Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Zentralbankpolitik (A.), Staatsverschuldung (B.) und Unternehmensanleihen (C.) als Gefahren für niedersächsische Wirtschaft, Altersvorsorge und die Zukunftschancen von Entwicklungs - und Schwellenländern - Wie reagiert die Landesregierung? Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD), eingegangen am 11.06.2019 - Drs. 18/3962 an die Staatskanzlei übersandt am 17.06.2019 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 11.07.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten A. Zentralbankpolitik Um die Folgen der letzten internationalen Finanzkrise abzumildern, hat die EZB die Zinsen auf null gesenkt und Staatsanleihen gekauft, um die Wirtschaft der Eurozone zu stützen. Sofern sich die derzeitige Konjunkturdelle zu einem Einbruch ausweitet, fehlt der EZB damit das Mittel der Zinssenkung zu einer erneuten konjunkturellen Starthilfe. Es bliebe als geldpolitische Maßnahme zur Krisenbewältigung die Ausweitung des Anleihekaufprogramms durch die EZB. Die Nachfolge Mario Draghis als Präsident der EZB ist offen. Klar ist, die Neubesetzung der Bankspitze kommt. Nach aktuellen Mitteilungen der US-Regierung ist außerdem damit zu rechnen, dass die Spitze der Federal Reserve neu und nach Präsident Trumps Äußerungen mit „Gefolgsleuten“ politisch besetzt wird. 1. Wäre es nicht besser, die Wahl des EZB-Präsidenten zukünftig von der Politik zu entkoppeln (derzeit wird der Präsident vom Europäischen Rat gewählt), und wenn ja, warum , wenn nein, warum nicht? Aktuell regelt Artikel 283 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) das Verfahren zur Wahl der Präsidentin/des Präsidenten der EZB. Danach werden die Präsidentin/der Präsident, die Vizepräsidentin/der Vizepräsident und die weiteren Mitglieder des Direktoriums der EZB vom Europäischen Rat auf Empfehlung des Rates, der hierzu das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Zentralbank anhört, mit qualifizierter Mehrheit ausgewählt und ernannt. Damit ist sichergestellt, dass die Präsidentin/der Präsident der EZB in einem transparenten Verfahren und unter Abwägung aller wichtigen Argumente ausgewählt wird. So ist insbesondere die Anhörung des Europäischen Parlaments zu begrüßen, da sich damit auch die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union einbringen können. Im Übrigen regelt Artikel 282 Abs. 3 AEUV, dass die EZB in der Ausübung ihrer Befugnisse und der Verwaltung ihrer Mittel unabhängig ist und die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten diese Unabhängigkeit zu achten haben. Dadurch wird gewährleistet, dass die EZB und damit auch deren Präsidentin/Präsident frei von politischen Einflüssen ihren Aufgaben nachkommen können. Vor diesem Hintergrund hält die Landesregierung Regelungsreformen in Bezug auf das Verfahren zur Wahl der Präsidentin/des Präsidenten der EZB nicht für erforderlich. Soweit jedoch andere Wahlmechanismen zur Wahl der EZB-Präsidentin/des EZB-Präsidenten erwogen werden, würde eine entsprechende Änderung des Wahlprozesses eine Vertragsänderung erforderlich machen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 2 2. Ist es nach Meinung der Landesregierung gut oder schlecht, dass alle oder zumindest einige der neu zu besetzenden europäischen Spitzenämter (z. B. Kommissionspräsident , EZB-Präsident) aus politischen und Proporzerwägungen heraus im Paket verhandelt werden (Antwort bitte mit Begründung)? Es ist insgesamt zu begrüßen, dass die wichtigen Spitzenämter der Europäischen Union zwischen allen Mitgliedstaaten diskutiert und am Ende auch entschieden werden. Besonders hervorzuheben ist, dass dem Europäischen Parlament als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger der Union insbesondere bei der Wahl der Präsidentin/des Präsidenten der Kommission eine entscheidende Rolle zukommt. Denn entsprechend Artikel 14 des Vertrags der Europäischen Union ist es das Parlament , das die Präsidentin/den Präsidenten der Kommission wählt. Damit erhält die Präsidentin/der Präsident der Kommission ein hohes Maß an demokratischer Legitimität . Im Übrigen spielen politische und Proporzerwägungen bei der Besetzung sämtlicher politischer Ämter auf kommunaler, landes-, bundes- und europäischer Ebene immer zu einem gewissen Grad eine Rolle, soweit die Ämterbesetzung nicht durch eine Direktwahl erfolgt. 3. Sollte die EZB generell mehr Entkopplung von der Politik erfahren, um Finanzkrisen vorbeugen und begegnen zu können (Antwort bitte mit Begründung)? Aus Sicht der Landesregierung gewährleistet die institutionelle Unabhängigkeit der EZB, dass durch die Instrumente der EZB Finanzkrisen vorgebeugt und ihnen proaktiv begegnet werden kann. Hierzu siehe auch Antwort zu Frage 1. 4. Teilt die Landesregierung die Meinung, dass durch die im Einführungstext zu C. geschilderte Sachlage (Zinspolitik) der europäischen, deutschen und niedersächsischen Wirtschaft im Fall einer Krise ein wichtiges Instrument zu deren Bewältigung fehlt? Die Niedrigzinspolitik der EZB hat die Auswirkungen der Schuldenkrise abgefedert und stützt die Wirtschaftserholung, die sich in Europa und insbesondere in Deutschland eingestellt hat. Eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die deutsche profitiert besonders stark von der Niedrigzinspolitik, denn diese führt tendenziell zu einer Abwertung der heimischen Währung und stützt dadurch das Exportgeschäft. Den Unternehmen bietet die aktuelle Zinspolitik ein investitionsfreundliches Umfeld . Insbesondere die heimische Bauwirtschaft profitiert, da Bauende von den historisch günstigen Zinsen für die Baufinanzierung profitieren. Zudem steht der Europäischen Zentralbank und den Nationalstaaten im Falle einer deutlichen konjunkturellen Abkühlung eine Vielzahl von Instrumenten zur geld- oder fiskalpolitischen Intervention zur Verfügung. 5. Hält die Landesregierung die fortdauernde Niedrigzinspolitik der EZB für richtig (bitte mit Begründung)? Die EZB ist unabhängig und handelt im Rahmen ihres Mandats, das rechtlich überprüfbar ist. Die Auswirkungen der derzeitigen Niedrigzinspolitik sind davon abhängig, ob Kredite aufgenommen oder Gelder angelegt werden. Die anhaltende Niedrigzinsphase beinhaltet in Deutschland nach Auffassung der Landesregierung nicht nur Vorteile, sondern auch Probleme. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf mögliche Fehlallokationen in der Volkswirtschaft und den Druck auf die Alterssicherungssysteme. Zinssätze unterhalb der Inflationsrate bedeuten Nachteile für Geldanlagen, insbesondere für Kleinanleger . Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 3 6. Wie beurteilt die Landesregierung im Kontext der Fragen 4 und 5 die Leitzinserhöhungen der Federal Reserve in den USA? Die Zentralbank der USA und die Europäische Zentralbank treffen ihre geldpolitischen Entscheidungen frei von Beschränkungen sowie ohne Einfluss einer Regierung, eines Parlaments oder anderer Institutionen. Eine Bewertung der amerikanischen Zentralbankpolitik ist daher auch durch die Landesregierung nicht angebracht. Zudem hat die US-Notenbank am 19. Juni 2019 zwar den Leitzins unverändert in einem Band zwischen 2,25 und 2,5 % belassen, zugleich aber die Märkte auf Zinssenkungen im nächsten halben Jahr vorbereitet. Die US-Währungshüter wollen „angemessen handeln“, wenn die Abwärtsrisiken für die US-Konjunktur zunehmen. 7. Wappnet sich die US-Notenbank mit dem zuletzt kontinuierlichen Zinsanstieg nicht besser für eine erneute Krise als die EZB (Antwort bitte mit Begründung)? Für den Vergleich der Zinspolitiken zwischen der US-Notenbank und der EZB besteht keine gemeinsame institutionelle wie ökonomische Grundlage. Die Zentralbankgesetze des Eurosystems (EZB plus nationale Notenbanken) geben als vorrangiges Ziel Preisstabilität aus. Komplexer aufgrund mehrerer Ziele verhält es sich bei der US-Notenbank. Ihr Auftrag besteht nach dem Federal Reserve Act Section 2A darin, dass Geldmengen- und Kreditwachstum in Einklang mit dem langfristigen Potenzialwachstum der Wirtschaft stehen, um die Produktion zu fördern und dadurch einen effizienten Beitrag zu möglichst hoher Beschäftigung, stabilen Preisen und moderaten Langfristzinsen zu leisten. Zudem unterscheidet sich die zurückliegende wirtschaftliche Entwicklung in den USA, die von einem starken fiskalischen Stimulus getragen wurde, von der wirtschaftlichen Dynamik im Euroraum und darunter auch Deutschlands. 8. Warum will Donald Trump nach Meinung der Landesregierung die Leitzinsen in den USA entgegen derzeitiger Notenbankpolitik der Federal Reserve wieder absenken? 9. Ist Trumps gewünschter Zinskurs (s. Frage 8) nach Meinung der Landesregierung richtig oder falsch (bitte mit Begründung)? Die Fragen 8 und 9 werden im Zusammenhang beantwortet. Zu den Gründen für die Kritik des amerikanischen Präsidenten an der Zinspolitik der Federal Reserve liegen der Landesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor, sodass auch keine Bewertung vorgenommen werden kann. 10. Im Falle einer erneuten Finanzkrise kämen nach derzeitiger EZB-Zinspolitik Anleihekäufe und staatliche Konjunkturprogramme zur Stützung der Wirtschaft infrage. Sind Niedersachsen und der Bund dafür programmatisch und finanziell gerüstet? Die Landesregierung hat mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Schuldenbremse auch Regelungen zur Aufnahme zulässiger Verschuldung im Rahmen der sogenannten Konjunkturbereinigung und im Falle von außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, auf den Weg gebracht. Diese Regelungen bilden die notwendigen Instrumente, um auf Konjunktureinbrüche und konjunkturelle Krisen finanzpolitisch angemessen zu reagieren. Die konkrete Entscheidung über die Nutzung dieser Verschuldungsspielräume zur Bekämpfung von Krisensituation obliegt dann der Haushaltsgesetzgebung . Gleiches gilt für den Bund. Das Land Niedersachsen plant keine Anleihekäufe. Soweit die EZB Anleihen des Landes Niedersachsen kauft, ist das Land Niedersachsen dafür finanziell und programmatisch gerüstet. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 4 11. Teilt die Landesregierung die Meinung, dass die nun schon Jahre andauernde Stützung der Eurozonenwirtschaft durch Niedrigzinsen bei den deutschen Sparern einen enteignungsgleichen Effekt hat, und wäre dieser gerechtfertigt? Zwar ist die nominale Verzinsung von besonders sicheren Anlageformen aktuell sehr gering. Nach Auffassung der Landesregierung spielen für eine umfassende Beurteilung der finanziellen Lage der Sparer auch andere Anlageformen eine Rolle. Nach einer aktuellen Studie der Deutschen Bundesbank sind die Vermögen privater Haushalte in Deutschland zwischen 2014 und 2017 gestiegen. Insgesamt ergab sich in diesem Zeitraum ein Anstieg des durchschnittlichen Nettovermögens um 18 300 Euro (+ 9 %) und des Medians um 10 400 Euro (+ 17 %). Insbesondere Haushalte mit Immobilien - und Aktienbesitz profitierten. Gleichzeitig sind durch das Niedrigzinsumfeld die Kreditkosten spürbar gesunken, was auch private Schuldner entlastete. (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2019: Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2017). Die Niedrigzinsphase bringt aber reale Kaufkraftverluste für die Sparer mit sich und erschwert grundsätzlich den Vermögensaufbau vor allem junger Menschen ohne weitere Vermögen. 12. Gefährdet die Zinspolitik der Eurozone den Aufbau von Altersvorsorgevermögen bei den arbeitenden Bürgern des Landes, vor allem in der kapitalgedeckten 2. und 3. Schicht des deutschen Altersvorsorgesystems (bAV und private Vorsorge)? Im Alterssicherungsbericht 2016 der Bundesregierung wurde bereits auf die Zusammenhänge zwischen stagnierendem Verbreitungsgrad von zusätzlicher Altersvorsorge und der anhaltenden Niedrigzinsphase hingewiesen. Dieser Entwicklung trägt das in wesentlichen Teilen zum 01.01.2018 in Kraft getretene Betriebsrentenstärkungsgesetz Rechnung. Mit den Neuregelungen im Betriebsrentengesetz , im Steuerrecht und im Sozialrecht sollen insbesondere eine höhere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung und ein höheres Versorgungsniveau der Beschäftigten durch kapitalgedeckte Zusatzrenten erreicht werden. Dabei beschränkt sich die Zusage des Arbeitgebers auf die Zahlung der Beiträge. Die Arbeitgeber erhalten dadurch vollständige Kostensicherheit. Da keine Mindestleistungen versprochen werden, eröffnet sich die Möglichkeit, mithilfe flexiblerer Anlageformen bessere Renditen zu erwirtschaften. Die bisherigen Garantiemodelle haben den Nachteil, dass eine Mindestrendite notwendig ist, um eine garantierten Leistung sicherzustellen. Diese Mindestrendite bedingt aber eine so restriktive Kapitalanlage, dass im Hinblick auf die gegenwärtige Niedrigzinspolitik eine Überschreitung dieser niedrigen Mindestrendite kaum noch zu erreichen ist. Zudem kommt es auch sehr stark darauf an, was für Anlageformen insbesondere für die private Altersvorsorge im Detail gewählt werden. So werfen beispielsweise ältere Sparverträge oder Versicherungen häufig noch höhere Zinsen ab. Auch, wer sein Geld in Aktien oder Investmentfonds anlegt , ist von den niedrigen Zinsen nicht direkt betroffen, da der Gewinn von Aktienkursen abhängt. 13. Wenn Frage 12 mit Ja beantwortet wurde, wie ist dies politisch zu rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund des Drei-Schichten-Modells der Altersvorsorge? Siehe Antwort zu Frage 12. 14. Wäre staatlicherseits nicht ein Ausgleich für den Sparverlust durch die EZB-Zinspolitik zu schaffen, und wie wäre dieser zu organisieren? Laut Angaben der Deutschen Bundesbank waren in den vergangenen Jahrzehnten negative Realzinsen eher die Regel als die Ausnahme. Bereits vor der Finanzkrise, nämlich in den 1970er-Jahren , Anfang der 1990er-Jahre sowie in den 2000er-Jahren, erhielten deutsche Bankkunden insbesondere auf ihre Spareinlagen keine inflationsausgleichende Verzinsung. Diese Phasen realer negativer Verzinsung überwogen historisch sogar. So lag die mittlere reale Verzinsung über den gesamten Zeitraum (auch ohne Finanzkrise) sowohl bei Spareinlagen als auch bei jederzeit verfügbaren Einlagen (Sichteinlagen) im negativen Bereich. (Deutsche Bundesbank: Negative reale Verzin- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 5 sung von Einlagen kein neues Phänomen, 2014). Vor diesem Hintergrund sieht die Landesregierung keinen Anlass, ein Ausgleich für den Sparverlust durch die EZB-Niedrigzinspolitik zu schaffen. Vorbemerkung des Abgeordneten B. Staatsverschuldung Die weltweite Staatsverschuldung wird nach Schätzungen des IWF in Kürze auf 83 % der Wirtschaftsleistung anwachsen. Sie steigt sowohl in Schwellenländern als auch in einigen Industriestaaten . In Deutschland soll die Staatsverschuldung bis 2024 auf 43 % der Wirtschaftsleistung sinken , der dann niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Niedersachsen ist im Moment mit ca. 60 Milliarden Euro verschuldet. 1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Schulden des Landes Niedersachsen eine Gefahr für die Konjunktur unseres Bundeslandes bedeuten (bitte mit Begründung )? Die Landesregierung sieht im aktuellen Schuldenstand des Landes Niedersachsen keine Gefahr für die konjunkturelle Entwicklung. Zudem hat sich die Landesregierung im Rahmen der Koalitionsvereinbarung eine Finanzpolitik zum Ziel gesetzt, die einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden und nachhaltige Investitionen in Einklang bringt. Niedersachsen ist der Einstieg in die Schuldentilgung gelungen. Der Jahresabschluss für das Haushaltsjahr 2017 eröffnete finanzielle Spielräume, um erstmals seit über 50 Jahren in die Schuldentilgung einzusteigen und Altschulden in Höhe von 100 Millionen Euro abzubauen. Im Rahmen des Jahresabschlusses 2018 wurde eine Schuldentilgung in Höhe von 686 Millionen Euro vollzogen. Weiterhin konnten Mittel für den Wohnraumförderfonds und weitere Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Landes bereitgestellt werden . 2. Wie steht die Landesregierung zu der These, dass das im internationalen Vergleich günstige Refinanzierungsumfeld Deutschlands für andere Staaten der Welt einen Wettbewerbsnachteil bedeutet? Durch die Zinspolitik der EZB profitieren neben Deutschland auch viele weitere EU-Mitgliedstaaten von dem aktuell vergleichsweise günstigen Zinsniveau. Laut einer Aufstellung der Bundesbank, die der Landesregierung vorliegt, haben Bund, Länder und Gemeinden von 2008 bis einschließlich 2018 demnach rund 368 Milliarden Euro gespart. Diese Summe ergibt sich, wenn man die aktuellen Zinsniveaus mit dem höheren Zinsniveau von 2007 vergleicht, bevor die globale Finanzkrise ausbrach und die Notenbanken mit der Niedrigzinspolitik darauf antworteten. Frankreichs Zinsersparnis im Staatshaushalt beläuft sich auf rund 350 Milliarden Euro, so die Bundesbank-Berechnung . Der italienische Staat hat rund 262 Milliarden Euro gespart. Für alle Staaten des Euroraums zusammen gibt die Bundesbank-Berechnung die Zinsersparnis über ein Jahrzehnt mit knapp 1,42 Billionen Euro an. Relativ gesehen haben von den großen Staaten Italien und Frankreich mit 15 % des BIP am meisten gespart. 3. Wäre dieser Wettbewerbsnachteil (s. Frage 2) über Entwicklungsprogramme nicht stärker auszugleichen? Unabhängig von der These eines möglichen Wettbewerbsnachteils anderer Staaten sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung, die Armut auf der Welt zu bekämpfen. In ihrem aktuellen Koalitionsvertrag hat sie sich dafür ausgesprochen, die Ausgaben in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit , Humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention deutlich zu erhöhen. Ziel ist demnach die Erreichung der Quote von 0,7 % des nationalen BIP für offizielle Ausgaben für Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 6 Auch der Entwurf des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027 der Europäischen Kommission sieht vor, die Mittel für Maßnahmen im Außenbereich in einem Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit zusammenzufassen und um 26 % auf 123 Milliarden Euro anzuheben. Deutschland hat sich zu Beginn der Finanzverhandlungen bereiterklärt, den nationalen Beitrag zum EU-Haushalt zu erhöhen. 4. Müsste es nicht ein Staateninsolvenzrecht geben, um effektive und nachhaltige Entwicklungsprozesse in anderen Ländern der Welt anzustoßen? Die Landesregierung hält es nicht für zielführend, Vorstellungen zu entwickeln wie ein anderes Völkerrecht aussehen könnte. Die Schaffung eines verbindlichen Staatsinsolvenzrechts würde voraussetzen , dass sich eine Vielzahl von Staaten darüber einig ist, jeweils Souveränitätsrechte abzugeben . Für internationale Verhandlungen über dieserart Maßnahmen wäre zudem, sofern die Bundesrepublik Deutschland betroffen ist, die Bundesregierung zuständig. 5. Wie steht die Landesregierung zu der Frage eines Schuldenverzichts oder Teilverzichts für hoch verschuldete Staaten der Eurozone, Schwellenländer, Entwicklungsländer? Diese Frage stellt sich aktuell für die Landesregierung nicht. Wäre die Landesregierung Gläubigerin von akut ausfallgefährdeten Forderungen gegenüber den benannten Schuldnern, würde sie im Einzelfall nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden. 6. Wäre eine Entwicklungspolitik der Bundesregierung im Sinne von Fragen 3, 4 und 5 nicht ein richtiger Schritt zur Entfesselung der Schuldnerländer, und könnten diese Maßnahmen nicht auch künftige Migrationsbewegungen nach Europa und Deutschland effektiv eindämmen und einen Wachstumsschub in den Schuldnerländern zum Wohle der Welt auslösen? Die in der Fragestellung angesprochene Positionierung zu einer Neugestaltung der Entwicklungspolitik der Bundesregierung nimmt die Landesregierung so nicht vor, vgl. Antworten zu den Fragen 3, 4 und 5. 7. Wie und mit welchen Maßnahmen bringt sich die Landesregierung konkret in die Entwicklungs - und Verschuldenspolitik der Welt zum Wohle Deutschlands und Niedersachsens ein? Die entwicklungspolitischen Aktivitäten des Landes Niedersachsen konzentrieren sich im Wesentlichen auf vier Bausteine: 1. Partnerschaft mit der Provinz Eastern Cape in Südafrika seit 1995, 2. Projektzusammenarbeit mit Tansania seit 2010, 3. Umsetzung der Entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes Niedersachsen und 4. entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit im Inland Niedersachsen engagiert sich in der Entwicklungszusammenarbeit an erster Stelle vor Ort in Subsahara -Afrika durch die Förderung von Projekten im Eastern Cape (Südafrika) und in Tansania. Um die Entwicklungszusammenarbeit in Niedersachsen besser zu systematisieren und die „Sustainable Development Goals“ (SDGs) umzusetzen, wurden 2015 Entwicklungspolitische Leitlinien erarbeitet. Diese werden aktuell fortgeschrieben. Neben der Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern im Ausland unterstützt die StK die entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit im Inland und fördert den Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e. V. (VEN) bei entsprechenden Vorhaben. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 7 Darüber hinaus wurden in 2017 und 2018 aufgrund der politischen Bereitstellung von Sondermitteln zur Fluchtursachenbekämpfung auch Gesundheitsprojekte im Nordirak gefördert. Vorbemerkung des Abgeordneten C. Unternehmensanleihen Seit der Weltfinanzkrise 2008 hat sich die Summe der zur Zahlung ausstehenden Unternehmensanleihen auf ca. 13 Billionen US-Dollar verdoppelt. Der IWF sieht den weltweiten Verschuldungsgrad der Unternehmen als möglichen Auslöser einer kommenden Finanzkrise. Grund für diese Kreditblase sei die Zinspolitik der die Weltwirtschaft tragenden Notenbanken (u. a. Federal Reserve , EZB). Die so entstandene Kreditblase könne jederzeit platzen. Investoren kaufen in diesem Umfeld vermehrt Produkte von Banken, die aus Kreditportfolios gemischt sind. Hedgefonds erwerben Anleihen von hoch verschuldeten Unternehmen als Wette auf deren Insolvenz. Steigen die Zinsen langfristig wieder, können viele Kreditnehmer ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. 1. Wie beurteilt die Landesregierung dieses vom IWF auf der Frühjahrstagung 2019 aufgemachte Szenario, ist es realistisch oder unrealistisch (mit Begründung bitte)? Der Internationale Währungsfonds benennt regelmäßig Szenarien und mögliche Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung. Insbesondere das Thema Schuldentragfähigkeit und -transparenz verfolgt der Internationale Währungsfonds zusammen mit der Weltbankgruppe und der G20. Die zur Zahlung ausstehenden Unternehmensanleihen in Höhe von ca. 13 Billionen US-Dollar wirken absolut betrachtet sehr hoch. Jedoch ist dies nur eine Seite der Bilanz. Auf der anderen Seite stehen die Vermögenswerte, welche mit 44 Billionen US-Dollar ebenfalls einen Rekordwert erreicht haben. Neben der bilanziellen Deckung der Schulden ist die wichtigste Frage, wie es um die Schuldentragfähigkeit der Unternehmen bestellt ist. Die Kennzahl, die bei der Bewertung dieses Zusammenhangs hilft, ist das Verhältnis von den Unternehmensgewinnen zum jährlichen Schuldendienst. Dieses Verhältnis bewegt sich sowohl in den USA als auch in Deutschland aktuell zwischen 6 und 7,2. Somit wird jährlich ein Vielfaches der anfallenden Zinsen von den Unternehmen erwirtschaftet. 2. Hätte die Bundesregierung nicht nach der Krise 2008, auch im internationalen Kontext, den Finanzmarkt besser stabilisieren müssen, um die vorhandenen Risiken zu vermeiden oder gar zu verhindern? In Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 wurde auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt, um den Finanzmärkten einen robusten Ordnungsrahmen und effiziente Strukturen zu geben. Der Prozess wurde auf internationaler Ebene der G20-Staaten initiiert und hatte als ein Ergebnis die Überarbeitung des Basler Rahmenwerks zur Regulierung von Banken zur Folge. Das angepasste Basler Rahmenwerk ist in der Europäischen Union mittlerweile zu weiten Teilen in eine einheitliche europäische Bankenregulierung, die „Capital Requirements Regulation“ (CRR) und die „Capital Requirements Directive“ (CRD IV) umgesetzt. Die Umsetzung dieser Reformen wurde von weiteren europäischen und nationalen Politikmaßnahmen begleitet, um eine angemessene und risikoadäquate Regulierung der Finanzmärkte zu erreichen . Unter der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 haben sich die G20-Staaten auf ein Rahmenwerk zur Evaluierung von Reformen der Finanzmarktregulierung verständigt. Aufbauend auf diesem Rahmenwerk wurden bereits zwei Evaluierungsstudien durchgeführt, welche die Auswirkungen der Reformen insgesamt betrachten. Das BMF hat eine Studie in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Reformen der Finanzmarktregulierung im deutschen Finanzsektor durch ein unabhängiges Forschungsinstitut wissenschaftlich evaluieren zu lassen. Als Ergebnis eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens wurde das Forschungszentrum „Sustainable Architecture for Finance in Europe “ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit der Erstellung des Forschungsgutachtens beauftragt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 8 Das Forschungsgutachten kommt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums zum Ergebnis, dass die ergriffenen Regulierungsmaßnahmen wirksam waren. Das Finanzsystem ist heute insgesamt deutlich widerstandsfähiger und die Marktdisziplin ist gestärkt worden. In anderen Bereichen sehen die Gutachter hingegen zusätzlichen Handlungsbedarf, um einen weiteren Abbau von Risiken in europäischen Bankbilanzen zu erreichen und Nebenwirkungen der Regulierung zu begrenzen . Als zentrale Handlungsfelder identifiziert das Gutachten u. a. die regulatorische Behandlung von Forderungen gegenüber Staaten sowie die in einigen Mitgliedstaaten weiterhin hohen Bestände an notleidenden Krediten. (https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2019/03/In halte/Kapitel-3-Analysen/3-2-finanzmarktregulierung.html). Diese Einschätzung wird von der Landesregierung geteilt. 3. Was hat die damalige Landesregierung Niedersachsens nach 2008 konkret getan, um eine erneute Finanzkrise zu verhindern, und was tut die derzeitige Landesregierung? Neben den Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes hat die Bundesregierung in den Jahren 2008 und 2009 insbesondere zwei Konjunkturpakete auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen der Krise auf die Realwirtschaft zu begrenzen. Im November 2008 wurde das erste Konjunkturpaket beschlossen, im Januar 2009 hat das Bundeskabinett den „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“ - kurz Konjunkturpaket II - verabschiedet. Im Oktober 2008 wurden im Rahmen des Konjunkturpakets I zeitlich begrenzt zusätzliche Mittel in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“ bereitgestellt. Bundesmittel von rund 60 Millionen Euro wurden vom Land komplett kofinanziert. Zusätzlich wurden die Fördersätze für Bewilligungen im Jahr 2009 deutlich angehoben. Im Rahmen des Konjunkturpakets II hat der Bund mit dem Zukunftsinvestitionsgesetz den Ländern und Gemeinden 10 Milliarden Euro für bedeutsame Investitionen zur Verfügung gestellt. Die Landesregierung hat mit der „Initiative Niedersachsen“ das Konjunkturpaket II in Niedersachsen schnell und effizient umgesetzt. Sie umfasste mit Einschluss der Bundesmittel ein Gesamtinvestitionsvolumen in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro. Im Mai 2009 hat der damalige Ministerpräsident Christian Wulff den Niedersächsischen Koordinierungsstab Wirtschaft, Arbeit und Finanzen (KOWAF) aus Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaft , Gewerkschaften, Banken und Arbeitsverwaltung ins Leben gerufen. Im Ergebnis hat der KOWAF einiges für die Betriebe und Beschäftigten im Land bewirken können. Beispielhaft seien genannt: – Die Erhöhung des Bürgschaftsrahmens und andere niedersächsische Instrumente zur Unternehmensfinanzierung haben geholfen, die Existenz von kleinen und mittleren Unternehmen zu sichern. – Zusammen mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit wurde eine pragmatische Lösung zur Übernahme von Auszubildenden trotz Kurzarbeit gefunden. – Die mittelständische Wirtschaft in Niedersachsen konnte das Sonderprogramm der KfW gut nutzen, um auch während der Krise für die zukünftige Entwicklung zu investieren. – Unter Federführung vom damaligen Wirtschaftsminister Bode wurde eine Erklärung zur Mittelstandsfinanzierung vereinbart und die Versorgung der niedersächsischen Wirtschaft mit Krediten sichergestellt. Nach Einschätzung der Landesregierung gibt die momentan zu beobachtende Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik keinen Anlass, wirtschaftspolitische Interventionen zu erwägen. Zwar gehen von der internationalen Wirtschaftspolitik gegenläufige Impulse aus: Einerseits stützen Geldund Finanzpolitik die Weltkonjunktur, andererseits belastet die Unsicherheit über den Fortgang der globalen Handelskonflikte und den EU-Austritt Großbritanniens weiterhin die Weltwirtschaft. Dennoch bestehen aktuell keine Anzeichen für einen stärkeren Einbruch. Vielmehr handelt es sich nach allgemeiner Einschätzung um eine konjunkturelle Normalisierung. Die Wachstumsraten sind weiterhin positiv und für das kommende Jahr wird bereits wieder ein erneutes Anziehen der Konjunktur in Deutschland und dem Euroraum erwartet. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4156 9 4. Sieht sich die Landesregierung im Gefüge der globalisierten Finanzwirtschaft machtlos, wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Zur Bewältigung der Finanzkrise hat die EU zahlreiche Vorhaben zur Regulierung der Finanzmärkte angestoßen. Die Ereignisse haben gezeigt, dass neben nationalen Regelungen v. a. EU-weite und globale Regelungen erforderlich sind, da Finanzgeschäfte keine nationalen Grenzen kennen. Die Landesregierung hat über den Bundesrat an der Ausgestaltung des neuen Finanzmarktregelwerkes mitgewirkt. (Verteilt am 15.07.2019) Drucksache 18/4156 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums Zentralbankpolitik (A.), Staatsverschuldung (B.) und Unternehmensanleihen (C.) als Gefah-ren für niedersächsische Wirtschaft, Altersvorsorge und die Zukunftschancen von Entwick-lungs- und Schwellenländern - Wie reagiert die Landesregierung?