Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/367 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Dragos Pancescu, Christian Meyer, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Klagen gegen Asylbescheide Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Dragos Pancescu, Christian Meyer, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE), eingegangen am 23.01.2018 - Drs. 18/222 an die Staatskanzlei übersandt am 24.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 21.02.2018, gezeichnet Barbara Havliza Vorbemerkung des Abgeordneten Laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 14.01.2018 wird gegen „fast alle ablehnenden Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)“ geklagt. 44 % dieser Klagen seien erfolgreich. Bei Syrern und Afghanen seien es noch deutlich mehr (69 bzw. 61 %). Weiter heißt es, die Gesamtzahl der Klagen gegen BAMF-Entscheidungen dürfte sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt haben. Bis Ende September seien bereits 273 000 Klagen eingegangen. Laut einem Artikel der Nordwest-Zeitung vom 29.11.2017 stellt die steigende Zahl der Asylverfahren die Verwaltungsgerichte in Niedersachsen weiter auf eine „Belastungsprobe“. In den sieben Verwaltungsgerichten sei die Zahl der neu eingegangenen Asylverfahren von 9 220 im Jahr 2015 auf fast 23 100 im laufenden Jahr gestiegen. Die Asylverfahren machten damit den größten Teil der Neueingänge aus. Hinzu komme ein Bestand von rund 18 980 Asylverfahren. Am Oberverwaltungsgericht habe es im Asylbereich im laufenden Jahr rund 1 660 Neueingänge gegeben. 2015 seien es noch rund 290 gewesen. Obwohl das Land seit 2014 die Zahl der Richterinnen und Richter um 47 auf insgesamt 190 erhöht habe, reiche das Personal nicht aus. Zumeist seien es Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und von der Elfenbeinküste, die vor den Gerichten Schutz einklagen. Um die Juristen zu entlasten, gingen die niedersächsischen Gerichte seit September einen „bisher bundesweit einmaligen Weg“: Zwei Experten seien angestellt worden, die für die Richter etwa Hintergründe zu den Herkunftsländern recherchierten. Laut einer Pressemitteilung des damals noch durch Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz geführten niedersächsischen Justizministeriums vom 09.11.2017 unterstütze die Justizministerkonferenz (JuMiKo) den Vorschlag Niedersachsens zur Entlastung der Verwaltungsgerichte in Asylverfahren . Die Konferenz bitte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zu prüfen, ob den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit gegeben werden soll, bei grundsätzlicher Bedeutung der Asylsache sowie bei uneinheitlicher Rechtsprechung die Berufung zuzulassen. Es bleibe zu hoffen, dass diese geforderte Möglichkeit, Rechtszersplitterung zu vermeiden und gerichtliche Asylverfahren zu beschleunigen, auf der Agenda bleibe. Nur so könnten die Verwaltungsgerichte effektiv entlastet werden. Die Ausstattung mit mehr Personal allein reiche nicht aus. Laut einem Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 11.01.2018 dauern Asylverfahren beim BAMF im Schnitt immer noch 10,7 Monate. Das sei deutlich mehr als im Jahr 2016, als Asylbewerberinnen und Asylbewerber durchschnittlich 7,1 Monate auf eine Entscheidung warten mussten. 2015 seien es nur 5,2 Monate gewesen. Das BAMF sei mit einem „Berg von gut 430 000 anhängigen Verfahren ins Jahr 2017 gestartet“. Der Abbau komme langsamer voran als ursprünglich geplant . Ende November 2017 sei die Zahl auf 75 660 Verfahren gesunken. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/367 2 1. a) Welche Erfahrungen hat die Landesregierung mit den zwei neu angestellten Experten , die für die Richter etwa Hintergründe zu den Herkunftsländern recherchieren, gemacht? Das Team zur Asylunterstützung am Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht besteht aus einer neu eingestellten Mitarbeiterin mit politikwissenschaftlichem Hintergrund und einem langjährigen Mitarbeiter der Bibliothek des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Die Richterinnen und Richter der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit nehmen die angebotene Unterstützung bisher in sehr unterschiedlicher Weise in Anspruch. Hauptsächliche Betätigungsfelder des Teams sind die Erstellung sogenannter Erkenntnismittellisten sowie die Recherche und Auswertung allgemeiner oder spezieller Informationen zu einzelnen Herkunftsländern. So wird beispielsweise auf entsprechende Anfrage die Erkenntnislage zur Situation einer bestimmten Volksgruppe, Religionsgemeinschaft oder von Menschen mit einer bestimmten sexuellen Orientierung in einer bestimmten Region zusammengestellt. Angefragt werden sowohl Informationen zu großen Herkunftsländern und Dublin-Mitgliedstaaten als auch zu Herkunftsländern mit wenigen Asylanträgen. Die Inanspruchnahme der Unterstützungsleistungen durch die Richter der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist seit der Einführung dieses Angebots mit zunehmender Bekanntheit der Möglichkeiten in der Richterschaft stetig gewachsen, sodass inzwischen jede Woche diverse Anfragen beantwortet werden. b) Sind andere Bundesländer diesem Beispiel gefolgt? Die Einführung eines ähnlichen Modells wird anscheinend z. B. in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg -Vorpommern erwogen. Einzelheiten sind hier nicht bekannt. c) Wie gewährleistet die Landesregierung, dass die richterliche Unabhängigkeit bei diesem Modell gewahrt bleibt? Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht berührt. Die Richterinnen und Richter erhalten (auf Anfrage ) Material, das sie nach eigenem Ermessen verwenden können. Sie sind nicht ihrer Aufgabe enthoben, ihre richterliche Tätigkeit eigenverantwortlich auszuüben und sich ihre eigene richterliche Überzeugung zu bilden. d) Wird das Modell fortgeführt oder gar ausgebaut werden? Die Unterstützungsleistung wird derzeit in der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit etabliert . 2. Wird die Landesregierung die einleitend erwähnten, durch die JuMiKo unterstützten Vorschläge zur Vermeidung von Rechtszersplitterung und Beschleunigung gerichtlicher Asylverfahren weiterhin verfolgen? Niedersachsen ist gemeinsam mit Baden-Württemberg Vorsitzland der im Herbst 2015 eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Asylprozess“, die u. a. Änderungsvorschläge zum Rechtsmittelrecht erarbeitet hat. Auf ihrer 88. Konferenz haben die Justizministerinnen und Justizminister mit Beschluss vom 9. November 2017 den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz gebeten zu prüfen, ob eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht bei grundsätzlicher Bedeutung der Asylsache und bei Divergenz einzuführen ist. Auf Bundesebene haben sich CDU, CSU und SPD in ihrem Entwurf eines Koalitionsvertrags vom 7. Februar 2018 darauf geeinigt, Gesetzesänderungen zur weiteren Verfahrensbeschleunigung, -vereinfachung und -vereinheitlichung zu prüfen, damit Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten künftig zügiger durchgeführt werden können (vgl. Rdz. 5864 - 5867). Die weiteren Entwicklungen auf Bundesebene sollen deshalb zunächst abgewartet werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/367 3 3. Was unternimmt oder beabsichtigt die Landesregierung darüber hinaus hinsichtlich des Aufbaus von Personal oder in sonstiger sachdienlicher Hinsicht? Im Hinblick auf den Aufbau von Personal zur Bewältigung der flüchtlingsbedingten Mehrbelastung wurden die niedersächsischen Verwaltungsgerichte über den 1. Nachtragshaushalt 2015 sowie mit dem Haushalt 2016 im Umfang von insgesamt 62 Stellen bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten (30 Richterstellen sowie 32 Stellen und Beschäftigungsmöglichkeiten in den Folgediensten) personell verstärkt. Die Bereitstellung dieser Stellen und Beschäftigungsmöglichkeiten erfolgte zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2018. Weitere insgesamt 50 Stellen und Beschäftigungsmöglichkeiten (24 Richterstellen sowie 26 Stellen bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten in den Folgediensten) können von den niedersächsischen Verwaltungsgerichten ebenfalls bis Ende des Jahres 2018 im Rahmen einer Überschreitungsermächtigung genutzt werden. Darüber hinaus wurden der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus einem zentral im Ministerialkapitel veranschlagten Stellenkontingent 11 Richterstellen zur Verfügung gestellt. Auch diese Maßnahme erfolgte zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2018. Damit stehen den niedersächsischen Verwaltungsgerichten aktuell insgesamt 123 zusätzliche Stellen und Beschäftigungsmöglichkeiten zur Bewältigung der Asyl-Klageverfahren zur Verfügung. Im Richterbereich wurden die o. g. Stellen zu einem Teil für Neueinstellungen, zu einem anderen Teil für Abordnungen aus anderen Gerichtsbarkeiten genutzt. Soweit Stellen und Beschäftigungsmöglichkeiten nur befristet bis zum 31. Dezember 2018 ausgebracht wurden, wird über eine Fortsetzung der Personalverstärkung im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens 2019 zu entscheiden sein. Im Hinblick auf eine weitere sachliche Unterstützung haben die Landesjustizverwaltungen des Bundes und der Länder bereits frühzeitig gemeinsam mit dem BAMF nach Möglichkeiten einer Verfahrensbeschleunigung auf beiden Seiten durch den Einsatz von IT-Unterstützung gesucht. In enger Zusammenarbeit wurde ein bilateraler elektronischer Datenaustausch über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) auf Basis des OSCI-Standards realisiert. BAMF und Verwaltungsgerichte haben damit seit dem 10. Januar 2017 bundesweit die Möglichkeit, Dokumente und Akten gegenseitig elektronisch auszutauschen. Niedersachsen hat sich von Anbeginn an intensiv an dem Projekt beteiligt und bereits in den Testund Pilotierungsphasen an der elektronischen Kommunikation teilgenommen. Diese ist seither der führende Kommunikationsweg zwischen dem BAMF und den niedersächsischen Verwaltungsgerichten . Die Verwaltungsgerichte nehmen über diesen Kanal die elektronischen Akten des BAMF entgegen und stellen ihm im Gegenzug Schreiben, Beschlüsse und Urteile digital zu. Durch die konsequente Nutzung der IT-Unterstützung konnten die Verwaltungsgerichte Arbeitsabläufe rationalisieren und Verfahren beschleunigen. Daneben stehen den Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichtern umfangreiche Recherchemöglichkeiten zu Fragen des Asylrechts zur Verfügung. Hierzu gehört die kostenfreie Datenbank MILo (Migrations-InfoLogistik) ebenso wie die von der Informations- und Dokumentationsstelle für Asyl- und Ausländerverfahren beim Verwaltungsgericht Wiesbaden kostenpflichtig angebotene Datenbank „Asylfact“. Letztere bietet neben einer umfangreichen Sammlung politischer und sozioökonomischer Daten und Informationen über die Herkunfts-, Transit- und Zufluchtsländer der Asylsuchenden und Flüchtlinge die Länderberichte des Auswärtigen Amtes sowie Berichte von Nichtregierungsorganisationen . „Asylfact“ hat sich im Bereich der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zur führenden Informationsquelle für Herkunftsländerinformationen entwickelt und erfährt eine hohe Akzeptanz. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/367 4 4. Welche Forderungen stellt oder welche Vorschläge macht die Landesregierung gegenüber der Bundesregierung und dem BAMF zur Verfahrensbeschleunigung und Qualitätssteigerung beim BAMF? Das Land Niedersachsen hat sich immer auf Bundesebene dafür eingesetzt, dass das BAMF die für seine Aufgaben notwendige Ausstattung er- und auch behält. Schließlich ist für eine sorgfältige und rechtssichere Abarbeitung der Verfahren eine ausreichende Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern notwendig. Zur Qualitätssicherung der Asylentscheidungen ist es darüber hinaus geboten , dass Anhörung der asylsuchenden Person und Entscheidung über den Antrag möglichst in einer Hand liegen und nicht auseinanderfallen, indem z. B. in sogenannten Entscheidungszentren über die Anträge fernab eines persönlichen Eindrucks von der asylsuchenden Person entschieden wird. In der personellen Aufbauphase des BAMF Anfang 2015 hat die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen an mehreren Standorten das BAMF mit eigenen personellen Ressourcen z. B. bei der Registrierung der Flüchtlinge unterstützt. Außerdem hat das Land Niedersachsen die Bemühungen des Bundes zur Straffung und Beschleunigung der Verfahren stets konstruktiv unterstützt. (Verteilt am 22.02.2018) Drucksache 18/367 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Dragos Pancescu, Christian Meyer, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Klagen gegen Asylbescheide