Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4467 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Offene Haftbefehle in Niedersachsen (Teil 2) Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 25.07.2019 - Drs. 18/4255 an die Staatskanzlei übersandt am 30.07.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 30.08.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Die HAZ berichtete am 15.07.2019 unter der Überschrift „Polizei im Land sucht 15 000 Menschen per Haftbefehl“, dass nach 15 336 Personen derzeit in Niedersachsen gesucht werde, weil ein Haftbefehl gegen sie vorliege. Allein im Bereich der Polizeidirektion Hannover beträfe das 2 902 Menschen . Mit der Drucksache 19/2914 antwortete die Bundesregierung auf Frage 1 der Kleinen Anfrage „Nicht vollstreckte Haftbefehle als Gefahr für die innere Sicherheit 2018“, dass es in Niedersachsen zum Stichtag 31.03.2018 13 847 nicht vollstreckte Haftbefehle gebe. Mit der Drucksache 18/2856 antwortete die Landesregierung auf die Anfrage „Offene Haftbefehle in Niedersachsen“ in der Vorbemerkung wie folgt: „Sogenannte örtliche, lokal bearbeitete Haftbefehle liegen bei örtlich zuständigen Polizeidienststellen vor und werden auf Bitten der Justiz und aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur ausnahmsweise elektronisch zur Fahndungsausschreibung in den vorgenannten Fahndungshilfsmitteln erfasst.“ Laut Beantwortung der Frage 4 sind durch die Polizei Niedersachsen zum Stichtag 21.01.2019 mit dem Anlass Straftat, Strafvollstreckung, Unterbringung oder Ausweisung/Zurückschiebung und dem Zweck „Festnahme“ oder „Festnahme aufgrund eines Haftbefehls/Unterbringungsbefehls/Abschiebehaftbeschluss /Zurückschiebungsverfügung“ etwa 16 000 Personen erfasst. Vorbemerkung der Landesregierung Bei den in der Vorbemerkung des Abgeordneten genannten Zahlen handelt es sich um Ausschreibungen zur Festnahme, sogenannte Fahndungsnotierungen, die sowohl aufgrund bestehender Haftbefehle durch die Staatsanwaltschaften als auch aufgrund bestehender Zurückweisungsverfügungen durch die Ausländerbehörden jeweils in Amtshilfe durch die Polizei in das Polizeiliche Auskunftssystem (POLAS) als Fahndungshilfsmittel eingestellt werden. Somit liegt nicht jeder Ausschreibung ein „offener“ Haftbefehl zugrunde. Jede Ausschreibung ist mit einer individuellen, rechtlich vorgegebenen Frist zu speichern. Ausschreibungen werden gelöscht, wenn sich die Fahndung aufgrund einer Festnahme oder eines Fristablaufes erledigt hat. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4467 2 1. In dem Zeitraum zwischen dem 31.03.2018 und dem 21.01.2019 ist die Zahl der offenen Haftbefehle um mindestens 1 489 gestiegen. Wie erklärt sich die Landesregierung diesen Anstieg? Unter Hinweis auf die Vorbemerkung der Landesregierung ist zu betonen, dass im Zusammenhang mit sogenannten Fahndungsnotierungen, denen ein Haftbefehl zugrunde liegen kann, durchgeführte Recherchen immer nur den Sachstand zum Zeitpunkt der Abfrage abbilden. Die erhobenen Zahlen unterliegen regelmäßigen, täglichen Schwankungen, die in einem dynamischen System durchaus als normal betrachtet werden müssen. Neben diesen Schwankungen werden darüber hinaus im niedersächsischen Fahndungssystem POLAS auch Ausschreibungen von Staatsanwaltschaften außerhalb Niedersachsens abgebildet. Ist eine Person beispielsweise aus einem polizeilich relevanten Grund von einem Bundesland sowohl im jeweiligen Landessystem (hier POLAS) als auch im zentralen System des Bundes (INPOL) erfasst und wird von einem Bundesland zur gleichen Person eine Fahndungsnotierung in das Bundessystem eingestellt, dann „schlägt“ diese Fahndungsnotierung auch in den Ländersystemen durch, die diese Person auch in das Zentralsystem eingestellt haben. Insofern könnte eine Fahndungsnotierung zu einer Person auf Bundesebene mehrfach gezählt werden, wenn die Ländersysteme separat angefragt werden. Auch den Vorbemerkungen des Abgeordneten dürften entsprechende Schwankungen/Abweichungen zu entnehmen sein. So erfolgte seitens der Bundesregierung für die Beantwortung der Frage 1 der Drucksache 19/2914 zum Stichtag 31.03.2018 eine Abfrage im bundesweiten Polizeilichen Informationssystem (INPOL-Zentral), das u. a. aus den polizeilichen Auskunftssystemen der Bundesländer gespeist wird. Zum Stichtag 21.01.2019 erfolgte für die Beantwortung der Frage 4 der Drucksache 18/2856 eine Abfrage im landesweiten polizeilichen Auskunftssystem POLAS. In diesem Zeitraum ist eine Steigerung um etwa 2 153 Fahndungsnotierungen zu verzeichnen. Zum Stichtag 09.07.2019 erfolgte für den Artikel der HAZ vom 15.07.2019 eine Abfrage im landesweiten polizeilichen Auskunftssystem POLAS. Im Zeitraum vom 21.01.2019 bis zum 09.07.2019 ist wiederum ein Rückgang um etwa 664 Fahndungsnotierungen erkennbar. 2. Was unternimmt die Landesregierung, um diese Zahl der offenen Haftbefehle zu reduzieren ? Unter Hinweis auf die Drucksache 18/2856, dortige Antwort zu Frage 7, ist für den Bereich der Polizei Niedersachsen festzuhalten, dass Fahndung ein wesentlicher Bestandteil der polizeilichen Aufgabenerfüllung und auch ohne besonderen Auftrag eine Aufgabe jeder Polizeibeamtin und jedes Polizeibeamten ist. Die Organisation der Polizei Niedersachsen sieht in allen Polizeiinspektionen - unabhängig von allgemeinen und gezielten Fahndungsaufgaben aller Dienststellen - Fahndungsdienststellen vor. Folglich wird gewährleistet, dass alle eingehenden Ausschreibungsersuchen, denen ein Haftbefehl zugrunde liegt, in den jeweils zuständigen Inspektionen einer entsprechenden Sachbearbeitung zugeführt werden. Darüber hinaus erfolgt bei niedersächsischen Ausschreibungen, die aufgrund des Deliktes auch international ausgeschrieben werden sollen, regelmäßig durch das Landeskriminalamt Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der zuständigen Zentralen Kriminalinspektion eine Prüfung auf Zielfahndungsrelevanz. Ist diese nicht gegeben, werden die zuständigen Polizeiinspektionen auch hier zuständig. Neben der Prüfung auf Zielfahndungsrelevanz bei internationalen Ausschreibungen findet eine regelmäßige Priorisierung von Ausschreibungen mit Bezug zur politisch motivierten Kriminalität statt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4467 3 3. Wie vielen der offenen Haftbefehle liegt eine Straftat zugrunde, die sich a) gegen das Leben, b) gegen die körperliche Unversehrtheit, c) gegen die persönliche Freiheit, d) gegen die sexuelle Selbstbestimmung, richtete? Bei der vom Landeskriminalamt Niedersachsen erhobenen Zahl handelt es sich nicht um Haftbefehle , sondern um sogenannte Fahndungsnotierungen, denen ein Haftbefehl zugrunde liegen kann. Dem Bereich Straftat als einem möglichen Anlass zur Fahndungsausschreibung liegen Untersuchungshaftbefehle zugrunde. Mit Stand 12.08.2019 wurden durch das Landeskriminalamt Niedersachsen für diesen Bereich 3 195 Fahndungsnotierungen gemeldet. Eine weitere Selektion des Bereichs Straftaten nach den angefragten Buchstaben a) bis d) würde eine aufwändige und personalintensive manuelle Recherche erfordern, die aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit nicht dargestellt werden kann. Eine entsprechende Selektion müsste über alle in den jeweiligen Abschnitten des StGB enthaltenen Straftatbeständen einzeln erfolgen. Die Veranlassung einer entsprechenden Auswertung würde daher das zur Beantwortung dieser Kleinen Anfrage Zumutbare und Leistbare übersteigen. 4. Warum werden nicht alle Haftbefehle elektronisch zur Fahndungsausschreibung erfasst , bzw. nach welchen Kriterien erfolgt das nur ausnahmsweise? POLAS dient u. a. dem Nachweis und der Auskunft über Personen, die zur Fahndung ausgeschrieben sind, und ist somit ein Fahndungshilfsmittel. Erlassene Haftbefehle sind auf unterschiedliche Normen, u. a. der Strafprozessordnung und der Zivilprozessordnung, zurückzuführen. Mit Blick auf die unterschiedlichen rechtlichen Möglichkeiten, freiheitsentziehende Maßnahmen durchzuführen, erfolgt keine generelle Erfassung im System POLAS. Entsprechend der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entscheidet diese über Fahndungsmaßnahmen im Einzelfall. Dazu enthalten die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) entsprechende Regelungen u. a. auch zu Fahndungshilfsmitteln (vgl. Nr. 40 ff. RiStBV). Alle bei der Polizei eingehenden Anträge auf Ausschreibung im Fahndungshilfsmittel POLAS werden ebenfalls im Landeskriminalamt Niedersachsen gespeichert. 5. Sieht die Landesregierung aufgrund der Anzahl der offenen Haftbefehle und der kontinuierlichen Steigung eine Gefahr für die innere Sicherheit und Ordnung? Die Kriminalität ist laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 in den meisten Kriminalitätsbereichen im Jahr 2018 erneut zurückgegangen - in vielen Deliktsfeldern auf den niedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre. Die Aufklärungsquote ist im Jahr 2018 erneut gestiegen und liegt mit 62,8 % auf dem höchsten Stand seit dem Jahr 2010. Einem „offenen“ Haftbefehl kann eine Täterermittlung zugrunde liegen. Aus diesem Grund kann eine Erhöhung der Aufklärungsquote auch mit einer Erhöhung von erlassenen Haftbefehlen einhergehen . Werden bei polizeilichen Fahndungsmaßnahmen Erkenntnisse gewonnen, die darauf hindeuten, dass sich die Person nicht mehr in Deutschland aufhält, sind in der Regel hier keine weiteren Maßnahmen der Polizei möglich. In diesen Fällen entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Einleitung einer internationalen Fahndung. Die Fahndung bleibt somit im System gespeichert. Eine Ausschreibung zur Ausweisung erfolgt ebenfalls nach erfolgter Abschiebung der Person gerade auch, um die Wiedereinreise zu verhindern. (Verteilt am 03.09.2019) Drucksache 18/4467 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Offene Haftbefehle in Niedersachsen (Teil 2)