Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3788 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Immacolata Glosemeyer, Oliver Lottke, Hanna Naber und Dr. Thela Wernstedt (SPD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Ambulante Pflegedienste in Niedersachsen gefährdet? Anfrage der Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Immacolata Glosemeyer, Oliver Lottke, Hanna Naber und Dr. Thela Wernstedt (SPD), eingegangen am 01.04.2019 - Drs. 18/3515 an die Staatskanzlei übersandt am 17.04.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 20.05.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Immer mehr ambulante Pflegedienste sehen sich, insbesondere im ländlichen Raum, in Niedersachsen in ihrer Existenz gefährdet. Aufgrund mangelnder Pflegekräfte lehnen Anbieter Pflegebedürftige regelmäßig ab. Gleichzeitig wird die tarifliche Bezahlung nicht vollständig durch die Pflegekassen refinanziert, und die Wegepauschale ist nicht kostendeckend. Im Ergebnis anhängiger Schiedsverfahren wird ein Durchschnitts- bzw. Mittelwert der Kosten einzelner Anbieter gebildet. Dieses Verfahren benachteiligt Anbieter, die nach Tarif bezahlen. Unter diesen Bedingungen gehen einzelne Pflegedienste davon aus, dass sie ihren Betrieb nicht fortführen können. Dies hätte weitere Versorgungsengpässe zur Folge. Nach § 89 Abs. 1 SGB XI wird die Vergütung ambulanter Leistungen der häuslichen Pflege zwischen dem Träger des Pflegedienstes und den Pflegekassen für alle Pflegebedürftige nach einheitlichen Grundsätzen vereinbart. Die Vergütung muss einem Pflegedienst bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tariflich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Mit dieser neuen gesetzlichen Regelung wollte die Bundesregierung zukünftig verhindern, dass durch die Bildung von Mittelwerten im Rahmen der Budgetverhandlungen untertarifliche Bezahlung zu einem Wettbewerbsvorteil der entsprechenden Anbieter führt. Vorbemerkung der Landesregierung Ein zentraler Bestandteil für eine Verbesserung der Pflegebedingungen ist eine ausreichende Anzahl von Fachkräften. Die Landesregierung hat deshalb zahlreiche Maßnahmen eingeleitet, die einen Ausbau des Fachkräfteangebots zum Ziel haben. Hierzu zählen beispielsweise die Beteiligung an der Konzertierten Aktion Pflege auf Bundesebene, die gesetzliche Verankerung der Schulgeldfreiheit in der Altenpflege sowie das Förderprogramm zur Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum. Mit der geplanten Änderung des Niedersächsischen Pflegegesetzes sollen Anreize für eine tarifgerechte Bezahlung in Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Investitionskostenförderung geschaffen werden. 1. Wie ist es zu den Schwierigkeiten in der ambulanten Pflege gekommen? Hierzu lassen sich seitens der Landesregierung keine konkreten Aussagen treffen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3788 2 Die Landesregierung ist keine Vertragspartei bei den Vergütungsverhandlungen in der ambulanten Pflege. Allerdings sind nicht auskömmliche Pflegesätze bzw. Vergütungen entscheidende Hinweise . 2. Müssen alle Anbieter mit den Pflegekassen einzeln verhandeln, und wie könnte das gegebenenfalls durch bundesgesetzliche Veränderungen vereinfacht werden? Die Vertragsparteien müssen nicht einzeln verhandeln. Bisher war es üblich, dass die Vergütungen in der ambulanten Pflege kollektiv anhand von gemeinsamen Empfehlungen, die die Anbieterverbände , die Kassen und die kommunalen Spitzenverbände vereinbart haben, erfolgen. Mittlerweile versuchen einige Pflegedienste, anhand von konkreten Kostendarlegungen in Einzelverhandlungen ihre Vergütungen zu verhandeln. 3. Eröffnet die Formulierung im § 89 SGB XI: „Für eine darüber hinausgehende Bezahlung bedarf es eines sachlichen Grundes“ den Pflegekassen die Möglichkeit, den Anbietern durchaus auskömmliche Vergütungssätze einschließlich einer Refinanzierung der tatsächlich entstehenden Wegekosten zu vergüten? Das ist prinzipiell möglich. Durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz wurde § 89 Abs. 3 SGB XI dahin gehend ergänzt, dass bei der Vereinbarung der Vergütung die Grundsätze für die Vergütung von längeren Wegezeiten, insbesondere in ländlichen Räumen, die in den Rahmenempfehlungen nach § 132 a Abs. 1 Satz 4 Nr. 5 des Fünften Buches vorzusehen sind, zu berücksichtigen sind. Hierzu bedarf es allerdings noch einer Rahmenempfehlung der Spitzenverbände und -organisationen, die bis zum 30.06.2019 vorliegen soll. 4. Wäre ein Verhandlungsmandat für den Trägerverband eines einzelnen Anbieters hilfreich (z. B. Diakonie, Caritas, AWO, BPA)? Nach § 89 Abs. 2 SGB XI ist die Vergütungsvereinbarung für jeden Pflegedienst gesondert abzuschließen . Bisher geübte Praxis in Niedersachsen ist dabei, dass diese Verhandlungen kollektiv anhand der gemeinsamen Empfehlungen (s. a. Frage 2) erfolgen. Ein Verhandlungsmandat für die Trägerverbände könnte diese kollektiven Verhandlungen ergänzen. 5. Entspricht die Bildung eines Mittelwerts bei den Vergütungsverhandlungen dem ausdrücklichen Willen des Bundesgesetzgebers hinsichtlich der Anerkennung tariflicher Bezahlung? Nach Auffassung der Landesregierung nicht. Mit Änderungen durch das Pflegestärkungsgesetz III sollte ein Gleichklang der leistungsgerechten Bezahlung zwischen Pflegekräften in tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen hergestellt werden. Dies soll insbesondere nichttarifgebundene Pflegeeinrichtungen ermutigen, Einzelverhandlungen zu führen, um die Löhne ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis auf Tarifniveau steigern zu können. Durch die Regelung soll der Wettbewerb zwischen Anbietern von Pflegeleistungen nicht mehr über niedrige Gehälter, sondern über Qualität, Effizienz und Innovation geführt werden. 6. Wenn ja, führt das im Ergebnis zu vermehrter untertariflicher Bezahlung bei den Anbietern und damit zur weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Pflege? Entfällt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3788 3 7. Wie viele Schiedsverfahren sind in diesem Zusammenhang seit 2018 in Niedersachsen ergangen und mit welcher Tendenz? Es sind 14 Anträge bei der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI eingegangen. Alle Verfahren konnten mit einem Vergleich beendet werden. 8. Wie viele Schiedsverfahren sind gegenwärtig in Niedersachsen noch anhängig? Keine. 9. Steht hinsichtlich des Schiedsspruchs und eines möglichen Vergleichs den Leistungserbringern der Klageweg offen? Nach § 85 Abs. 5 Satz 3 SGB XI ist gegen die Festsetzungen der Schiedsstelle der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben. Funktional entscheidet gemäß § 29 Abs. 2 SGG das Landessozialgericht . Ein Vorverfahren findet nicht statt; die Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 85 Abs. 5 Satz 4 SGB XI). Soweit die Vertragsparteien vor der Schiedsstelle einen Vergleich geschlossen haben, ist der Rechtsweg verschlossen, weil durch die vergleichsweise Regelung die vertragliche, vor Einleitung des Schiedsverfahrens umstrittene Regelung ersetzt wird. Damit ist das Verfahren vor der Schiedsstelle beendet und der Rechtsweg erschöpft. 10. Wenn ja, wurde der Klageweg in Niedersachsen schon beschritten? Ja. 11. Wenn nein, welche Gründe könnten gegen den Klageweg sprechen? Entfällt. 12. Haben die Anbieter auch die Möglichkeit einer Verbandsklage, und falls nein, wäre die Einführung einer Verbandsklage durch den Bundesgesetzgeber eine Hilfestellung für die einzelnen Leistungsanbieter? Die Möglichkeit einer Verbandsklage besteht derzeit nicht. Nach § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB XI ist die Pflegesatzvereinbarung für jedes zugelassene Pflegeheim gesondert abzuschließen; § 86 Abs. 2 SGB XI, der die Möglichkeit eröffnet, dass die Pflegesatzkommission mit Zustimmung der betroffenen Pflegeheimträger für kreisfreie Gemeinden oder in demselben Landkreis liegende Pflegeheime einheitliche Pflegesätze vereinbart, bleibt unberührt. Eine Verbandsklage würde - genauso wie ein Verhandlungsmandat der Trägervereine (vgl. Antwort zu Frage 4) - das bisherige Verhandlungssystem ergänzen und unterstützen. 13. Gilt die Vorschrift des § 89 Abs. 1 SGB XI hinsichtlich der Berücksichtigung tariflicher Vergütungen auch analog für die häusliche Pflege im SGB V? Der Bundesgesetzgeber hat durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2019 für den Bereich der Häuslichen Krankenpflege die Regelung des § 89 Abs. 1 Satz 4 SGB XI übernommen. Für die Häusliche Krankenpflege gilt nunmehr § 132 a Abs. 4 Satz 7 SGB V mit folgendem Wortlaut: „Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden; insoweit gilt § 71 nicht.“ Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3788 4 14. Falls nein, müsste diese Regelung dann nicht bundesgesetzlich angepasst werden? Entfällt. (Verteilt am 21.05.2019) Drucksache 18/3788 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Immacolata Glosemeyer, Oliver Lottke, Hanna Naber und Dr. Thela Wernstedt (SPD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Ambulante Pflegedienste in Niedersachsen gefährdet?