Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4217 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Vom Krankenhaus in die Psychiatrie und dann in Abschiebungshaft Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 14.06.2019 - Drs. 18/3994 an die Staatskanzlei übersandt am 19.06.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 19.07.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Eine 23-jährige Frau aus Mali befand sich vom 23. April bis zum 14. Mai 2019 in Langenhagen in Abschiebungshaft, weil sie im Rahmen des Dublin-Systems nach Italien abgeschoben werden sollte und nach unseren Informationen am 14. Mai auch tatsächlich abgeschoben wurde. Das Amtsgericht Wernigerode hatte einen Haftbeschluss gefasst. Zuständige Ausländerbehörde war die Stadt Bernburg im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt. Laut Haftbeschluss war die Haft bis zum 4. Juni angeordnet , also für insgesamt sechs Wochen. Als eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Niedersachsen die Frau in der Abschiebungshaft besuchte , habe diese über starke Schmerzen geklagt und nur mit Mühe laufen können. Laut der Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates erzählte die Frau (übersetzt durch einen französischsprachigen Dolmetscher ), sie spreche kein Deutsch und könne weder lesen noch schreiben. Sie sei als Kind beschnitten worden, mit zwölf Jahren an einen 48-jährigen Mann zwangsverheiratet, während der ersten Ehewoche eingesperrt und immer wieder vergewaltigt worden. Ihre Familie habe sie gezwungen, zu ihrem Mann zurückzukehren, und gesagt, sie müsse schwanger werden. Mit 14 Jahren habe sie das erste Kind bekommen. Es sei eine Woche nach der Geburt gestorben. Nach einigen Jahren sei sie nach Italien geflohen, habe dort auf der Straße gelebt und sich prostituieren müssen, um ihre Weiterfahrt nach Deutschland bezahlen zu können. Im Sommer 2018 sei sie weiter nach Deutschland gereist, wo sie einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei als unzulässig abgelehnt worden. Daraufhin sei im April 2019 versucht worden, sie ohne Ankündigung nach Italien abzuschieben. Sie sei nicht in ihrer Unterkunft angetroffen worden. Als drei Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sie an einem Bahnhof in Sachsen festsetzten und ihr sagten, dass sie zurück nach Italien müsse, habe sie Panik bekommen, sei davongerannt, eine Steintreppe heruntergestürzt und habe sich dabei so stark am Kopf verletzt, dass sie bewusstlos geworden sei. Sie sei kurz in ein Krankenhaus und von dort in eine Psychiatrie gebracht worden. Dort sei sie nach ihrer Darstellung fünf Tage lang ans Bett gefesselt worden, weil man ihr „unkooperatives Verhalten“ vorgeworfen habe. Im Arztbericht sei, so die Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates, dagegen die Rede davon, dass die Fixierung nur „vorübergehend “ gewesen sei. Die Betroffene berichtete der Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates, dass die Fesselung sie an die Gefangenschaft und konstanten Vergewaltigungen während ihrer jahrelangen Zwangsehe als Kind und Jugendliche erinnert und retraumatisiert habe. Niemand habe in der Psychiatrie mit ihr in einer ihr verständlichen Sprache gesprochen. Aus der Psychiatrie sei sie direkt in die Abschiebehaftanstalt gebracht worden, weil ihr vorgeworfen worden sei, ihre Abschiebung zu verhindern. In der Abschiebungshaft habe eine JVA-Ärztin bestätigt, dass sie zu der Zeit weder reise- noch flugfähig war. Die Ärztin sei aber von einer Haftfähigkeit ausgegangen. Laut der Gefangenen habe sich die Ärztin kaum mit ihr verständigen können, weil keine Französisch-Dolmetscherin/kein Französisch -Dolmetscher dabei gewesen sei. Danach habe kein Gespräch mehr mit der Ärztin stattge- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4217 2 funden, um die Reisefähigkeit endgültig zu überprüfen. Dennoch sei dann die Abschiebung am 14. Mai erfolgt. Vorbemerkung der Landesregierung Da die junge 23-jährige Frau aus Mali vor ihrer Abschiebungshaft nicht in einer psychiatrischen Klinik in Niedersachsen behandelt wurde, sondern in einer Einrichtung im Nachbarland Sachsen- Anhalt, können die Fragen 1 bis 3 nicht von hier aus beantwortet werden. 1. Wer hat in der Psychiatrie wann in welcher Sprache worüber mit der Frau gesprochen? Über welche Inhalte konnte man sich dabei mit der Frau verständigen, über welche nicht? Warum wurde nicht eine Dolmetscherin/ein Dolmetscher für ein Gespräch in der Psychiatrie mit der Frau herangezogen? Es wird auf die Vorbemerkungen der Landesregierung verwiesen. 2. Lag ein richterlicher Beschluss für die Fesselung vor? Was sagte dieser über Art und Dauer der Fesselung aus? Auf welcher informationellen Grundlage wurde der Beschluss gefasst? Es wird auf die Vorbemerkungen der Landesregierung verwiesen. 3. Wie lange dauerte die Fesselung? Zu welchem Zweck, wann und wie lange wurde sie unterbrochen? Es wird auf die Vorbemerkungen der Landesregierung verwiesen. 4. In welcher Sprache hat sich die Ärztin in der JVA mit der Gefangenen verständigt? Über welches Sprachniveau verfügt die Ärztin in dieser Sprache, über welches die Gefangene ? Über welche Inhalte konnten sich die beiden Frauen verständigen, über welche nicht? Nach Einschätzung der behandelnden Ärztin war während der Zugangsuntersuchung vom 26. April 2019 eine ausreichende Kommunikation auf Französisch möglich. Die im Vordergrund stehenden Beschwerden konnten auf dem vorhandenen Sprachniveau durchaus kommuniziert werden. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers war aus Sicht der behandelnden Ärztin nicht unbedingt erforderlich . 5. Warum wurde nicht eine Dolmetscherin/ein Dolmetscher für das Gespräch zwischen der Ärztin und der Gefangenen herangezogen? Es wird auf die Antwort zur Frage 4 verwiesen. 6. Wurde die Reisefähigkeit vor der Abschiebung festgestellt? Falls ja, wer hat wann und auf welcher informationellen Grundlage die Reisefähigkeit festgestellt? War das dieselbe Ärztin, die vorher die Reise- und Flugunfähigkeit festgestellt hatte? Falls nein, warum nicht? Wurde dazu noch ein Gespräch mit der Gefangenen geführt oder diese untersucht ? Wurde eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher hinzugezogen? Falls nein, warum nicht? Am Tag der Zuführung in die Abteilung Langenhangen (23. April 2019) hatte die zuständige Ausländerbehörde Salzlandkreis eine Haftfähigkeits- sowie Reisefähigkeitsuntersuchung bei einem externen Arzt in Wernigerode veranlasst, welche auch am selben Tag durchgeführt und schriftlich be- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4217 3 stätigt wurde. Nach Auskunft der zuständigen Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde war bei der ärztlichen Untersuchung ein Dolmetscher anwesend. Die Betroffene hatte über keinerlei Schmerzen geklagt. Am 26. April 2019 erfolgte die ärztliche Zugangsuntersuchung in der Abschiebehafteinrichtung. Die behandelnde Ärztin hat weitere medizinische Maßnahmen veranlasst. Aus Datenschutzgründen wird von einer konkreteren Darstellung abgesehen. Es wurde eine Bescheinigung über eine Reise - und Fluguntauglichkeit bis voraussichtlich 4. Mai 2019 ausgestellt. Die Abschiebungsgefangene hat sich nach der Zugangsuntersuchung nicht erneut bei der Anstaltsärztin gemeldet. Auch die Bediensteten der Abteilung Langenhagen haben keine Auffälligkeiten festgestellt. Daher ist die Ärztin davon ausgegangen, dass es der Abschiebungsgefangenen gut gehe, zumal auch die veranlassten Untersuchungsergebnisse unauffällig waren. Nach Auskunft der zuständigen Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde sei die Abschiebung durch einen externen Arzt bis zum Flughafen begleitet worden. Vor der Verbringung zum Flughafen sei durch diesen die Reise- und Flugtauglichkeit der Betroffenen überprüft worden. Des Weiteren sei für die Maßnahme eine Telefondolmetscherin auf Abruf verpflichtet worden. Ob diese während der Maßnahme in Anspruch genommen wurde, sei dort nicht bekannt. 7. Warum wurde im vorliegenden Fall nicht von der Möglichkeit des Videodolmetschens Gebrauch gemacht? Ist die Abschiebungshaft in Langenhagen bereits an das System für das Videodolmetschen im Justizvollzug angeschlossen? Falls ja, seit wann? Falls nein, wann wird der Anschluss erfolgen? Die Abteilung Langenhagen verfügt über zwei mobile Geräte, mit dennen Videodolmetschen möglich ist. Ein Gerät steht im Behandlungsraum des medizinischen Bereichs, ein weiteres ist für die übrigen Bereiche der Abteilung Langenhagen vorgesehen. Die Einweisung sowie der Probelauf erfolgten allerdings erst am 13. Mai 2019. (Verteilt am 23.07.2019) Drucksache 18/4217 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Vom Krankenhaus in die Psychiatrie und dann in Abschiebungshaft