Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3325 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Einschätzung und Vorgehen gegen problematische Wölfe Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP), eingegangen am 07.02.2019 - Drs. 18/2789 an die Staatskanzlei übersandt am 11.02.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 21.03.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Am 23.01.2019 berichtete der NDR, dass das „Rodewalder Rudel“ zum wiederholten Male Weidetiere gerissen habe (https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/ Rinder-und-Pony-gerissen-Wird-Wolfsruede-getoetet,wolf3780.html). In dem Artikel wird berichtet, dass das Umweltministerium (MU) befürchte, dass der problematische Rüde sein Verhalten an den Rest des Rudels weitergeben könne und dass eine Entnahme dieses Rüden überprüft werde. Des Weiteren wird berichtet, dass nach einem weniger ereignisreichen Sommer 2018 im Herbst erneut Risse, dieses Mal auf Großtiere (Rinder, Pony und Alpaka), - dem „Rodewalder Rudel“ zugeordnet werden können und dass das Verhalten des Rudels seitens des MU „als sehr bemerkenswert“ eingeschätzt werde. Vorbemerkung der Landesregierung Für die Beurteilung, ob eine der Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG zugelassen werden kann, kommt es allein auf die jeweils dort genannten gesetzlichen Voraussetzungen an (vgl. auch VG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 15.02.2019, 5 B 472/19 (http://www.rechtspre chung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printview=true&doc.id=JURE19000286 3&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true), bestätigt durch OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 22.02.2019, 4 ME 48/19 (http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/ jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE190000686&st=null&doctyp=juris-r&showdoc case=1¶mfromHL=true#focuspoint). Sich allein darauf zu konzentrieren, ob ein Wolf ein „problematisches Verhalten“ zeigt, greift zu kurz. 1. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber, ob ein Einzeltier im Rudel sein problematisches Verhalten an den Rest des Rudels weitergibt? Die Landesregierung nutzt die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, ob ein Einzeltier im Rudel sein problematisches Verhalten an den Rest des Rudels weitergibt. Namhafte Wolfsforscher (z. B. Zimen, Mech, Kotrschal) haben sich ausgiebig mit Fragen des Lernverhaltens und der Weitergabe von Fertigkeiten bei Wölfen beschäftigt. Danach ist klar, dass Wolfsverhalten in hohem Maße modifizierbar und anpassungsfähig ist. Das macht neben der hohen Vermehrungsrate einen Großteil des Erfolgs dieser Tierart aus. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3325 2 2. Wird bei der Beurteilung eines Rudels berücksichtigt, dass im Frühjahr und Sommer wegen der zahlreichen Kitze die Weidetierrisse vorrübergehend abgenommen haben könnten, da sich die Kitze als leichte Beute erweisen? Wenn nicht, warum nicht? Die angesprochene saisonale Veränderung in der Wahl von Beutetieren ist der Landesregierung bekannt. Für die Beurteilung, ob hinsichtlich einzelner Wölfe die Zulassung einer Entnahme zur Abwehr erheblicher landwirtschaftlicher Schäden erfolgen kann, sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG maßgeblich. 3. Inwiefern fließt diese Möglichkeit in die Beurteilung einer möglichen Verhaltensänderung des Rudels ein und warum? Insofern, als dass ein Rückgang von Rissen bei Weidetieren in dieser Phase des Jahres nicht als grundlegende Verhaltensänderung eingestuft wird. 4. Bei welchen Schäden erfolgt unter welchen Voraussetzungen eine Entnahme auffälliger Wölfe? Die Voraussetzungen für eine Entnahme richten sich nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG. 5. Wer darf eine Entnahme beantragen, und wer entscheidet darüber? Antragsbefugt für einen Antrag auf Zulassung einer Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG ist derjenige, der die Ausnahme für sich selbst begehrt, der also die Zulassung der Ausnahme in eigener Sache beantragt (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 27.07.2018 - 2 M 61/18). Die Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG obliegt der zuständigen Naturschutzbehörde . 6. Wie definiert die Landesregierung einen „Problemwolf“? Die Landesregierung definiert keinen „Problemwolf“. Ob zur Entnahme eines Tieres nach § 45 Abs. 7 BNatSchG eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, ist immer eine Einzelfallentscheidung. Auf die Vorbemerkung der Landesregierung wird verwiesen. 7. Wie definiert die Landesregierung einen auffälligen Wolf? Die Ausführungen in der Antwort 6 gelten entsprechend. 8. Welche Kriterien gelten, um einen Wolf zu entnehmen (bitte detailliert erläutern)? Die Kriterien, nach denen eine Ausnahme vom Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG erteilt werden kann, sind in § 45 Abs. 7 BNatSchG aufgelistet. Hiernach können Ausnahmen zugelassen werden 1. zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden, 2. zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, 3. für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung, 4. im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3325 3 5. aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art. Eine Ausnahme vom Tötungsverbot darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Wolfspopulation nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG weiter gehende Anforderungen enthält. Artikel 16 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 9 Abs. 2 der Richtlinie 2009/147/EG sind zu beachten. 9. Welche Kriterien gelten, um ein gesamtes Rudel zu entnehmen (bitte detailliert erläutern )? Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. 10. Wie erfolgt eine Entnahme (bitte den Ablauf genau erläutern)? Eine Entnahme erfolgt im jeweiligen Einzelfall mit den gebotenen und zur Verfügung stehenden Mitteln, unter Hinzuziehung geeigneter Personen. Über Einzelheiten werden zum Schutz der Personen und um das Verfahren als solches nicht zu gefährden grundsätzlich öffentlich keine Auskünfte erteilt. 11. Gibt es in diesem Zusammenhang eine Entscheidungsschwelle, ab der gehandelt wird (Beispiel: Eine bestimmte Anzahl an gerissenen und/oder verletzen Schafen, Ziegen, Rindern, Pferden, Lamas, Esel, Alpakas?) Wenn ja, bitte den Entscheidungsweg genau darlegen. Wenn nicht, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. Es handelt sich immer um Einzelfallentscheidungen. 12. Werden die im Nachgang eines Wolfsangriffs eingeschläferten Tiere bei der Beurteilung berücksichtigt, ob es sich um ein auffälliges Rudel/Problemwölfe handelt? Wenn nicht, warum nicht? Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. Angriffsbedingt verletzte Nutztiere , die aus Tierschutzgründen eingeschläfert werden müssen, werden bei der Schadensermittlung mit berücksichtigt. 13. Welche Rolle spielt die Überwindung eines fachgerecht angelegten Grundschutzes bei der Einschätzung, ob es sich um ein auffälliges Rudel/Problemwölfe handelt? Die Überwindung des Grundschutzes ist die erste Stufe. Ergibt die gesetzlich vorgeschriebene Alternativenprüfung , dass mit zumutbarem Mehraufwand ein empfohlener Schutz hergestellt werden kann, ist erst nach mehrfacher Überwindung des empfohlenen Schutzes durch einen Wolf eine Entnahme möglich. 14. Wie wird ein Nahkontakt genau definiert? Im Allgemeinen wird nicht von Nahkontakten gesprochen, sondern von Nahbegegnungen. Der Begriff ist nicht eindeutig definiert, sondern gibt vielfach eine subjektive Empfindung wieder. Anlass zu besonderer Aufmerksamkeit geben Begegnungen mit Wölfen auf Entfernungen unter 30 m, bei denen der Wolf nicht von Menschen überrascht wurde und der Mensch deutlich als solcher erkennbar , also nicht in/auf einem Hochsitz, Fahrzeug oder auf einem Reittier dem Wolf begegnet, und solche, bei denen ein Wolf sich einer deutlich als Mensch erkennbaren Person auf kürzere Distanz als 30 m aktiv annähert. Dabei ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob sich der Mensch in Begleitung eines Hundes befand - denn das Interesse für den domestizierten Artgenossen kann die Scheu vor Menschen überlagern. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3325 4 15. Wie werden Nahkontakte dokumentiert? Wenn nicht, warum nicht? Nahbegegnungen werden, wenn sie den Wolfsberatern, der Landesjägerschaft, dem Wolfsbüro oder dem Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz bekannt werden, in der bei der Landesjägerschaft geführten Sichtungstabelle dokumentiert und von zuständigen Fachleuten beurteilt . 16. Wenn Nahkontakte dokumentiert sind, sind diese dann für jedermann einsehbar? Wenn nicht, warum nicht? Nein, hier haben aus Datenschutzgründen nur die Melder selbst zu den von ihnen gemeldeten Fällen , die Landesjägerschaft, das Wolfsbüro und das Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz zu allen Fällen vollen Zugang. 17. Inwiefern fließen die Aussage von Betroffenen und Zeugen, ein Foto-/Videonachweis und ein genetischer Nachweis in die Beurteilung eines Nachweises ein? Alle bekannten Informationen fließen in die Beurteilung eines Nachweises ein, je nach Qualität und Verifizierungsgrad mit unterschiedlichem Gewicht nach den international vereinbarten SCALP-Maßstäben . 18. Gibt es unterschiedliche Gewichtungen der genannten Aspekte? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die SCALP-Kriterien können hier: https://www.dbb-wolf.de/Wolfsmanagement/monitoring/scalpkriterien nachgelesen werden. Der Einfachheit halber werden sie im Folgenden als Zitat dieser Internetseite aufgeführt „SCALP-Kriterien SCALP = Status and Conservation of the Alpine Lynx Population In den Standards für das Monitoring von Wolf, Luchs und Bär in Deutschland (Kaczensky et al. 2009, Reinhardt et al. 2015), im Folgenden kurz als ‚Monitoringstandards‘ bezeichnet, wurde die Kategorisierung der Daten anhand ihrer Überprüfbarkeit festgelegt. Diese Einordnung erfolgte in Anlehnung an die SCALP-Kriterien, die im Rahmen des Projektes ‚Status and Conservation of the Alpine Lynx Population‘ (SCALP) für das länderübergreifende Luchsmonitoring in den Alpen entwickelt wurden. Diese SCALP-Kriterien wurden für Wolf und Bär weiterentwickelt und an die Gegebenheiten in Deutschland angepasst. Der Buchstabe C steht für Kategorie (Category), die Ziffern 1 bis 3 definieren die Überprüfbarkeit der Hinweise. C1: eindeutiger Nachweis = harte Fakten, die die Anwesenheit der entsprechenden Tierart eindeutig bestätigen (Lebendfang, Totfund, genetischer Nachweis, Foto, Telemetrieortung). C2: bestätigter Hinweis = von erfahrener Person überprüfter Hinweis (z. B. Spur oder Riss), bei dem ein Wolf, Luchs oder Bär als Verursacher bestätigt werden konnte. Die erfahrene Person kann den Hinweis selber im Feld oder anhand einer aussagekräftigen Dokumentation von einer dritten Person überprüfen und bestätigen. C3: unbestätigter Hinweis = alle Hinweise, bei denen ein Wolf, Luchs oder Bär als Verursacher aufgrund der mangelnden Indizienlage von einer erfahrenen Person weder bestätigt noch ausgeschlossen werden konnte. Dazu zählen alle Sichtbeobachtungen ohne Fotobeleg, auch von erfahrenen Personen; ferner alle Hinweise, die zu alt, unzureichend oder unvollständig dokumentiert sind, zu wenige Informationen für ein klares Bild enthalten (z. B. bei Spuren) oder aus anderen Gründen für eine Bestätigung nicht ausreichen. Die Kategorie C3 kann in Unterkategorien, wie ‚wahrscheinlich‘ und ‚unwahrscheinlich‘ unterteilt werden. Falsch: Falschmeldung = Hinweis, bei der die entsprechende Tierart als Verursacher ausgeschlossen werden kann. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3325 5 k. B.: keine Bewertung möglich = Hinweise, zu denen aufgrund fehlender Mindestinformationen keine Einschätzung möglich ist, zum Beispiel Sichtmeldungen von Rissen oder Spuren.“ 19. Werden diese Aspekte nur in Summe berücksichtigt oder auch einzeln? Jedes Kriterium wird für sich betrachtet. 20. Wie erfolgt die forensische Grundausbildung für die Probennehmer, damit die Probe ein valides Ergebnis liefern kann? Falls keine Grundausbildung nach forensischen Vorschriften erfolgt, warum nicht? Die Probenentnahmemethodik wird im Rahmen der Wolfsberaterschulung vermittelt und geübt. 21. Haben die Mitarbeiter des Wolfsbüros vor Beschäftigungsbeginn eine fachkundige Probenentnahmeschulung bekommen? Ja. 22. Inwiefern werden die Ärzte in Wolfsgebieten instruiert und sensibilisiert, wenn Patienten mit Bisswunden von graubraunen Hundeartigen behandelt werden müssen? Ärzte haben eine berufliche Verpflichtung zur Weiterbildung. 23. Werden Ärzte in Wolfsgebieten aufgefordert, bei Bisswunden von graubraunen Hundeartigen vor der Wundreinigung Proben zu entnehmen und zur genetischen Untersuchung an ein forensisches Labor einzusenden, wenn nein, warum nicht? Nein, die Entscheidung über eine Veranlassung von genetischen Untersuchungen ist den behandelnden Ärzten überlassen. (Verteilt am 27.03.2019) Drucksache 18/3325 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Einschätzung und Vorgehen gegen problematische Wölfe