Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Auswirkungen des Personalmangels an den niedersächsischen Gerichten Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 08.07.2019 - Drs. 18/4139 an die Staatskanzlei übersandt am 11.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung 05.08.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Der NDR berichtete am 11.06.2019 unter der Überschrift „Zu wenig Personal an norddeutschen Gerichten“, dass Panorama 3 den Personalbestand aller norddeutschen Amts- und Landgerichte abgefragt habe und zu einem erschreckenden Ergebnis gekommen sei. Die meisten Amts- und Landgerichte seien mit deutlich weniger Richterinnen und Richtern ausgestattet, als nach dem offiziellen Bemessungssystem - genannt PEBB§Y - eigentlich vorgesehen. Besonders schlecht stehe Niedersachsen da. Von den insgesamt 91 Amts- bzw. Landgerichten in Niedersachsen würden an 87 Gerichten weniger Richterinnen und Richter als eigentlich offiziell vorgesehen arbeiten. Im Rahmen dieses Beitrages wurde eine Richterin am Amtsgericht Lübeck für Wirtschafts- und Jugendstrafsachen interviewt. Sie führte aus, dass die Situation dazu führen könne, dass Richterinnen und Richter bei komplexen Verfahren dazu neigen, Deals abzuschließen, um so Verfahren nicht ausufern zu lassen. „Damit verschaffe ich aber unter Umständen Leuten einen Vorteil, die anwaltlich besser vertreten sind, als Leuten, die das nicht sind. Das heißt, ich kriege irgendwann eine Klassenjustiz, diese Gefahr sehe ich“, sagte die Richterin. Weiter führt Panorama 3 aus, dass bei zu langen Verfahrensdauern außerdem Strafrabatte für Angeklagte oder Entlassungen aus der Untersuchungshaft drohen könnten. Auch dazu hätten sie Daten abgefragt. Das Ergebnis: Die Verfahrensdauern würden im Schnitt überall in Norddeutschland steigen - in den vergangenen zehn Jahren um rund 15 % in Niedersachsen. Weiter wird berichtet, dass das Justizministerium keine negativen juristischen Folgen befürchten würde. „Das hängt damit zusammen, dass unsere Richterinnen und Richter, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wirklich gute Juristen sind, die auch der höheren Belastung durchaus gut standhalten können“, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber Panorama 3. Mit Erläuterung per E-Mail vom 23. Juni 2019 teilte der Sprecher in Bezug auf die Berichterstattung des NDR mit: „Sie können ganz sicher sein, dass der Unmut über diesen Beitragsteil auch bei mir groß war und ist, denn die Kommentierung und der Zusammenschnitt meiner Äußerung gibt die Haltung des Niedersächsischen Justizministeriums nicht nur verzerrt, sondern falsch wieder.“ Weiter führte er aus, dass man in den Jahren 2018 und 2019 bereits eine spürbare Verbesserung erreicht habe, indem vom Landeshaushaltsgesetzgeber mehr als 100 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zugebilligt worden seien. Sein Zitat aus dem NDR-Beitrag sei aus dem Kontext gerissen, vielmehr habe er auf die Frage geantwortet , ob - Stand heute - die Folgen des Personalmangels für die Bürgerinnen und Bürger bereits zu spüren seien. Dies habe er verneint und sinngemäß wie folgt geantwortet: „Das hängt damit zusammen, dass unsere Richterinnen und Richter, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wirk- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 2 lich gute Juristen sind, die auch der höheren Belastung durchaus gut standhalten können. … Die Arbeit, die da ist, wird verteilt auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an Bord sind, und die bewältigen das in der Justiz in Niedersachsen bisher ganz großartig.“ Am 04.06.2019 berichtete Focus Online unter der Überschrift „Gigantische Pensionierungs-Welle, kaum Nachwuchs: Richter warnt vor Justiz-Kollaps“, dass das deutsche Justizsystem vor einem radikalen Umbruch stehe: In den kommenden Jahren würden bis zu 60 % der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. Doch die Neubesetzung der Stellen gestalte sich schwierig, da es viele junge Juristen in die Wirtschaft ziehe. Vorbemerkung der Landesregierung Der Personalbedarf der Justiz wird anhand des Personalbedarfsberechnungssystems PEBB§Y ermittelt . Dieses System dient als Orientierungs- und Entscheidungshilfe für die Haushaltsverhandlungen und für eine gleichmäßige Verteilung des verfügbaren Personals auf die Gerichte und Staatsanwaltschaften. Zuletzt wurden im Jahr 2014 im Rahmen des Projektes PEBB§Y- Fortschreibung 2014 durchschnittliche bundesweite Bearbeitungszeiten für den richterlichen, den gehobenen und den mittleren Dienst der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften erhoben. Die so ermittelten Basiszahlen (bundesdurchschnittliche Bearbeitungszeit je Verfahren) beruhen auf einer empirisch validen und analytisch gesicherten Grundlage. Nachträglich neu hinzugekommene Aufgaben oder Anforderungen für die Gerichte und Staatsanwaltschaften wie z. B. im Rahmen der Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung oder der gestiegenen Anforderungen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Fixierungen können erst nach einer bundesweiten Nacherhebung Berücksichtigung finden. Niedersächsische Gerichte und Staatsanwaltschaften beteiligen sich deshalb aktuell an der bundesweiten Untersuchung zur Bemessung der Aufwände für Maßnahmen der Vermögensabschöpfung. Durch besondere Umstände können für Produkte und deren Bearbeitungszeiten landesspezifische Zu- und Abschläge gegenüber den bundeseinheitlichen Bearbeitungszeiten gerechtfertigt sein. Zudem basieren die Angaben zum Personalbedarf auf den unterschiedlichen länderspezifischen Jahresarbeitszeiten . Dadurch sind Informationen zu Belastungs- und Bedarfszahlen zwischen einzelnen Bundesländern nur bedingt vergleichbar und bedürfen generell einer Erläuterung. Aufgrund dieser fehlenden Vergleichbarkeit der auf PEBB§Y basierenden Informationen der Bundesländer wurde auf einen Austausch der Daten in der dafür zuständigen Kommission der Landesjustizverwaltungen für Fragen der Personalbedarfsberechnung ab dem 01.01.2016 verzichtet. In den Haushaltsjahren 2018 und 2019 sind in Niedersachsen 106 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen worden. Dies zeigt das hohe Interesse der Landesregierung an einer angemessenen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften . Der Niedersächsischen Justiz stehen mit insgesamt 2 705 Stellen (Stand: 01.01.2019) so viele Stellen für Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wie noch nie zuvor zur Verfügung. 1. Vor dem Hintergrund einer bei einem Personalmangel anfallenden Mehrarbeit für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, auch wenn sie „wirklich gute Juristen sind, die auch der höheren Belastung durchaus gut standhalten können “: Wie viele Stunden täglicher Arbeitszeit von den Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten müssen momentan gefordert bzw. geleistet werden, um dem Personalmangel entgegenzuwirken? Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterfällt die Erfüllung richterlicher Aufgaben und ihre zeitliche Einteilung der durch Art. 97 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit. Die richterliche Unabhängigkeit gehört zu den verfassungsgestaltenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes; sie ist Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips und gehört zum Grundstandard rechtsstaatlichen Handelns. Infolge der sachlichen Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter sind diese nicht verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit feste Dienststunden einzuhalten. Richter müssen dementsprechend, soweit ihre Anwesenheit in der Dienststelle nicht durch bestimmte Tä- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 3 tigkeiten (Beratungen, Sitzungsdienst, Bereitschaftsdienst für Eilsachen) geboten ist, die Dienstgeschäfte nicht innerhalb bestimmter Dienstzeiten und nicht in der Dienststelle erledigen. Der vom Richterdienst zu leistende Arbeitseinsatz bestimmt sich nach dem ihm verliehenen konkreten Richteramt und den in der richterlichen Geschäftsverteilung zugeteilten Aufgaben. Die Arbeitszeit eines Richters und einer Richterin ist damit nicht exakt messbar, sondern kann vor diesem Hintergrund vielmehr nur - grob pauschalierend - geschätzt werden (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 C 57/86, NJW 1988, 1159, 1160 und BGH, Urteil vom 16. November 1990 - RiZ 2/90, NJW 1991, 1103, 1104; s.a. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 41/04, NVwZ 2006, 1074, 1075 und BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 5 StR 92/01, NJW 2001, 3275, 3276). In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen wird bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen die Dienstzeit des Richterdienstes weder erfasst noch kann diese vom Dienstherrn ausgeweitet werden . Auch die Dienstzeiten des Staatsanwaltsdienstes werden nicht erfasst. Da das System PEBB§Y methodisch auf durchschnittlichen Gegebenheiten beruht (siehe Vorbemerkung der Landesregierung), ist es weder geeignet, die zumutbare Arbeitsbelastung der einzelnen Bediensteten zu bestimmen, noch besonderen Verhältnissen vor Ort Rechnung zu tragen. 2. Wie viele Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben das Angebot des „Gesundheitsmanagements“ in den Jahren 2014, 2015, 2016, 2017, 2018 und in der ersten Jahreshälfte von 2019 in Anspruch genommen? Das Gesundheitsmanagement bei Gerichten und Staatsanwaltschaften umfasst die Bereiche Betriebliche Gesundheitsförderung (sportliche Aktivitäten wie Rückenschule, Ernährung, Stressreduzierung ), Suchtberatung, Coaching, kollegiale Beratung, institutionalisiertes Mitarbeitergespräch, Betriebliches Eingliederungsmanagement, Supervision und Projektbetreuung. Nicht einbezogen ist bei der Erhebung der Daten der Arbeitsschutz. Das Gesundheitsmanagement bei Gerichten und Staatsanwaltschaften ist in den zurückliegenden Jahren erheblich ausgebaut worden und wird zu einem erheblichen Teil von hauptamtlichen Gesundheitsmanagerinnen und Gesundheitsmanagern betreut. Dies führt dazu, dass die Angebote des Gesundheitsmanagements bei den Beschäftigten in zunehmendem Maße bekannt und auch anerkannt sind. Die Daten basieren auf einer Abfrage der vorhandenen Daten im Geschäftsbereich. Für das erste Halbjahr 2019 stehen bisher nur Teilzahlen zur Verfügung. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Frage wie folgt: – 2014: 209, – 2015: 498, – 2016: 384, – 2017: 484, – 2018: 549, – 1. Halbjahr 2019: 291. 3. Besteht Sorge, dass das Phänomen des „Burn-Outs“ oder andere Erkrankungen bei den Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten durch eine ständige hohe Arbeitsbelastung zunehmen könnte, oder wird die hohe Arbeitsbelastung als „nicht gesundheitsgefährdend“ eingestuft? Valide Aussagen darüber, inwieweit krankheitsbedingte Ausfälle auf ein „Burn-Out-Syndrom“ oder generell Arbeitsüberlastung zurückgehen, können schon deshalb nicht getätigt werden, weil die Ursachen einer langfristigen Erkrankung zum einen von den Betroffenen nicht immer eindeutig benannt werden und zum anderen dem Arbeitgeber auch nicht mitgeteilt werden müssen. Dass die Themen „Burn-Out“ und Arbeitsüberlastung im Vergleich zur Vergangenheit an Bedeutung gewonnen haben, kann nicht festgestellt werden. Indes kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 4 Thematik in der Zukunft gerade auch in Anbetracht der stetig wachsenden Herausforderungen (u. a. durch Großverfahren) an Gewicht gewinnen wird. Hier ist die Niedersächsische Justiz durch ihre ausdifferenzierten Angebote des Gesundheitsmanagements (siehe Frage 2) jedoch sehr gut aufgestellt, um den Kolleginnen und Kollegen notwendige Unterstützung anbieten zu können. Konkrete Sorgen wegen einer Gesundheitsgefährdung bestehen daher nicht. 4. Die Landesregierung trägt vor, dass es eine „spürbare Verbesserung“ in den Jahren 2018 und 2019 durch die Schaffung von weiteren mehr als 100 zusätzlichen Stellen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegeben habe . Wie hat sich die Entlastung konkret bemerkbar gemacht (z. B.: wie viele Verfahren konnten schneller durchgeführt werden, wie viele Überstunden mussten weniger geleistet werden, o. Ä.)? Eine „Umrechnung“ der zugelegten Stellen auf eine schnellere Bearbeitung von Verfahren oder eine Reduzierung von Überstunden ist aufgrund der Ausführungen zu der Aus- bzw. Zielrichtung des Personalbedarfsberechnungssystems PEBB§Y in der Vorbemerkung sowie den Ausführungen zu 1. nicht möglich. 5. Haben in den letzten Jahren (2017, 2018 und bisher in 2019) sowohl die Verfahrenszahlen als auch die Verfahrensdauer deutlich zugenommen? Die Auswertung erfolgt für die Jahre 2017, 2018 und das I. Quartal 2019, welches aktuell vorliegt. Da ein Quartal statistisch nicht repräsentativ ist, kann hier noch keine Extrapolation auf mögliche Halb- oder Jahreswerte vorgenommen werden. Es ist festzustellen, dass die getroffene Annahme der deutlich erhöhten Verfahrenszahlen nicht anhand der statistischen Daten bestätigt werden kann. Vielmehr ist ein überwiegender Rückgang der Eingangszahlen festzustellen. Abweichend von diesem Trend sind lediglich die erhöhten Eingangszahlen in den Bereichen Zivilprozesssachen (I. Instanz) der Landgerichte (Anstieg um 5 635 Verfahren) und Zivilprozesssachen (Berufungen) der Oberlandesgerichte (Anstieg um 903 Verfahren) festzustellen. Diese sind hauptsächlich auf die Klagen im Zusammenhang mit der VW-Dieselabgasaffäre zurückzuführen. Daneben beruht der im Bereich der Sozialgerichte zu verzeichnende Anstieg der Eingangszahlen um 4 674 Verfahren auf dem Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal- Stärkungsgesetz) und dem neu eingefügten § 325 SGB V. Danach ist die Geltendmachung von Ansprüchen der Krankenkassen auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen ausgeschlossen, soweit diese vor dem 1. Januar 2017 entstanden und bis zum 9. November 2018 nicht gerichtlich geltend gemacht worden sind. Dies hat zwischen dem 1. und 9. November 2018 bundesweit zu einer massiven Zunahme der Klageeingänge im Sachgebiet „Krankenversicherung“ geführt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 5 Die Verfahrensdauern sind ebenfalls in dem betrachteten Zeitraum nur geringfügig angestiegen. Der aus dem Trend hervorstechende Anstieg der Verfahrensdauern bei Staatsanwaltschaften geht auf die Staatsanwaltschaft Göttingen zurück. Im Jahr 2011 wurde bei dieser Staatsanwaltschaft ein Umfangsverfahren „Bundestrojaner“ geführt. Hier wurden aus ganz Deutschland die Strafverfahren gegen den jugendlichen Beschuldigten von der StA Göttingen übernommen (fast 30 000 Verfahren). Nach Ermittlungen im In- und Ausland erlangte der Komplex Abschlussreife und konnte/musste eingestellt werden. Die statistische Erfassung der Einstellungen verzögerte sich allerdings bis in das Jahr 2018, da anlässlich dieses Verfahrens zunächst die Möglichkeit der automatisierten Erfassung für Umfangsverfahren dieser Größenordnung (vom Fachverfahrensteam Staatsanwaltschaften) entwickelt werden musste. Die automatisierte Eingabe der Erledigungen konnte sodann in allen Verfahren des Komplexes im Frühjahr 2018 erfolgen und erklärt die lange Verfahrensdauer in der Statistik. Amtsgerichte Eingänge 2017 2018 Veränderung zu 2017 in % 1. Quartal 2019 Zivilprozesssachen (C) 80.170 78.752 -1,77 21.199 Familiensachen (F) 59.222 60.145 1,56 15.706 Strafsachen 54.260 55.231 1,79 14.682 Einsprüche gegen Bußgeldbescheide 30.924 32.730 5,84 9.972 Landgerichte Eingänge Zivilprozesssachen (I. Instanz) 25.459 31.094 22,13 8.651 Zivilprozesssachen (Berufungen) 4.426 3.831 -13,44 1.000 Strafverfahren (I. Instanz) 1.137 1.084 -4,66 313 Strafverfahren (Berufungen) 3.902 3.657 -6,28 1.051 Oberlandesgerichte Eingänge Zivilprozesssachen (Berufungen) 4.261 5.164 21,19 1.714 Familiensachen (Berufungen und Beschwerden gegen Endentscheidungen) 2.643 2.524 -4,50 621 Strafsachen (Revisionen) 571 580 1,58 164 Bußgeldsachen (Rechtsbeschwerden) 1.311 1.104 -15,79 338 Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren (Js) 483.811 482.365 -0,30 126.201 Verwaltungsgerichte Klageverfahren 33.155 22.586 -31,88 4.892 darunter in Asylsachen 22.163 10.558 -52,36 1.934 Oberverwaltungsgericht erstinstanzliche Verfahren 122 114 -6,56 33 Berufungsverfahren 2.856 2.382 -16,60 657 darunter in Asylsachen 1.831 1.448 -20,92 425 Sozialgerichte Klageverfahren 31.656 36.330 14,76 8.164 Landessozialgericht Berufungsverfahren 3.063 2.967 -3,13 609 Finanzgericht Klageverfahren 4.137 3.861 -6,67 974 Arbeitsgerichte Klageverfahren 26.597 25.532 -4,00 6.354 Landesarbeitsgericht Berufungsverfahren 1.278 992 -22,38 255 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 6 6. Ist die Landesregierung der Meinung, dass die Folgen des Personalmangels (Stand heute) für die Bürgerinnen und Bürger nicht zu spüren seien? Es ist bereits bei der Beantwortung zu Frage 1. ausgeführt worden, dass das System PEBB§Y methodisch auf durchschnittlichen Gegebenheiten beruht. Es ist daher weder geeignet, die zumutbare Arbeitsbelastung der einzelnen Bediensteten zu bestimmen, noch den besonderen Verhältnissen vor Ort Rechnung zu tragen. Die Bürgerinnen und Bürger spüren unmittelbar, wenn z. B. eine Richterin oder ein Richter erkrankt ist und eine mündliche Verhandlung verschoben werden muss. Insoweit unterscheiden sich die Verhältnisse in der Justiz nicht von denen in der öffentlichen Verwaltung oder bei Wirtschaftsunternehmen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 7 7. Sieht die Landesregierung im Hinblick auf den Personalmangel die Gefahr einer „Zwei- Klassen-Justiz“? Nein. 8. Wie viele „Deals“ wurden in Strafverfahren in Niedersachsen in den Jahren 2015, 2016, 2017, 2018 und in der ersten Jahreshälfte 2019 geschlossen und wie viele dieser Deals wurden mit Hilfe bzw. Beisein eines Anwalts getroffen? Nachfolgend sind tabellarisch die Zahlen der Urteile aufgeführt, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, differenziert nach Amts- und Landgerichten. Bei den niedersächsischen Oberlandesgerichten wurden in den Jahren 2015 bis 2019 (1. Quartal) in erstinstanzlichen Verfahren keine Verständigungen im Strafverfahren („Deals“) getroffen. Darüber hinaus ist aufgeführt, wie hoch der Anteil der Urteile, denen eine Verständigung vorausgegangen ist, gemessen an der Gesamtzahl der Verurteilungen ist. Die Zahlen für das 2. Quartal 2019 liegen noch nicht vor (Stand 29.07.2019). Die Zahlen betreffen lediglich Verfahren erster Instanz. Für Berufungs- und Revisionsverfahren werden statistisch keine Daten zu Verständigungen im Strafverfahren („Deals“) erhoben. Auch wird statistisch nicht erfasst, in wie vielen der genannten Fälle die Angeklagten verteidigt waren bzw. die jeweilige Verständigung mit Hilfe oder im Beisein eines Rechtsanwalts geschlossen wurde. Eine Differenzierung könnte nur aufgrund einer händischen Auswertung des Aktenbestandes bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften durchgeführt werden. Die zeit- und personalintensive Maßnahme einer händischen Auswertung hätte zur Folge, dass die vorrangige Kernaufgabe der Strafverfolgungsbehörden, nämlich die zügige und nachhaltige Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, litte. Eine solche Auswertung übersteigt daher das zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage Zumutbare und Leistbare. 9. Was unternimmt die Landesregierung, um die Nachwuchsgewinnung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zu fördern? Für den Richter- und Staatsanwaltsdienst ist das Referendariat zentraler Ansatzpunkt der Nachwuchsgewinnung . Es gilt, das dadurch bestehende („Zugriffs-“) Potenzial zur Gewinnung hochqualifizierten Nachwuchses auszuschöpfen. Insofern wird die in Niedersachsen bestehende attraktive und qualitativ hochwertige Referendarausbildung aufrechterhalten und weiter gestärkt. Dies natürlich auch, um möglichst viele leistungsstarke Absolventinnen und Absolventen der Ersten Juristischen Prüfung bereits als Referendarinnen und Referendare für Niedersachsen zu gewinnen. Zu einem attraktiven Referendariat gehört neben dem breiten fachlichen Angebot an die Referendarinnen und Referendare insbesondere die bewusste Auswahl besonders motivierter und fachlich ver- Verständigung im Strafverfahren Niedersachsen 2015 2016 2017 2018 1. Qu. 2019 Strafverfahren vor dem Amtsgericht - Spruchkörper insgesamt - Urteile, denen eine Verständigung vorausgegangen ist 186 161 149 118 41 Anteil der Verständigung an Erledigung durch Urteil in % 0,8 0,7 0,6 0,5 0,7 Strafverfahren vor dem Landgericht - Verfahren erster Instanz - - Spruchkörper insgesamt - Urteile, denen eine Verständigung vorausgegangen ist 67 96 96 63 22 Anteil der Verständigung an Erledigung durch Urteil in % 8,8 12,2 12,3 8,4 11,1 Gesamtzahl der Urteile, denen eine Verständigung vorausgegangen ist 253 257 245 181 63 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4318 8 sierter Ausbilderinnen und Ausbilder bzw. AG-Leiterinnen und -leiter, deren begleitende Unterstützung und die Anerkennung ihrer Leistungen in der Ausbildung („Werbung durch Vorbilder“). Darüber hinaus findet eine gezielte Ansprache leistungsstarker bzw. ersichtlich justizgeeigneter Referendarinnen und Referendare bzw. Kontakthaltung zu diesen durch die Ausbildungsstellen bzw. Obergerichte statt. Wesentliche Bedeutung für die Nachwuchsgewinnung im Richter- und Staatsanwaltsdienst hat zudem die Proberichterzeit. Hier liegt das Augenmerk vor allem auf einer konsequenten Einhaltung des Personalentwicklungskonzepts für Proberichterinnen und Proberichter. Wenn diese sich wertgeschätzt und gefördert wissen, werden sie die positiven Erfahrungen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch an jüngere Nachwuchskräfte weitertragen. Insgesamt ist die Bedeutung positiver „Mundpropaganda “ als Werbung für die Justiz - das zeigen auch die turnusmäßigen Gespräche mit den Proberichterinnen und Proberichtern - keinesfalls zu unterschätzen. Die im vorbezeichneten Sinne betriebene Nachwuchsgewinnung hat Erfolg. So konnten die Einstellungsbedarfe der Jahre 2017 und 2018 mit 150 bzw. 116 Neueinstellungen im Richter- und Staatsanwaltsdienst gedeckt werden, wobei die Durchschnittsnoten der eingestellten Nachwuchskräfte sowohl in der Ersten Juristischen Prüfung als auch im Zweiten Staatsexamen in beiden Jahren klar überdurchschnittlich waren. 10. Wie beurteilt die Landesregierung die „Gefahr des Justiz-Kollaps“ in Bezug auf die Pensionierungs-Welle? Ein „Justiz-Kollaps“ ist nicht zu erwarten. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass auch der künftige Personalbedarf gedeckt werden kann, wobei sich in den letzten Jahren ein deutlich zunehmender Arbeitgeberwettbewerb um überdurchschnittlich qualifizierte Juristinnen und Juristen abzeichnet. Die Gewinnung qualifizierten Nachwuchses wird daher als Daueraufgabe mit hoher Priorität angesehen. (Verteilt am 09.08.2019) Drucksache 18/4318 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Auswirkungen des Personalmangels an den niedersächsischen Gerichten Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 08.07.2019 - Drs. 18/4139 an die Staatskanzlei übersandt am 11.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung 05.08.2019