Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/318 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Wie groß ist das Potenzial der Reichsbürger in Niedersachsen? Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 16.01.2018 - Drs. 18/203 an die Staatskanzlei übersandt am 23.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 16.02.2018, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung des Abgeordneten Nach einer dpa-Meldung vom 12. Januar 2018 soll die Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland immer größer werden. Die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter sei binnen Jahresfrist um mehr als 50 % gestiegen - auf bundesweit nunmehr 15 600 im Januar 2018. Niedersachsen habe demnach mit 1 400 sogenannten Reichsbürgern die viertgrößte Szene. Ferner verfügten Mitglieder der Szene über eine große Zahl an legalen und illegalen Waffen. Vorbemerkung der Landesregierung „Reichsbürger/Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, u. a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht , – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, – den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder – sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb in aller Regel die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen . Mit Stand vom 31.12.2017 rechnen die Sicherheitsbehörden dem Bundesbeobachtungsobjekt „Reichsbürger und Selbstverwalter“ bundesweit 16 500 Personen, davon ca. 900 Rechtsextremisten , zu. Die Zahlen spiegeln den jeweils aktuellen Aufklärungsstand der Sicherheitsbehörden wider. Die Steigerung gegenüber den Vorjahren beruht auf einem verbreiterten ideologischen Angebot der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ sowie auf einem verbesserten Informationsaufkommen der Sicherheitsbehörden. Bei weit gefasstem Maßstab liegt die Gesamtanzahl der in Niedersachsen in diesem Zusammenhang der Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter zuzuordnenden Personen bei etwa 1 400. Inwieweit jeweils eine extremistische Gesinnung im Sinne einer politischen Bestrebung vorliegt, wird in einer Einzelfallanalyse bewertet. Bisher ist in Niedersachsen von wenigen Hundert „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ im engeren, extremistischen Sinne auszugehen. Hierbei handelt es sich um Personen, die im erheblichen Maße im Zusammenhang mit der „Reichsbürgerideologie “ aufgefallen sind und damit auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/318 2 verstoßen. Aufgefallen sind sie u. a. durch die anhaltende Versendung von Schriftstücken an diverse Empfänger oder durch eine Phänomen bezogene Begehung von Straftaten wie Beleidigung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung oder durch Widerstandshandlungen und Gewaltdelikte. Bei „Reichsbürgern/Selbstverwaltern“ ist eine Affinität zu Waffen zu konstatieren. Im Vergleich zur volljährigen Gesamtbevölkerung liegt der Anteil waffenrechtlicher Erlaubnisse signifikant höher. Des Weiteren spiegelt sich die hohe Waffenaffinität der Szene bundesweit auch in umfangreichen Funden teils illegaler Waffen bei verschiedenen Exekutivmaßnahmen gegen „Reichsbürger und Selbstverwalter“ wider. Jedweder Waffenbesitz birgt dabei gerade vor dem Hintergrund der in Teilen der Szene vorhandenen Bereitschaft, die eigene Ideologie im Sinne eines „Selbstschutzes“ unter Gewaltanwendung zu verteidigen, das Risiko, dass vorhandene (Schuss-)Waffen - insbesondere bei staatlichen Maßnahmen - eingesetzt werden. 1. Wie viele Personen in Niedersachsen werden der Szene der sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter zugerechnet (bitte nach den Jahren 2013 bis 2018 aufschlüsseln)? a) Wie viele davon sind weiblich? b) Wie viele davon sitzen in Untersuchungshaft? c) Wie viele davon sitzen in Strafhaft? Der niedersächsische Verfassungsschutz erfasst das Personenpotenzial der „Reichsbürger/Selbstverwalter “-Szene seit Ende 2016. Inwieweit jeweils eine extremistische Gesinnung im Sinne einer politischen Bestrebung vorliegt, wird in einer Einzelfallanalyse bewertet (vgl. hierzu Ausführungen unter Frage 2). Seitens der Polizei wurden entsprechende Personen im Vorgangsbearbeitungssystem erfasst, soweit diese Gefahren verursachten oder strafrechtlich in Erscheinung traten. Eine statistische Erfassung des gesamten Personenkreises der „Reichsbürger/Selbstverwalter“-Szene fand daher nicht statt. Aufgrund der von Personen der „Reichsbürger/Selbstverwalter“-Szene im Laufe des Jahres 2016 verübten massiven Gewaltdelikte wurde bundesweit von den Sicherheitsbehörden die Notwendigkeit gesehen, das entsprechende Personenpotenzial umfassend aufzuhellen. Infolgedessen kam es zu einem aufwachsenden Erkenntnisstand bei den Sicherheitsbehörden, mit einem sich ständig erhöhendem Personenpotenzial. Vor diesem Hintergrund kann eine valide Aufschlüsselung des Personenpotenzials der „Reichsbürger /Selbstverwalter“-Szene für den angefragten Zeitraum (2013 bis 2016) nicht erfolgen. Von den rund 1 400 landesweit bekannt gewordenen Personen (Ende 2016 bis Januar 2018) ist etwa ein Viertel weiblich. In niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen waren am Stichtag 24.01.2018 insgesamt sieben männliche Personen inhaftiert, bei denen Hinweise vorliegen, dass sie der Szene der „Reichsbürger /Selbstverwalter“ zuzurechnen sind. Sechs dieser Personen sind in Strafhaft, und eine Person ist in Untersuchungshaft. 2. In welcher Weise und seit wann befasst sich der Verfassungsschutz mit den sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern im Sinne des Zweiten Teils des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes? Bereits seit dem Jahr 2005 beobachtet der niedersächsische Verfassungsschutz die Gruppierung „Die Exilregierung Deutsches Reich“ als Teil der Reichsbürgerszene. Nach einem versuchten und einem vollendeten Tötungsdelikt in Sachsen-Anhalt und Bayern im August bzw. Oktober 2016 wurde die Bearbeitung der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder mit der Neueinrichtung eines Sammel-Beobachtungsobjekts auf Bundesebene Ende 2016 intensiviert. In allen Verfassungsschutzbehörden der Länder wurden daraufhin sukzessive entsprechende Beobachtungsobjekte eingerichtet. Der niedersächsische Ver- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/318 3 fassungsschutz beobachtet die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter seit Anfang 2017. Im Rahmen einer Einzelfallanalyse werden seitdem die jeweiligen Protagonisten der Szene sowie mögliche Strukturen der Szene in Niedersachsen in Zusammenarbeit mit den Staatsschutzdienststellen der niedersächsischen Polizei und dem LKA Niedersachsen bewertet. 3. Wie viele der der Landesregierung bekannten sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter dürfen legal Waffen besitzen? Im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden stehen die „Reichsbürger und Selbstverwalter“, die über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen. Die Ablehnung der Rechtsordnung und der legitimierten staatlichen Einrichtungen steht im Widerspruch zu den waffenrechtlichen Anforderungen an die Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG. Deshalb hat das Innenministerium bereits mit Erlass vom 15.11.2016 (Nds. MBl. 2017, S. 211) geregelt, dass sogenannten Reichsbürgern waffenrechtliche Erlaubnisse zu versagen bzw. diese aufzuheben sind. Die Waffenbehörden sind seitdem verpflichtet, im jeweiligen Fall die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, sofern Feststellungen vorliegen, dass eine Person als sogenannter Reichsbürger einzuordnen ist. Die seitens der Landesregierung vertretene Auffassung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit sogenannter Reichsbürger und Selbstverwalter wird im Übrigen durch die aktuelle verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung gestützt (z. B. Beschluss des OVG Lüneburg vom 13.07.2017, 11 ME 181/17). Zwischen den niedersächsischen Sicherheitsbehörden findet daher ein umfangreicher Erkenntnisaustausch statt, um die zuständigen Waffenbehörden umfassend über die zur jeweiligen Person vorliegenden gerichtsverwertbaren Erkenntnisse unterrichteten zu können, die zum Entzug oder zur Versagung waffenrechtlicher Erlaubnisse erforderlich sind. Von oben genannten rund 1 400 Personen, die der „Reichsbürger-/Selbstverwalterszene“ zuzuordnen sind oder mit der Ideologie dieser Szene sympathisieren, verfügen derzeit nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 87 über eine waffenrechtliche Erlaubnis (Stand: 31.12.2017). 4. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über illegalen Waffenbesitz durch sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter? Sofern die Polizei Kenntnis darüber erlangt, dass eine Person illegal im Besitz von Waffen ist, werden alle notwendigen gefahrenabwehrenden Maßnahmen getroffen und gegebenenfalls Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. Auch in Niedersachsen wurden bereits bei „Reichsbürgern/Selbstverwaltern“ illegal im Besitz befindliche Waffen, Waffenteile und Munition beschlagnahmt. Darüber hinaus wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 5. Wurden seit 2013 gerichtsverwertbare Erkenntnisse über sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter vom niedersächsischen Verfassungsschutz an die Waffenbehörden weitergeleitet? Eine direkte Übermittlung von Erkenntnissen des niedersächsischen Verfassungsschutzes an die örtlich zuständigen Waffenbehörden erfolgte bisher nicht. Der niedersächsische Verfassungsschutz befindet sich im engen Informationsaustausch mit den örtlichen Staatsschutzdienststellen der Polizei und dem Landeskriminalamt über mögliche Reichsbürger, die im Besitz von waffenrechtlichen Erlaubnissen sind. Im Rahmen dieses Austausches wurden bisher die gesammelten Erkenntnisse auf Anregung des niedersächsischen Verfassungsschutzes durch die lokalen Staatsschutzdienststellen an die zuständigen Waffenbehörden vor Ort übermittelt. (Verteilt am 20.02.2018) Drucksache 18/318 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Wie groß ist das Potenzial der Reichsbürger in Niedersachsen?