß § 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) oder im Rahmen einer Auflage im Zusammenhang mit einer Aussetzung der (Rest-)Freiheits - oder (Rest-)Jugendstrafe zur Bewährung gemäß §§ 57 des Strafgesetzbuchs (StGB) oder 88 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) erfolgen. Die Zahl dieser Entlassungen schlüsselt sich wie folgt weiter auf: Entlassungen in eine stationäre oder ambulante Suchttherapieeinrichtungen im Jahresverlauf 2017 nach § 35 BtMG nach §§ 57 StGB/88 JGG Anzahl der Entlassungen 225 53 – davon aus der Untersuchungshaft 24 4 – davon aus dem geschlossenen Vollzug 195 44 – darunter Jugendliche 35 2 – davon aus dem offenen Vollzug 6 5 – darunter Jugendliche 0 1 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3049 4 2. Welche konkreten Konsequenzen zieht die Landesregierung aus den Ergebnissen, welche Maßnahmen hat sie bereits ergriffen, welche Maßnahmen wird sie wann und mit welchem Zeithorizont ergreifen, und wie viele Mittel wird sie dafür bereitstellen (bitte aufschlüsseln nach Jugend-, Erwachsenen- und Frauenvollzug und Haushaltstitel angeben )? Da zurzeit die Gesamtauswertung der bislang erhobenen Datensätze durch die beauftragte Länderarbeitsgruppe unter Federführung der kriminologischen Dienste einzelner Länder noch nicht abgeschlossen ist, konnten aus den vorliegenden Zahlen bislang keine konkreten Handlungsbedarfe abgeleitet werden. Die Ergebnisse wurden allerdings bereits im Rahmen von Fachtagungen der Suchtbeauftragten der Anstalten und einer Anstaltsleitertagung vorgestellt und erörtert. Sobald der oben genannte Abschlussbericht vorliegt und durch den Strafvollzugsausschuss der Länder bewertet wurde, wird die Fachabteilung das bestehende System der Suchtberatung und -behandlung im Licht dieser Ergebnisse und Bewertungen überprüfen und weiterentwickeln. 3. Inwieweit liegen Berichte zu den jeweiligen Erhebungsjahren vor, die Zahlen zu Substitutionsbehandlungen , Entgiftungen und Entlassungen zugunsten einer Suchtbehandlung darstellen und damit ein differenziertes Bild zum Umgang mit Suchtmittelabhängigkeit in den Bundesländern liefern können? Es wird auf die Vorbemerkungen und die Antwort zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. (Verteilt am 01.03.2019) Drucksache 18/3049 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Bundeseinheitliche Erhebung zur stoffgebundenen Suchtproblematik im Justizvollzug