Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Sylvia Bruns (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Beschwerden gegen Jugendämter in Niedersachsen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Sylvia Bruns (FDP), eingegangen am 09.08.2019 - Drs. 18/4334 an die Staatskanzlei übersandt am 13.08.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 16.09.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten In dem Newsletter „JiN - Jugendhilfe in Niedersachsen“ wurde in der Ausgabe 03/2017 ein Artikel mit der Überschrift „Das Landesjugendamt als Beschwerdestelle“ veröffentlicht. Darin wird beschrieben , dass die Funktion von Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe seit Langem fachliches Diskussionsthema sei. Der Niedersächsische Landtag habe mit dem Beschluss über die Einrichtung einer Niedersächsischen Kinderkommission dieser ebenfalls ombudschaftliche Aufgaben übertragen, die aber noch ausgestaltet werden müssten. Im derzeit im Bundesrat anhängigen Gesetz zur Reform des SGB VIII, dem „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG“, solle in § 9 a den örtlichen Trägern die Möglichkeit der Einrichtung von Ombudstellen gegeben werden. Wenig bis gar nicht bekannt sei hingegen, dass es bereits seit Jahren ein Beschwerdesystem auf Landesebene gebe, welches Teile dieser ombudschaftlichen Aufgaben wahrnehme. Jedem Bürger und jeder Bürgerin stehe das Recht zu, sich mit einer Eingabe an den Landtag zu wenden, sich über Behördenhandeln zu beschweren und Abhilfe zu begehren. So stehe es im Artikel 26 der Niedersächsischen Landesverfassung . Laut § 51 der Geschäftsordnung des Landtages könne dazu eine Stellungnahme des zuständigen Fachministeriums eingeholt werden (https://soziales.niedersachsen. de/startseite/kin der_jugend_familie/landesjugendamt/newsletter_jin/newsletter_03_2017/das-landesjugendamt-alsbeschwerdestelle -157629.html). Vorbemerkung der Landesregierung Eine besondere Form der Beschwerde ist die Petition, die sich an das Parlament wendet. Nacht Artikel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. In Niedersachsen obliegt die Behandlung der an die Volksvertretung gerichteten Bitten und Beschwerden als Beschwerdesystem auf Landesebene dem Landtag, der sich zur Vorbereitung des nach der Geschäftsordnung zuständigen Ausschusses (grundsätzlich der Petitionsausschuss) bedient . Der Vorsitzende des Petitionsausschusses entscheidet darüber, ob eine Stellungnahme des Fachministeriums eingeholt werden soll. Wenn eine Stellungnahme erforderlich ist, übersendet die Präsidentin des Niedersächsischen Landtages - Landtagsverwaltung - die Petition mit der Bitte um Überprüfung und Stellungnahme im Falle der Kinder- und Jugendhilfe an die zuständigen obersten Landesjugendbehörden. Im Regelfall wird das betroffene Jugendamt über den überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe um Stellungnahme zu den in der Petition erhobenen Anliegen oder Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 2 Vorwürfen gebeten. Das Ergebnis fließt in die Stellungnahme der obersten Landesjugendbehörde an die Landtagsverwaltung ein. Die Stellungnahme des Fachministeriums wird zusammen mit der Eingabe im Petitionsausschuss erörtert. Der Petitionsausschuss schließt die Beratung der Eingabe mit einer Empfehlung ab, über die der Landtag beschließt und die Petentin bzw. den Petenten abschließend informiert. Dementsprechend wurde die Landtagsverwaltung zur Beantwortung der Fragen 1 und 3 um Stellungnahme gebeten. Zur Beantwortung der Fragen 2 und 7 wurden die niedersächsischen Jugendämter im Rahmen ihrer Dienst- und Personalhoheit mithilfe eines Rückmeldebogens befragt. Es lagen bis zum 28.08.2019 40 verwertbare Rückmeldungen der Jugendämter vor. Über sonstige Beschwerden über Jugendämter, die Bürgerinnen und Bürger direkt an die jeweils zuständigen obersten Landesjugendbehörden oder den überörtlichen Jugendhilfeträger richten - sei es schriftlich, telefonisch oder im Einzelfall auch persönlich -, liegen keine statistischen Erhebungen vor. 1. Wie oft wurde das Beschwerdesystem auf Landesebene in den Jahren 2016, 2017, 2018 und in der ersten Jahreshälfte 2019 genutzt? Die im elektronischen Petitionsbearbeitungssystem vorgenommene Auswertung hinsichtlich der Landtagseingaben, die sich im Geschäftsbereich des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und des Kultusministeriums gegen niedersächsische Jugendämter richteten und zu denen jeweils eine Stellungnahme bei diesen erbeten wurde, ergab im Rahmen der Nutzung des Beschwerdesystems auf Landesebene folgende Fallzahlen: 2016 2017 2018 1. Hj. 2019 Geschäftsbereich Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung 4 5 2 3 Kultusministerium 5 8 8 0 2. Wurden aufgrund der Ergebnisse solcher Beschwerdeverfahren auch schon Jugendamtsmitarbeiter entlassen, abgemahnt oder Disziplinarverfahren eingeleitet? Falls nein, was geschieht mit den Jugendamtsmitarbeitern, welche fehlerhaft gearbeitet haben? Keines der Jugendämter, das sich an der Umfrage beteiligt hat, hat aufgrund von Landtagseingaben (Petitionen), zu denen das Jugendamt durch die obersten niedersächsischen Landesjugendbehörden (Kultusministerium oder Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung) oder durch den überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe (Niedersächsisches Landesjugendamt) um Stellungnahme gebeten wurden, dienstrechtliche bzw. arbeitsrechtliche Konsequenzen im Wege der Entlassung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters, der Abmahnung oder von Disziplinarmaßnahmen eingeleitet. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe prüfen grundsätzlich im Rahmen der kommunalen Dienstund Personalhoheit, ob eine Beschwerde aufgrund eines Fehlverhaltens der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Jugendamtes im konkreten Einzelfall begründet sein könnte. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werde geprüft, ob dienstrechtliche oder arbeitsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Die Jugendämter weisen in ihren Rückmeldungen darauf hin, dass bei fehlerhaftem Verhalten zunächst die Zielrichtung besteht, die Ursache für das Fehlverhalten festzustellen, um Maßnahmen einzuleiten, die künftiges Fehlverhalten ausschließen. Hierzu gehörten beispielsweise Anhörung der Betroffenen, Prüfung und Wertung durch eine neutrale Stelle, Besprechung mit vorgesetzten Leitungskräften mit dem Ziel der nachhaltigen Vermeidung von fehlerhaften Arbeitsweisen und Einhaltung bestimmter Arbeitsstandards. Der jeweilige Sachverhalt werde beispielsweise reflektiert, fehlerhafte Vorgehensweisen, Einschätzungen und eingeleitete Hilfen würden herausgearbeitet, um alternative Handlungsmöglichkeiten und Lösungswege aufzuzeigen. Zum Teil würden Zielvereinbarungen und Fehleranalysen im Rahmen von Mitarbeitendengesprächen getroffen, Supervisionen, Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 3 Coaching und gezielte Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen oder Personalentwicklungsmaßnahmen eingeleitet und die Akten verstärkt kontrolliert. 3. Wie lange dauert der Prozess des Beschwerdeverfahrens im Wege des Beschwerdesystems auf Landesebene durchschnittlich? Im Regelfall werden die an den Landtag gerichteten Eingaben innerhalb von vier bis sechs Monaten abschließend parlamentarisch geprüft. Diese Bearbeitungszeit entspricht insofern auch der Regelung des § 51 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Landtages. Demnach soll der Petitionsausschuss seine Beschlussempfehlung so rechtzeitig vorlegen, dass der Landtag über die Eingabe innerhalb von höchstens sechs Monaten nach Eingang abschließend beschließen kann. 4. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf zur Einführung eines vereinfachten und schnellen Beschwerdesystems? Wenn nein, warum nicht? Trotz formloser (Gegenvorstellung, Petition, Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde) sowie formeller (Verwaltungsgerichtsverfahren) Rechtsbehelfe gegen jugendamtliche Entscheidungen wird die ombudschaftliche Vermittlung im Vorfeld dieser Handlungsoptionen in der Kinder- und Jugendhilfe fachlich als sinnvoll angesehen. Im Bereich der erzieherischen Hilfen gibt es bei stationärer Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familien bereits jetzt etablierte Beschwerdemöglichkeiten, da diese gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII zur Voraussetzung für die Betriebserlaubniserteilung für Einrichtungen erklärt sind. Für die ambulanten erzieherischen Hilfen sowie die anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe können Beschwerde- und Ombudschaftsverfahren als Einzelfallberatung nur nachhaltig wirksam und gewinnbringend erfolgreich sein, wenn sie auf kommunaler Ebene implementiert sind. So muss es sich um schnell erreichbare Ombudsstellen für die örtlichen Hilfeprozesse handeln, also um ortsnahe Einrichtungen, die mit Akzeptanz und Autorität in die örtlichen Strukturen eingebunden sind. In der vergangenen Legislaturperiode hat das BMFSFJ einen Gesetzentwurf zur Reform der Kinder - und Jugendhilfe auf den Weg gebracht. Das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG) wurde vom Bundestag zwar am 29.06.2017 beschlossen, vom Bundesrat jedoch am 22.09.2017 von der Tagesordnung abgesetzt. Unter § 9 a SGB VIII des KJSG war folgende Formulierung vorgesehen: „Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann eine Ombudsstelle oder vergleichbare Strukturen errichten , an die sich junge Menschen und ihre Familien zur allgemeinen Beratung sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe wenden können. Ombudsstellen oder vergleichbare Strukturen arbeiten unabhängig und sind fachlich nicht weisungsgebunden.“ Voraussichtlich Anfang 2020 wird erneut ein Gesetzentwurf zur Reform des SGB VIII vorgelegt, zu dem sich auch Niedersachsen in die rechtliche Ausgestaltung ombudschaftlicher Elemente einbringen wird. 5. Wann wird damit gerechnet, dass die eingerichtete niedersächsische Kinderkommission ombudschaftliche Aufgaben übernimmt? Auf Grundlage des Landtagsbeschlusses vom 17.09.2015 (Drs. 17/4196) wurde die niedersächsische Kinderkommission mit dem Ziel eingerichtet, die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen weiter zu stärken und den Schutz von Kindern als zentrale Aufgabe der Gesellschaft zu unterstützen. Als weiterer Baustein der Fachlichkeit und Struktur junger Menschen sollte sie auch als „Beschwerde- und Ombudsstelle“ fungieren. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 4 Nach ihrer Konstituierung am 06.12.2016 stimmten sich die Mitglieder der Kinderkommission über die zu behandelnden Arbeitsbereiche ab. Bis zum Ende der 17. Legislaturperiode war die Beteiligung junger Menschen das Schwerpunktthema der Kinderkommission. Mit dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buchs des Sozialgesetzbuches (Nds. AG SGB VIII) hat der Landtag in seiner Sitzung am 19.06.2018 die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung der Niedersächsischen Kinder- und Jugendkommission geschaffen. Primäre Aufgabe der Kommission ist, sich für die Belange von Kindern und Jugendlichen , insbesondere für deren gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit, für deren Schutz und Rechte sowie für die Weiterentwicklung politischer Beteiligungsmöglichkeiten einzusetzen . Ombudschaftliche Aufgaben für die Kinder- und Jugendkommission hat der Gesetzgeber in den eingefügten § 16 d nicht aufgenommen. 6. Wie beurteilt die Landesregierung, dass es über die örtlichen Jugendämter keine Fachund Rechtsaufsicht durch das Landesjugendamt gibt? Wird hier Handlungsbedarf gesehen ? Die Jugendämter nehmen als Behörden kommunaler Verwaltung die Aufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf der Grundlage des SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe - wahr. Sie führen diese Aufgaben im Rahmen der in Artikel 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung im eigenen Wirkungskreis, nicht als Auftragsangelegenheit aus. Die Festlegung über die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung hat Niedersachsen in § 1 Abs. 1 AG SGB VIII zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung geregelt. Als Teil der öffentlichen Fürsorge prägt die Kinder- und Jugendhilfe das Bild der gemeindlichen Selbstverwaltung entscheidend. Die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe stellen Aufgaben dar, die „in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbstständig bewältigt werden können“ (BVerfGE 8, 122,134). Die niedersächsischen Landkreise und kreisfreien Städte unterliegen zwar der staatlichen Aufsicht, diese ist aber auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns (Rechtsaufsicht /Kommunalaufsicht) beschränkt, die in Abstimmung zwischen dem Sozialministerium als Fachressort und dem Innenministerium wahrgenommen wird. Nach einer im Frühjahr 2018 durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg durchgeführten Länderumfrage verfügt die Mehrzahl der Länder über keine Fachaufsicht in der Kinder- und Jugendhilfe, anders bei den Stadtstaaten. Die Landesregierung beabsichtigt für Niedersachsen keine Änderung. 7. Jugendämter sind auch fester Bestandteil von Kindschaftsverfahren im Familienrecht und haben eine Mitwirkungspflicht. Die Jugendämter haben nach § 50 SGB VIII die Aufgabe, das Familiengericht bei allen Maßnahmen , die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen, zu unterstützen. 7. a) Müssen die Jugendamtsmitarbeiter in Niedersachsen über eine gewisse Berufserfahrung bzw. bestimmte Qualifikation verfügen, bevor sie an gerichtlichen Verfahren mitwirken ? Es haben 23 der Jugendämter, die an der Umfrage teilgenommen haben, angegeben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter über gewisse Berufserfahrung verfügen müssen, bevor sie an gerichtlichen Verfahren mitwirken. 16 Jugendämter haben die Frage mit „nein“ beantwortet . Ein Jugendamt hat zu dieser Frage angegeben, dass Fachkräfte, die über keine oder nur geringe Berufserfahrung im gerichtlichen Verfahren verfügen, dem Mehraugenprinzip unterlägen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 5 Mangelnde und gegebenenfalls fehlende Berufserfahrung werde in der Regel durch mehrmonatige, begleitete strukturierte Einarbeitungsphasen und kollegiale Unterstützung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen („Tandems“ oder „Mentorensystem“) ausgeglichen. Ein Jugendamt teilte mit, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Jugendamt neu beginnen, ein festgeschriebenes Einarbeitungskonzept durchliefen. In den Anfängen würden sie hierbei durch eine feste Ansprechpartnerin oder einen festen Ansprechpartner unterstützt. Dazu gehöre auch, dass die neuen Fachkräfte durch erfahrene Kräfte zu deren Terminen begleitet werden. Die Wahrnehmung der eigenen Gerichtstermine erfolge zu Beginn im Tandem mit einer erfahrenen Kraft. Erst nachdem durch die verschiedenen Maßnahmen ausreichend Sicherheit vorhanden sei, erfolge die alleinige Wahrnehmung von Gerichtsterminen. Je nach Verfahren würden die vor Gericht zu vertretenen Positionen auch durch das Vier-Augen-Prinzip bzw. durch kollegiale Beratungen abgesichert. Es haben 33 Jugendämter, die an der Umfrage teilgenommen haben, angegeben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter über eine bestimmte Qualifikation verfügen müssen, bevor sie an gerichtlichen Verfahren mitwirken. Sieben Jugendämter haben diese Frage mit „nein“ beantwortet. Als bestimmte Qualifikation wurden beispielsweise genannt die staatliche Anerkennung als Sozialarbeiterin bzw. Sozialarbeiter oder Sozialpädagogin bzw. Sozialpädagoge (Dipl. oder BA). Neben der ausbildungsspezifischen Qualifikation gaben einige Jugendämter an, regelmäßig (zum Teil verpflichtende) Fortbildungsangebote anzubieten, neue Kolleginnen und Kollegen einzuarbeiten und kollegial zu begleiten. 7. b) Haben Jugendamtsmitarbeiter in Niedersachsen, die Gerichtsverfahren begleiten, Grundkenntnisse des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts? Es haben 39 Jugendämter angegeben, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Gerichtsverfahren begleiten, Grundkenntnisse im Kindschaftsverfahrensrecht haben müssen. Ein Jugendamt hat diese Frage mit „nein“ beantwortet. 37 Jugendämter haben mitgeteilt, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Gerichtsverfahren begleiten, über Grundkenntnisse im materiellen Familienrecht verfügen müssen. Drei Jugendämter haben diese Frage mit „nein“ beantwortet. 7. c) Gibt es bei Unstimmigkeiten für Kinder die Möglichkeit, den zuständigen Mitarbeiter des Jugendamts (auch im laufenden Verfahren) zu wechseln? Der Wechsel der zuständigen Mitarbeiterin oder des zuständigen Mitarbeiters ist im Regelfall auf absolute Ausnahmen im Einzelfall beschränkt. Es haben 31 Jugendämter erklärt, dass ein Wechsel ausnahmsweise ermöglicht werde. Sechs Jugendämter beantworteten diese Frage mit nein. Drei Jugendämter haben diese Frage vom Grundsatz her zwar mit „nein“ beantwortet, aber darauf hingewiesen , dass ein Wechseln nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sei. Aus den Rückmeldungen der Jugendämter ist ersichtlich, dass ein Wechsel nur ausnahmsweise dann ermöglicht wird, wenn ein begründeter Einzelfall vorliegt. Dieses könne beispielsweise dann der Fall sein, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, eine sehr tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses vorliegt, die persönliche Belastungsgrenze der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters erreicht ist und sich auf das fachliche Handeln auswirkt, die Zuständigen bedroht werden, Befangenheit gegeben ist oder das persönliche Verhalten der Fachkraft für den Wechsel Anlass gibt. Auf „einfachen Wunsch“ der Beteiligten, um möglichen unliebsamen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen, oder lediglich aufgrund von Unstimmigkeiten würde kein Zuständigkeitswechsel vorgenommen . Ein Zuständigkeitswechsel erfolgt im Regelfall aufgrund einer Leitungsentscheidung. 8. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf in Bezug auf die Qualifikation der Jugendamtsmitarbeiter ? Fort- und Weiterbildung ist nicht nur für die Fachkräfte der Jugendämter eine lebenslange Aufgabe. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter - wie alle berufstätigen Menschen auch - sind Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4600 6 grundsätzlich gefordert, ihre Qualifikation den sich permanent ändernden Verhältnissen und Herausforderungen anzupassen. Zu den wichtigsten Aufgaben der Landesjugendämter gehören die Beratung der örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe (§ 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) und die Fortbildung der Fachkräfte (§ 85 Abs. 2 Nr. 8 SGB VIII). In § 72 SGB VIII ist das sogenannte Fachkräftegebot für die Durchführung der Fachaufgaben der Jugendämter und der Landesjugendämter verankert. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen nur Personen beschäftigen, „die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben.“ (§ 72 Satz 1 SGB VIII). Fast 90 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den sozialen Diensten der Jugendämter in den westdeutschen Bundesländern sind Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen bzw. Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung (s. „Monitor Hilfen zur Erziehung 2016“, S. 45). Vor dem Hintergrund der immensen Breite des Berufsfeldes der Sozialen Arbeit ist nicht davon auszugehen, dass Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen der Sozialen Arbeit immer mit einem klar umrissenen Qualifikationsprofil für das Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe in den Jugendämtern Aufnahme finden. Das Niedersächsische Landesjugendamt hält ständig ein Angebot an speziellen arbeitsfeldbezogenen Fortbildungen vor. Aktuell ist beispielsweise eine mehrmodulige Fortbildungsreihe „Personalqualifizierung für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ASD“ ausgeschrieben . Daneben zeichnet die Kinder- und Jugendhilfe - wie auch viele andere Berufsgruppen - aus, dass die dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur vor dem Hintergrund gesetzlicher Veränderungen oder neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einem ständigen Lernprozess unterworfen sind. Ein ständiger Bedarf an Reflektion und Fortbildung entsteht auch dadurch, dass Kinder und Jugendliche zuallererst und intensiver als Erwachsene gesellschaftliche Veränderungen wahrnehmen , aufnehmen und in ihr Leben integrieren. Beispielhaft seien hier nur technische Entwicklungen, wie die Nutzung moderner Kommunikationskanäle (social media) oder andere gesellschaftspolitisch relevante Phänomene, zu nennen. Auch die dadurch entstehende Notwendigkeit der kontinuierlichen Rezeption und Verarbeitung dieser Prozesse erfordert von den Beschäftigten die Notwendigkeit der permanenten Reflektion und Weiterbildung. Vor diesem Hintergrund bietet das Niedersächsische Landesjugendamt Jahr für Jahr den Fachkräften einen breiten Katalog von über 200 fachbezogenen Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten und für die unterschiedlichen Fachsegmente (Kinder- und Jugendschutz, Hilfen zur Erziehung , Jugendarbeit u. a.). Das Programm bietet jährlich wechselnde herausgehobene Schwerpunkte , so im laufenden Jahr das Thema „Inklusion“. Das diesjährige Programm kann unter https://sozia les.niedersachsen.de/startseite/kinder_jugend_amp_familie/landesjugendamt/fortbildung/fortbil dungsangebote-330.html abgerufen werden. (Verteilt am 18.09.2019) Drucksache 18/4600 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Sylvia Bruns (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Beschwerden gegen Jugendämter in Niedersachsen