Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4640 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Horst Kortlang, Dr. Stefan Birkner und Hermann Grupe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Werden auch in Niedersachsens Oberflächengewässer ungeklärte Haushaltsabwässer eingeleitet ? Anfrage der Abgeordneten Horst Kortlang, Dr. Stefan Birkner und Hermann Grupe (FDP), eingegangen am 19.08.2019 - Drs. 18/4388 an die Staatskanzlei übersandt am 22.08.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 24.09.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Wie verschiedene Medien berichtet haben, soll es in der Stadt Magdeburg zahlreiche Einleitungspunkte geben, durch die bei Starkregenereignissen ungeklärte Haushaltsabwässer mit Regenwasser in die Elbe und andere Gewässer eingeleitet werden, um das Kanalsystem zu entlasten. Mit dem ungeklärten Wasser seien auch Feuchttücher, Binden und Kondome in die Elbe und die anderen Gewässer eingeleitet worden. Ungewiss sei, welche weiteren Rückstände wie Antibiotika-, Medikamenten- oder Drogenrückstände mit solch ungeklärten Abwasserfrachten einhergehen und in die Fließgewässer eingeleitet werden . Mit den genannten Abwasserfrachten gelangen nicht nur multiresistente Keime, Antibiotika-, Medikamenten - und Drogenrückstände in unsere Fließgewässer, sondern es kann auch zu Sauerstoffzehrungen im erweiterten Einleitungsbereich durch den Eintrag hoher Nährstoffmengen in Form von Fäkalien, Lebensmittelresten etc. kommen (https://www.volksstimme.de/lokal/magdeburg/ staedtische-werke-ungefiltertes-wasser-in-magdeburger-elbe). Vorbemerkung der Landesregierung Die Ableitung von häuslichen Abwässern erfolgt in Niedersachsen überwiegend im Trennsystem: häusliches Schmutzwasser und gesammeltes Niederschlagswasser werden hierbei in getrennten Kanälen abgeleitet. Hauptsächlich in den Kernbereichen der Städte sind noch Mischwasserkanalisationen zu finden, bei denen Schmutz- und Niederschlagswasser gemeinsam abgeleitet werden. In Niedersachsen sind lediglich 7,1 % der Bevölkerung (Stand 2016) noch an eine Mischwasserkanalisation angeschlossen. Gesammeltes Niederschlagswasser soll in Niedersachsen nach Möglichkeit direkt auf dem Grundstück versickert werden, soweit dies der Verschmutzungsgrad und die Bodenverhältnisse zulassen. Die gesetzliche Grundlage hierfür schaffen die §§ 86 Abs. 1 und 96 Abs. 3 des Niedersächsischen Wassergesetzes. Danach sind die Grundstückseigentümer zur Beseitigung des Niederschlagswassers nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, soweit nicht die Gemeinde den Anschluss an eine öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung vorschreibt (Anschluss- und Benutzungszwang) oder ein gesammeltes Fortleiten des Niederschlagswassers erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4640 2 Sofern das Niederschlagswasser nicht dezentral entsorgt werden kann oder darf, wird es über die Regenwasserkanalisation, meistens unmittelbar oder nach mechanischer Vorbehandlung, einem Vorfluter zugeführt. Mit Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes im Jahr 2010 hat diese Regelung auch in Bundesrecht Eingang gefunden (§ 55 Abs. 2 WHG). In Bereichen mit Mischwasserkanalisation, bei der das Niederschlagswasser über den Schmutzwasserkanal mit abgeleitet wird, werden für den Regenwetterfall Regenwasserentlastungsanlagen vorgehalten, die dazu dienen, die Belastung der Kläranlage und des Gewässers zu verringern. In Niedersachsen existieren noch rund 540 derartiger Regenüberläufe. Gemäß § 55 Abs. 2 WHG sollen nur noch Trennkanalisationen zur Ausführung kommen, soweit dem weder wasserrechtliche noch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften noch wasserwirtschaftliche Belange entgegenstehen. 1. Haben Städte und Gemeinden in Niedersachsen grundsätzlich das Recht, Mischwasser (Regenwasser gemischt mit Haushaltsabwässer) ungeklärt in Oberflächengewässer einzuleiten? Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage? Gemäß § 60 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) sind Abwasseranlagen so zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten, dass die Anforderungen an die Abwasserbeseitigung eingehalten werden. Sie müssen daher so beschaffen sein und eingesetzt werden, dass mindestens die Anforderungen nach § 57 Abs. 1 in Verbindung mit der auf die §§ 57 Abs. 2, 23 Abs. 1 Nr. 3 WHG gestützten Rechtsverordnung, der Abwasserverordnung (AbwV), eingehalten werden können. Für die regelmäßige Einleitung gereinigter kommunaler Abwässer gelten die Mindestanforderungen der AbwV und der Niedersächsischen Kommunalabwasserverordnung. Die Direkteinleitung von gezielt gereinigten Abwässern aus der Abwasserbehandlungsanlagen muss damit dem Stand der Technik im Sinne des § 57 WHG und der AbwV genügen. Mischwasserkanalisationen werden in Anpassung an die zu erwartenden Niederschlags- und Abwasserverhältnisse unter technisch-betrieblichen Gesichtspunkten dimensioniert. Wirtschaftliche und technische Aspekte bei Bau und Betrieb begrenzen die Dimensionierung, sodass Mischwasserkanalisationen nicht unbegrenzt groß ausgeführt werden können. Deshalb ist es technisch bedingt , dass bei besonderen Starkregenereignissen ein Teil des stark verdünnten Abwassers zur Entlastung der Mischwasserkanalisation in den Vorfluter abgegeben werden muss. Um bei Starkregenereignissen die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Abwasseranlage erhalten zu können, erfolgen Mischwasserabschläge in die Gewässer. Diese Praxis entspricht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Für die Errichtung, den Betrieb und die Unterhaltung von Abwasseranlagen gelten gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 WHG die allgemein anerkannten Regeln der Technik als Mindeststandard. Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind Prinzipien und Lösungen, die in der praktischen Anwendung erprobt und bewährt sind und sich in den einschlägigen Fachkreisen durchgesetzt haben. Dies sind vor allem die technischen Bestimmungen, die von Fachausschüssen und von Sachverständigengremien erarbeitet und bekannt gegeben worden sind. Dazu zählen beispielsweise DIN-Vorschriften oder die technischen Regelwerke der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft und Abfall (DWA). Das DWA-Arbeitsblatt A128 (Bemessung und Gestaltung von Regenentlastungen in Mischwasserkanälen ) gilt als allgemein anerkannte Regel der Technik für die Errichtung, den Betrieb und die Unterhaltung von Anlagen für Mischwasserabschläge. Es entspricht den allgemein anerkannten Regeln der Technik, Abschläge bei Regenwasserableitungen nach dem Mischverfahren mindestens so zu begrenzen, dass die Ablaufwerte der Kläranlage eingehalten werden können und gleichzeitig die Belastungen des Gewässers aus den Regenwasserableitungen in vertretbaren Grenzen bleiben. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4640 3 2. Müssen die einleitenden Städte und Gemeinden die Anzahl solcher Ereignisse und die Mengen des eingeleiteten Mischwassers dokumentieren? Nach den einschlägigen technischen Regelwerken für die Bauwerke zur Regenwasserbehandlung und -rückhaltung ist der Wasserstand an der Überlaufschwelle zu messen, um die Entlastungsereignisse zu erfassen. 3. Wie groß ist die jährliche Menge (in Kubikmeter) solcher Einleitungen in folgende Flüsse : – Aller – Ilmenau – Ems – Hase – Hunte – Oker – Oder – Ruhme – Innerste – Leine – Wümme – Weser – Oste – nds. Elbe (beidseitig) – Ilme – Jeetzel – Werra – Delme – Große Aue – Schunte? Die jährliche Menge ist abhängig von den Niederschlagsereignissen und der Niederschlagsmenge in den jeweiligen Einzugsgebieten der genannten Flüsse und kann nicht spezifiziert angegeben werden. 4. Werden diese Einleitungen auf Inhaltsstoffe und mögliche Auswirkungen auf Umwelt, Mensch (z. B. Badegäste) oder Tiere (Fische, Fischnährtiere, Verzehrfähigkeit) kontrolliert ? Wenn ja, inwiefern wurde die Öffentlichkeit über die Vorfälle und die Ergebnisse informiert? Nein. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 5. Wie schätzt die Landesregierung die so verursachte Belastung der Oberflächengewässer und ihrer Artenvielfalt ein, insbesondere im Ökosystem Watt und den Flussästuaren in Niedersachsen? Die Belastung der genannten Oberflächenwasserkörper durch Mischwassereinleitungen wird als gering eingeschätzt. Gemäß der Aktualisierung der Anfangsbewertung nach § 45 c des Wasserhaushaltsgesetzes vom 13.12.2018 kommt es in den bewerteten Küsten- und Territorialgewässern zu einer Überschreitung von Umweltqualitätsnormen bei den Schadstoffen Quecksilber, Blei und PAK. Diese werden nicht durch Mischwassereinleitungen verursacht, sondern sind im Wesentlichen als ubiquitäre Belastungen identifiziert. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4640 4 6. Sind die Kanalisationen niedersächsischer Städte ausreichend dimensioniert und technisch auf dem Stand der guten fachlichen Praxis und damit zukunftsfähig hinsichtlich der Bewältigung von Starkregenereignissen? Die Landesregierung beurteilt die Situation in Niedersachsen als zufriedenstellend und besser als in anderen Bundesländern. Lediglich 7,1 % der Bevölkerung sind noch an eine Mischwasserkanalisation angeschlossen. Soweit die Bemessung von (älteren) Regenwasserkanalisationen nicht nach den einschlägigen technischen Regeln erfolgte, besteht durchaus Anpassungsbedarf im Hinblick auf Starkregenereignisse. 7. Wie hoch wären die Kosten, um die Kanalisationen gegebenenfalls auf einen solchen Stand (s. Frage 6.) zu bringen und eine zukünftige Einleitung von ungeklärtem Mischwasser in niedersächsische Oberflächengewässer zu verhindern bzw. auf ein absolutes Minimum zu begrenzen? Für Mischwasserkanäle werden Regenentlastungsbauwerke aus technischen, wasserwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen empfohlen. Würde man Mischwasserkanäle grundsätzlich verbieten , müsste eine Trennkanalisation errichtet werden. Dies scheitert in dicht besiedelten urbanen Gebieten häufig wegen Platzmangel. In Betracht käme dann eine vollständige Reinigung auch des Regenwassers in Kläranlagen. Beides dürfte für Niedersachsen Investitionen von mehreren Milliarden Euro erfordern. 8. Inwiefern lassen sich die Einleitung von ungeklärtem Mischwasser in Oberflächengewässer und die Verschärfung der Düngeverordnung miteinander vereinbaren? Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. Im Gegensatz zu bestehenden Mischwassereinleitungen sind die Belastungen der Gewässer in Niedersachsen durch Nährstoffe aus der Landwirtschaft signifikant. 9. Wird die eingeleitete Nährstofffracht durch das ungeklärte Mischwasser ermittelt und im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie bewertet? Wenn nicht, warum nicht? Im aktuellen niedersächsischen Beitrag zu den Bewirtschaftungsplänen 2015 bis 2021 der Flussgebiete Elbe, Weser, Ems und Rhein (Dezember 2015) wurden Belastungen aus Punktquellen insbesondere im Hinblick auf Nährstofffrachten für die zu bewertenden Oberflächenwasserkörper dargestellt . Eine signifikante Belastung lag an 13 Wasserkörpern vor. Ursächlich dafür waren insbesondere Kläranlagen, die in Gewässer mit geringer Leistungsfähigkeit einleiten oder deren Reinigungsleistung zu verbessern ist. Mischwassereinleitungen waren nicht ursächlich für derartige signifikante Belastungen. (Verteilt am 25.09.2019) Drucksache 18/4640 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Horst Kortlang, Dr. Stefan Birkner und Hermann Grupe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Werden auch in Niedersachsens Oberflächengewässer ungeklärte Haushaltsabwässer eingeleitet?