Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4601 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung Beidseitige Zweirichtungsradwege und die Radwegebenutzungspflicht Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 13.08.2019 - Drs. 18/4349 an die Staatskanzlei übersandt am 15.08.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung vom 16.09.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Zweirichtungsradwege sind Fahrradwege, die von Radfahrerinnen und Radfahrern in beiden Richtungen auf einer Straßenseite benutzt werden dürfen. Zweirichtungsradwege, sofern deutlich sichtbar markiert, bieten Radfahrerinnen und Radfahrern den Vorteil, dass die befahrene Straßenseite nicht gewechselt werden muss, wenn das Ziel beispielsweise auf der befahrenen Straßenseite liegt. Sie helfen somit, Ziel- und Quellverkehr flexibel abzuwickeln. Parkende Autos gefährden den Radverkehr durch die Separierung der Verkehre weniger und Schutzzonen und Sicherheitsabstände lassen sich besser kombinieren. Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) müssen Radfahrerinnen und Radfahrer Radwege benutzen, wenn diese mit den Verkehrszeichen 237, 240 und 241 gemäß StVO gekennzeichnet sind. Wenn auf beiden Seiten einer Straße jeweils ein Zweirichtungsradweg vorhanden ist und beidseitig eine Benutzungspflicht aufgrund eines dieser Verkehrszeichen besteht, können laut aktueller Rechtsprechung Radfahrerinnen und Radfahrer ihrer (beidseitigen) Benutzungspflicht nicht nachkommen , weil eine Missachtung der Benutzungspflicht auf der nicht befahrenden Straßenseite vorläge. Im Zuge des Urteils des Verwaltungsgerichts Hannover (7. Kammer) vom 17.11.2016 - 7 A 2528/16 (Feststellung der Nichtigkeit einer beidseitigen Radwegbenutzungspflicht bei nur einer Fahrtrichtung ) bzw. aufgrund eines Erlasses des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 14.10.2016 wurde die Stadt Hannover (als untere Straßenverkehrsbehörde) von der obersten Straßenverkehrsbehörde angewiesen, einen Großteil der beidseitigen Radwegbenutzungspflicht entsprechend anzupassen bzw. aufzuheben (siehe auch Berichterstattung der NP vom 21.06.2019). Vorbemerkung der Landesregierung Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrerinnen und Radfahrer zählen zu den Schwächsten im Straßenverkehr. Diese im Straßenverkehr sicher zu führen, ist daher ein wichtiges Anliegen der Landesregierung. Wann welche Führungsform des Radverkehrs infrage kommt, ist in der Straßenverkehrsordnung (StVO) und den dazugehörigen Verwaltungsvorschriften (VwV) geregelt. Radwegebenutzungspflichten durch die Zeichen 237 „Radweg“, 240 „Gemeinsamer Geh- und Radweg “ oder 241 „Getrennter Rad- und Gehweg“ dürfen nur angeordnet werden, wo es die Verkehrssicherheit oder der Verkehrsablauf erfordern. Dies bedeutet, dass der Radverkehr den gekennzeichneten Radweg (baulich angelegter Radweg oder Radfahrstreifen) benutzen muss und nicht im Mischverkehr fahren darf. Das bundesweit geltende Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO gilt auch für Radfahrerinnen und Radfahrer. Die Benutzung linker Radwege ist grundsätzlich nicht zulässig, es sei denn, dass Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4601 2 eine einseitige linke Radwegebenutzungspflicht oder das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“ angeordnet wurde. Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll daher nicht angeordnet werden (VwV Ziffer II Nr. 1 zu § 2 Abs. 4 Sätze 3, 4 StVO). Häufigste Unfallursache beim Befahren linker Radwege ist, dass der Radverkehr vom einmündenden/abbiegenden Kraftfahrzeugverkehr übersehen wird. Einerseits sind die Sichtdreiecke häufig nicht ausreichend, andererseits fehlt es dem Kraftfahrzeugverkehr am Problembewusstsein. Studien haben bestätigt, dass die „mittlere Unfallrate im Linksverkehr auf Zweirichtungsradwegen etwa doppelt so hoch liegt wie die im Rechtsverkehr“ (Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen: Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung - Sicherheitsverbesserungen, Berichte der BASt, Verkehrstechnik Heft V 261, S. 3 m. w. N.). Diese Gefährdungslage wird unterbunden, wenn keine linken Radwege freigegeben werden bzw. die Aufhebung der linksseitigen Benutzungspflicht umgesetzt wird. Anderenfalls sind zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Insbesondere ist aus Verkehrssicherheitsgründen darauf zu achten, dass nur wenige Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreiche Grundstückszufahrten zu queren sind, dass ausreichende Sicht zwischen Radverkehr und Kraftfahrzeugverkehr besteht sowie dass eine ausreichende Breite des Radweges gegeben ist. 1. Hält die Landesregierung es für zulässig, bei beidseitigen Zweirichtungsradwegen die Benutzungspflicht nur auf einer Straßenseite vorzugeben und auf der anderen Straßenseite lediglich ein Benutzungsrecht einzuräumen (durch das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“), wenn also zur Wahl gestellt wird, welche Straßenseite benutzt werden kann? Wenn nein, wieso nicht? Nein. Bereits vom Wortlaut her bedeutet eine Benutzungspflicht, dass diese befolgt werden muss und demgemäß kein Wahlrecht besteht. Wenn also eine Benutzungspflicht auf einem Radweg durch die Verkehrszeichen 237, 240 oder 241 auf einer Seite angeordnet wurde, dann müssen Radfahrerinnen und Radfahrer in ihrer jeweiligen Fahrtrichtung diese Seite des Radweges nutzen. Wenn sie das auf der anderen Seite angeordnete Benutzungsrecht in Anspruch nehmen wollen würden, dann könnten sie dies nur, wenn sie gleichzeitig gegen die Benutzungspflicht auf der anderen Seite verstoßen würden. Mit einer solchen Anordnung würde daher ein bußgeldbewehrter Verstoß geradezu provoziert. 2. Hält die Landesregierung es für zulässig, die Benutzungspflicht von beidseitigen Zweirichtungsradwegen insgesamt aufzuheben und stattdessen jeweils ein Benutzungsrecht einzuräumen (durch das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“)? Wenn nein, wieso nicht? Eine Benutzungspflicht wird regelmäßig angeordnet, wenn die Verkehrssicherheit oder der Verkehrsablauf erfordern, dass der Radverkehr nicht auf der Straße geführt werden kann und ein gesonderter Verkehrsraum (Radfahrstreifen oder baulich angelegte Radwege) vorhanden ist. Soweit die Aufhebung der Benutzungspflicht vor diesem Hintergrund vertretbar ist, kann ein beidseitiges Benutzungsrecht eingeräumt werden, welches den Radfahrerinnen und Radfahrern ermöglicht , auszuwählen, welcher der beiden Radwege benutzt werden soll. Dies bedeutet jedoch, dass der Radverkehr neben den beidseitig baulich angelegten Radwegen zusätzlich auch die Straße im Mischverkehr benutzen darf. Die Straßenverkehrsbehörde muss diese Führungsalternative des Radverkehrs im Einzelfall prüfen und auf der Grundlage der örtlichen Gegebenheiten entscheiden. 3. Ist eine Kombination von Benutzungspflicht und Benutzungsrecht in derselben Fahrtrichtung nach Ansicht der Landesregierung rechtens? Welche Voraussetzungen müssen hierfür bestehen? Nein. Es wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4601 3 4. In welchen Fällen können die Radfahrenden rechtmäßig Zweirichtungsradwege beidseitig befahren? Wie verhält sich dies bei Straßen mit baulicher Mitteltrennung z. B. durch Straßenbahnschienen? Zweirichtungsradwege ohne Benutzungspflicht können beidseitig befahren werden, soweit der jeweils linke Radweg durch Zusatzzeichen 1022-10 „Radfahrer frei“ beschildert ist. Zweirichtungsradwege mit Benutzungspflicht sind nur dann rechtmäßig angeordnet, wenn zwei Fahrbahnen vorhanden sind. Gemäß der VwV Ziffer I zu § 2 Abs. 1 StVO sind zwei Fahrbahnen nur dann gegeben, wenn die Fahrstreifen für beide Fahrtrichtungen durch Mittelstreifen, Trenninseln , abgegrenzte Gleiskörper, Schutzplanken oder andere bauliche Einrichtungen getrennt sind. Verkehrszeichen sind gut sichtbar in etwa rechtem Winkel zur Fahrbahn rechts daneben anzubringen (VwV Ziffer III Nr. 9 zu §§ 39 bis 43 StVO). Der Radverkehr kann die Straßenseite bei Straßen mit zwei Fahrbahnen nur an eingerichteten Querungsmöglichkeiten (u. a. Lichtsignalanlage, bauliche Querungshilfe, Straßenbahnhaltestelle) sicher wechseln. In diesen Fällen kann im Einzelfall geprüft werden, ob eine beidseitige Benutzungspflicht in Betracht kommen könnte. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt auf der Verkehrssicherheit (auf die Vorbemerkung wird verwiesen). Sollten keine zwei Fahrbahnen vorliegen, ist die beidseitige Radwegebenutzungspflicht rechtswidrig . 5. Wie schätzt die Landesregierung durch die oben genannte Umsetzung in Hannover eine erhöhte Gefahr ein für Radfahrende a) im Allgemeinen, b) für diejenigen, die zwar nicht regelkonform (wissentlich oder unwissentlich), aber dennoch weiterhin Radwege in beiden Richtungen befahren, c) durch den Umstand, dass Autofahrende nun nicht mehr durch Verkehrszeichen darauf hingewiesen werden, dass aus beiden Richtungen Radfahrende kreuzen können? Zu den Unterlettern a) und b) wird auf die Vorbemerkung verwiesen, zu c) wird folgend ausgeführt: Die Radfahrerinnen und Radfahrer dürfen nach Aufhebung der linksseitigen Radwegebenutzungspflicht bei Beibehaltung der rechtsseitigen Benutzungspflicht nur noch den rechten Radweg benutzen . Darüber hinaus gilt das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 1 StVO. Insoweit ist durch die genannte Maßnahme von einer verringerten Gefahr auszugehen. Zudem hat eine Studie nachgewiesen, dass besondere Verkehrszeichen, die auf den Zweirichtungsradverkehr hinweisen, die Aufmerksamkeit des Kfz-Verkehrs, welcher in Abbiege-/Einmündungssituationen nach rechts blickt, nur geringfügig erhöhen (zit in: Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen: Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung - Sicherheitsverbesserungen, Berichte der BASt, Verkehrstechnik Heft V 261, S. 17). 6. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung darüber, inwieweit und in welchen anderen Bundesländern die aktuelle Rechtsprechung zu Erlassen ähnlich wie in Niedersachsen mit dem Ziel geführt hat, dass Städte ihre beidseitigen Zweirichtungsradwege entsprechend anpassen mussten (Städte bitte einzeln aufführen)? Die Landesregierung verfügt diesbezüglich über keine Kenntnisse. Die StVO ist eine Bundesverordnung und gilt somit in allen Bundesländern gleichermaßen. Die unteren Straßenverkehrsbehörden führen die StVO in eigener Zuständigkeit aus und haben den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit zu beachten. Die unteren Straßenverkehrsbehörden unterliegen diesbezüglich keiner Berichtspflicht . Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4601 4 7. Welche anderen Städte deutschlandweit sind der Landesregierung bekannt, bei denen der beschriebene Sachverhalt und die aktuelle Rechtsprechung zu einer veränderten Praxis bei den beidseitigen Zweirichtungsradwegen geführt haben? Es wird auf die Beantwortung der Frage 6 verwiesen. 8. Welche anderen Städte/Kommunen in Niedersachsen planen aufgrund der Rechtsprechung und des Erlasses des Landes, beidseitige Zweirichtungsradwege abzubauen? Wenn keine, aus welchen Gründen schafft niedersachsenweit ausschließlich Hannover seine Zweirichtungsradwege ab? Der in Rede stehende Erlass des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung erging aufgrund einer Fachaufsichtsbeschwerde. Ein Bürger hat in Bezug auf die beidseitige Radwegebenutzungspflicht an einer Straße in Hannover um fachaufsichtliche Überprüfung gebeten. Da aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine beidseitige Radwegebenutzungspflicht nicht zulässig gewesen ist, wurde die Stadt Hannover aufgefordert, die Radwegebenutzungspflicht in Fahrtrichtung jeweils links aufzuheben. Darüber hinaus wurde die Stadt gebeten, sofern noch weitere Straßen in Hannover eine vergleichbare Beschilderung im Hinblick auf die beidseitige Benutzungspflicht von Radwegen aufweisen, die verkehrsbehördlichen Anordnungen zu überprüfen und die Beschilderung entsprechend anzupassen. Die Weisung bezog sich somit auf den Zuständigkeitsbereich der Stadt Hannover als untere Verkehrsbehörde. Sollte eine vergleichbare Beschwerde zu einer fachaufsichtlichen Überprüfung in anderen Städten der obersten Aufsichtsbehörde vorliegen, würde ein Erlass an die jeweilige Straßenverkehrsbehörde ergehen. Die unteren Straßenverkehrsbehörden führen die StVO in eigener Zuständigkeit aus, und ihnen obliegt somit die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. 9. Muss aus Sicht der Landesregierung die Stadt Hannover ihre Zweirichtungsradwege abbauen, um dem Erlass und der aktuellen Rechtsprechung gerecht zu werden, oder hat die Stadt andere Möglichkeiten, um die beidseitigen Zweirichtungsradwege zu erhalten ? Wenn ja, welche? Soweit aus Verkehrssicherheitsgründen auf eine Radwegebenutzungspflicht verzichtet werden kann und die Freigabe des linken Radweges im Einzelfall vertretbar erscheint, kann ein beidseitiges Benutzungsrecht angeordnet werden (auf die Beantwortung der Frage 2 wird verwiesen). 10. Strebt die Landesregierung eine Gesetzesänderung an, die bei einer beidseitigen Benutzungspflicht ein legales Befahren einer Straßenseite bzw. eines Fahrradweges ermöglicht ? Wenn nein, wieso nicht? Nein. Im Zuge einer zurzeit in Bearbeitung befindlichen Änderung der Straßenverkehrsordnung wurden Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs in einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe Radverkehr diskutiert. Aus Verkehrssicherheitsgründen soll an der Anordnungsmöglichkeit von linksseitigen Benutzungspflichten oder Benutzungsrechten nur im Ausnahmefall festgehalten werden. Aufgrund der Unmöglichkeit, zwei Benutzungspflichten gleichzeitig zu befolgen, kann auch keine beidseitige Radwegebenutzungspflicht eingeführt werden. 11. Wie bewertet die Landesregierung den beschriebenen Sachverhalt vor dem Hintergrund des im niedersächsischen Koalitionsvertrag vereinbarten Ziels der „Stärkung des Fahrradverkehrs“ und des Umstandes, dass der ADFC den derzeitigen Rückbau an beidseitigen Zweirichtungsradwegen in Hannover als „absolut kontraproduktiv“ für die Verkehrswende und den Radverkehr kritisiert (NP vom 21.6.2019)? Es handelt sich nicht um einen Rückbau von Radwegen. Es verbleiben weiterhin an sämtlichen Straßen Radverkehrsanlagen. Nach hiesiger Kenntnis hat die Stadt Hannover mittlerweile auch an Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4601 5 einigen Stellen unter Aufhebung der Benutzungspflicht jeweils Benutzungsrechte eingeräumt (auf die Beantwortung zu Frage 2 wird verwiesen). Die rechtlichen Möglichkeiten sind geeignet, um für die örtlichen Einzelfälle jeweils angemessene Lösungen zu finden. Die Kritik des ADFC ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. (Verteilt am 18.09.2019) Drucksache 18/4601 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Beidseitige Zweirichtungsradwege und die Radwegebenutzungspflicht