Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4338 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Ein Anstieg der „vermeidbaren Sterblichkeit“ trotz steigender Gesundheitsausgaben? Anfrage er Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 19.07.2019 - Drs. 18/4225 an die Staatskanzlei übersandt am 23.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 12.08.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten In der 16. Sitzung diskutierte die Enquetekommission „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen - für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung“ über den Vortrag von Herrn Prof. Dr. Reinhard Busse. Laut Studien der Weltgesundheitsorganisation und dem Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes steigt in Deutschland wie auch in Niedersachen die „vermeidbare Sterblichkeitsrate“ seit 2015 erstmals wieder an. Verglichen mit den anderen EU-Top-15-Staaten läge Deutschland damit im oberen Drittel. Gleichzeitig gibt Deutschland mit 3 973 Euro pro Einwohner den höchsten Anteil des Bruttoinlandsprodukts innerhalb der Europäischen Union für die Gesundheitsversorgung aus. Vorbemerkung der Landesregierung Als vermeidbare werden solche Sterbefälle bezeichnet, die bei angemessener Krankheitsprävention oder Therapie hätten verhindert werden können. Dieser Indikator wird zur Beobachtung der Qualität und Effektivität der gesundheitlichen Versorgung und der Präventionspolitik eingesetzt. Er bezieht sich auf ausgewählte Todesursachen, die unter adäquaten Behandlungs- und Vorsorgebedingungen als vermeidbar für die jeweils betrachtete Altersgruppe gelten. Der Indikator reflektiert einerseits die Inanspruchnahme sowie die Qualität der medizinischen Diagnostik und Therapie. Andererseits kann die Effektivität von Maßnahmen der Primärprävention bewertet werden. Es gibt keine verbindliche Regelung für eine Diagnoseliste, die die Grundlage für die Berechnung der vermeidbaren Sterblichkeit darstellt. Daher liegen je nach Datenquelle unter Umständen unterschiedliche Listen zugrunde, was zu erheblichen Unterschieden in den Ergebnissen führen kann. Welche Diagnoseliste Anwendung findet, ist von vielen methodischen Überlegungen abhängig. So spielen der Erhebungszeitraum und die untersuchte Region eine erhebliche Rolle. Auch die jeweilige Situation der medizinischen Ressourcen sollte beachtet werden. Es gibt aber eine Reihe konkurrierender Ansätze bei der Definition vermeidbarer Sterblichkeit, die jeweils unterschiedliche Diagnoselisten für die Berechnung zugrunde legen, was eben zu erheblichen Unterschieden in den Ergebnissen führen kann. Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes nutzt eine Liste, die sich nach Vorschlägen des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen richtet: Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4338 2 Vermeidbare Sterbefälle (ICD 10) Liste nach Empfehlung des Sachverständigenrats für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Krankheitsart ICD 10 Alter Säuglingssterbefälle – alle Krankheiten - unter 1 Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten – Tuberkulose – Folgezustände der Tuberkulose A15 - A19 B90 5 - 64 5 - 64 Neubildungen – bösartige Neubildungen des Gebärmutterhalses (Cervix uteri) – Hodgkin-Krankheit (Lymphogranulomatose) C53 C81 5 - 64 5 - 34 Krankheiten des Kreislaufsystems – chronische rheumatische Herzkrankheiten – Bluthochdruck (Hypertonie) – Zerebrovaskuläre Krankheiten I05 - I09 I10 - I15 I60 - I69 5 - 44 5 - 64 5 - 64 Krankheiten des Verdauungssystems – Krankheiten der Appendix – Gallensteine, Gallenblase- und Gallengangentzündung K35 - K38 K80 - K83 5 - 64 5 - 64 Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett O00 - O99 15 - 49 1. Wie bewertet die Landesregierung den Anstieg der „vermeidbaren Sterblichkeit“ in Niedersachsen? Die im Vortrag von Herrn Prof. Dr. Reinhard Busse präsentierte Analyse basiert auf Erhebungen der WHO. Vergleichbare Daten der WHO auf der Ebene der Bundesländer liegen nicht vor. Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes geht von einer eigenen Methodik aus. Hiernach stellt sich die Entwicklung der vermeidbaren Sterblichkeit wie folgt dar: 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2016 Baden-Württemberg 27,7 22,5 20,3 16,5 13,8 9,8 9,3 9,0 9,7 Bayern 31,4 24,1 21,4 17,2 13,8 11,4 9,8 9,6 10,1 Berlin n.V. n.V. 26,8 21,2 15,6 15,0 12,4 11,5 12,0 Brandenburg n.V. n.V. 37,1 21,9 16,3 14,8 12,5 12,2 13,1 Bremen 36,0 23,5 20,5 19,0 18,0 15,4 11,4 12,4 10,8 Hamburg 27,5 21,7 18,4 15,5 12,5 12,2 11,3 11,1 8,8 Hessen 29,2 25,7 18,6 14,7 14,0 10,9 10,3 10,5 9,5 Mecklenburg-Vorp. n.V. n.V. 35,8 21,3 16,8 13,2 12,3 15,6 15,1 Niedersachsen 30,6 24,8 21,1 16,9 16,0 12,6 11,0 11,7 12,7 Nordrhein-Westfalen 34,7 27,9 23,5 20,8 16,0 13,0 10,8 10,9 11,1 Rheinland-Pfalz 35,9 29,8 25,5 18,2 16,7 13,0 11,8 11,5 11,8 Saarland 40,8 33,9 24,8 21,5 16,2 14,3 13,0 12,8 15,3 Sachsen n.V. n.V. 36,0 20,9 16,9 12,6 10,8 15,3 13,6 Sachsen-Anhalt n.V. n.V. 40,7 23,1 18,6 16,2 14,8 15,9 16,1 Schleswig-Holstein 26,8 22,2 20,0 15,5 14,7 11,8 9,2 9,4 9,8 Thüringen n.V. n.V. 34,6 20,4 15,4 13,1 11,9 12,2 11,3 Deutschland 34,9 29,5 24,7 18,6 15,3 12,4 10,8 11,1 11,2 Die vermeidbare Sterblichkeit ist in Niedersachsen bis 2010 kontinuierlich zurückgegangen, in den Jahren 2015 und 2016 ist sie, wie in der überwiegenden Zahl der anderen Bundesländer auch, moderat angestiegen. Die Landesregierung ist jedoch der Auffassung, dass aus aggregierten Daten zur vermeidbaren Sterblichkeit keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Effizienz des niedersäch- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4338 3 sischen Gesundheitssystems erfolgen können, da hier eine Vielzahl von Einflüssen zusammenwirkt . 2. Sieht die Landesregierung in diesem Anstieg die Patientensicherheit gefährdet? Die Landesregierung sieht in diesem moderaten Anstieg die Patientensicherheit nicht gefährdet. 3. Könnten die Lösungsvorschläge aus der kürzlich veröffentlichen Studie der Bertelsmann Stiftung helfen, Patientensicherheit und Effizienz zu steigern? Die von der Bertelsmann Stiftung kürzlich veröffentlichte Studie enthält mit Ausnahme des pauschalen Vorschlages der Vorhaltung nur noch von Krankenhäusern der Regel- und Maximalversorgung keine konkreten Lösungsvorschläge, die helfen, die Sicherheit von Patientinnen bzw. Patienten und die Effizienz der Behandlung zu steigern. Insbesondere lässt die genannte Studie konkrete Vorschläge vermissen, wie einerseits in einem solchen Modell eine gut erreichbare Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen sichergestellt werden sowie andererseits dieser Konzentrationsprozess in Anbetracht der geltenden bundesrechtlichen Rahmenbedingungen, die auf Eigenständigkeit der Krankenhausträger, Trägervielfalt und Wettbewerb abzielen, umgesetzt werden kann. 4. Welche weiteren Maßnahmen plant die Landesregierung, um diesen Sachverhalt zu verbessern? Die Sicherstellung einer zukunftsfähigen und gut erreichbaren Krankenhausversorgung ist ein vorrangiges Ziel der Landesregierung. Der Vortrag von Herrn Prof. Dr. Reinhard Busse und die Studie der Bertelsmann Stiftung brachten keinen großen Erkenntnisgewinn, zumal dort erneut Fragen der Realisierungsoptionen bei den geltenden, auf Wettbewerb ausgelegten bundesrechtlichen Rahmenbedingungen unbeantwortet blieben. Ein Umbau der Krankenhauslandschaft ist aufgrund der rechtlichen Stellung selbständiger Krankenhausträger und der begrenzt zur Verfügung stehenden Haushaltmittel für Krankenhausinvestitionen nur sukzessive möglich. Projekte zur Zusammenlegung von Krankenhäusern erfordern jeweils Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe. Nur durch die Erhöhung der Landesmittel für Krankenhausinvestitionen auf insgesamt rund 1 Milliarde Euro bis zum Jahr 2022 wurde ermöglicht, dass absehbar weitere Zusammenlegungen von Krankenhausstandorten realisiert werden können. Neben diesen Fusionen wird die Landesregierung Standorte mit Spezialisierungen, Kooperationen und abgestimmten Schwerpunktbildungen gezielt fördern. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in Niedersachsen ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Die Landesregierung unterstützt die KVN bei der Umsetzung dieser Aufgabe, um das gemeinsame Ziel einer möglichst bedarfsorientierten Versorgung der Patientinnen und Patienten zu erreichen. Dies geschieht u. a. auf der Grundlage einer gemeinsamen Erklärung vom 15.05.2015 zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land, die eine langfristig angelegte „Strategische Partnerschaft“ begründet. In diesem Zusammenhang sind bereits verschiedene Fördermaßnahmen des Landes auf den Weg gebracht worden (Stipendienprogramm von Medizinstudentinnen/ Medizinstudenten, Förderung von Medizinstudentinnen/ Medizinstudenten des Wahlfaches „Allgemeinmedizin“ im Praktischen Jahr (PJ) des Medizinstudiums). Gesundheitsregionen Niedersachsen (Landesmittel bis zu 600 000 Euro p.a.). Derzeit wird zudem geprüft, wie ein Modell „Quereinstieg Allgemeinmedizin“ für Niedersachsen eingeführt werden kann, um Fachärztinnen und Fachärzten bei einer Weiterbildung oder Qualifikation zur Hausärztin bzw. zum Hausarzt finanziell zu unterstützen. Letztlich besteht über die von der Landesregierung initiierten Gesundheitsregionen Niedersachsen die Möglichkeit, aufgrund spezieller regionaler Erkenntnisse passgenaue Projekte und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4338 4 Neben einer hochwertigen Gesundheitsversorgung ist ein weiteres Ziel der Landesregierung, eine bessere Lebensqualität für alle Menschen in Niedersachen zu ermöglichen. Dazu sind Gesundheitsförderung und Prävention in jedem Lebensalter ein wichtiger Baustein. Über die Beeinflussung des individuellen Gesundheitsverhaltens hinaus geht es vor allem auch um die Gestaltung gesundheitsfördernder Lebenswelten, der sogenannten Settings. Gesundheitsförderung setzt darauf, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Niedersachsen verfügt bereits über zahlreiche gute Praxisbeispiele zur Umsetzung von Gesundheitsförderung und Prävention. Hervorzuheben sind z. B. Aktivitäten der Landesregierung zur Sicherheit in der Hebammenversorgung . Durch einen von der Landesregierung initiierten Runden Tisch werden Vorschläge und Umsetzungsmaßnahmen erarbeitet. So soll die Anzahl der Auszubildenden bzw. Studentinnen in der geplanten Umstellung auf die Akademisierung mindestens stabil gehalten werden. Aktivitäten vor Ort werden unterstützt, Hebammenzentrale einzurichten und darüber die zur Verfügung stehenden Hebammenkapazitäten vollständig und effektiv zu nutzen, um den schwangeren Frauen eine Hebamme zu vermitteln. Dies erfordert eine gute Zusammenarbeit und sinnvolle Verknüpfung der Angebote auf Landesebene und der kommunalen Ebene. Beispielhaft ist auch die Einrichtung eines Zentrums für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen (ZEHN) hervorzuheben. Die Landesregierung möchte damit das Bewusstsein für gesunde Ernährung , Alltagskompetenzen und Hauswirtschaft nachhaltig stärken. (Verteilt am 14.08.2019) Drucksache 18/4338 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Ein Anstieg der „vermeidbaren Sterblichkeit“ trotz steigender Gesundheitsausgaben? Anfrage er Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), ein-gegangen am 19.07.2019 - Drs. 18/4225 an die Staatskanzlei übersandt am 23.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 12.08.2019