Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4634 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Cannabishaltige Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen - Welche Probleme gibt es in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (GRÜNE), eingegangen am 23.08.2019 - Drs. 18/4423 an die Staatskanzlei übersandt am 28.08.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 23.09.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsrechtlicher Vorschriften am 10. März 2017 können Ärztinnen und Ärzte für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen cannabishaltige Arzneimittel verordnen. Für GKV-Versicherte besteht nach § 31 Abs. 6 SGB V ein gesetzlicher Anspruch , sofern die Voraussetzungen für eine Behandlung mit cannabishaltigen Arzneimitteln vorliegen . Gleichzeitig steht die Verordnung in begründeten Ausnahmefällen unter Genehmigungsvorbehalt der gesetzlichen Krankenkassen. Cannabishaltige Arzneimittel können grundsätzlich von allen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten verordnet werden. 1. Wie viele Menschen hatten vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsrechtlicher Vorschriften im März 2017 eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG? Bundesweit verfügten zum Stichtag der Gesetzesänderung am 10.03.2017 1 061 Patientinnen und Patienten über eine gültige Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zum Erwerb von medizinischem Cannabis aus der Apotheke. 2. Wie viele Menschen in Niedersachsen haben seit März 2017 eine ärztliche Verordnung für cannabishaltige Arzneimittel erhalten? Nach Auskunft der AOK Niedersachsen haben seit März 2017 1 627 Versicherte Anträge auf Kostenübernahme von cannabishaltigen Arzneimitteln gestellt. Seitens der anderen Krankenkassenverbände in Niedersachsen ist keine Aussage möglich, da die Krankenkassen bundesweit agieren und über keine regionalen Daten für Niedersachsen verfügen. Eigene Zahlen liegen der Landesregierung nicht vor. 3. Bei wie vielen davon wurde die Kostenübernahme von den gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt? Die AOK Niedersachsen hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass von den unter Frage 2 genannten Anträgen 759 Anträge abgelehnt wurden. Aus den unter Frage 2 genannten Gründen ist für die anderen Krankenkassenarten keine Aussage möglich. Eigene Zahlen liegen der Landesregierung nicht vor. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4634 2 4. Welche Kosten sind den gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen seit März 2017 durch cannabishaltige Arzneimittel entstanden? Die Gesamtkosten aller gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen seit März 2017 durch cannabishaltige Arzneimittel sind der Landesregierung nicht bekannt. Für die AOK Niedersachsen betrugen die Kosten mehr als 3,5 Millionen Euro, für die Ersatzkassen in Niedersachsen etwa 3,3 Millionen Euro. 5. Aus welchen Gründen können die gesetzlichen Krankenkassen die Kostenübernahme ablehnen? Der Gesetzgeber hat in § 31 Abs. 6 SGB V drei Voraussetzungen für eine Therapie mit einem Cannabis-Arzneimittel benannt: 1. Es muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, 2. eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung kann nicht eingesetzt werden und 3. es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen. Diese Punkte müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch die GKV erfüllt sind. Eine Kostenübernahme ist bereits ausgeschlossen, wenn nur einer der Punkte nicht erfüllt ist. 6. Wie ist der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen nach Ansicht der Landesregierung mit der ärztlichen Behandlungshoheit in Einklang zu bringen? Versicherte erhalten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben diejenigen Leistungen, welche ausreichend , zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Des Weiteren dürfen die Leistungen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens überprüft die Krankenkasse u. a. diese Voraussetzungen. Durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), welches am 16.08.2019 in Kraft getreten ist, wurde der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen verändert. Anpassungen der Dosierung oder der Wechsel zu anderen getrockneten Cannabisblüten oder Extrakten bedürfen nun keiner erneuten Genehmigung durch die Krankenkasse mehr. Durch diese Gesetzesänderung möchte der Bundesgesetzgeber Bürokratie abbauen und die ärztliche Behandlungshoheit stärken. 7. Wie lange dauert die Bearbeitung eines Antrages auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen durchschnittlich? Zur Bearbeitungsdauer liegen der Landesregierung keine Zahlen vor. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben hat die Krankenkasse über einen Antrag zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme - insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung - eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Werden cannabishaltige Arzneimittel im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung verordnet, beträgt die Entscheidungsfrist der Krankenkasse drei Tage. Durch das GSAV wurden die gesetzlichen Vorgaben dahin gehend erweitert, dass über Verordnungen , welche im unmittelbaren Anschluss an eine Krankenhausbehandlung ausgestellt werden, die Krankenkasse ebenfalls innerhalb von drei Tagen zu entscheiden hat. Dies gilt allerdings nur dann, wenn während der Krankenhausbehandlung bereits mit der Cannabistherapie begonnen wurde. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4634 3 8. Welche Nachweise sind für einen Antrag auf Kostenübernahme bei den gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen? Die Begutachtungsrichtlinie „Sozialmedizinische Begutachtung von Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V“ wurde als Richtlinie nach § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V verabschiedet, die die Krankenkassen zu beachten haben. Im Rahmen der Antragsprüfung und -bearbeitung werden Angaben benötigt wie z. B. die Mitteilung, ob eine genehmigte Versorgung nach § 37 b SGB V (spezialisierte ambulante Palliativversorgung) vorliegt, welche Erkrankung behandelt werden soll, wie das Behandlungsziel lautet und warum andere zugelassene Therapien nicht zum Einsatz kommen. Außerdem ist anzugeben, ob es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, ob andere Erkrankungen vorliegen, wie aktuell medikamentös und nichtmedikamentös behandelt wird und welches Therapieziel besteht. 9. Wie viele Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen verordnen cannabishaltige Arzneimittel ? Sowohl die Niedersächsische Ärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, als auch die Landesverbände der Krankenkassen in Niedersachsen haben auf Nachfrage mitgeteilt, dass diesbezüglich keine Daten vorliegen. Eigene Daten liegen der Landesregierung nicht vor. 10. Aus welchen Gründen entscheiden sich Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen dagegen , cannabishaltige Arzneimittel zu verordnen? Sowohl die Niedersächsische Ärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, als auch die Landesverbände der Krankenkassen in Niedersachsen haben auf Nachfrage mitgeteilt, dass keine Aussage dazu möglich ist, weshalb sich Ärztinnen und Ärzte gegen eine Verordnung von cannabishaltigen Arzneimitteln entscheiden. Eigene Informationen liegen der Landesregierung nicht vor. 11. Haben Menschen nach Ansicht der Landesregierung überall in Niedersachsen die Möglichkeit , in zumutbarer Entfernung eine Ärztin oder einen Arzt zu erreichen, die oder der cannabishaltige Arzneimittel verordnet? Seit Änderung der gesetzlichen Vorschriften zum 10.03.2017 können Ärztinnen und Ärzte jeder Fachrichtung - mit Ausnahme von Zahn- und Tierärztinnen bzw. Zahn- und Tierärzten - Cannabisblüten und -extrakt verordnen. Insofern geht die Landesregierung davon aus, dass überall in Niedersachsen die Menschen, die eine dementsprechende Therapie durchführen möchten bzw. benötigen , in zumutbarer Entfernung eine Ärztin oder einen Arzt für eine solche Behandlung erreichen können. 12. In wie vielen niedersächsischen Apotheken sind cannabishaltige Arzneimittel erhältlich ? Grundsätzlich sind alle öffentlichen Apotheken in Deutschland berechtigt, cannabishaltige Arzneimittel zu beziehen und auf ärztliche Verschreibung abzugeben. 13. Wo können sich Menschen in Niedersachsen darüber informieren, welche Ärztinnen und Ärzte cannabishaltige Arzneimittel verordnen und in welchen Apotheken diese erhältlich sind? Grundsätzlich sind nach den Kenntnissen der Landesregierung alle Ärztinnen und Ärzte - mit Ausnahme der Zahnärztinnen und Tierärztinnen bzw. Zahnärzte und Tierärzte - berechtigt, Betäubungsmittel sowie auch cannabishaltige Arzneimittel auf einem entsprechenden Betäubungsmittel- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4634 4 rezept zu verschreiben. Die allgemein gültigen Regelungen zur Verschreibung von Betäubungsmitteln und zur Abgabe der Betäubungsmittel auf Verschreibung sind jeweils zu beachten. Cannabishaltige Arzneimittel sind nach den der Landesregierung vorliegenden Informationen in allen öffentlichen Apotheken in Niedersachsen mit einer ärztlichen Verschreibung erhältlich. Der Internetauftritt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte stellt hierzu umfassende Informationen zur Verfügung. 14. Welche Fortbildungsangebote gibt es in Niedersachsen für Ärztinnen und Ärzte zum Umgang mit cannabishaltigen Arzneimitteln? Im Bereich der Ärztekammer Niedersachsen finden nach Kenntnis der Landesregierung derzeit ca. 15 Fortbildungsangebote jährlich zu Therapien mit Cannabisblüten statt. Darüber hinaus wird seit vielen Jahren in zahlreichen schmerz-, palliativ- und suchtmedizinischen Fortbildungen diese Therapie einschließlich Nebenwirkungen und Risiken thematisiert. (Verteilt am 24.09.2019) Drucksache 18/4634 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Cannabishaltige Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen - Welche Probleme gibt es in Niedersachsen?