Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4091 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Auswirkung von Gänsefraßschäden Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP), eingegangen am 17.05.2019 - Drs. 18/3787 an die Staatskanzlei übersandt am 27.05.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 28.06.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Die Ostfriesischen Nachrichten berichteten am 10.04.2019, dass eine Kommission die Schäden durch Gänsefraß ermitteln soll und dass das Land Niedersachsen ein neues Programm (Rastspitzenmodell ) testweise zur Entschädigung von Gänsefraß einführt. Betroffene Landwirte mit Flächen im EU-Vogelschutzgebiert können bei einem Komplettverlust des ersten Grasschnitts neben dem bisherigen Betrag mit einer weiteren Summe in Höhe von 242 Euro/ha rechnen. Allerdings soll das Budget der Auszahlung zunächst beschränkt werden, ohne dass das Gesamtbudget genannt werden konnte. Die Ostfriesischen Nachrichten berichten außerdem, dass die Landwirtschaftskammer zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2018 umfangreiche Daten zur schnellen und nachvollziehbaren Bewertung von Ertragseinbußen gesammelt habe. So würden Wuchshöhen verglichen und Biomasseverluste abgeschätzt. Die Ertrags- und Energieverluste beim ersten Grasschnitt hätten sich im Vergleich zu 2010 (rund 30 %) auf über 50 % erhöht. Für die Düngung haben die landwirtschaftlichen Betriebe die Regelungen der Düngevorordnung zu beachten, deren Änderung beabsichtigt ist. Vorbemerkung der Landesregierung Niedersachsen besitzt für zahlreiche hier überwinternde nordische Gänsearten eine internationale Verantwortung und damit einhergehend auch entsprechende Schutzverpflichtungen. Um letzteren gerecht zu werden, hat Niedersachsen insgesamt 16 EU-Vogelschutzgebiete mit einer Fläche von ca. 125 000 ha (hier: ohne EU-Vogelschutzgebiet Niedersächsisches Wattenmeer) gemeldet, in denen Gänsearten signifikante Vorkommen besitzen. Es ist unbestritten, dass große Gänseansammlungen erhebliche Fraßschäden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen verursachen können. Aus diesem Grund bietet das Land Niedersachsen mit Unterstützung der EU in den Hauptgebieten der Gänserast Agrarumweltmaßnahmen an. Diese verfolgen das naturschutzfachliche Ziel ruhige, störungsarme Äsungsflächen für die überwinternden Gänse zur Verfügung zu stellen. Landwirte, die sich an den Agrarumweltmaßnahmen für nordische Gastvögel beteiligen, erhalten für eintretende Biomasseverluste und den entstehenden Mehraufwand in der Flächenbearbeitung einen finanziellen Ausgleich. Derzeit werden landesweit ca. 25 000 ha Acker- und Grünlandflächen mit Agrarumweltmaßnahmen für nordische Gänse bewirtschaftet . Dafür wendet das Land Niedersachsen mit Unterstützung der Europäischen Union (EU) einen Finanzbetrag von ca. 7,0 Millionen Euro pro Jahr auf. Zusätzlich kommt in den Hauptgebieten der Gänserast das Rastspitzenmodell für Acker zur Anwendung , wenn auf betroffenen Ackerflächen durch Gänse verursachte Großschadensereignisse Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4091 2 auftreten. Dabei tritt eine Expertenkommission zusammen, die den Schaden unmittelbar nach Meldung durch den Landwirt vor Ort aufnimmt. Zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt eine zweite Begehung um zu ermitteln, ob und in welchem Ausmaß sich die betroffenen Kulturen erholt haben. Auszahlungen für Gänsefraßschäden erfolgen, wenn ein Schwellenwert von 530 Euro pro ha überschritten wird. In diesem Schwellenwert enthalten sind bereits die Zahlungen aus den Agrarumweltmaßnahmen . Für den Grünlandbereich hat die Landwirtschaftskammer im Auftrag des NLWKN zwischenzeitlich ebenfalls ein Rastspitzenmodell für Großschadensereignisse konzipiert. Dieses wird auf begrenzter Fläche im niedersächsischen Küstenraum im Jahr 2019 getestet. Bei den Zahlungen im Rahmen der Rastspitzenmodelle auf Acker und Grünland handelt es sich um freiwillige Zahlungen des Landes Niedersachsen in Form von Billigkeitsleistungen gemäß § 53 LHO und nicht um Entschädigungen. Anhand der Vorbemerkung der Abgeordneten und der nachfolgenden Fragen wird davon ausgegangen , dass die vorliegende Kleine Anfrage sich auf das Rastspitzenmodell auf Grünland bezieht. 1. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass es nicht zu einer dauerhaften, negativen Verschiebung der Nährstoffsalden aufgrund der Ertragseinbußen kommt? Landwirte können gemäß § 8 Abs. 5 der Düngeverordnung, um nicht zu vertretenden Ertragsausfällen Rechnung zu tragen, unvermeidliche Verluste und erforderliche Zuschläge nach den Vorgaben oder in Absprache mit der nach Landesrecht zuständigen Stelle berücksichtigen (siehe auch Antwort zu Frage 4). 2. Wie wird überprüft und dokumentiert, welche Auswirkungen der Gänsekot auf die Eutrophierung und Keimbelastung der Gewässer hat? Die großen niedersächsischen Seen, die gemäß EG-Wasserrahmenrichtlinie an die EU gemeldet worden sind, werden regelmäßig untersucht. Stehende Gewässer können auf erhöhte Phosphoreinträge in der Tat mit einer Steigerung der Primärproduktion (Eutrophierung) reagieren. Im Rahmen des 17-Punkte-Plans zur Erstellung des „Rahmenentwurfs zur Dümmersanierung“ wurde die Thematik Nährstoffeinträge durch überwinternde nordische Gänse auf die Phosphorbilanz des Dümmers ausführlich betrachtet. Es zeigte sich, dass im Vergleich zu den zuflussbedingten Nährstoffeinträgen von durchschnittlich 14 t Phosphor pro Jahr aus diffusen Quellen des landwirtschaftlich intensiv genutzten Einzugsgebiets dem Eintrag über Gänsekot (0,1 bis 0,2 t) nur eine untergeordnete Bedeutung zukam. Diese Ergebnisse können auch auf andere niedersächsischen Seen - wie z. B. den Seeburger See - übertragen werden, wo bekannt hohe Einträge über die Zuflüsse in den See gelangen. Auch im Moorhauser Polder bei Oldenburg, wo Graugänse zahlreich brüten, wurden im Auftrag der Moorriem-Ohmsteder Sielacht durch den NLWKN Untersuchungen zur Nährstoffsituation durchgeführt . Dabei sollte insbesondere einer möglichen Gefährdung durch den anfallenden Vogelkot nachgegangen werden. Die vorliegenden Ergebnisse lassen diesbezüglich keinerlei Auffälligkeiten erkennen. Die Überprüfung der ausgewiesenen Badegewässer erfolgt nach den Regeln der EU-Badegewässerrichtlinie . Dabei wird während der Badesaison, wie von der EU vorgegeben, auf Indikatorkeime (Escherichia coli und Intestinale Enterokokken) untersucht. Dadurch kann das jeweilige Gesundheitsamt , neben der regelmäßigen Kontrolle von Blaualgenwachstum, insbesondere Hinweise auf fäkale Verunreinigungen erhalten. Hohe Zahlen bei den Indikatorkeimen zeigen die Möglichkeit an, dass auch Krankheitserreger in größerer Zahl in das Badegewässer gelangt sein könnten. Deshalb werden an Badegewässern, die eine hohe Konzentration an Indikatorkeimen aufweisen, aus Gründen des Gesundheitsschutzes Badeverbote erlassen. Die aktuelle Badegewässerqualität, Bewirtschaftungsmaßnahmen und die langjährige Entwicklung der Gewässerqualität lassen sich für jede EU-Badestelle aus dem im Internet frei zugänglichen Badegewässeratlas entnehmen. Die niedersächsischen Badegewässer haben aktuell zu über 95 % eine ausgezeichnete (höchste Einstufung ) bzw. gute Wasserqualität. Es ist keine Badestelle mit mangelhaft eingestuft worden. Für Ge- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4091 3 wässer, die nicht als EU-Badestellen ausgewiesen sind, gibt es keine Überwachungspflicht zu einer möglichen Belastung mit fäkalen Verunreinigungen. 3. Wie gedenkt die Landesregierung sicherzustellen, dass Rinderbestände keiner gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt sind, beispielsweise durch von Gänsen verunreinigtes Futter? Der Landesregierung liegen bis dato keine Belege für eine Gefährdung der Weidetierhaltung durch Gänsekot vor. Nach einer Literaturübersicht von Elmberg et al. (2017; Infection Ecology & Epidemiology Vol. 7) gibt es bislang kaum Belege für eine Übertragung von Krankheitserregern rastender Gänse auf Weidetiere. Die Autoren sehen daher auch keine Notwendigkeit, von einer Weidetierhaltung in Schutzgebieten mit Vorkommen von Gänsen und Schwänen abzuraten. 4. Unter welchen Bedingungen dürfen Landwirte in den betroffenen Gebieten noch düngen , um die Ertrags- und Energieverluste aufzufangen, ohne mit gesetzlichen Rahmenbedingungen in Konflikt zu kommen? Vor dem Aufbringen von Düngemitteln ist der Düngebedarf unter Beachtung des § 4 der Düngeverordnung zu ermitteln. Der Düngebedarf richtet sich nach dem Ertragsniveau im Durchschnitt der letzten drei Jahre. Je nachdem, ob dieser von den Richtwerten der Düngeverordnung abweicht, sollen Zu- oder Abschläge bei der Ermittlung des Düngebedarfes berücksichtigt werden. Gemäß § 3 Abs. 3 der Düngeverordnung sind Überschreitungen des Düngebedarfs zulässig, soweit aufgrund nachträglich eintretender Umstände, insbesondere Bestandsentwicklungen oder Witterungsereignissen , ein höherer Düngebedarf besteht. Düngebeschränkungen könnten sich in den EU-Vogelschutzgebieten mit signifikanten Gänsevorkommen gegebenenfalls auch aus den bestehenden Schutzgebietsverordnungen der zuständigen Landkreise ergeben. Hinweise auf ein Bestehen derartiger Beschränkungen liegen dem Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz aus den Hauptgebieten der Gänserast nicht vor. 5. Wie hoch ist das vorgesehene Gesamtbudget des Rastspitzenmodells? Im laufenden Haushaltsjahr 2019 stehen Haushaltsmittel in Höhe von 72 000 Euro für Billigkeitsleistungen an betroffene Flächenbewirtschafter im Rahmen der Praxistauglichkeitserprobung zur Verfügung. Zur Umsetzung ist die Landwirtschaftskammer Niedersachsen mit der Aufgabe des Projektmanagements in Form einer Begutachtungskommission zur Ermittlung und Bemessung der jeweiligen Ertragsverluste beauftragt. 6. Warum ist das Gesamtbudget beschränkt? Das Rastspitzenmodell auf Grünland kann erst dann großflächig in EU-Vogelschutzgebieten zum Einsatz kommen, wenn es zuvor erfolgreich getestet wurde. Dieser Test wird derzeit auf begrenzter Fläche in ausgewählten EU-Vogelschutzgebieten der Landkreise Leer und Wesermarsch durchgeführt . Sollte es erforderlich sein, wird die Erprobung gegebenenfalls in den Folgejahren ausgeweitet . Die derzeit veranschlagten Mittel sind für den Beginn des Praxistauglichkeitstests bemessen. Aufgrund des jeweiligen Haushaltsansatzes ist das jeweilige Jahresbudget grundsätzlich beschränkt ; es gibt keine unbegrenzten Haushaltsansätze. 7. Wie lange soll das Gesamtbudget beschränkt werden? Über eine Ausdehnung des Rastspitzenmodells auf Grünland (incl. des finanziellen Bedarfs) kann erst nach Abschluss der Testphase entschieden werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4091 4 8. Ist langfristig geplant, mit dem Rastspitzenmodell auch betroffene Gebiete außerhalb der EU-Vogelschutzgebiete zu entschädigen? Nein. 9. Warum werden bei dem Rastspitzenmodell nur die Frühjahrs- und zusätzlich nicht auch die Herbstschäden begutachtet? Die bislang von der Landwirtschaftskammer im Auftrag des NLWKN durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass Großschadensereignisse durch Gänse fast ausnahmslos im Frühjahr auftreten. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass zu diesem Zeitpunkt ein erhöhter Energiebedarf besteht : Durch verstärkte Nahrungsaufnahme bereiten sich die nordischen Gänse nicht nur auf den Rückzug in die Brutgebiete vor, sondern legen damit gleichzeitig auch den Grundstein für eine erfolgreiche Gelegeproduktion. Die bislang zur Herbstrast durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass weidende Rinder die von Gänsen aufgesuchten Bereiche keineswegs meiden. Wenn Gänse und Kühe gleichzeitig auf einer Fläche grasen, geht immer ein Teil des Futters durch den Gänsefraß verloren, ein anderer Teil wird von den Kühen gefressen. Wie groß der jeweilige Anteil ist, ist methodisch nur sehr schwer zu fassen . Ob und in welchem Ausmaß ein Konflikt zwischen Weidewirtschaft und Gänsefraß im Herbst besteht, dürfte ferner nicht unerheblich witterungsabhängig sein. So verhinderte im Herbst 2017 die Witterung eine gleichzeitige Anwesenheit von Gänsen und Rindern auf den Weiden im Rheiderland . Aufgrund der sehr nassen Witterung wurden die Rinder und Milchkühe bereits vor dem ersten Auftreten der Gänse in der Region eingestallt. 10. Welche personelle Mehrausstattung ist eingeplant, um das Rastspitzenmodell flächendeckend in Problemgebieten durchführen zu können? Ob und in welchem Maße eine Mehrausstattung notwendig ist, um das Rastspitzenmodell auf Grünland im gesamten niedersächsischen Küstenraum einzuführen, lässt sich erst mit Abschluss der Testphase entscheiden. 11. Wie wird sichergestellt, dass die Summe der logistischen und personellen Kosten des Rastspitzenmodells die Summe der Entschädigungszahlungen nicht übersteigt? Erfahrungen zum Verhältnis der logistischen und personellen Kosten zur Summe der Entschädigungszahlungen an betroffene Landwirte liegen derzeit ausschließlich für das Rastspitzenmodell auf Acker vor, das seit einigen Jahren erfolgreich im niedersächsischen Küstenraum praktiziert wird. Dabei übersteigen die Zahlungen an betroffene Landwirte die Kosten der beauftragten Landwirtschaftskammer um ein Vielfaches. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit der Erprobung des Rastspitzenmodells auf Grünland auch Erkenntnisse gewonnen werden, in welchem Verhältnis die Billigkeitsleistungen zu den Verfahrenskosten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen stehen. Auch dieses fließt in die spätere Bewertung des Praxistauglichkeitstests ein. 12. Steht die Landesregierung in Austausch mit anderen Landesregierungen, die ebenso von der Gänseproblematik betroffen sind (Beispiel Schleswig-Holstein)? Und wenn ja, welche Erkenntnisse haben sich bereits daraus ergeben? In Bezug auf einen Austausch mit anderen Landesregierungen zum Umgang mit überwinternden nordischen Gänsen steht das Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz auf Sacharbeitsebene vor allem in Kontakt mit Schleswig-Holstein. Beide Länder verfügen im Nordsee- Küstenraum über eine ähnliche naturräumliche Ausstattung und beherbergen deshalb im Winterhalbjahr große Gänserastzahlen (z. B. Nonnen- und Blässgänse). Beide Länder setzen zur Bewäl- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4091 5 tigung auftretender Konflikte vor allem auf Agrarumweltmaßnahmen (siehe dazu auch Vorbemerkung der Landesregierung). (Verteilt am 01.07.2019) Drucksache 18/4091 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Auswirkung von Gänsefraßschäden