Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4326 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Hasskommentare im Internet Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 10.07.2019 - Drs. 18/4166 an die Staatskanzlei übersandt am 18.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 09.08.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Die FAZ berichtete am 05.07.2019 unter der Überschrift „Tausende Verfahren gegen den Hass“, dass die Erfolgsaussichten bei der Verfolgung von Hasskommentaren im Internet und fragwürdiger Zuschriften per Post oder E-Mail äußerst gering seien. Exemplarisch wurde der Fall des Kasseler Regierungspräsidenten genannt. Nach dessen damaligem Auftritt bei einer Bürgerversammlung auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe er bergeweise Zuschriften erhalten. Rund 350 E-Mails seien es gewesen, darunter auch Morddrohungen. Die Staatsanwaltschaft habe daraufhin zehn Ermittlungsverfahren aufgenommen, sieben davon hätten sich gegen Unbekannt gerichtet. Acht seien eingestellt worden, und bei zweien stünden die Ermittlungsergebnisse noch aus. Verurteilungen gebe es bisher keine. Nach dem mutmaßlichen Mord an Regierungspräsident Lübcke wolle Hessen nun verstärkt und deutlich rascher als bisher gegen Hasskommentare im Netz vorgehen, und zwar auf zwei Wegen: Innerhalb der Sonderkommission „Liemecke“ des Landeskriminalamts, die im Fall Lübcke ermittelt, solle eine Arbeitsgruppe die Kommentare im Netz zu dem Fall sichten und entsprechende Kommentare der zuständigen Staatsanwaltschaft weiterleiten, sofern der Anfangsverdacht einer Straftat bestünde. Außerdem solle eine Task Force gegen Hetze im Netz aufgebaut werden. Diese solle innerhalb des „Cyber Competence Centers“ („Hessen 3C“) angesiedelt sein, das zum Innenministerium gehöre. Dort sollen Polizisten, IT-Fachleute und Verfassungsschützer im Austausch mit der „Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität (ZIT)“ der Staatsanwaltschaft Frankfurt und dem Hessischen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) gemeinsam gegen Hetze im Internet vorgehen. 1. Wie viele Ermittlungsverfahren sind in Niedersachsen wegen Hasskommentaren im Internet und/oder fragwürdiger Zuschriften per Post oder E-Mail in den Jahren 2016, 2017, 2018 und in der ersten Jahreshälfte 2019 eingeleitet worden? Hasspostings werden als Straftat der Politisch motivierten Kriminalität zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung , Einstellung oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit , Weltanschauung, sozialen Status, ihrer physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, ihrer sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder ihres äußeren Erscheinungsbildes gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Bei Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4326 2 der Würdigung der Umstände der Tat ist neben anderen Aspekten auch die Sicht der/des Betroffenen mit einzubeziehen. Eine Erfassung erfolgte vom 01.01.2017 bis 31.12.2018 erstmalig im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) im Themenfeld „Hassposting“ und wird seit dem 01.01.2019 im Themenfeld „Hasskriminalität“ unter der Zusatzangabe des Tatmittels „Hassposting“ erfasst. Für das Jahr 2016 und davor können daher keine Fallzahlen dargelegt werden. Insgesamt sind im Jahr 2017 - 188 -, im Jahr 2018 - 129 - und im ersten Halbjahr 2019 - 107 - Ermittlungsverfahren wegen Hasskommentaren im Internet und/oder fragwürdiger Zuschriften per Post oder Email eingeleitet worden. PMK - Zuordnung 2017 2018 1.HJ 2019 ausländische Ideologie 11 1 0 linksmotiviert 12 17 42 nicht zuzuordnen 9 11 11 rechtsmotiviert 149 99 52 religiöse Ideologie 7 1 2 Summe 188 129 107 2. Wie viele dieser Ermittlungsverfahren mündeten in eine Verurteilung? Nach Auskunft des Niedersächsischen Justizministeriums kann eine Aussage darüber, wie viele der unter Ziffer 1 dargestellten Ermittlungsverfahren in einer Verurteilung endeten, nicht getroffen werden. Dies würde eine - angesichts der Anzahl der Verfahren - nicht leistbare händische Auswertung der Ermittlungsverfahren darüber erfordern, bei welcher Staatsanwaltschaft das jeweilige Ermittlungsverfahren weiterbearbeitet und wie es abgeschlossen wurde. Eine differenzierte Erfassung sogenannter Hasskriminalität findet im staatsanwaltschaftlichen Erfassungssystem erst seit dem 01.07.2018 statt, wobei folgende Unterscheidungen möglich sind: – Hasskriminalität (Bundesstatistik) – ohne weiteres Merkmal – antisemitisch – behindertenfeindlich – christenfeindlich – fremdenfeindlich – islamfeindlich – sexuelle Orientierung/Identität – mittels Internet. In diesem Erfassungszeitraum ist es bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften in 2018 und 2019 jeweils zu acht rechtskräftigen Verurteilungen in einem als „Hasskriminalität mittels Internet“ gekennzeichneten Verfahren gekommen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4326 3 3. Was unternimmt die Landesregierung gegen Hasskommentare im Internet und/oder fragwürdige Zuschriften per Post oder E-Mail? Neben dem grundsätzlichen Strafverfolgungszwang werden anlassbezogen sowohl für Hasskommentare aus dem Internet als auch für entsprechende Posteingänge Ermittlungsverfahren eingeleitet . In jedem Fall werden die Inhalte gesichert. Darüber hinaus wird wie folgt verfahren: Hasskommentare im Internet – Sicherung des Inhaltes (Screenshot/Download), – Identifizierung des verantwortlichen Users (Bestandsdatenabfrage beim Anbieter), – behördlicher Hinweis an den Anbieter des Internetservices (NetzDG), – Abgabe an örtlich zuständige Behörde (nach Identifizierung des Verursachers). Hasskommentare per E-Mail – Sicherung des Inhaltes (Screenshot/Download), – Headeranalyse der E-Mail, – Identifizierung des verantwortlichen Users (Bestandsdatenabfrage beim Anbieter/Provider), – Abgabe an örtlich zuständige Behörde (nach Identifizierung des Verursachers). Das Landeskriminalamt Niedersachsen arbeitet mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, Verbänden und Vereinen wie „jugendschutz.net“ oder der BMJV-geführten Task Force „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet“ zusammen. Zu dem Thema wurde eine Bund- /Länder-Projektgruppe (BLPG) unter der Geschäftsführung des BKA sowie der Beteiligung der Länder Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen sowie Nordrhein-Westfalen und später Hamburg eingerichtet. Seit Februar 2017 forscht das Team der Kriminologischen Forschungsstelle (KFS) im Rahmen des Verbundprojektes X-Sonar zu Radikalisierungsprozessen und Eskalationsdynamiken in sozialen Online-Netzwerken in enger Kooperation mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. So werden beispielsweise Diskurse aus sozialen Netzwerken (zunächst Facebook, Twitter und Youtube) analysiert, deren Erhebung in der Verantwortung des Fraunhofer Instituts in Darmstadt liegt. Hinzuweisen wäre auch auf die bundesweit koordinierten Einsatz- und Aktionstage gegen Hass-Postings sowie den Bundes-Leitfaden „Ermittlungen in Sozialen Netzwerken“. Aus dem Bereich der Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität werden regelmäßig Referenten für Veranstaltungen an Schulen, Jugendeinrichtungen oder der Justiz gestellt. Vorträge werden zumeist zum Thema „Gefährdungslage Islamismus“ sowie mit steigender Nachfrage zum Thema Gefährdungslage „Rechtsextremismus“ gehalten. Ein Produkt des ProPK, das Medienpaket „Mitreden ! Kompetent gegen Islamfeindlichkeit, Islamismus und jihadistische Internetpropaganda“, das dieses Thema der Hass-Postings partiell aufgreift, wird auf diesen Veranstaltungen beworben und verteilt. Etwaige Fragen zum Thema Hass-Posting werden fachkundig beantwortet. Um eine bessere Transparenz und Einheitlichkeit der Erfassung zu gewährleisten, wurden Änderungen im Kriminalpolizeilichen Meldedienst für Politisch motivierte Kriminalität vorgenommen (siehe Beantwortung zu Frage 1), wodurch eine bessere Auswertung und Lagedarstellung vorgenommen werden kann. Des Weiteren sind die Schwerpunktthemen Gewalt, Hass im Netz und Radikalisierung Gegenstand des neuartigen kriminalpräventiven Projektes „Zivile Helden“, das Chancen und Risiken von Kriminalprävention mittels sozialer Netzwerke testet. Mit interaktiven Szenarien und anderen Elementen zur Wissensvermittlung und Wissensverfestigung wird auf der Website „www.zivile-helden.de“ spielerisch und informativ das Bewusstsein für Zivilcourage, insbesondere bei der jugendlichen Zielgruppe , geschärft. Die Internetseite stellt zwar die zentrale Komponente des Konzeptes dar, doch entscheidend für den Erfolg des Forschungsvorhabens ist die Kommunikation mit den Zielgruppen Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4326 4 in den sozialen Netzwerken. Mit dem Projekt „Zivile Helden“ möchte die Polizei als Verbundpartner den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern auch über moderne Kommunikationsmittel fortsetzen. 4. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf im Umgang mit bzw. hinsichtlich der effektiveren Verfolgung und Bekämpfung von Hasskommentaren im Internet und/oder fragwürdiger Zuschriften per Post oder E-Mail? Bereits im Jahr 2017 wurden die „Aktionstage gegen Hass-Postings“ in Zusammenarbeit mit dem BKA und weiteren Bundesländern durchgeführt. Derartige bundesweite Aktionstage stellen einen wichtigen und effektiven Bestandteil einer gesamtgesellschaftlichen Strategie gegen Hass-Postings dar, indem bereits avisierte operative Maßnahmen gegen Beschuldigte zeitlich konzentriert umgesetzt werden. Ziel ist die Vereinigung von Prävention und Strafverfolgung. Es wird grundsätzlich allen angezeigten Sachverhalten bzw. Hinweisen nachgegangen und bei vorliegenden strafrechtlicher Inhalte ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein Handlungsbedarf zur aktiven behördlichen Suche nach Hasskommentaren ist hingegen nicht ersichtlich. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass auch im Internet der Grundsatz der freien Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert besitzt. Die Grenze zwischen erlaubter Meinungsäußerung und tatsächlich strafbaren Äußerungen ist fließend und muss daher im Einzelfall betrachtet werden. Anlassunabhängige Recherchen würden bei täglich Millionen von Kommentaren in den verschiedensten Sozialen Netzwerken einen unverhältnismäßig hohen Personalbedarf erfordern. Dazu kommt, dass es sich beim Großteil der möglichen strafrechtlich relevanten Sachverhalte um Antragsdelikte handelt (z. B. Beleidigung - §185 StGB), zu deren Verfolgung grundsätzlich ein Antrag der betroffenen Person nötig wäre. Neben der Täterermittlung wäre somit zunächst der/die vermeintlich Geschädigte zu ermitteln. Eine anschließende tatsächliche Strafantragsstellung wäre jedoch nicht gewiss. Bei behördlicher Feststellung von strafbaren Äußerungen bleibt weiterhin der Strafverfolgungszwang hiervon unberührt. Ein Löschen der Kommentare auf den Plattformen der Sozialen Netzwerke ist durch die Polizei bislang nicht möglich und kann nur durch den Seitenprovider selbst vorgenommen werden. Hier wird ein wesentlicher Handlungsraum zur Bekämpfung/Prävention dieses Phänomens in einer verbesserten Zusammenarbeit/Vernetzung von Polizei und Sicherheitsbehörden mit zivilgesellschaftlichen Akteuren als gesamtgesellschaftlicher Auftrag gesehen. Eine anlassunabhängige aktive Suche nach E-Mail-Inhalten ist faktisch nicht möglich und wäre zudem nicht gesetzeskonform. Zudem ist zu berücksichtigen, dass entsprechende Kommentare/E-Mails über eine Vielzahl von sogenannten Fake-Profilen abgesetzt werden und eine Identifizierung des verantwortlichen Users dadurch häufig erschwert wird bzw. gar nicht möglich ist. Dieser Umstand wird dadurch begünstigt, dass bei den Anbietern von sozialen Netzwerken/Internet-Service-Providern in der Regel keine Legitimation durch Echtpersonalien abschließend erforderlich ist. Beim Versand entsprechender E-Mails werden ferner häufig Anonymisierungsdienste benutzt, die eine Identifizierung des Absenders bewusst verhindern sollen. Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden mit den gängigen Sozialen Netzwerken, wie z. B. Facebook, in den letzten Jahren stark verbessert worden ist. Durch den regelmäßigen Austausch mit den Verantwortlichen der Sozialen Netzwerke wurden und werden bestehende Probleme erörtert und soweit (rechtlich/tatsächlich) möglich auch frühzeitig gelöst. 5. Wäre der Ansatz aus Hessen - Einrichtung einer Sonderkommission und/oder Task Force - auch für Niedersachsen sinnvoll? Analog zum Bundesland Hessen, welches im Mordfall des ehemaligen Regierungspräsidenten Herrn Dr. Lübcke eine Sonderkommission eingerichtet hat, würden auch in Niedersachsen ver- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4326 5 gleichbare Fälle in einer Moko bzw. Soko bearbeitet werden. Diesbezüglich haben sich die Verfahrensweisen in der polizeilichen Alltagsorganisation bewährt. Aktuell arbeitet die Polizei Niedersachsen daran, einheitliche Standards und Prozesse (einschließlich eventuell erforderlicher Organisationsanpassungen) zu prüfen und zu entwickeln, wie Mandatsträger und Personen des öffentlichen Lebens in Gefährdungs- bzw. Bedrohungslagen unmittelbar unterrichtet und mit festen Ansprechpartnern der Polizei in Kontakt gebracht werden können. Im ersten Schritt werden in Niedersachsen ab dem Spätsommer/Herbst 2019 landesweit Regionalkonferenzen zur Thematik „Sicherheit von Amts- und Mandatsträgern sowie Funktionsträgern des öffentlichen Lebens“ in allen Polizeidirektionen veranstaltet. Hiermit wird die Zielrichtung verfolgt, frühzeitig für Betroffene den Kontakt zur Polizei herzustellen, um sie mit Informationen und Handlungsempfehlungen zu sensibilisieren, gefährdungsrelevante Informationen frühzeitig zu detektieren und entsprechende Interventionsmaßnahmen initiieren zu können. (Verteilt am 13.08.2019) Drucksache 18/4326 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Hasskommentare im Internet Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 10.07.2019 - Drs. 18/4166 an die Staatskanzlei übersandt am 18.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 09.08.2019