Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4037 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Kalte Pyrotechnik - Wie steht die Landesregierung dazu? Anfrage des Abgeordneten Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 14.05.2019 - Drs. 18/3776 an die Staatskanzlei übersandt am 20.05.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 21.06.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Herkömmliche Pyrotechnik wird auf Basis von Magnesium hergestellt und wird über 2 000 ºC heiß. Daher ist das unerlaubte Abbrennen herkömmlicher Pyrotechnik u. a. aus diesen Gründen aktuell verboten. Bei kalter Pyrotechnik wird das Magnesium durch Nitrozellulose ersetzt - es ist die Technik, die bei Tischfeuerwerk und auch auf Theaterbühnen zum Einsatz kommt. Diese wird seit einiger Zeit vor allem von den Fans des Kopenhagener Klubs Bröndby IF intensiv getestet und gilt als weniger gefährlich und gesundheitsgefährdend. Innenminister Boris Pistorius (SPD) schlug in der Vergangenheit vor, dass es Zonen geben sollte, in denen die Feuerwerkskörper gezündet werden könnten. Vorbemerkung der Landesregierung Die Verwendung von Pyrotechnik in und um die Fußballstadien stellt die Veranstalter und die Polizei regelmäßig vor Probleme, dieses insbesondere dann, wenn in Menschenmengen exzessiv mit Rauchpulver und/oder Bengalos umgegangen wird. Die Zahlen der Verletzten durch dieses gefährliche Vorgehen werden häufig nicht bekannt, da das Anzeigeverhalten dieses nicht hergibt. In der Regel wenden sich Unbeteiligte an die Polizei, weniger die unmittelbar Beteiligten bzw. Besucher der betroffenen Blöcke. Mit der Berichterstattung über die sogenannte Kalte Pyrotechnik stellte sich eine Art Aufbruchsstimmung in der Fanszene ein. Für das angebliche Stilmittel der Fankultur sollte es eine geeignete Form geben. Dieses trifft deutlich nicht zu, der Begriff „Kalte Pyrotechnik“ ist irreführend. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) hat auf Antrag des Senators des Inneren des Landes Bremen vom 14.02.2019, die Verwendung von sogenannter Kalter Pyrotechnik in Menschenmengen, z. B. Fußballstadien, geprüft. Zusammenfassend kommt die BAM zu dem Ergebnis, dass die sogenannte Kalte Pyrotechnik Flammentemperaturen von bis zu 500°C entwickelt und damit bei unsachgemäßer Verwendung in Menschenmengen Verletzungen oder Sachbeschädigungen verursachen kann. Beim Abbrand ist mit Emissionen von gasförmigen Reaktionsprodukten mit mitunter giftigen, brandfördernden , ätzenden oder hochentzündlichen Stoffen zu rechnen. Darüber hinaus werden dabei feste Reaktionsprodukte emittiert, deren maximale Teilchenkonzentration auf Basis des Cellulosenitrat (Nitrocellulose-NC) unter 100 nm liegt und die somit von den Lungenbläschen aufgenommen werden können. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4037 2 Im Übrigen haben Nachfragen in Kopenhagen ergeben, dass das Interesse an dem pyrotechnischen Gegenstand in den Fanszenen sehr unterschiedlich ist und von den dortigen Ultragruppierungen mehrheitlich abgelehnt wird. Dieses mag sicherlich auch an der deutlich geringeren Leuchtkraft der „Kalten Pyrotechnik“ im Vergleich zum herkömmlichen Bengalo liegen. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über kalte Pyrotechnik? Siehe Vorbemerkungen. 2. In welche gesetzliche Kategorie fallen die jeweiligen bekannten kalten Pyrotechniken aus Sicht der Landesregierung? Die Kategorisierung von Pyrotechnik erfolgt auf der Grundlage der EU-Richtlinie 2013/29/EU und mithilfe der dieser Richtlinie unterlegten „harmonisierten“ Normen. In Deutschland ist sie im Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz, SprengG) und der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz (1. SprengV) in nationales Recht umgesetzt. Im „Konformitätsbewertungsverfahren“ (umgangssprachlich auch „Zulassung“) durch eine „Konformitätsbewertungsstelle “ werden pyrotechnische Gegenstände, die auf dem Gemeinsamen Binnenmarkt bereitgestellt werden sollen, nach europäischen Vorgaben geprüft. Konformitätsbewertungsstellen werden von den jeweiligen Mitgliedstaaten benannt („Benannte Stellen“). In diesem Rahmen nimmt die vom Hersteller oder Importeur beauftragte Konformitätsbewertungsstelle anhand der Eigenschaften und der Zweckbestimmung des Produkts auch die Kategorisierung vor, bevor es in den Verkehr gebracht werden darf. Die zugeordnete Kategorie ist Teil der auf dem pyrotechnischen Gegenstand neben der CE-Kennzeichnung anzubringenden, eindeutigen Registrierungsnummer gemäß Artikel 9 Abs. 1 der RL-2013/29/EU. Dies vorausgeschickt ist festzustellen, dass die umgangssprachlich als „kalte Pyrotechnik“ bezeichneten pyrotechnischen Gegenstände in der Regel je nach Bauart entweder in der Kategorie T1 oder der Kategorie P1 eingestuft sind. 3. Wie steht die Landesregierung zu einer Nutzung von kalter Pyrotechnik in Stadien? Die rechtskonforme „Nutzung“ („Umgang“ und „Verwenden“ im sprengstoffrechtlichen Begriffskontext ) von pyrotechnischen Gegenständen ist in Abschnitt V der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz (1. SprengV) geregelt. Pyrotechnische Gegenstände der Kategorie T1 und P1 können, im Gegensatz z. B. zu Feuerwerk der Kategorie F2 („Silvesterfeuerwerk“), von allen Personen ab 18 Jahren ganzjährig erworben und grundsätzlich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auch ganzjährig (bestimmungsgemäß) verwendet werden. Mit der Tatsache, dass diese Produkte damit an volljährige Personen frei verkäuflich sind, wird allerdings oftmals der Fehlschluss verbunden, dass sie auch „frei verwendbar“ seien in dem Sinne, dass sie jede und jeder zu jeder Zeit an jedem Ort zu jedem Zweck ohne weitere Auflagen verwenden dürfe. Leider suggerieren dies oftmals auch viele Verkäuferinnen und Verkäufer solcher Gegenstände, wenn sie die Produkte bewerben. Das ist so nicht der Fall und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Vielmehr regelt § 23 Abs. 3 der Ersten Sprengstoffverordnung klar, dass pyrotechnische Gegenstände u. a. auch der Kategorie T1 und P1 nur ohne vorherige Anzeige bei der Ordnungsbehörde verwendet werden dürfen, wenn sie „in Theatern und vergleichbaren Einrichtungen“ vorgeführt werden. In allen anderen Fällen (außerhalb von Theatern und vergleichbaren Einrichtungen) ist eine vorherige Anzeige zwei Wochen vor Durchführung des Feuerwerks bei der zuständigen Behörde erforderlich (§ 23 Abs. 3 Satz 1). Die Anzeige muss detaillierte Angaben zu den durchführenden Personen und der Art, der Dauer und dem Umfang des geplanten Feuerwerks enthalten (vgl. § 23 Abs. 4 der 1. SprengV). Bestehen aufgrund der Art und Weise der angezeigten Verwendung begründete Zweifel an der sicheren Durchführbarkeit, ist die zuständige Behörde nicht nur ermächtigt, sondern Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4037 3 im Sinne der Gefahrenabwehr verpflichtet, zum Schutz von Leben und Gesundheit Dritter oder Sachgütern Auflagen zu erteilen oder das angezeigte Feuerwerk gegebenenfalls ganz zu untersagen (§ 32 SprengG). Sofern es sich bei den beschriebenen Gegenständen um pyrotechnische Gegenstände im Sinne des Sprengstoffgesetzes handelt, gelten damit ebenfalls die Vorschriften der Niedersächsischen Versammlungsstättenverordnung und die darin enthaltenen Verbote. All dies ist verbindlich geltendes Recht. Die Vollzugsbehörde hat im Hinblick auf die anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keinen Ermessensspielraum. Deshalb kann von diesen Bestimmungen auch weder aufgrund von Vereinbarungen mit Vereinen oder Verbänden noch aus kriminalpräventiven Erwägungen heraus abgewichen werden. Die Landesregierung kommt daher zu der Auffassung, dass die Verwendung von „kalter“ Pyrotechnik in Stadien durch Stadionbesucher in demselben Maß wie die Verwendung anderer Pyrotechnik mit geltendem Recht nicht vereinbar ist. 4. Wie steht die Landesregierung zu einer Nutzung von kalter Pyrotechnik im öffentlichen Raum, z. B. im Rahmen von Fanmärschen zum Stadion? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 5. Teilt die Landesregierung die Auffassung von Innenminister Pistorius, dass es Zonen z. B. in Fußballstadien geben sollte, in denen die Feuerwerkskörper (z. B. kalte Pyrotechnik ) gezündet werden könnten? Der Minister für Inneres und Sport hatte sich im August 2017 im Kontext der Problematik im Umgang mit der Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen in und um Fußballstadien mit der Absicht zu diesem Thema geäußert, einen Denkanstoß zu einer ergebnisoffenen Erörterung mit den Fanszenen zu geben. Bei verschiedenen nachfolgenden Ereignissen hat sich jedoch gezeigt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit derlei Pyrotechnik seitens der unterschiedlichen Gruppen in den Anhängerschaften der Vereine leider aktuell nicht gewährleistet werden kann. Dies wurde beispielsweise im Februar 2018 bei den Vorfällen anlässlich des Nordderbys zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV deutlich. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. (Verteilt am ) (Verteilt am 24.06.2019) Drucksache 18/4037 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Kalte Pyrotechnik - Wie steht die Landesregierung dazu? Anfrage des Abgeordneten Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 14.05.2019 - Drs. 18/3776 an die Staatskanzlei übersandt am 20.05.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 21.06.2019