Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4643 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Nachfragen - Zuverlässigkeitsüberprüfung für Polizeianwärter? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 19.08.2019 - Drs. 18/4384 an die Staatskanzlei übersandt am 22.08.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 24.09.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Auf unsere Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Zuverlässigkeitsüberprüfung für Polizeianwärter ?“ (Drucksache 18/3996) antwortete die Landesregierung, dass dem Ministerium für Inneres und Sport keine Fälle bekannt seien, in denen Reichsbürger, Extremisten oder Personen mit Clanhintergrund für niedersächsische Sicherheitsbehörden gearbeitet bzw. sich beworben haben und im Bewerbungsverfahren aussortiert wurden. Die Landesregierung schränkte die Antwort insoweit ein, dass die Antwort sich nur auf Personen bezog, „die aufgrund – ihrer nachweislichen Zugehörigkeit zur sogenannten Reichsbürgerbewegung oder – ihrer nachgewiesenen aktiven Betätigung für Bestrebungen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und somit als extremistisch zu bewerten waren, oder – eines Dienstvergehens, welches nachweislich Rückschlüsse auf einen Clanhintergrund erkennen ließ, aus dem Beamtenverhältnis entfernt wurden bzw. deren Arbeitsverhältnis aus diesen Gründen beendet wurde“. Die Landesregierung führte weiter aus, dass vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage und neuer Extremismusphänomene derzeit durch das Ministerium für Inneres und Sport die Möglichkeit der Einbeziehung einer Erkenntnisanfrage beim Verfassungsschutz zum Zweck einer dadurch bedingten und erforderlichen verstärkten charakterlichen Eignungsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst geprüft werde. 1. Wie viele Fälle sind der Landesregierung seit 2013 bekannt, in denen Personen für niedersächsische Sicherheitsbehörden gearbeitet bzw. sich beworben haben und im Bewerbungsverfahren aussortiert wurden, die aufgrund zweifelhafter Verfassungstreue (z. B. § 86 a StGB) entlassen bzw. disziplinarisch bestraft wurden (bitte nach Jahren, genauem Grund, Behörde und Art des Arbeitsverhältnisses aufschlüsseln)? Der Begriff „zweifelhafte Verfassungstreue (z. B. § 86 a StGB)“ wird im Sinne der Kleinen Anfrage anlehnend an die beamtenrechtliche Grundpflicht des § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und für deren Erhaltung ) bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L ausgelegt. Der nachfolgende erste Teil der Antwort bezieht sich auf Beamtinnen und Beamte sowie Beschäftigte in einem Arbeitsverhältnis bei den Polizeibehörden, der Polizeiakademie Niedersachsen und bei der Verfassungsschutzabteilung des Ministeriums für Inneres und Sport, die aufgrund zweifel- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4643 2 hafter Verfassungstreue (z. B. § 86 a StGB) aus dem Beamtenverhältnis entfernt bzw. aus dem Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf entlassen wurden oder gegen die aus diesem Grund nach einem abgeschlossenen Disziplinarverfahren eine andere Art der in § 6 Abs. 1 NDiszG genannten Disziplinarmaßnahmen bestands- oder rechtskräftig ausgesprochen bzw. deren Arbeitsverhältnis aus diesen Gründen beendet wurde. Dem Ministerium für Inneres und Sport ist - sofern aufgrund der disziplinarrechtlichen Tilgungsvorschriften noch nachvollziehbar - seit 2013 ein Fall aus dem Jahr 2018 im Bereich der Polizeidirektion Osnabrück bekannt, in dem gegen eine Person aufgrund zweifelhafter Verfassungstreue (§ 86 a StGB) eine Disziplinarmaßnahme ausgesprochen wurde. Diese Person wurde nicht aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Darüber hinaus sind keine Fälle bekannt, in denen Personen für die o. a. Sicherheitsbehörden gearbeitet haben, die aufgrund zweifelhafter Verfassungstreue (z. B. § 86 a StGB) entlassen bzw. disziplinarisch belangt wurden. Dem Ministerium für Inneres und Sport sind seit 2013 insgesamt drei Fälle bekannt, in denen Personen , die sich bei niedersächsischen Sicherheitsbehörden beworben haben, aufgrund zweifelhafter Verfassungstreue (z. B. § 86 a StGB) im Bewerbungsverfahren nicht weiter berücksichtigt wurden . Die Fälle teilen sich wie folgt auf: Bei der Polizeiakademie Niedersachsen wurden im Jahr 2017 zwei Bewerber für den Polizeivollzugsdienst (Verwendung von Zeichen verfassungswidriger Organisationen bzw. Volksverhetzung) und im Jahr 2019 ein Bewerber (Verwendung von Zeichen verfassungswidriger Organisationen) aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen und endgültig abgelehnt. Hierbei gilt zu berücksichtigen , dass die Polizeiakademie Niedersachsen die zu Zwecken des Bewerbungsverfahrens erhobenen personenbezogenen Daten von im Auswahlverfahren nicht erfolgreichen bzw. abgelehnten Bewerberinnen und Bewerbern löscht, sobald diese Daten zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die ablehnende Entscheidung Rechtskraft erlangt hat. Da jedoch zahlreiche im Erstversuch nicht erfolgreiche Bewerberinnen und Bewerber erfahrungsgemäß in ein bis drei Jahren nach ihrer Ablehnung einen erneuten Bewerbungsversuch unternehmen, kann gegenüber der Polizeiakademie bereits mit der ersten Bewerbung in die Speicherung der Bewerberdaten für die Zeitdauer von 36 Monaten nach Ablehnung eingewilligt werden. Von dieser Option machen die meisten Bewerberinnen und Bewerber Gebrauch. Ein geringer Teil der Bewerberinnen und Bewerber willigt in die verlängerte Speicherung nicht ein bzw. zieht die zuvor erklärte Einwilligung zurück. Die diesen Bewerberkreis betreffenden Daten werden entsprechend datenschutzrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Vorgaben dann gelöscht. Ebenfalls bleibt anzumerken, dass beim Landeskriminalamt Niedersachsen im Bereich der Tarifbeschäftigten die Bewerberinnen und Bewerber mit zweifelhafter Verfassungstreue nicht ermittelt werden, da ausschließlich die nach Durchführung eines Auswahlverfahrens zur Einstellung vorgesehenen Personen diesbezüglich überprüft werden. Unter diesen sind seit 2013 keine Fälle bekannt geworden, die den Kriterien der Fragestellung entsprechen. Die Bewerbungsunterlagen werden gemäß den gültigen Datenschutzvorschriften nach Zeitablauf vernichtet. 2. Wann wird die Prüfung, ob die Einbeziehung einer Erkenntnisanfrage beim Verfassungsschutz zum Zweck einer dadurch bedingten und erforderlichen verstärkten charakterlichen Eignungsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst eingeführt wird, durch das Innenministerium abgeschlossen sein? Der genaue Regelungsstandort und -inhalt befindet sich aktuell in der Klärung. Eine Prognose, wann dieses Verfahren abgeschlossen sein wird, ist derzeit nicht möglich. 3. Was genau meint die Landesregierung mit der „aktuellen sicherheitspolitischen Lage“? Hierunter werden dem Grunde nach mögliche aktuelle Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung, die von den unterschiedlichsten Gruppierungen (z. B. islamistischer Terrorismus , Links- und Rechtsextremismus etc.) ausgehen, verstanden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4643 3 Die Gefahren einer Unterwanderung der Polizei durch unterschiedliche Gruppierungen aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus, des Rechts- oder Linksextremismus oder durch Clanmitglieder sind dabei nicht nur theoretischer Natur. Die Vorkommnisse in der jüngsten Vergangenheit bei anderen Landespolizeien und bei der Bundespolizei geben Anlass dazu, dass eine solche Gefährdung real ist. Als Beispiele können hier die Aufdeckung rechter Netzwerke innerhalb der Polizei Hessens oder die Vorkommnisse an der Berliner Polizeiakademie im November 2017 benannt werden. 4. Was genau meint die Landesregierung mit „neuen Extremismusphänomenen“ Nicht die Extremismusphänomene sind neu, sondern deren Auftreten und Erscheinungsformen befinden sich im Wandel. Insbesondere für den Rechtsextremismus setzt sich seit längerem der zu beobachtende strukturelle Wandel unverändert fort. Neben bekannten und klassischen rechten /rechtsextremistischen Zusammenschlüssen wie Kameradschaften oder dem bekannten rechten Parteienspektrum haben sich rechtsgerichtete Gruppierungen etabliert, bei denen sich eine Zuordnung zur Szene nicht zwangsläufig aufdrängt und die ihre fremdenfeindliche Weltsicht mitunter hinter einer vermeintlich bürgerlichen Fassade zu verbergen versuchen. Neu ist hierbei z. B. ein zu beobachtender Strategiewechsel bei der Gewinnung neuer Anhänger. Über Entgrenzungen wird in allen Phänomenbereichen versucht, Themen von breitem öffentlichem Interesse zu besetzen. So sollen neue Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft gewonnen und an die extremistischen Ränder gezogen werden. (Verteilt am 25.09.2019) Drucksache 18/4643 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Nachfragen - Zuverlässigkeitsüberprüfung für Polizeianwärter?