Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3847 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Der „Pate von Salzgitter“ - Verdacht des Drogenhandels in der JVA Wolfenbüttel Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 16.04.2019 - Drs. 18/3588 an die Staatskanzlei übersandt am 29.04.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 29.05.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Unter der Überschrift „Ermittler: Der ‚Pate von Salzgitter‘ dealt als Häftling in großem Stil“ berichtete die Braunschweiger Zeitung am 10.04.2019, dass ein bereits wegen Handels mit Betäubungsmitteln zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilter Häftling unter Verdacht stehe, im Gefängnis über Monate hinweg einen schwunghaften Handel mit Drogen aufgezogen zu haben. Seine Frau und zwei weitere Insassen der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel seien beteiligt. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig habe in der Nacht auf Dienstag Räume der Justizvollzugsanstalt und sechs Privatwohnungen im Raum Salzgitter und eine in Fümmelse durchsuchen lassen. Der 27-Jährige mit dem Spitznamen „Pate von Salzgitter“ gehöre einem arabischen Clan an. Gemeinsam mit seinen Komplizen habe er hauptsächlich mit künstlich hergestelltem Cannabinoid, was auch unter dem Namen Spice bekannt sei, gehandelt. Diese Drogen-Substanz sei auf Papier gedampft worden. Ein DIN-A 4-Blatt habe schätzungsweise 1 000 Euro gekostet. Das Papier sei in kleine Konsumeinheiten aufgeteilt worden. Die Ehefrau sei nun ebenfalls in Haft. Sie solle für die finanzielle Abwicklung verantwortlich gewesen sein. Weitere Vorwürfe gegen den 27-Jährigen seien Erpressung eines Mitgefangenen sowie Bestechung eines Mitarbeiters der Justizvollzugsanstalt. Gegen Zahlung eines Geldbetrages solle der Mitarbeiter weggeschaut haben, als verbotenerweise ein Handy in der Zelle des Gefangenen gefunden worden sei. Vorbemerkung der Landesregierung Der in Rede stehende Fall von Drogenhandel in der JVA Wolfenbüttel ist hinsichtlich seiner Intensität und des Umfangs der Ermittlungen einschließlich der zu vermutenden nicht unwesentlichen Beihilfe/Unterstützung durch nahe Angehörige und der Beteiligung eines Bediensteten bislang einmalig innerhalb des Justizvollzuges. Das innervollzugliche kriminelle Wirken des sich selbst als „Paten von Salzgitter“ bezeichnenden Gefangenen wurde frühzeitig erkannt, und in der Folge haben sich Staatsanwaltschaft, Polizei und Justizvollzug zeitnah und intensiv bezüglich der erforderlichen Maßnahmen abgestimmt. Der Gefangene wurde aufgrund von Hinweisen der Ermittlungsbehörden und nach justizvollzugsinternen Erkenntnissen von Beginn seiner derzeitigen Inhaftierung dem Spektrum der Organisierten Kriminalität zugeordnet. Diese Gefangenenklientel steht in den Justizvollzugseinrichtungen grundsätzlich unter besonderer Beobachtung der jeweiligen Fachbereiche Sicherheit und wird von der Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3847 2 auf Analyse und Auswertung von Informationen spezialisierten Fachabteilung des Justizministeriums beobachtet. Bei hinreichendem Verdacht auf subkulturelle Aktivitäten werden gegen solche Gefangene innerhalb des Vollzuges vielschichtige Maßnahmen mit unterschiedlicher Eingriffsintensität zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ergriffen. Die Sicherheit der Anstalt umfasst auch den Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten der Gefangenen. Soweit sich die Fragestellungen auf eine konkrete Benennung von Maßnahmen des Justizvollzuges beziehen, besteht im Fall der direkten Beantwortung die Gefahr, dass aufgrund der zur Veröffentlichung bestimmten Antwort der Landesregierung spezifische Informationen über vollzugliche Vorgehensweisen einem nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich gemacht werden. Dies gefährdet den Erfolg künftiger operativer und strategischer Maßnahmen der Gefahrenabwehr und steht somit der Sicherheit der niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen entgegen. Die Beantwortung der entsprechenden Fragestellungen kann in einer nicht öffentlichen Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug und Straffälligenhilfe erfolgen. 1. Gibt es aufgrund der Durchsuchungen der Privatwohnungen und der bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen rechtspolitische Erkenntnisse in Bezug auf die Clankriminalität ? Rechtspolitische Erkenntnisse in Bezug auf die Clankriminalität haben sich nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen nur insoweit ergeben, als sich die niedersächsische Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen vom 01.03.2018 als geeignet erwiesen hat. So sieht die Konzeption ausdrücklich die Zusammenarbeit der Polizei mit der Justiz als wesentlichen Faktor bei der Bekämpfung krimineller Clanstrukturen vor. Diese bezieht ausdrücklich auch den Justizvollzug mit ein. Es ist u. a. vorgesehen, dass - wie auch im vorliegenden Ermittlungsverfahren geschehen - frühzeitige Kontaktaufnahmen und Abstimmungsprozesse zu gewährleisten sind. Etwaige weitere rechtspolitische Erkenntnisse könnten sich gegebenenfalls nach Abschluss der Ermittlungen gewinnen lassen. 2. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um diese Art des Einschmuggelns von Drogen in Justizvollzugsanstalten zu unterbinden? Nach bisherigen Erkenntnissen gelangen Drogen zunehmend mit dem eingehenden Schriftwechsel für Gefangene in die Justizvollzugseinrichtungen, da die in den Schreiben auf Papier enthaltenen Betäubungsmittel nicht mehr durch bisher übliche Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können. Unter Verweis auf die Ausführungen der Vorbemerkungen sind die Kontrollen mittlerweile deutlich erweitert worden. 3. Gab es auch in anderen Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen vergleichbare Methoden des Drogenschmuggels durch Clanangehörige? Wie unter den Vorbemerkungen ausgeführt, ist der Fall der JVA Wolfenbüttel bislang einzigartig. Weitere, jedoch nicht direkt vergleichbare Einzelfälle eines organisierten und netzwerkartig strukturierten innervollzuglichen Betäubungsmittelhandels sind bekannt. 4. Wie abhängig macht die Droge „Spice“, und wie viele drogenabhängige Häftlinge sind bereits in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel bekannt? Es finden sich in der Literatur keine genauen Daten zum Abhängigkeitspotenzial von „Spice“. Die Entzugssymptome werden vergleichbar mit denen beschrieben, die beim Absetzen des Konsums von natürlichem Cannabis auftreten. Es konnten eine zunehmende innere Unruhe, ein starkes Substanzmittelverlangen, nächtliche Alpträume, profuses Schwitzen, Übelkeit, Zittern und Kopfschmerzen beobachtet werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3847 3 Bei „Spice“ handelt es sich nicht um einen einzigen Wirkstoff, sondern um eine Vielzahl chemischer Stoffe, die als synthetische Cannabinoide bezeichnet werden und zu den sogenannten neuen psychoaktiven Substanzen gehören. Sie werden auf Kräutern oder anderen Trägerstoffen (wie beispielsweise Papier) in den Handel und zum Konsum gebracht. In der JVA Wolfenbüttel befanden sich am 31.03.2019 insgesamt 140 suchtmittelabhängige Gefangene , von denen 38 in erster Linie alkoholabhängig, die Übrigen als abhängig von illegalen Drogen oder als mehrfach abhängig eingestuft wurden. Die Anzahl der „Spice“-Abhängigen wird nicht isoliert erfasst. 5. Was sind die Auswirkungen (neben einer möglichen Abhängigkeit) von der Einnahme der Droge „Spice“? Ein Entspannungsgefühl ist die gewünschte Wirkung, wobei die Wirkung von „Spice“ erheblich stärker als die von Cannabis ist. Es treten zudem Änderungen der Schlaf-Wach-Funktion, der Körpertemperatur und der Herzkreislauffunktion auf. Da die Wirkstärke durch die unterschiedlichen chemischen Strukturen der verschiedenen „Spice“-Produkte und durch ihre ungleichmäßige Verteilung auf der Trägersubstanz durch den Konsumenten nicht vorhersehbar ist, kommt es immer wieder zu Vergiftungserscheinungen mit heftigstem Erbrechen, Herzrasen, Bluthochdruck, Blutzuckeranstiegen , Elektrolytstörungen, Orientierungsverlust, Unruhe, Halluzinationen und Psychosen. Auch Nierenversagen wurde beschrieben. Kreislaufversagen, Bewusstlosigkeit bis hin zum Versagen der Vitalfunktionen und Tod können auftreten. 6. Gibt es in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel weitere arabische Clanmitglieder? In der JVA Wolfenbüttel ist ein weiterer Gefangener inhaftiert, der einer arabischen Großfamilie im weiteren Sinne zuzurechnen ist. 7. Wie wird speziell mit der Kriminalitätsstruktur „Clan“ in den Justizvollzugsanstalten umgegangen? Auf die Antwort zur Frage 1 wird Bezug genommen. Demnach wird der Justizvollzug ausdrücklich in die Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen einbezogen . Mutmaßliche Angehörige von Clans werden im vollzuglichen Umgang behandelt wie Gefangene , die der Organisierten Kriminalität angehören. Die zu ergreifenden Maßnahmen sind ebenfalls dieselben. 8. Wurde gegen den Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechlichkeit eingeleitet? Ja. Gegen einen Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel wird von der Staatsanwaltshaft Braunschweig ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechlichkeit geführt. 9. Wie wird außerhalb der Justizvollzugsanstalt mit dem arabischen Clan im Raum Wolfenbüttel /Salzgitter umgegangen? Die präventive und repressive Bekämpfung der Clankriminalität stellt in der Polizeidirektion Braunschweig einen Schwerpunkt dar. Die Polizeiinspektion Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel hat in Ausführung der Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen eine besondere Aufbauorganisation eingerichtet, um zeitnah und zielgerichtet auf Lageentwicklungen, insbesondere auf schwerwiegende oder öffentlichkeitswirksame Straftaten, reagieren zu können. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/3847 4 Umfangreiche polizeiliche Maßnahmen auf Grundlage des Gefahrenabwehr- und Strafprozessrechts u. a. auch in Zusammenarbeit mit den Ordnungsbehörden, dem Zoll und dem Finanzamt haben nach Einschätzung der Polizeiinspektion Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel bereits zu einem Rückgang der polizeilich registrierten Straftaten sowie zu einer Stärkung des Sicherheitsempfindens der Bevölkerung geführt. 10. Wie groß wird der Clan geschätzt, dem der „Pate von Salzgitter“ angehört? Eine gezielte statistische Erhebung nach Familienstrukturen oder ethnischen Erhebungsmerkmalen findet im Bereich der Landesregierung nicht statt; insofern bestehen keine Statistiken über Clanbzw . Großfamilien, deren Mitglieder oder diesen zuzuordnende Straftaten oder Transferleistungen. Es liegen keine validen Angaben hinsichtlich der Größe des Clans vor. (Verteilt am 03.06.2019) Drucksache 18/3847 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Der „Pate von Salzgitter“ - Verdacht des Drogenhandels in der JVA Wolfenbüttel