Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3470 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anette Meyer zu Strohen, Mareike Wulf, André Bock, Christian Fühner, Clemens Lammerskitten, Dr. Karl-Ludwig von Danwitz und Lasse Weritz (CDU) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung Wie werden hochbegabte Schülerinnen und Schüler an niedersächsischen Schulen gefördert ? Anfrage der Abgeordneten Anette Meyer zu Strohen, Mareike Wulf, André Bock, Christian Fühner, Clemens Lammerskitten, Dr. Karl-Ludwig von Danwitz und Lasse Weritz (CDU), eingegangen am 06.03.2019 - Drs. 18/3138 an die Staatskanzlei übersandt am 11.03.2019 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 10.04.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten In Deutschland haben 1,7 Millionen Menschen einen Intelligenzquotienten (IQ) von mehr als 130 und gelten damit als hochbegabt. Ungefähr 2 % der Bevölkerung sind davon betroffen. Insbesondere hochbegabte Schülerinnen und Schüler stellt dies vor große Herausforderungen. Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass es bei ihnen oftmals zu Problemen beim Schulbesuch kommt. Sie sind im normalen Schulalltag häufig unterfordert, schlechte Konzentration bis hin zu kompletten Leistungsverweigerungen sind die Folgen. Der Bedarf an speziellen Bildungsangeboten für diese Schülergruppe ist groß. Deshalb hat die Bundesregierung das Programm „Leistung macht Schule“ zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler mit einem Umfang von 125 Millionen Euro im Januar 2018 initiiert . Mit diesem Programm soll in den kommenden fünf Jahren an 300 ausgewählten Schulen getestet werden, wie hochbegabte Schülerinnen und Schüler in staatlichen Schulen ihr Talent entfalten können. Vorbemerkung der Landesregierung Hochbegabung ist ein komplexes Phänomen, das sehr unterschiedlich zum Ausdruck kommen kann und nicht einfach zu bestimmen ist. Im engen Sinn meint Hochbegabung eine intellektuelle Hochbegabung, bei der das abstrakt-logische Denken besonders ausgeprägt ist. Sie kann in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen intellektuellen Teilbereichen, wie im sprachlichen, mathematischen, figurativen bzw. technischen Bereich deutlich werden. Daneben gibt es jedoch auch andere Begabungen, wie musikalische , künstlerische, praktisch-instrumentelle, sportliche und soziale. Für die kognitive Intelligenz gibt es kein absolutes Maß. Vielmehr ist der sogenannte Intelligenzquotient (IQ) ein relativer Wert, der durch den statistischen Vergleich der kognitiven Leistungsfähigkeit einer Gruppe ermittelt wird. In der Psychologie hat sich etabliert, einen IQ von 130 als Grenzwert der (kognitiven) Hochbegabung zu setzen. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Intelligenztests zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der Anteil der intellektuell Hochbegabten liegt nach Schätzungen bei 2 % der Bevölkerung. Der IQ gibt lediglich eine Disposition an, d. h. die Voraussetzung für hervorragende schulische Leistungen; für die Umsetzung dieses Potenzials müssen jedoch entsprechend günstige Umfeldbedingungen gegeben sein. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3470 2 Intelligenz realisiert sich in der Wechselwirkung von individuellem Potenzial und Bedingungen des kindlichen Umfeldes, wie sie z. B. durch Familie, Freundeskreis, Kindergarten und Schule gestaltet werden. Sie beeinflussen die intellektuelle Entwicklung eines Kindes und dessen gesamte Persönlichkeit und damit auch die Leistungsmotivation, die Anstrengungsbereitschaft, die Effizienz von Lernstrategien, Fähigkeit zur Stressbewältigung, zur Selbstkontrolle und Selbstregulation. Insofern ist ein IQ-Wert als alleiniger Maßstab zur Bestimmung von Hochbegabung nicht tauglich. Jedes Kind hat ein individuelles Begabungsprofil, verstanden als Entwicklungspotenzial. Zielstellung der Schule ist es, entsprechend § 54 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG), nicht nur die kognitive Hochbegabung, sondern alle Begabungspotenziale jeder Schülerin und jedes Schülers zu fördern. („Das Schulwesen soll eine begabungsgerechte individuelle Förderung ermöglichen … Auch hochbegabte Schülerinnen und Schüler sollen besonders gefördert werden.“) Durch die fortlaufende Beobachtung und Beschreibung des Lern- und Leistungsverhaltens erhalten Lehrkräfte Hinweise auf individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen. Wenn sie auf dieser Grundlage vermuten, dass eine besondere Begabung besteht, sollen systematische Beobachtungen und Untersuchungen in Lernsituationen oder auch mit informellen Tests folgen. Dies gilt ebenso, wenn eine Diskrepanz zwischen dem vermuteten intellektuellen Potenzial und der erbrachten Schulleistung festgestellt wird. Häufig wird angenommen, hochbegabte Kinder und Jugendliche seien anfällig für Minderleistung und problematisches Sozialverhalten (sogenannte Underachiever oder Minderleister ). Wissenschaftliche Befunde können dies nicht eindeutig belegen. Schulische Förderung besonderer Begabungen kann durch Akzeleration (beschleunigtes Lernen), Enrichment (vertieftes Lernen) und Mischformen daraus erfolgen. In Niedersachsen finden beide Formen Verwendung: Akzeleration durch vorzeitige Einschulung, Überspringen von Schuljahrgängen , Fachunterricht in höheren Klassen (fachspezifische Akzeleration, Drehtürmodell); Enrichment durch individuell angepasste Aufgabenstellungen, zusätzliche Kurse und Arbeitsgemeinschaften, Teilnahme an Wettbewerben, Teilnahme an außerschulischen Angeboten (insbesondere Schülerakademien in den Ferien), Frühstudium. Auf eine separierende Förderung in Sonderklassen oder Spezialschulen wird an den öffentlichen Schulen Niedersachsens verzichtet. Vielmehr wird ein integratives Konzept zur Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler befürwortet. Damit wird das Miteinander ganz unterschiedlicher Schülerinnen und Schüler in einer Gruppe betont. Ungleichheit wird dabei nicht als Hemmnis, sondern eher als Chance für Förderung und Entwicklung von Persönlichkeit und Begabung gesehen . Besonders begabte Kinder und Jugendliche verbleiben somit auch weitgehend im sozialen Kontakt zu ihrer Altersgruppe. Die begabungsfördernde Schule ist eine inklusive Schule und entspricht damit dem weiten Begriff von Inklusion, den das Kultusministerium zugrunde legt. Mit dem Ziel, Begabungen möglichst früh zu erkennen und umfassend zu fördern, wurden als bundesweit einmaliges Modell in Niedersachsen die Kooperationsverbünde „Förderung besonderer Begabungen“ als Zusammenschlüsse von Schulen unterschiedlicher Schulformen eingerichtet. Dabei sollen für die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler Brüche in Bildungsbiographien vermieden werden. Die beteiligten Schulen können ihre Kompetenzen addieren, voneinander lernen und ein ebenso breites wie differenziertes Angebot gestalten. Die Zusammenarbeit mit Tageseinrichtungen für Kinder ist ausdrücklich erwünscht. Im Schuljahr 2018/2019 gibt es 90 Kooperationsverbünde mit 513 Schulen. Den niedersächsischen Schulen steht in jeder Regionalabteilung der Landesschulbehörde ein multiprofessionelles Beratungsteam „Förderung besonderer Begabungen“ zur Verfügung. Schulen, die den Kooperationsverbünden „Förderung besonderer Begabungen“ angehören, arbeiten in Netzwerken und verankern die Begabungsförderung in ihren Schulprogrammen. Damit sind sie vielen anderen Bundesländern voraus und nehmen bereits Ziele der Initiative „Leistung macht Schule“ vorweg. „Leistung macht Schule“ (LemaS) ist eine gemeinsame Initiative des Bundes und der Länder, die auf eine Dauer von zehn Jahren ausgelegt ist. An der ersten fünfjährigen Phase nehmen bundesweit 300 Schulen verschiedener Schulformen aus dem Primar- und Sekundarbereich teil. Ein Forschungsverbund aus 16 Universitäten begleitet die Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3470 3 praktische Arbeit. In 22 Teilprojekten werden Konzepte und Strategien erarbeitet, um leistungsstarke und potenziell besonders leistungsfähige Schülerinnen und Schüler zu erkennen und zu fördern. Die Teilprojekte befassen sich sowohl mit einer übergreifenden leistungsförderlichen Schulentwicklung als auch mit einer begabungsförderlichen individuellen Förderung im Regelunterricht der MINT-Fächer sowie in den Fächern Englisch und Deutsch. Auch fachübergreifende Konzepte zum Mentoring oder zum kooperativen Lehren werden in den Teilprojekten mithilfe aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt. Eine Chance der Initiative liegt in der Vielfalt der Perspektiven. Im Forschungsverbund sind verschiedene Disziplinen vertreten, dank derer die Wissenschaft gemeinsam mit den Erfahrungstragenden aus den Schulen neue Erkenntnisse gewinnen und konkrete Veränderungen im Unterricht bewirken wollen. In der zweiten fünfjährigen Phase soll ein Wissenstransfer zur Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse für alle Schulen geleistet werden. 1. Welche Fördermöglichkeiten gibt es an den niedersächsischen Schulen für besonders leistungsstarke und/oder hochbegabte Schülerinnen und Schüler, und wie viele Kinder und Jugendliche nehmen daran teil (bitte aufgeschlüsselt nach einzelnen Schulen und Landkreisen angeben)? Grundsätzlich können besonders leistungsstarke und/oder besonders begabte Schülerinnen und Schüler an jeder niedersächsischen Schule gefördert werden. Maßnahmen der Akzeleration und des Enrichments sind überall einsetzbar und können entsprechend an allen Schulen in Niedersachsen vorgehalten werden. Vor diesem Hintergrund einer systeminhärenten Förderung werden Schülerzahlen nicht erhoben. Darüber hinaus wird auf die Vorbemerkungen der Landesregierung verwiesen. 2. An welchen öffentlichen Schulen in Niedersachsen gibt es spezielle Klassen oder Kurse für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, wie sind diese ausgestaltet, und wie groß ist die jeweilige Teilnehmerzahl sowie der Lehrer-/Schülerschlüssel? Das Gymnasium Bad Zwischenahn-Edewecht bietet das sogenannte begleitete Überspringen an. Schülerinnen und Schüler werden im zweiten Halbjahr der neunten Klasse auf das Überspringen der zehnten Klasse vorbereitet. Im ersten Durchlauf (Schuljahr 2017/2018) haben 15 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Davon haben zwei Schülerinnen und Schüler das direkte Überspringen wahrgenommen. Weitere vier nutzten den Kurs, um nach einem Auslandsschuljahr ohne „Verlust“ eines Jahres wieder in ihren ursprünglichen Jahrgang zurückzukehren. Im ersten Durchlauf wurden ausschließlich mathematische und chemische Kompetenzen erarbeitet. Im laufenden Schuljahr wird das Fächerangebot um Deutsch, Biologie und Physik ergänzt. Die Stunden werden im Blockmodell kurz vor den Sommerferien erteilt. Die Teilnehmerzahl steht noch nicht fest. In beiden Schuljahren wurden für das Angebot insgesamt vier Lehrerstunden veranschlagt. Am Lessing-Gymnasium in Uelzen wird für die Klassenstufen 7/8 ein „Reli+ Kurs“ angeboten, der nur von besonders begabten Schülerinnen und Schülern besucht wird. Dieser läuft parallel zu den übrigen Religionskursen und hat auch die gleiche Stundenausstattung (zwei Stunden pro Woche). Er wurde im letzten Schuljahr von 13 Schülerinnen und Schülern besucht. Dieser wird in Klasse 9/10 von einem Philosophiekurs abgelöst (zwei Stunden/zehn Schülerinnen und Schüler), der im Schuljahrgang 11/12 als Philosophiekurs weitergeführt wird (zwei Stunden/14 Schülerinnen und Schüler). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3470 4 3. Welche Schulen in freier Trägerschaft haben sich in Niedersachsen auf die Förderung besonders leistungsstarker und/oder hochbegabter Schülerinnen und Schüler spezialisiert ? Wie sind deren Förderkonzepte ausgestaltet, wie hoch sind die Schülerzahlen, und wie groß ist der Lehrer-/Schülerschlüssel? Als Schule in freier Trägerschaft hat sich das CJD Jugenddorf-Christophorusschule Braunschweig auf die Förderung besonders leistungsstarker Schülerinnen und Schüler wie folgt spezialisiert: Ab Klasse 7 gibt es die sogenannte S-Klasse. Damit ist ein Wahlprogramm bezeichnet, in dem durch Verzicht auf Wiederholungsphasen der Stoff von vier Schuljahrgängen (7 bis 10) auf drei Jahre komprimiert wird. Die ganze Klasse durchläuft das Programm, in dessen Verlauf schon nach zwei Drittel der Zeit in Klasse 7 mit dem Stoff von Klasse 8 begonnen wird, nach einem Drittel von Klasse 8 beginnt der Stoff von Klasse 9, und ein Drittel der Klassenstufe 10 ist dem Rest des Stoffes aus Klasse 9 vorbehalten. Am Ende der Klassenstufe 8 wird individuell entschieden, wer nach Klasse 10 springen kann. Wer nicht springt, wechselt in den parallelen neunten Jahrgang. Dieses Programm besuchen zurzeit 63 Schülerinnen und Schüler in allen drei S-Klassen. Ab der Qualifikationsstufe gibt es die Möglichkeit, einen Exzellenzkurs zu belegen. Das entspricht etwa einem Kurs auf erhöhtem Anforderungsniveau + (eA +). An die Schülerinnen und Schüler werden hohe Erwartungen im Hinblick auf Selbstorganisationsfähigkeit und Bereitschaft zu zusätzlichem Engagement für das Fach gestellt. Wer den Anforderungen nicht gewachsen ist, wechselt in den parallel liegenden eA-Kurs und erfüllt so problemlos die Beleg- und Einbringungsverpflichtungen . Exzellenzkurse sind in Prüfungsanforderungen (Klausuren etc.) uneingeschränkt kompatibel mit eA-Kursen. Aktuell gibt es nur einen Jahrgang Qualifikationsphase. Dort sind die Schülerinnenund Schülerzahlen in den Exzellenzkursen folgende: Deutsch 9, Englisch 11, Mathematik 12, Biologie 5. Zu bedenken ist, dass die Exzellenzkurse zum Ende der Oberstufe immer etwas abschmelzen, da die hochbegabten Schülerinnen und Schüler oft von der Möglichkeit Gebrauch machen, mehr Kurse zu belegen, als sie müssen. Im Vorfeld der Prüfungen konzentrieren sie sich jedoch dann auf die Prüfungsfächer. 4. Mit welchen Maßnahmen werden die 28 Schulen aus Niedersachsen, die an dem Programm der Bundesregierung „Leistung macht Schule“ teilnehmen, vom Land dabei begleitet und betreut? Alle 28 niedersächsischen Schulen, die an „Leistung macht Schule“ (LemaS) teilnehmen, gehören Kooperationsverbünden „Förderung besonderer Begabungen“ an und werden im Rahmen dieser Arbeit mit zusätzlichen Lehrerstunden ausgestattet. Zusätzlich erhalten die LemaS-Schulen je zwei weitere Lehrerstunden. Die Fachberatungsteams „Förderung besonderer Begabungen“ begleiten die LemaS-Schulen im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit. Darüber hinaus werden 40 Stunden Fachberatung zur Verfügung gestellt. Bedarfsorientiert werden Fortbildungen angeboten. Hierzu stehen zusätzliche Fortbildungsmittel zur Verfügung. In 2018 wurden Reise- und Tagungskosten zu verschiedenen überregionalen Tagungen übernommen. (Verteilt am 11.04.2019) Drucksache 18/3470 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anette Meyer zu Strohen, Mareike Wulf, André Bock, Christian Fühner, Clemens Lammerskitten, Dr. Karl-Ludwig von Danwitz und Lasse Weritz (CDU) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums Wie werden hochbegabte Schülerinnen und Schüler an niedersächsischen Schulen gefördert?