Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4270 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Jörg Bode und Sylvia Bruns (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Sollen Vorsorgeuntersuchungen zu Berufskrankheiten freiwillig oder verpflichtend sein? Anfrage der Abgeordneten Jörg Bode und Sylvia Bruns (FDP), eingegangen am 26.05.2019 - Drs. 18/4085 an die Staatskanzlei übersandt am 28.06.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 31.07.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Der Bundesrat entscheidet am 28.06.2019 über die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (Grunddrucksache 237/19, TOP 45). Der federführende Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat hierbei, der Verordnung mit einer Änderung zuzustimmen, die Arbeitgeber verpflichtet, Vorsorgeuntersuchungen „verpflichtend zu veranlassen“ (https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/979/erl/45.pdf?__blob=publi cationFile&v=1). „Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz, der Gesundheitsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, der Verordnung unverändert zuzustimmen “ (ebenda), heißt es in den Erläuterungen zur Drucksache 237/19 weiter. Vorbemerkung der Landesregierung Arbeitsmedizinische Vorsorge dient der Beurteilung individueller Wechselwirkungen beruflicher Tätigkeiten mit physischer und psychischer Gesundheit, der Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen und der Feststellung erhöhter gesundheitlicher Gefährdungen bei bestimmten Tätigkeiten . Die individuelle Aufklärung, Beratung und gegebenenfalls Untersuchung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung eines konsequenten präventiven modernen Arbeitsschutzes in den Betrieben. Der Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hat am 30. Mai 2018 die Empfehlung verabschiedet, die Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) um eine obligatorische ärztliche Pflichtvorsorge für regelmäßige Tätigkeiten im Freien mit besonders intensiver Belastung durch natürliche UV-Strahlung und um eine Angebotsvorsorge für regelmäßige Tätigkeiten im Freien mit intensiver Belastung durch natürliche UV-Strahlung zu ergänzen. Beruflich Exponierte haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein verdoppeltes Krebsrisiko. Seit dem 1. Januar 2015 werden „Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung“ in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) als Berufskrankheit Nummer 5103 (BK 5103) geführt. Nach Lärmschwerhörigkeit ist die BK 5103 die am häufigsten anerkannte Berufskrankheit. Die ArbMedVV sieht grundsätzlich für Einwirkungen mit hohem Gefährdungspotenzial eine Pflichtvorsorge vor. Dieses hohe Gefährdungspotenzial trifft auch für natürliche UV-Strahlung zu. Arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen durch natürliche UV-Strahlung sind deshalb möglichst zu vermeiden und die verbleibenden Gefährdungen möglichst gering zu halten. Dabei ist vorteilhaft, dass diese Gefährdung sehr gut einfachen präventiven Maßnahmen wie z. B. Sonnenschutz oder einer Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4270 2 geänderten Verteilung der Arbeitszeit mit Vermeidung besonders strahlungsintensiver Zeiträume zugänglich ist. Weiterhin können Karzinome der Haut, die durch natürliche UV-Strahlung entstanden sind, frühzeitig in Vorstadien erkannt werden. Die Bundesregierung legte einen Verordnungsentwurf zur Anpassung der ArbMedVV an den aktuellen Stand der Arbeitsmedizin und an die Entwicklungen im Berufskrankheitenrecht vor (Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge). Dieser Verordnungsentwurf sah abweichend von der Beschlusslage des AfAMed keine Pflichtvorsorge, sondern ausschließlich eine Angebotsvorsorge vor. Der Bundesrat hat in seiner 979. Sitzung am 28. Juni 2019 beschlossen, der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß Artikel 80 Abs. 2 des Grundgesetzes zuzustimmen ohne eine Pflichtvorsorge einzuführen. 1. Wie wird/wie hat sich die Landesregierung im Bundesrat zu Drucksache 237/19 verhalten ? Die Landesregierung hat dem Verordnungsentwurf zugestimmt und sich bezüglich der Einführung einer Pflichtvorsorge enthalten. 2. Was waren die Gründe für das Abstimmungsverhalten der Landesregierung im Bundesrat zu Drucksache 237/19? Die regierungsinternen Beratungen zum Abstimmungsverhalten im Bundesrat sind Gegenstand der ressortinternen und ressortübergreifenden Abstimmungsprozesse und dienen der internen, verfassungsrechtlich geschützten Willensbildung der Regierung. Sie zählen zum Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung und unterliegen nicht der Antwortpflicht der Landesregierung. Das Abstimmungsverhalten im Bundesrat ist im Internet öffentlich einsehbar (s. 979. Sitzung des Bundesrates vom 28. Juni 2019, TOP 45). Eine nachträgliche Offenlegung des internen Willensbildungsprozesses würde zu einer einengenden Vorwirkung auf zukünftige Beratungsprozesse führen, mit der Folge, dass die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Landesregierung beeinträchtigt wäre. 3. Wie beurteilt die Landesregierung generell das Vorhalten von Angebotsvorsorgen zu arbeitsbedingten Belastungen/Einwirkungen/Expositionen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (d/m/w)? Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist es, arbeitsbedingte Beanspruchungen zu erfassen und arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten zu verhüten oder zumindest frühzeitig zu erkennen. Arbeitsmedizinische Vorsorge soll zugleich einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes leisten. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den Wechselwirkungen zwischen ihrer Arbeit und ihrer Gesundheit informieren und beraten lassen. Bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge steht die Eigengefährdung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vordergrund. Dazu enthält die ArbMedVV ein dreistufiges Vorsorgekonzept, das im Anhang der Verordnung für – Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, – Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen einschließlich gentechnischer Arbeiten mit humanpathogenen Organismen, – Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen sowie – sonstige Tätigkeiten Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4270 3 jeweils die Parameter enthält, bei denen entweder eine Angebots- oder eine Pflichtvorsorge gesetzlich vorgesehen ist. Darüber hinaus ist eine Wunschvorsorge möglich. Dieses dreistufige Konzept ermöglicht es der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber, auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für unterschiedliche Gefährdungen jeweils angemessene Prävention zu erreichen; Angebotsuntersuchungen sind in diesem Kontext sinnvoll, wenn mit ihnen das Ziel einer ausreichenden Prävention zu erreichen ist. 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Einführung verpflichtender Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Berufskrankheiten? Pflichtuntersuchungen sind aus Sicht der Landesregierung immer dann vorzusehen, wenn das Ziel ausreichender Prävention anders nicht erreicht werden kann. 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Einführung freiwilliger Angebotsvorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Berufskrankheiten? Angebotsuntersuchungen sind sinnvoll, wenn mit ihnen das Ziel einer ausreichenden Prävention zu erreichen ist. 6. Welche verpflichtenden und/oder freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Berufskrankheiten gemäß Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gibt es derzeit? Die Arbeitsmedizinische Vorsorge nach der ArbMedVV gliedert sich in Pflichtvorsorge (§ 4), Angebotsvorsorge (§ 5) sowie Wunschvorsorge (§ 5 a). Pflicht- und Angebotsvorsorge sind nach Maßgabe des Anhangs der ArbMedVV zu veranlassen bzw. anzubieten. Dieser Anhang „Arbeitsmedizinische Pflicht- und Angebotsvorsorge“ hat die Fundstelle BGBl. I 2008, 2771 - 2775 und wurde zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 12. Juli 2019 (BGBl. I S. 1082) geändert. 7. Wie werden diese Vorsorgeuntersuchungen angenommen? Die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Diese Pflicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wird im Rahmen routinemäßiger betrieblicher Überwachung durch die Aufsichtsbehörde geprüft. Die Annahme der Arbeitsmedizinischen Vorsorge durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird von den Aufsichtsbehörden nicht erfasst, da dies gesetzlich nicht vorgesehen ist. Die Angebotsvorsorge setzt die Mitwirkung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voraus. Ihre Inanspruchnahme ist nach den Erfahrungen des Gewerbeärztlichen Dienstes für Niedersachsen generell und besonders im gewerblichen Bereich nur gering ausgeprägt. 8. Hält die Landesregierung die derzeit angebotenen Vorsorgeuntersuchungen zu Berufskrankheiten gemäß Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) für ausreichend (bitte mit Begründung)? Die Frage, ob die derzeit angebotenen Vorsorgeuntersuchungen zu Berufskrankheiten ausreichend sind, fließt - wie bisher - in die fachkundige Arbeit des AfAMed ein. Die ArbMedVV basiert zu wesentlichen Teilen auf Vorschlägen aus diesem Gremium. Vor diesem Hintergrund hält die Landesregierung die derzeitigen gesetzlichen Regelungen für ausreichend. 9. Wo sieht die Landesregierung Handlungsbedarf zur Vermeidung/Früherkennung/Feststellung von Berufskrankheiten? Siehe Antwort zu Frage 8. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4270 4 10. Wie sind die Verantwortlichkeiten zur Vermeidung von Berufskrankheiten zwischen den zuständigen Stellen geregelt, und welche Rolle spielen hierbei die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (d/m/w)? Die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind, hat diese umzusetzen und ihre Wirksamkeit zu kontrollieren. Bei diesen Maßnahmen sind neben dem Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Insbesondere zur Durchführung dieser Maßnahmen hat die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Damit trifft die Arbeitgeberin bzw. den Arbeitgeber die primäre Pflicht zur Vermeidung/Früherkennung/Feststellung von Berufskrankheiten (§§ 3 bis 6 Arbeitsschutzgesetz). Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsschutzgesetz). Die Aufsichtsbehörden führen die allgemeine Überwachung zur Einhaltung der Arbeitgeberpflichten im Rahmen der ihnen übertragenen Zuständigkeiten durch. 11. Welche Möglichkeiten bestehen zur Durchsetzung des medizinisch vorgesehenen/vorgeschriebenen Arbeitsschutzes gegenüber Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (d/m/w)? Die ArbMedVV wurde aufgrund der §§ 18 und 19 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und § 30 Abs. 2 Nr. 9 des Gentechnikgesetzes (GenTG) erlassen. Damit bestehen weitergehende Befugnisse für Verwaltungsmaßnahmen auf der Rechtsgrundlage des § 22 Abs. 3 ArbSchG und des § 26 GenTG. Dies kann beispielsweise sowohl die Anordnung der Durchführung Arbeitsmedizinischer Vorsorge als auch die Untersagung der damit in Verbindung stehenden Tätigkeiten sein. Darüber hinaus können bestimmte, gesetzlich festgelegte Verstöße gegen normierte Pflichten als Ordnungswidrigkeit geahndet (§ 10 ArbMedVV, § 25 ArbSchG, § 38 GenTG) bzw. als Straftat (§ 10 ArbMedVV, § 26 ArbSchG, § 39 GenTG) verfolgt werden. 12. Wie ist die Einhaltung des medizinisch vorgeschriebenen Arbeitsschutzes für Arbeitgeber geregelt? Das ArbSchG und das GenTG normieren Pflichten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die durch die Regelungen der ArbMedVV konkretisiert werden. Die Überwachung des Arbeitsschutzes nach dem ArbSchG und dem GenTG ist staatliche Aufgabe. Die Ausführung dieser Gesetze obliegt den Ländern. Die zuständigen Behörden haben die Einhaltung dieser Gesetze und der aufgrund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen wie z. B. der ArbMedVV zu überwachen. Die Zuständigkeit für die behördliche Überwachung ist in Niedersachsen im Abschnitt 2.2 der Verordnung über Zuständigkeiten auf den Gebieten des Arbeitsschutz-, Immissionsschutz-, Sprengstoff-, Gentechnik - und Strahlenschutzrechts sowie in anderen Rechtsgebieten (ZustVO-Umwelt-Arbeitsschutz) vom 27. Oktober 2009 geregelt. Diese liegt bei den Staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern und dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in seinem Aufsichtsbereich. Ausgenommen sind hiervon Anwendungsfälle in Betrieben nach den §§ 123 und 129 Abs. 4 Satz 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs, für die nach erfolgter Aufgabenübertragung nach § 21 Abs. 4 ArbSchG die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau zuständig ist. Für die Zulassung von Ausnahmen nach § 7 Abs. 2 ArbMedVV ist ausschließlich das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Hannover zuständig. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4270 5 13. Wie können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (d/m/w) zur fortwährenden Einhaltung der medizinisch vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen (z. B. Nutzung von Atem- oder Gehörschutz, Hygienemaßnahmen) angehalten werden? Auf Grundlage des (privatrechtlichen) Arbeitsvertrags ist die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts bzw. Weisungsrechts dazu berechtigt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Anweisungen zu erteilen. Auch gemäß § 15 Arbeitsschutzgesetz sind durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. (Verteilt am 01.08.2019) Drucksache 18/4270 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Jörg Bode und Sylvia Bruns (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Sollen Vorsorgeuntersuchungen zu Berufskrankheiten freiwillig oder verpflichtend sein?