Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/312 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel, Christian Meyer und Meta Janssen-Kucz (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Wie viele Menschen in Niedersachsen sind von Wohnungslosigkeit betroffen? Anfrage der Abgeordneten Anja Piel, Christian Meyer und Meta Janssen-Kucz (Bündnis 90/Die Grünen), eingegangen am 09.01.2018 - Drs. 18/140 an die Staatskanzlei übersandt am 16.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 14.02.2018, gezeichnet In Vertretung Heiger Scholz Vorbemerkung der Abgeordneten Ausweislich einer Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. vom 14.11.2017 waren 2016 schätzungsweise 860 000 Menschen in Deutschland von Wohnungslosigkeit betroffen, was einer Steigerung um 150 % gegenüber dem Jahr 2014 entspricht. Bis 2018 erwartet die BAG Wohnungslosenhilfe weitere 350 000 Menschen ohne Wohnung. Um die Zahl der wohnungslosen Menschen in den nächsten Jahren zu reduzieren, hält die BAG Wohnungslosenhilfe „massive Anstrengungen von Bund, Land und Kommunen“, Förderprogramme zur Prävention von Wohnungslosigkeit und zur Versorgung von wohnungslosen Menschen mit eigenem Wohnraum für erforderlich. Vorbemerkung der Landesregierung Die Beseitigung von Wohnungslosigkeit - einer besonders dramatischen Ausprägung von Armut - und die Unterstützung der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen ist der Landesregierung ein besonderes Anliegen. Dies findet u. a. auch seinen Niederschlag in der Koalitionsvereinbarung der regierungstragenden Parteien, die die Schaffung bzw. Förderung von Angeboten und innovativen Projekten für wohnungslose bzw. obdachlose Menschen vorsieht. Grundvoraussetzung für ein wirksames Vorgehen gegen Wohnungslosigkeit ist zunächst ein funktionstüchtiger und aufnahmefähiger Wohnungsmarkt. Vor allem in den größeren Städten und ihrem Umland ist der Wohnungsmarkt auch in Niedersachsen - gerade hinsichtlich kleiner preisgünstiger Wohnungen - in vielen Fällen sehr angespannt. Als Folge der steigenden Wohnkosten haben daher viele Wohnungssuchende mit niedrigem Einkommen Schwierigkeiten, angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Der Rückgang an Sozialwohnungen sowie der zu erwartende Anstieg der Haushaltszahlen in vielen Städten und Gemeinden verschärfen diese Entwicklung. Laut Wohnungsmarktbericht 2017 wird Niedersachsen bis zum Jahr 2028 noch um rund 100 000 Haushalte wachsen, bevor die Zahlen langsam wieder sinken. Bis zum Jahr 2035 werden der Prognose zufolge in Niedersachsen ca. 296 000 zusätzliche Wohnungen benötigt, vor allem kurzund mittelfristig. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Bedarf von etwa 14 800 Woh- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/312 2 nungen. Tatsächlich ist der Bedarf aber zunächst deutlich höher und nimmt im Verlauf der Jahre ab. Zugleich sind in dem Zeitraum bis zum Jahr 2035 Wohnungsüberhänge in einzelnen Regionen in einer Größenordnung von 70 000 Wohnungen zu erwarten. Die Nachfrage wird vor allem in den Städten weiter wachsen, in die es auch viele der zu uns aus dem Ausland kommenden Menschen ziehen wird. Wichtig ist daher, das Angebot an Wohnraum zu erhöhen, insbesondere durch den Mietwohnungsneubau im preisgünstigen Segment. Niedersachsen ist dabei auf einem guten Weg: Seit 2014 wurden jährlich mehr als 25 000 Wohnungen fertiggestellt. 2016 waren es über 34 000 genehmigte Wohnungen. Auch die neue Landesregierung sieht in der Förderung von Sozialwohnungen einen Handlungsschwerpunkt und stellt entsprechende Fördermittel bereit. Daneben wird in Kürze ein „Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen“ ins Leben gerufen. Hierbei sollen alle Akteurinnen und Akteure im Bereich Bauen und Wohnen, wie auch etwa Kommunen und Wohnungswirtschaft, mitwirken, um gemeinsam Hindernisse für bezahlbares Bauen und Wohnen zu identifizieren und zu beseitigen. Spezielle Hilfsangebote bestehen für betroffene Menschen, um den Verlust einer Wohnung nach Möglichkeit zu verhindern oder Wohnungslosigkeit zu überwinden. Diese Hilfeleistungen werden überwiegend durch – die Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) (SGB II), – die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, 4. Kapitel Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII), und – die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, 8. Kapitel SGB XII, erbracht. Darüber hinaus kommen für spezifische Personenkreise bzw. bei Vorliegen besonderer Bedarfslagen weitere Hilfen in Betracht, wie z. B. für die Hilfe und Betreuung von obdachlosen Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen, die Kinder und Jugendhilfe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), für Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe oder für pflegebedürftige Menschen, die Hilfe zur Pflege. Mit der Unterbringung nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) ist gesichert, dass jeder hier lebende Mensch Anspruch auf eine menschenwürdige Unterkunft hat und nicht auf der Straße leben muss. Über im Zusammenhang mit der Wohnungslosigkeit stehende detaillierte Daten verfügt das Land dabei von den Personen, die sich in Einrichtungen und Diensten der Hilfe nach dem 8. Kapitel des SGB XII in seiner sachlichen Zuständigkeit aufhalten. Diese Personen gelten nach der „Europäischen Typologie für Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnversorgung (ETHOS)“ als wohnungslos. Die aggregierten Dokumentationsdaten dieser Personen werden von den Einrichtungen und Diensten der Zentralen Beratungsstelle Niedersachsen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (ZBS) gemeldet, von dieser ausgewertet und mit Statistikbericht (zuletzt zum 31.12.2015) veröffentlicht. Des Weiteren liegen dem Land Niedersachsen aggregierte Daten zur Wohnungslosigkeit aus den vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) durchgeführten Stichtagserhebungen zum 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 zur ordnungsrechtlichen Unterbringung in Niedersachsen vor. Mit den Ergebnissen der von der ZBS derzeit durchgeführten Folgeerhebung zum 31.12.2016 ist in der ersten Jahreshälfte 2018 zu rechnen. Diese dem Land vorliegenden Datensätze bilden damit nicht das tatsächliche Ausmaß der gesamten Wohnungslosigkeit in Niedersachsen ab, sondern dokumentieren lediglich die Lage der als wohnungslos geltenden Personen, die im Hilfesystem nach dem 8. Kapitel SGB XII betreut werden bzw. landesweit ordnungsrechtlich nach dem Nds. SOG untergebracht sind. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/312 3 1. Wie viele Menschen sind derzeit insgesamt in Niedersachsen von Wohnungslosigkeit betroffen? Nach dem Statistikbericht der ZBS wurden im Verlauf des Jahres 2015 3 818 Personen in Niedersachsen in den landesrahmenvertraglich typisierten Leistungsangeboten nach dem 8. Kapitel SGB XII betreut. Stichtagsbezogen erhielten diese Hilfe am 31.12.2015 2 202 Personen (31.12.2013: 2 076 Personen , 31.12.2014: 2 249 Personen). Nach den vormals von MS durchgeführten Stichtagserhebungen waren zum 31.12.2011: 4 138, 31.12.2012: 4 346, 31.12.2013: 4 505 Personen in Niedersachsen ordnungsrechtlich nach § 11 Nds. SOG untergebracht. 2. Wie viele davon sind a) Frauen, b) Kinder und Jugendliche, c) anerkannte geflüchtete Menschen, d) Menschen aus dem europäischen Ausland, e) von Straßenobdachlosigkeit betroffen? Im Verlauf des Jahres 2015 wurden in Niedersachsen in den landesrahmenvertraglich typisierten Leistungsangeboten nach dem 8. Kapitel des SGB XII betreut (von insgesamt 3 818 Personen): a) Frauen: 435 (11,4 %), b) Kinder und Jugendliche: 380 (9,9 %), c) anerkannte geflüchtete Menschen - nicht gesondert erhoben, d) Menschen aus dem europäischen Ausland: 66 (1,8 %), e) von Straßenobdachlosigkeit betroffen - nicht gesondert erhoben. Nach der Stichtagserhebung zur ordnungsrechtlichen Unterbringung in Niedersachsen waren am 31.12.2013 ordnungsrechtlich untergebracht: a) Frauen - nicht gesondert erhoben, b) Kinder und Jugendliche - hier: Minderjährige - 910 (20,20 %), c) anerkannte geflüchtete Menschen - nicht gesondert erhoben, d) Menschen aus dem europäischen Ausland - nicht gesondert erhoben, e) Von Straßenobdachlosigkeit betroffen - nicht gesondert erhoben. 3. Wie haben sich die Zahlen in Niedersachsen seit 2014 entwickelt? Valide Zahlen für Niedersachsen liegen ab 2014 lediglich für den Bereich der Hilfe nach dem 8. Kapitel SGB XII vor. Hier ergibt sich Folgendes: Frauen Weibliche Hilfesuchende sind mit einem Anteil von 11,4 % in den Hilfen gemäß §§ 67 ff. SGB XII gering vertreten (in 2015: Männer: 3 383, Frauen: 435). Auffällig ist dennoch, dass der Anteil der Frauen im Vergleich von 2011 auf 2015 um 3,5 Prozentpunkte gestiegen ist. Dieser Anstieg erfolgte kontinuierlich. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/312 4 Kinder und Jugendliche Der Statistikbericht 2015 der ZBS Nds. weist einen Anteil von 9,9 % Kinder und Jugendliche in den Hilfen gemäß §§ 67 ff. SGB XII aus. Nachdem dieser Anteil von 2011 bis 2014 kontinuierlich zugenommen hatte, wurde in 2015 erstmals ein Rückgang um 0,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Menschen aus dem europäischen Ausland Menschen aus dem europäischen Ausland sind in den Hilfen gemäß §§ 67 ff. SGB XII mit einem Anteil von 1,8 % (ZBS Statistikbericht 2015) gering vertreten. Beachtlich ist jedoch der Anstieg um 0,9 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. 4. Wie schätzt die Landesregierung die Entwicklung der Zahlen bis zum Jahr 2020 ein? Zur zukünftigen Entwicklung der Zahlen kann keine seriöse Schätzung für Niedersachsen abgegeben werden. Es ist aber davon auszugehen, dass die Anzahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen auch in Niedersachsen zunehmen wird. Maßgebliche Faktoren sind hierbei vor allem die Entwicklung der Zuwanderung und des Wohnungsmarktes. 5. Sieht die Landesregierung Bedarf für eine umfassende Wohnungsnotfallstatistik in Niedersachsen? 6. Sieht die Landesregierung Bedarf für eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik? Wenn ja, wird sie sich auf Bundesebene dafür einsetzen? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 5 und 6 nachfolgend zusammenhängend beantwortet. Die Landesregierung befürwortet die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik als Grundlage für die Steuerung von Maßnahmen und Programmen gegen die Wohnungslosigkeit und hat in diesem Sinne bereits mehrfach im Rahmen von Länderabfragen votiert. Sie geht dabei davon aus, dass bei Einführung einer solchen Bundesstatistik, mit deren gesetzlicher Vorbereitung derzeit das BMAS befasst ist, die handelnden Akteurinnen und Akteure auf kommunaler und Landesebene einen einfachen und barrierefreien Zugriff auf die erfassten steuerungsrelevanten Daten erhalten. Hinsichtlich der Detailfragen zur bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik beabsichtigt sich das Land, gegebenenfalls in Abstimmung mit der ZBS und unter Beteiligung sonstiger relevanter Akteurinnen und Akteure, zu gegebener Zeit weiter einzubringen. Die Einführung einer gesonderten Wohnungsnotfallstatistik auf Landesebene wäre dann obsolet. (Verteilt am 19.02.2018) Drucksache 18/312 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel, Christian Meyer und Meta Janssen-Kucz (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Wie viele Menschen in Niedersachsen sind von Wohnungslosigkeit betroffen?