Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/384 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Helge Limburg und Detlev Schulz-Hendel (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Was tut die Landesregierung für Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Demonstrationsfreiheit im Iran? Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Helge Limburg und Detlev Schulz-Hendel (Bündnis 90/Die Grünen), eingegangen am 10.01.2018 - Drs. 18/178 an die Staatskanzlei übersandt am 22.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 22.02.2018, gezeichnet Barbara Havliza Vorbemerkung der Abgeordneten Laut Medienberichten wird „Irans Todes-Richter“ (BILD-Zeitung vom 08.01.2018) Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi, der für unzählige Todesurteile insbesondere gegen Minderjährige verantwortlich sein soll, in der Hannoveraner Privatklinik INI behandelt. In seiner Zeit als Justizchef der Islamischen Republik (1999 bis 2009) wurden laut Amnesty International 2 000 Menschen hingerichtet - darunter sogar Kinder. Dazu gibt es u. a. durch den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck eine Strafanzeige gegen Schahrudi „wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Beck sagte laut BILD vom 09.01.2018: „Wir dürfen kein Sanatorium für Menschenrechtsverbrecher sein, sondern müssen sie zur Verantwortung ziehen“. Im Iran finden gleichzeitig umfangreiche Proteste und Demonstrationen gegen das autoritäre, religiöse Regime statt. Niedersachsen hat am 06.11.2016 nach dem Ende des Wirtschaftsembargos gegen den Iran als erstes Bundesland eine eigene Repräsentanz in Teheran eröffnet. Bereits 2015 fand eine erste Delegationsreise des Wirtschaftsministeriums in den Iran statt. Der Landtag hat am 20.06.2013 eine Entschließung zur stärkeren Berücksichtigung von Menschenrechten bei Auslands-, Delegations- und Ausschussreisen beschlossen: „Neben der wichtigen Förderung der wirtschaftlichen Interessen Niedersachsens sowie dem Kontakt zu Regierungen und Parlamenten im Ausland zählt das Engagement für universelle Grund- und Menschenrechte ausdrücklich zu den niedersächsischen Interessen im Ausland.“ 1. Seit wann hat die Landesregierung Kenntnis über den Aufenthalt des ehemaligen Obersten Richters Schahrudi in Niedersachsen? Das Protokollreferat der Staatskanzlei erhielt am 26.12.2017 durch eine E-Mail des Auswärtigen Amts Kenntnis von einer Verbalnote der Botschaft der Islamischen Republik Iran. Dem niedersächsischen Landespolizeipräsidium ist der Aufenthalt am 26.12.2017 bekannt geworden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/384 2 2. Was hat die Landesregierung nach den Hinweisen auf den Aufenthalt Schahrudis in Niedersachsen und den Vorwürfen wegen Menschenrechtsverletzungen unternommen ? Das Landespolizeipräsidium beauftragte nach dem Hinweis zum Aufenthalt am 26.12.2017 die örtlich zuständige Polizeidirektion Hannover anlassbezogene und soweit erforderliche Maßnahmen nach eigener Lagebewertung zu prüfen und durchzuführen. Daneben war durch das Landespolizeipräsidium das Landeskriminalamt Niedersachsen mit der Erstellung einer Gefährdungslagebewertung beauftragt worden. Die Presse- und Informationsstelle der Landesregierung hat am 04.01.2018 eine E-Mail mit einem „Offenen Brief“ erhalten, in dem der Aufenthalt des Ayatollah in Hannover thematisiert worden ist, seine Rolle im Iran beschrieben und die Landesregierung aufgefordert wurde, Maßnahmen zur Strafverfolgung zu ergreifen. Daraufhin hat die Staatskanzlei das Justizministerium und das Ministerium für Inneres und Sport eingebunden. Am Nachmittag desselben Tages hat das Justizministerium den „Offenen Brief“, der wie eine Strafanzeige behandelt wurde, zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft Hannover abgegeben. Das Landespolizeipräsidium hat am 04.01.2018 den von der Staatskanzlei übermittelten offenen Brief an Herrn Ministerpräsidenten Weil an die Polizeidirektion Hannover und an das Landeskriminalamt Niedersachsen zur Einbeziehung in die Lagebeurteilung bzw. Gefährdungslagebewertung übermittelt. 3. Sieht die Landesregierung grundsätzlich die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung von Vertretern autoritärer Regime? a) Sieht sie diese Möglichkeit insbesondere wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Deutschland? b) Wenn nein, unterstützt die Landesregierung mögliche Gesetzesänderungen? c) Wenn ja, sieht die Landesregierung die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung gegen Schahrudi in Deutschland? Auf im Ausland begangene Taten kann das deutsche Strafrecht durch die Vorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (StGB) in bestimmten Fällen der Verletzung von internationalen , in allen Kulturstaaten anerkannten Rechtsgüter, entweder grundsätzlich (§ 6 StGB) oder jedenfalls bei Vorliegen bestimmter Anknüpfungspunkte (§§ 5 und 7 StGB) Anwendung finden. Der hier insbesondere fragegegenständliche Komplex des Völkerstrafrechts wurde 2002 in das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) ausgegliedert. Dieses Gesetz stellt sicher, dass die deutsche Justiz grundsätzlich alle Verbrechen verfolgen kann, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen. Hierzu gehören die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, darunter namentlich auch Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Für die vorbezeichneten Taten gilt damit eine Verfolgungszuständigkeit der deutschen Justizbehörden auch dann, wenn die jeweiligen Taten im Ausland begangen wurden und keinen Bezug zum Inland aufweisen (§ 1 Satz 1 VStGB). Die Anwendung der Strafvorschriften auf konkrete Einzelfälle obliegt den zuständigen Strafverfolgungsbehörden . Diese haben in jedem Einzelfall im Falle eines Anfangsverdachts zunächst die tatsächlichen Umstände zu ermitteln und auf dieser Basis die strafrechtliche Verantwortlichkeit zu beurteilen . Gemäß § 142 a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 120 Abs. 1 Nr. 8 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) liegt die Zuständigkeit für die Verfolgung von Straftaten nach dem VStG beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/384 3 4. Wie unterstützt die Landesregierung das Engagement für universelle Grund- und Menschenrechte im Iran? a) Wie tut sie dies speziell bei Delegationsreisen? b) Mit welchen Gruppen und Personen der Zivilgesellschaft wurden bei Delegationsreisen in den Iran seit 2015 Gespräche geführt, und was haben sie erbracht? c) Mit welchen Vertretern des Regimes wurde über Demokratie und Menschenrechte gesprochen und mit welchem Ergebnis? Zu a: Die Landesregierung berücksichtigt das Thema Menschenrechte bei Auslands- und Delegationsreisen . Neben der Situation der Menschenrechte sowie Fragen des Rechtsstaates werden anlassbezogen auch die Grundfreiheiten in einem demokratischen Staat in den Gesprächen auf Delegationsreisen thematisiert. Konkret bedeutet dies, dass bei Delegationsreisen in Länder mit bekannten Einschränkungen von Grund- und Menschenrechten – sich die Vertreter der Landesregierung selbst, aber auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Delegationsreisen ins Ausland im Vorfeld über die Lage der Menschenrechte im Besuchsland informieren und entsprechende Informationen auch in den vorbereitenden Unterlagen für die jeweiligen Delegationsreise enthalten sind, – die Landesregierung bei der Planung, Organisation, Durchführung und Evaluation der Delegationsreisen menschenrechtliche Aspekte berücksichtigt sowie – die teilnehmenden Unternehmen auf die besondere Relevanz menschenrechtlicher Aspekte und den im Dezember 2016 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte “ zur Umsetzung der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte hingewiesen werden. Zu b: Der Ministerpräsident reiste vom 15. bis 19.04.2016, der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr reiste vom 02. bis 07.10.2015 und vom 05. bis 09.11.2016 in den Iran, jeweils um Kontakte zu knüpfen und Türen zu öffnen. Es gab Gespräche auf politischer und wirtschaftlicher Ebene sowie im universitären Bereich. Die Landesregierung setzt auf den vertrauensvollen Dialog, um eine Bereitschaft zur Verständigung und Veränderung positiv zu begleiten, und führt die Gespräche in diesem Sinne. Es ist geübte Praxis, dass der Wunsch nach Gesprächen im Rahmen von Delegationsreisen mit Gruppen oder Personen der Zivilgesellschaft mit dem Auswärtigen Amt, insbesondere den vor Ort tätigen Botschafts- oder Konsulatsvertretern, in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation bzw. Gefährdungslage für diesen Personenkreis im Land erörtert und abgestimmt wird. So ist der Empfehlung der Deutschen Botschaft auf den Iran-Delegationsreisen 2015 und 2016 gefolgt worden, keine offiziellen Termine mit Gruppen oder Personen der Zivilgesellschaft zu vereinbaren. Gleichwohl konnten Termine wie z. B. das Sommerfest der Deutschen Botschaft in Teheran 2015 genutzt werden , sich bilateral mit (aus Schutzgründen nicht genannten) Personen der Zivilgesellschaft über die Lage in Iran auszutauschen. Zu c: Im Vordergrund der Gespräche mit Vertretern der Regierung Rohani, u. a. dem iranischen Industrieminister , Vertretern des Energieministeriums, des Verkehrsministeriums sowie des Agrarministeriums sowie hochrangigen Regierungsvertretern der Provinz Tabriz, standen Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Iran und Niedersachsen. Dabei wurden auch die Themen Menschenrechte und Gleichberechtigung angesprochen. Die Reaktionen von iranischer Seite darauf waren unterschiedlich und reichten von indifferent bis kritisch zurückweisend, aber auch der Antwort , dass ein Dialog dazu wichtig sei. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/384 4 5. Welche Empfehlungen zu Demokratie und Menschenrechten werden niedersächsischen Unternehmen in Bezug auf den Iran gegeben? Unternehmen werden auf den von der Bundesregierung Ende 2016 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ hingewiesen. Darin wird an die unternehmerische Sorgfaltspflicht zur Beachtung der Menschenrechte appelliert. Die Unternehmen sind danach angehalten , Verantwortung für Menschenrechte entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten wahrzunehmen und dieser durch die Einführung von Leitlinien und Prozessen in ihrem Auslandsgeschäft nachzukommen. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung empfiehlt in Iran tätigen niedersächsischen Unternehmen - vor einer geschäftlichen Zusammenarbeit - eine Überprüfung ihrer (potenziellen ) Geschäftspartner auf Verbindungen zu Organisationen, die nachweislich Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Im Übrigen ist auf die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen hinzuweisen, sich selbst über öffentlich zugängliche Quellen über die aktuelle Menschenrechtslage in Iran zu informieren. 6. Gibt oder gab es seit 2015 eine Kooperation mit staatlichen Überwachungs- und Repressionsorganen des Iran und niedersächsischen Behörden (z. B. Schulung, Überlassung von Technik, Material, das auch zur Repression genutzt werden kann)? Hierfür liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 7. Welche Erfahrungen hat die 2016 eröffnete „politische und wirtschaftliche“ Repräsentanz des Landes Niedersachsen mit der Stärkung der Zivilgesellschaft und von Grund-, Freiheits- und Menschenrechten im Iran gemacht? Welche konkreten Unterstützungsleistungen gab es? Aufgabe dieser Repräsentanz ist es zum einen, die wirtschaftlichen Interessen des Landes Niedersachsens sowie niedersächsischer Unternehmen zu stärken, und zum anderen, Unternehmen aus der Islamischen Republik Iran als Handelspartner und/oder für Investitionen in Niedersachsen zu gewinnen. Im Vordergrund steht die Aufgabe, Unternehmenskontakte herzustellen und zu unterstützen sowie Delegationsreisen in beiden Richtungen zu unterstützen. Eine weitere Aufgabe besteht darin, für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen positiv zu werben. Die Niedersachsen-Repräsentanz im Iran wird von einer Frau geleitet, die über ein großes Netzwerk - nicht nur zu staatlichen Institutionen - verfügt. Sie hat u. a. ein Netzwerk aufgebaut, in dem sich unternehmerisch tätige Frauen auch zu Fragen der iranischen Zivilgesellschaft regelmäßig austauschen. Im vergangenen Jahr organisierte unsere Repräsentantin den Besuch einer 20-köpfigen Gruppe von iranischen Unternehmerinnen aus diesem Netzwerk in Hannover. 8. Was plant die Landesregierung zur „stärkeren Berücksichtigung von Menschenrechten “ bei ihrer Auslandstätigkeit? Für die Landesregierung ist der Einsatz für die Menschenrechte bei Auslandsaktivitäten selbstverständlich . Sie verurteilt Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich, unabhängig davon, in welchem Staat sie verübt werden. Die Landesregierung setzt sich ebenso für eine stärkere Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten beispielsweise durch die sogenannte Corporate Social Responsibility ein. Bei Auslandsreisen der Landesregierung wird Wert darauf gelegt, dass das Thema Menschenrechte auf Basis einer vertraulichen Grundlage besprochen und ein Dialogprozess angeregt wird. 9. Gibt es Unterstützung für die Thematisierung iranischer Menschenrechtsverletzungen durch die Landesregierung, wenn ja, wie? Auf die Antworten zu den Fragen 4 und 8 wird verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/384 5 10. Gibt es Kontakte, Gespräche zu iranischen Staatsbürgerinnen und -bürgern in Niedersachsen in Bezug auf die Situation von Menschenrechten im Iran? Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung pflegt einen regen Austausch mit Unternehmerinnen und Unternehmern, Hochschulmitarbeitenden und Anwältinnen und Anwälten mit iranischen Wurzeln aus Niedersachsen. Dieser Austausch, ergänzt durch die Kommunikation mit der Repräsentantin in Iran, bietet eine sehr gute Informationsbasis, auch zur aktuellen Menschenrechtslage . 11. Hat die Landesregierung Erkenntnisse über weitere politische oder religiöse Vertreter des Regimes im Iran, die sich in Niedersachsen aufhalten? Nein. (Verteilt am 26.02.2018) Drucksache 18/384 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Helge Limburg und Detlev Schulz-Hendel (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums