Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Missbrauchsfälle im Landkreis Hameln-Bad Pyrmont Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD), eingegangen am 19.02.2919 - Drs. 18/2929 an die Staatskanzlei übersandt am 21.02.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 25.03.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Nach Medienberichten der letzten Wochen ist es auf dem Campingplatz in Lüdge-Elbrinxen (NRW) über mehrere Jahre zu zahlreichen unentdeckten Missbrauchsfällen an Kindern und Jugendlichen gekommen. Neben dem Jugendamt des Kreises Lippe soll, jedenfalls hinsichtlich eines betroffenen Kindes, das Jugendamt Hameln-Pyrmont zuständig gewesen sein. Vorbemerkung der Landesregierung Für das Land Niedersachsen hat es hohe Priorität, Kinder und Jugendliche wirksam und effektiv vor Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalt jeglicher Form zu schützen. Das Land Niedersachsen unterstützt die Kommunen dauerhaft bei allen Fragestellungen zu den Themen Kindeswohlgefährdung , sexueller Missbrauch und Vernachlässigung. Bereits seit vielen Jahren gibt es neben den Jugendämtern landesweit spezialisierte Beratungs- und Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden können. Wir nehmen die erschütternden Missbrauchsfälle in Lügde zum Anlass, um mit den zentralen Akteuren im Kinderschutz aus den aktuellen Erfahrungen verbesserte Handlungsstrategien zu entwickeln. Im Fokus steht dabei insbesondere, mögliche Lücken im Kinderschutz zu identifizieren , interdisziplinäres Vorgehen weiter zu befördern und die Aufmerksamkeit für kindeswohlgefährdende Lebensbedingungen von Kindern zu erhöhen. 1. Welche Betreuung hat für den Vater und das betroffene Kind durch das Jugendamt Hameln-Pyrmont stattgefunden? Sind in etwaigen Berichten des Jugendamtes zu dem betroffenen Kind Auffälligkeiten verzeichnet worden? Der Landkreis Hameln-Pyrmont als örtlicher und das Land Niedersachsen als überörtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe haben die Regelungen zum Schutz der Sozialdaten zu beachten. Es gilt, die Grundrechte der hier bestimmbar Betroffenen, d. h. derjenigen zu sichern, denen die Sozialdaten aufgrund der in der Öffentlichkeit vorhandenen Einzelangaben ohne größeren Aufwand zugeordnet werden können. Der Schutz von Sozialdaten erstreckt sich auch auf bereits bekannte bzw. bekannt gewordene Sozialdaten, z. B. solche, die durch die Presse oder soziale Medien verbreitet wurden. Insoweit kann auf diese Frage hier im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Landtagsdrucksache zur Vermeidung der Verletzung schutzwürdiger Interessen Dritter (Artikel 24 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung) aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht eingegangen werden. Sie ist allerdings im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landtags am 21.03.2019 beantwortet worden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 2 2. Welche Möglichkeit haben Kinder und Jugendliche, etwaige Missbrauchsfälle zu melden ? Neben der Polizei stehen Kindern und Jugendlichen insbesondere die nachfolgenden Einrichtungen zur Verfügung: Jugendämter, Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche , Kinderschutz-Zentren, Ortsverbände des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB), Kinder- und Jugendtelefon der Nummer gegen Kummer. Die niedersächsischen Jugendämter sind außerhalb der Dienstzeiten jederzeit über eine Rufbereitschaft erreichbar. Das Land Niedersachsen verfügt mit diesen Einrichtungen sowie den landesweit spezialisierten Gewaltberatungseinrichtungen für Mädchen und Frauen über eine bereits seit Jahren gut ausgebaute Infrastruktur. Meldungen von Kindern und Jugendlichen können in der Regel zeitnah, niedrigschwellig und in erreichbarer Entfernung entgegen genommen werden. Kinder und Jugendliche haben gemäß § 8 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch - Kinderund Jugendhilfe (SGB VIII) einen Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten, wenn die Beratung aufgrund einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist und solange durch die Mitteilung an den Personensorgeberechtigten der Beratungszweck vereitelt würde. Betroffene Kinder und Jugendliche vertrauen sich in der Regel Bezugspersonen ihres Umfelds an. Die angesprochenen Bezugspersonen und Fachkräfte in Schule, Jugendhilfeeinrichtungen oder Vereinen sollten sich an die Polizei, das örtlich zuständige Jugendamt oder Beratungsstellen wenden . Auf dem Internetportal Kinderschutz www.kinderschutz-niedersachsen.de ist eine Rubrik für Kinder und Jugendliche sowie für Eltern und Fachkräfte eingerichtet, auf der konkrete Beratungsangebote und Kontaktdaten in Niedersachsen aufgelistet sind. Über die Adressdatenbank sind unkompliziert alle Beratungsmöglichkeiten zu ermitteln. Das Land Niedersachsen unterstützt die Prävention, Intervention und Unterstützung der Opfer im Bereich sexualisierter Gewalt im Geschäftsbereich des Kultusministeriums durch verschiedene Maßnahmen. Mit Beschluss des Landtags vom 21.03.2012 (Drs. 16/4640) wurde die Landesregierung gebeten, eine zentrale, fachlich qualifiziert besetzte Anlaufstelle einzurichten, an die sich Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern oder Erziehungsberechtigte in Fällen von sexuellem Fehlverhalten und Diskriminierung an Schulen und Einrichtungen zur Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen wenden können. Die unabhängige Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder wurde im Kultusministerium als Stabstelle eingerichtet. Seit August 2012 ist das Angebot der Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs an Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder für alle Kinder und Jugendlichen, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und andere Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber aus ganz Niedersachsen erreichbar. Die Arbeit in der Anlaufstelle wird durch ein interdisziplinäres Team betreut. Hierzu zählen die Professionen Psychologie , Pädagogik, Recht, Pädagogik/Kriminologie. Durch die Mehrfachqualifikationen des Personals wird das gesamte erforderliche Spektrum der fachlichen Arbeit abgedeckt. Die Anlaufstelle ist montags bis donnerstags zwischen 8.00 bis 16.00 Uhr sowie freitags und vor Feiertagen von 8.00 bis 12.00 Uhr per Hotline unter der Telefonnummer 0511/120-7120 erreichbar. Zusätzlich kann die Anlaufstelle per E-Mail unter anlaufstelle@mk.niedersachsen.de kontaktiert werden. Zudem haben Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, alle in der Schule tätigen Personen auf etwaige Missbrauchsfälle anzusprechen. Jede in einer Schule tätige Person hat die Aufgabe und Verantwortung, solchen Hinweisen nachzugehen und diese der Schulleitung zu melden. Darüber hinaus stehen in Schulen Beratungsgruppen mit besonderer Qualifizierung und dem Angebot einer schweigepflichtig gebundenen Beratung zur Verfügung (Beratungslehrkräfte, Fachkräfte für schulische Sozialarbeit, Schulpsychologie). Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses , das einer solchen Beratungssituation innewohnt, ist davon auszugehen, dass Schülerinnen und Schüler diese Personen als besonders geeignete Ansprechpartnerin bzw. Ansprechpartner für etwaige Berichte betrachten. Zudem sind Unterstützungsleistungen für Opfer sexualisierter Gewalt bei schulbezogenen Fragestellungen durch diese Personengruppen möglich. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 3 3. Wie viele Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen sind in Niedersachsen in den Jahren 2014 bis 2018 (bitte aufschlüsseln nach Jahren) bekannt geworden? Um was für Missbrauchsfälle handelte es sich konkret? Bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften wird lediglich der Tatvorwurf des jeweiligen Ermittlungsverfahrens statistisch erfasst. Ferner wird durch Markierung des Verfahrensattributs „Jugendschutzsache “ statistisch erfasst, ob das jeweilige Ermittlungsverfahren eine nach § 26 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) zu behandelnde Jugendschutzsache betrifft. Dies vorangeschickt, können für die einzelnen Straftatbestände des Dreizehnten Abschnitts des Strafgesetzbuchs („Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, §§ 174 bis 184 j StGB) folgende Verfahrenszahlen mit dem markierten Verfahrensattribut „Jugendschutzsache“ mitgeteilt werden: 2014 2015 2016 2017 2018 § 174 StGB 26 39 35 45 32 § 174a StGB 1 § 174c StGB 26 2 2 1 1 § 176 StGB 523 531 733 524 537 § 176a StGB 151 149 181 140 140 § 177 StGB 167 148 224 178 184 § 178 StGB 1 2 § 179 StGB 17 13 23 5 § 180 StGB 1 4 7 6 2 § 182 StGB 91 92 71 59 49 § 183 StGB 28 39 38 28 42 § 183a StGB 1 1 3 1 4 § 184 StGB 24 19 19 29 23 § 184a StGB 2 § 184b StGB 25 15 24 25 17 § 184c StGB 3 5 15 13 8 § 184d StGB 1 § 184g StGB 1 § 184i StGB 107 174 Konkrete Einzelheiten zu den Tatvorwürfen, die den jeweiligen Ermittlungsverfahren zugrunde lagen , könnten nur durch eine händische Einzelauswertung aller Verfahren ermittelt werden, womit ein Aufwand verbunden wäre, der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht geleistet werden kann. Zum Tatbestand des „sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §§ 176, 176 a, 176 b StGB“ gehören mehrere Deliktschlüssel der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Danach stellt sich der in den Jahren 2014 bis 2018 polizeilich registrierte „sexuelle Missbrauch von Kindern“ gemäß § 176, 176 a, 176 b StGB in Niedersachsen wie folgt dar: 2014 2015 2016 2017 2018 Bekannt gewordene Fälle 1.233 1.401 1.421 1.295 1.370 Aufgeklärte Fälle 1.100 1.250 1.272 1.146 1.227 Aufklärungsquote 89,21% 89,22% 89,51% 88,49% 89,56% Minderjährige Opfer 0 bis 13 Jahre 1.476 1.676 1.711 1.528 1.620 Eine Auswertung der einzelnen PKS-Schlüssel zum „sexuellen Missbrauch von Kindern“ ergibt für die Jahre 2014 bis 2018 folgendes Bild: 2014 2015 2016 2017 2018 Sexuelle Handlungen gemäß § 176 Abs. 5 StGB 13 8 9 7 4 Sexuelle Handlungen § 176 Abs. 1 und 2 StGB 516 499 507 504 533 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 4 2014 2015 2016 2017 2018 Exhibitionistische/sexuelle Handlungen vor Kindern § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB 124 148 147 142 140 Sexuelle Handlungen § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB 63 112 168 75 54 Einwirken auf Kinder § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB 190 293 263 272 270 Vollzug des Beischlafs mit einem Kind oder Vornahme einer ähnlichen sexuellen Handlung § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB 81 62 87 48 91 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften § 176 a Abs. 3 StGB 12 13 9 10 23 Sonstiger schwerer sexueller Missbrauch von Kindern § 176 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3 und Abs. 5 StGB 234 266 231 237 255 Gesamt 1.233 1.401 1.421 1.295 1.370 4. Wie werden die Jugendämter in Niedersachsen üblicherweise auf Missbrauchsfälle aufmerksam? Eine wesentliche Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist es, Kindern und Jugendlichen Schutz und Hilfe im Falle der Gefährdung zu gewähren. Kinder und Jugendliche sind vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII). § 8 a SGB VIII konkretisiert diesen staatlichen Schutzauftrag als Aufgabe der Jugendämter. Danach hat das Jugendamt in Fällen, in denen diesem „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen“ bekannt werden , das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Dabei sind die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder die bzw. der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch nicht der wirksame Schutz des Kindes oder der bzw. des Jugendlichen infrage gestellt wird (§ 8 a Abs. 1 SGB VIII). Die Wege und das Bekanntwerden von potenziellen Kindeswohlgefährdungen sind äußerst vielfältig . Gefährdungsmeldungen können bei den Jugendämtern über die Polizei, Kindertageseinrichtungen , Schulen, Hebammen, Ärztinnen oder Ärzte (insbesondere Kinderärztinnen bzw. Kinderärzte), Kliniken, Gesundheitsamt, Gericht, Staatsanwaltschaft, Eltern(-teil), Personensorgeberechtigte, die Minderjährigen selbst, Verwandte, Bekannte, Nachbarinnen oder Nachbarn, anonyme Meldende, Beratungsstellen anderer Einrichtungen oder Dienste der Erziehungshilfe, Einrichtungen der Jugendarbeit oder Pflegepersonen eingehen. In § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) sind die Pflicht und die Befugnis zur Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung geregelt, d. h. bestimmter Berufsgruppen, welche regelhaft in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehen. Hierzu gehören beispielsweise die Angehörigen der Gesundheitsberufe (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KKG). Die Befugnis zur Information des Jugendamtes ist nach § 4 Abs. 3 KKG daran geknüpft, dass die betreffenden Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich halten, um eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Weiter ist Voraussetzung, dass die betreffenden Personen zuvor mit dem Kind oder der bzw. dem Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtert haben und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hingewirkt haben, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder der bzw. des Jugendlichen nicht infrage gestellt wird. Regelungen im Zusammenhang mit der Sicherstellung des Kindeswohls sind zum Teil durch das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) abgesichert. So sind die untersuchenden Vertragsärztinnen und -ärzte im Rahmen von Früherkennungsuntersuchungen nach § 26 SGB V verpflichtet, bei erkennbaren Zeichen einer Kindesvernachlässigung oder -misshandlung die notwendigen Schritte einzuleiten. Einzelheiten hierzu sind in der sogenannten Kinder- Richtlinie (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern in der Fassung vom 18. Juni 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 5 18.08.2016 B1, zuletzt geändert am 19. Oktober 2017, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT 15.03.2018 B2, in Kraft getreten am 16. März 2018) konkretisiert. 5. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Meldemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht werden, hinreichend sind? Ja, über die Jugendämter und die Polizei ist gewährleistet, dass jederzeit (24 Stunden täglich) eine Meldung bezüglich eines sexuellen Missbrauchs vorgenommen werden kann (s. Antwort auf Frage 2). Schülerinnen und Schüler haben im Kontext Schule vielfältige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für etwaige Berichte, zu denen bereits ein enges Vertrauensverhältnis besteht (z. B. Klassenlehrkraft) oder die auf grund ihrer besonderen Funktion ein niedrigschwelliges Angebot für persönliche Gespräche darstellen (z. B. Beratungslehrkräfte). Für den Fall eines Berichtes eines Kindes oder Jugendlichen sind zudem Meldewege für den Verdachtsfall etabliert. Es liegen aktuell keine Hinweise vor, dass weitergehende Meldemöglichkeiten im Kontext Schule geboten sind. Durch das landesweite Angebot der Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung ist eine tragfähige und langjährig bewährte Meldemöglichkeit zuverlässig etabliert. 6. Gibt es für die Jugendämter in Niedersachsen Bestimmungen und praktische Vorkehrungen , um bereits in einem frühen Stadium auf etwaigen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu werden? Welche sind dies gegebenenfalls? Die Jugendämter nehmen als Behörden kommunaler Verwaltung die Aufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf der Grundlage des SGB VIII wahr. Das Land unterstützt die Kommunen bei dieser Aufgabenwahrnehmung. Nach § 85 SGB VIII gehören hierzu die Beratung der örtlichen Träger und die Entwicklung von Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII. Unter anderem übernimmt das Land die Aufgabe der Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe. Das Landesjugendamt, die Landesstelle Jugendschutz, der Deutsche Kinderschutzbund - Landesverband Niedersachsen, die Kinderschutz-Zentren sowie weitere Fortbildungsinstitute bieten vielfältige Fortbildungen zum Thema sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen an, um Fachkräfte in der Wahrnehmung von betroffenen Kindern, in der Gesprächsführung mit den Betroffenen und im professionellen Vorgehen zu schulen. Zur Sensibilisierung für das Thema sexualisierter Gewalt und zur Qualifizierung der Praxis sind darüber hinaus in den zurückliegenden zehn Jahren diverse Modellprojekte mit Landesförderung umgesetzt worden. Sie sind in Kooperation mit dem Deutschen Kinderschutzbund - Landesverband Niedersachsen, der Landesstelle Jugendschutz und dem LandesSportBund Niedersachsen e. V. durchgeführt worden. Diverse Materialien, Handlungsempfehlungen und Informationsbroschüren sind hierzu veröffentlicht worden, die unter www.kinderschutz-niedersachsen.de nachzulesen sind. 7. Gibt es landeseinheitliche Handlungsanweisungen für die Jugendämter in Niedersachsen , wie bei Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch vorzugehen ist? Was sehen solche Handlungsanweisungen gegebenenfalls vor? Aufgrund der Selbstverwaltung der Kommunen gibt es keine landeseinheitlichen Vorgaben. Die Arbeitsgruppe „Kindesschutz“ der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter Niedersachsen und Bremen hat umfangreiche Materialien der Mitgliedsjugendämter zum Thema Kindesschutz gesichtet. Auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter ist unter www.agjae.de eine Auswahl besonders überzeugender Materialien veröffentlicht. Sie haben empfehlenden Charakter. Eine landeseinheitliche Verfahrenspraxis besteht nicht. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 6 8. Hält die Landesregierung die bisherigen Vorkehrungen und Handlungsweisen von Jugendämtern zur Aufdeckung sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen für hinreichend? Falls nicht, welche Verbesserungen plant die Landesregierung? Die Jugendämter nehmen als Behörden kommunaler Verwaltung die Aufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf der Grundlage des SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe - wahr. Sie führen diese Aufgaben im Rahmen der in Artikel 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung im eigenen Wirkungskreis aus. Somit liegt die Zuständigkeit für den Schutz von Kindern vor Gefahren für ihr Wohl und damit auch vor sexueller Gewalt bei den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, § 85 Abs. 1 SGB VIII i. V. m. § 1 Abs. 1 AG SGB VIII). Das Land Niedersachsen unterstützt die Kommunen dauerhaft bei allen Fragestellungen zu den Themen Kindeswohlgefährdung, sexueller Missbrauch mit den in den Antworten zu den Fragen 6 und 7 genannten Vorkehrungen und Handlungsempfehlungen. Zur Unterstützung der Kommunen durch das Land gehören nach § 85 SGB VIII die Beratung der örtlichen Träger und die Entwicklung von Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Trägern, die Jugendhilfeplanung und Beratung, Modellvorhaben, die Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die Aufgaben zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen (§ 85 Abs. 2 SGB VIII). Ein konkretes Beispiel sind die Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung der Vollzeitpflege des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, die für die Jugendämter neben grundsätzlichen und rechtlichen Hinweisen auch Fragen zur internen Organisation, Kooperation (Zusammenwirken Pflegekinderdienst und Allgemeiner Sozialdienst [ASD]) und Gestaltung der Hilfeprozesse enthalten. Sie sind in Kooperation mit den Kommunen entstanden. Das Land hat die Aufgabe der Jugendhilfeplanung und der Qualitätsentwicklung. Im Rahmen der Integrierten Berichterstattung Niedersachsen werden in Kooperation mit den Kommunen steuerungsrelevante Informationen und Themen identifiziert und abgesprochen. Mit einer Handreichung mit dem Titel „Alles eine Haltungsfrage“, die im Mai 2018 herausgegeben worden ist, ist eine fachliche Erarbeitung zur Unterstützung der ASD-Arbeit durch das Land erschienen. Das Land führt zudem Zertifikatskurse zur Qualitätsentwicklung durch. Dabei sind auch kommunalspezifische Projekte durchgeführt worden, die ebenfalls den ASD mit den Themen Zielformulierung in der Hilfeplanung , Schutzkonzepte, Entwicklung eines Qualitätsmanagementkonzepts für das ASD-Handbuch zum Gegenstand gehabt haben. Diese Projekte werden im Rahmen größerer Veranstaltungen für alle Jugendämter vorgestellt. Des Weiteren ist die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe Aufgabe des Landes. Auch im Fortbildungsprogramm ist ein großer Teil dem ASD und seinen Aufgaben bei Kindeswohlgefährdungen gewidmet. Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, der zu diesem Gebiet vorhandenen Handlungsempfehlungen , der wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie der praktischen Erfahrungen in eine kommunale Handlungspraxis obliegt jeder einzelnen Kommune im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Für Erkenntnisse aus den Vorkommnissen in Lügde wird das Land den Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden, der AG der Jugendämter und den zentralen Akteuren im Kinderschutz suchen, um gemeinsam Handlungsstrategien weiterzuentwickeln. 9. Wer gehört zum Netzwerk „Kinderschutz“ in Niedersachsen (bitte die Akteure einzeln auflisten)? Am Netzwerk Kinderschutz beteiligen sich die kommunalen Spitzenverbände, die Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter Niedersachsen und Bremen, die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Niedersachsen, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der Deutsche Kinderschutzbund Landesverband Niedersachsen e. V., die Kinderschutz-Zentren, wellcome - Lan- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 7 deskoordination Niedersachsen, die Landesstelle Jugendschutz, die Stiftung „Eine Chance für Kinder “, der Landespräventionsrat Niedersachsen, der Niedersächsische Landesjugendhilfeausschuss , die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, das Katholische Büro Niedersachsen , das Ethno-Medizinische Zentrum e. V., die Arbeitsgemeinschaft von Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen e. V., der Niedersächsische Flüchtlingsrat, die Ärztekammer Niedersachsen , der Berufsverband der Kinderkrankenpflege Deutschland, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, der Hebammenverband Niedersachsen e. V., das Kinderkrankenhaus Auf der Bult, der Landesverband Niedersachsen der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD e. V., die MHH/Abteilung Rechtsmedizin, das Niedersächsische Landesgesundheitsamt, die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen, die AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen, die BKK Landesverband Niedersachsen - Bremen, die IKK - Landesverband Nord, die Knappschaft Verwaltungsstelle Hannover , die Landwirtschaftliche Krankenkasse Niedersachsen-Bremen und der Verband der Ersatzkassen - Landesvertretung Niedersachsen. Die Auslistung ist nicht abschließend. Je nach inhaltlicher Betroffenheit können weitere Akteure einbezogen werden. 10. Wie hoch sind die Finanzmittel, die das Land Niedersachsen für den Kinder- und Jugendschutz bereitstellt? Für die Förderung von Maßnahmen des Kinder- und Jugendschutzes stellt das Land Niedersachsen bei Kapitel 05 72, Titelgruppe 64 Haushaltsmittel i. H. v. 2 342 000 Euro zur Verfügung. Darüber hinaus erfolgt eine Verstärkung dieses Haushaltsansatzes aus Mitteln der Glücksspielabgabe i. H. v. 155 000 Euro bei Kapitel 05 73 Titelgruppe 93. Das Modellvorhaben „Zentrale Frühe Hilfen“ wird im dreijährigen Zeitraum von Ende 2016 bis Ende 2019 mit jährlich 150 000 Euro bei Kapitel 05 36 Titelgruppe 686 81-5 gefördert. 11. Gibt es zweckgebundene Zuweisungen des Bundes für präventive Maßnahmen im Bereich Kinderschutz? Über die Bundesstiftung Frühe Hilfen stehen dem Land Niedersachsen jährlich Bundesmittel in Höhe von ca. 4 200 000 Euro zur Verfügung. 12. Welche Akteure im Bereich Kinderschutz erhalten finanzielle Unterstützung des Landes (bitte einzeln die Summen zu den jeweiligen Akteuren auflisten)? Von den für den Kinder- und Jugendschutz zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln werden im Bereich des Kinderschutzes in 2019 insbesondere nachfolgende Einrichtungen und Maßnahmen gefördert: Institutionen Förderung in 2019 4 Kinderschutz-Zentren (Hannover, Nordostniedersachsen, Oldenburg, Osnabrück) 760 000 Euro 22 Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder 710 000 Euro Fortbildungsoffensive Kinderschutz (Kinderschutz-Zentren) 20 000 Euro DKSB-LV Niedersachsen - Rechte von Mädchen und Jungen in Einrichtungen 47 000 Euro Landesgeschäftsstelle des DKSB-LV Niedersachsen 265 000 Euro Gesellschaft der Freunde der MHH e. V. - Kinderschutzambulanz 150 000 Euro DKSB - LV Niedersachsen - Kinderschutzkongress/Forum für Kinder- Schutzfachkräfte/Fachtag Kinderschutzkonzepte 32 500 Euro LK Northeim/LK Verden/Wilhelmshaven - Zentralen Frühe Hilfen 150 000 Euro Stiftung „Eine Chance für Kinder“ - Konzept „Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitswesens“ 140 000 Euro Koordinierungszentren Kinderschutz - Kommunale Netzwerke Früher Hilfen (Hannover, Lüneburg, Oldenburg) 120 000 Euro Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 8 Fortbildung Kinderschutzfachkraft, Grund- und Aufbaukurse 59 510 Euro Niedersächsisches Landesjugendamt: Fortbildungen, Projekte und Arbeitstagungen 10 000 Euro Vernetzungsstelle e. V. (www.kinderschutz-niedersachsen.de) 7 469 Euro Landeskoordinierungsstelle Wellcome 60 000 Euro Deutsches Kinderhilfswerk Länderfonds „Kinder stärken“ 30 000 Euro 43 Gewaltberatungsstellen für Mädchen und Frauen 2 526 000 Euro 13. Welche Kriterien müssen von den Akteuren erfüllt werden, um finanzielle Unterstützung zu erhalten? Unter der Voraussetzung vorhandener Haushaltsmittel kann eine Landesförderung bei entsprechender Antragstellung bewilligt werden. Die erforderlichen Antragsunterlagen beinhalten u. a. eine detaillierte Konzeption und einen Finanzplan. 14. Hat die Landesregierung Erkenntnisse über Doppelstrukturen bei den Akteuren im Netzwerk „Kinderschutz“? Es liegen keine Erkenntnisse über Doppelstrukturen vor. Es gibt eine Vielzahl von Akteuren, die sich im Kinderschutz in Niedersachsen engagieren. Nach hiesiger Einschätzung ergänzen sich die zahlreichen Hilfs- und Beratungsangebote. 15. Gibt es Auswertungen über die Arbeitsergebnisse (Erfolge) der geförderten Akteure? Die Verwaltungsvorschriften zur Niedersächsischen Landeshaushaltsordnung schreiben eine Erfolgskontrolle vor. Daraus ist belegbar, ob mit der aus Landesmitteln geförderten Maßnahme das politische oder gesellschaftliche Ziel erreicht werden konnte und ob die Ressourcen in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel stehen. Im Rahmen der Verwendungsnachweise reichen die Zuwendungsempfänger auch Sachberichte ein, die über die Durchführung, den Erfolg und die Zielerreichung des Projektes Auskunft geben. 16. Plant die Landesregierung eine qualifizierte, auf Missbrauch ausgerichtete Ausbildung bei Vertrauenslehrern? In niedersächsischen Schulen sind aktuell ca. 1 300 Beratungslehrkräfte beauftragt. Diese erhalten für ihre Tätigkeit zurzeit drei Anrechnungsstunden. Diese Fachkräfte werden für ihre Tätigkeit im Rahmen einer zweijährigen Qualifikation umfangreich weitergebildet und anschließend tätigkeitsbegleitend regelmäßig fortgebildet. Ein Aspekt der Weiterbildung und der Fortbildungen ist auch der Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch in Schulen. Die Funktion der Vertrauenslehrkraft ist in Niedersachsen nicht vorgesehen. Davon unbenommen gibt es an Schulen gegebenenfalls Personen, die sich selbst als Vertrauenslehrkraft bezeichnen, diese Bezeichnung ist jedoch nicht mit einer Beauftragung und somit auch nicht mit einer besonderen Qualifikation verbunden. Eine Ausbildung für diese Personen findet in der Folge nicht statt. 17. Gibt es ein Ausbildungskonzept für Vertrauenslehrer zur Früherkennung von Missbrauch ? Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. 18. Falls nein, plant die Landesregierung, ein solches Konzept zu beauftragen? Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 9 19. Wie hoch ist der Stundenanteil (Freistellung vom Unterricht) für Vertrauenslehrer im laufenden Schulbetrieb? Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. 20. Wie häufig erhalten Vertrauenslehrer Hinweise zu sexuellem Missbrauch? Da die Funktion der Vertrauenslehrkraft nicht systemisch vorgesehen ist, liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Für Beratungslehrkräfte wird die Zahl der Meldungen nicht systematisch erhoben. 21. Wie sehen in einem solchen Fall die Meldestrukturen aus? Die Landesregierung hat den Schulen in Niedersachsen zu Beginn des Schuljahrs 2018/2019 eine Handreichung „Umgang mit sexuellen Grenzverletzungen in niedersächsischen Schulen“ zur Verfügung gestellt. In dieser ist die Vorgehensweise im Verdachtsfall ausführlich beschrieben. Der Verfahrensablauf sieht im Verdachtsfall einer sexuellen Grenzüberschreitung durch Schulpersonal eine Mitteilungspflicht gegenüber der Schulleiterin oder dem Schulleiter vor, der den Verdachtsfall der Landesschulbehörde meldet. Diese stellt gegebenenfalls Strafanzeige. Bei Verdachtsfällen auf Übergriffe im außerschulischen und häuslichen Bereich oder bei Übergriffen von Schülerinnen und Schülern untereinander besteht ebenfalls eine Meldepflicht gegenüber der Schulleitung. Im Weiteren werden je nach Situation die Erziehungsberechtigten, das Jugendamt , die Landesschulbehörde und gegebenenfalls die Polizei informiert. 22. Wie hoch ist der Anteil von Netzwerkpflegen bei der Unterbringung von Kindern durch die Jugendämter? Es wird davon ausgegangen, dass mit dem Begriff „Netzwerkpflegen“ die Betreuung von Pflegekindern im sozialen Umfeld gemeint ist. Nach dem Handbuch Pflegekinderhilfe des Deutschen Jugendinstituts (https://www.dji.de/medienund -kommunikation/publikationen/detailansicht/literatur/13221-handbuch-pflegekinderhilfe.html) sind Verwandte und Verschwägerte bis zum dritten Grad, die auf der Basis einer privatrechtlichen Vereinbarung mit den Personensorgeberechtigten ein Kind in Pflege nehmen, es regelmäßig betreuen und ihm Unterkunft gewähren, von dem Erfordernis einer Erlaubnis ausgenommen (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII). Unabhängig davon, ob Hilfen zur Erziehung beantragt werden, können Großeltern und Geschwister (= Verwandte 2. Grades), Urgroßeltern, Urenkel, Onkel und Tanten , Neffen und Nichten (= Verwandte 3. Grades) sowie Schwager und Schwägerin das betreffende Kind bei sich aufnehmen, ohne dass es einer Pflegeerlaubnis und einer damit verbundenen Überprüfung des Jugendamts bedarf. Alle anderen Personen bedürfen einer Erlaubnis, wenn sie ein Kind oder eine bzw. einen Jugendlichen über Tag und Nacht in ihren Haushalt aufnehmen, es sei denn, die Aufnahme erfolgt im Rahmen von Hilfe zur Erziehung aufgrund einer Vermittlung durch das Jugendamt (§ 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB VIII). Es ist nicht bekannt, wie viele Kinder aktuell bei Verwandten oder bei Personen aus dem sozialen Umfeld der Familie aufwachsen. Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik unterscheidet zwischen „Verwandten-“ und „Fremdpflege“. Erfasst sind dabei aber nur solche Pflegeverhältnisse, in denen Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege oder eine entsprechende Hilfe für junge Volljährige gewährt wird. Die Zahl der Kinder, die ohne die genannten Hilfen bei Pflegepersonen aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis leben, lässt sich der amtlichen Statistik nicht entnehmen. Laut einem Fachbeitrag des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik (LSN) in der Fassung vom 03.04.2018 im statistischen Monatsheft Niedersachsen 2/2018 waren zum Jahresende 2016 insgesamt 7 623 Minderjährige und 616 junge Erwachsene in einer anderen Familie zur Vollzeitpflege untergebracht. Bei der Vollzeitpflege wird noch einmal unterschieden nach allgemeiner Voll- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3334 10 zeitpflege (§ 33 Satz 1 SGB VIII) und der Vollzeitpflege für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche (§ 33 Satz 2 SGB VIII). Die allgemeine Vollzeitpflege machte mit 6 986 jungen Menschen den deutlich höheren Anteil an der Vollzeitpflege insgesamt aus. Von diesen Kindern waren wiederum 5 194 in sogenannter Fremdpflege und somit in einer Familie untergebracht, zu der kein verwandtschaftliches Verhältnis bestand. In Verwandtenpflege nach § 33 Satz 1 SGB VIII lebten entsprechend 1 792 junge Menschen. In 1 253 Fällen handelte es sich um eine Vollzeitpflege für entwicklungsbeeinträchtigte Minderjährige und junge Erwachsene. Auch bei der Vollzeitpflege nach Satz 2 § 33 SGB VIII waren die meisten Betroffenen in Familien untergebracht, mit denen sie nicht verwandt waren (1 098). 23. Bisher gibt es keine Qualifizierungskurse für Pflegeeltern und Pflegepersonen in Netzwerkpflegen . Plant die Landesregierung, Qualifizierungskurse für Pflegeeltern und Pflegepersonen in Netzwerkpflegen verpflichtend einzuführen? Die Akquise, Qualifizierung und Betreuung von Pflegeelternbewerberinnen und Pflegeelternbewerbern , Großeltern-, Verwandten- oder Netzwerkpflegen ist Aufgabe der örtlichen Jugendämter, die sie im Rahmen des grundgesetzlich garantierten eigenen Wirkungskreises erfüllen (s. Antwort zu Frage 8). Schulungen werden je nach Bedarf in allen Jugendamtsbezirken durchgeführt. Im Gegensatz zur Akquise und Vorbereitung „normaler“ Pflegeeltern ist die Vorbereitung von Großeltern -, Verwandten- oder Netzwerkpflegefamilien systematisch kaum möglich. Die notwendige Überprüfung, Beratung und dauerhafte Betreuung durch die Jugendämter erfolgt häufig vor dem Hintergrund einer akuten Krise, deren Lösung durch die Familie vielfach ohne Beteiligung des Jugendamtes durch die Personensorgeberechtigten schon vorbereitet oder vollzogen wurde. Das Handeln der Jugendämter vollzieht sich somit nicht selten vor dem Hintergrund einer komplexen Situation , die ein entsprechend umsichtiges Handeln erfordert. Das Land Niedersachsen unterstützt die kommunalen Jugendämter schon seit fast 20 Jahren mit sehr gezielten Maßnahmen in der Umsetzung ihrer Aufgaben in der Vollzeitpflege. So wurde im Jahr 2003 die wissenschaftliche Untersuchung „Strukturen der Vollzeitpflege in Niedersachsen“ veröffentlicht, die einen Überblick über vielfältige Fragestellungen kommunalen Handelns erbracht hat. Aufbauend auf den Erkenntnissen dieser Untersuchung wurden 2008 unter dem Titel „Weiterentwicklung der Vollzeitpflege in Niedersachsen“ gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen Empfehlungen zur Umsetzung der Vollzeitpflege erarbeitet, die 2016 in dritter überarbeiteter Auflage erschienen sind. Im Dezember 2018 wurde im Rahmen der Landesjugendhilfeplanung ein weiterer Auswertungsbericht zur Vollzeitpflege in Niedersachsen beauftragt, der im ersten Quartal 2020 erscheinen wird. 24. Wie werden Netzwerkpflegen in Niedersachsen durch die Jugendämter begleitet? Die Begleitung von Netzwerkpflegen erfolgt durch die örtlichen Jugendämter analog zur Begleitung von Verwandtenpflegen je nach Bedarf im Einzelfall. Generalisierende Aussagen zur Form der Begleitung sind nicht möglich (s. Antwort zu Frage 23). (Verteilt am 28.03.2019) Drucksache 18/3334 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Missbrauchsfälle im Landkreis Hameln-Bad Pyrmont Vorbemerkung des Abgeordneten Vorbemerkung der Landesregierung 1. Welche Betreuung hat für den Vater und das betroffene Kind durch das Jugendamt Hameln-Pyrmont stattgefunden? Sind in etwaigen Berichten des Jugendamtes zu dem betroffenen Kind Auffälligkeiten verzeichnet worden? 2. Welche Möglichkeit haben Kinder und Jugendliche, etwaige Missbrauchsfälle zu melden? 3. Wie viele Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen sind in Niedersachsen in den Jahren 2014 bis 2018 (bitte aufschlüsseln nach Jahren) bekannt geworden? Um was für Missbrauchsfälle handelte es sich konkret? 4. Wie werden die Jugendämter in Niedersachsen üblicherweise auf Missbrauchsfälle aufmerksam? 5. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Meldemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht werden, hinreichend sind? 6. Gibt es für die Jugendämter in Niedersachsen Bestimmungen und praktische Vorkeh-rungen, um bereits in einem frühen Stadium auf etwaigen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu werden? Welche sind dies gegebenenfalls? 7. Gibt es landeseinheitliche Handlungsanweisungen für die Jugendämter in Niedersachsen, wie bei Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch vorzugehen ist? Was sehen solche Handlungsanweisungen gegebenenfalls vor? 8. Hält die Landesregierung die bisherigen Vorkehrungen und Handlungsweisen von Jugendämtern zur Aufdeckung sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen für hinreichend? Falls nicht, welche Verbesserungen plant die Landesregierung? 10. Wie hoch sind die Finanzmittel, die das Land Niedersachsen für den Kinder- und Ju-gendschutz bereitstellt? 11. Gibt es zweckgebundene Zuweisungen des Bundes für präventive Maßnahmen im Be-reich Kinderschutz? 12. Welche Akteure im Bereich Kinderschutz erhalten finanzielle Unterstützung des Landes (bitte einzeln die Summen zu den jeweiligen Akteuren auflisten)? 13. Welche Kriterien müssen von den Akteuren erfüllt werden, um finanzielle Unterstützung zu erhalten? 14. Hat die Landesregierung Erkenntnisse über Doppelstrukturen bei den Akteuren im Netzwerk „Kinderschutz“? 15. Gibt es Auswertungen über die Arbeitsergebnisse (Erfolge) der geförderten Akteure? 16. Plant die Landesregierung eine qualifizierte, auf Missbrauch ausgerichtete Ausbildung bei Vertrauenslehrern? 17. Gibt es ein Ausbildungskonzept für Vertrauenslehrer zur Früherkennung von Miss-brauch? 18. Falls nein, plant die Landesregierung, ein solches Konzept zu beauftragen? 19. Wie hoch ist der Stundenanteil (Freistellung vom Unterricht) für Vertrauenslehrer im laufenden Schulbetrieb? 20. Wie häufig erhalten Vertrauenslehrer Hinweise zu sexuellem Missbrauch? 21. Wie sehen in einem solchen Fall die Meldestrukturen aus? 22. Wie hoch ist der Anteil von Netzwerkpflegen bei der Unterbringung von Kindern durch die Jugendämter? 23. Bisher gibt es keine Qualifizierungskurse für Pflegeeltern und Pflegepersonen in Netz-werkpflegen. Plant die Landesregierung, Qualifizierungskurse für Pflegeeltern und Pflegepersonen in Netzwerkpflegen verpflichtend einzuführen? 24. Wie werden Netzwerkpflegen in Niedersachsen durch die Jugendämter begleitet? 9. Wer gehört zum Netzwerk „Kinderschutz“ in Niedersachsen (bitte die Akteure einzeln auflisten)?