Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4739 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Gesundheitsversorgung von Gefangenen Anfrage der Abgeordneten Anja Piel (GRÜNE), eingegangen am 26.08.2019 - Drs. 18/4456 an die Staatskanzlei übersandt am 02.09.2019 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 04.10.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Das Justizministerium informiert die Landtagsverwaltung regelmäßig, wenn Gefangene in der Haft versterben. Die Zahl der Fälle in den letzten Monaten gibt Anlass zu folgenden Fragen. Vorbemerkung der Landesregierung Viele Gefangene haben in Freiheit wenig zur eigenen Gesunderhaltung beigetragen. Vielmehr sind regelmäßiger Alkohol- und/oder Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und damit einhergehende mangelnde Hygiene sowie ein unsteter Lebenswandel und die Vermeidung von Arztbesuchen häufig Ursachen für desolate gesundheitliche Zustände von Gefangenen bei Haftbeginn. Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung der Vollzugsbehörden einerseits, für die Gesundheit der Gefangenen zu sorgen, sowie der Gefangenen andererseits, die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen, tritt während der Haft dank ärztlicher Versorgung , regelmäßiger Mahlzeiten und fester Strukturen in vielen Fällen ein positiver Effekt auf die Gesundheit ein. 1. Nach welchen Kriterien entscheidet wer vor oder bei der Zuführung in eine JVA zwecks Haftantritts, ob die gefangene Person tatsächlich der JVA zuzuführen oder gleich in ein Krankenhaus einzuliefern ist? Befindet sich die oder der Verurteilte nach der Urteilsverkündung noch auf freiem Fuß, erhält sie oder er von der Staatsanwaltschaft nach Eintritt der Rechtskraft und Einleitung der Vollstreckung eine Ladung zum Strafantritt, die regelmäßig eine Frist von ein bis drei Wochen vorsieht, innerhalb derer sich die oder der Verurteilte selbst bei der benannten Haftanstalt zu stellen hat. Sollte die oder der Verurteilte nach Erhalt der Ladung der Staatsanwaltschaft gegenüber mitteilen, dass aus gesundheitlichen Gründen Haftunfähigkeit vorliege, beauftragt diese die Amtsärztin bzw. den Amtsarzt mit einer kurzfristigen Stellungnahme zur Frage der Haftfähigkeit. Dabei wird ausdrücklich nach der amtsärztlichen Einschätzung gefragt, ob die oder der Verurteilte aufgrund des Krankheitsbildes in einer Justizvollzugsanstalt mit (zeitweiser) ärztlicher Betreuung, in einer Justizvollzugsanstalt mit einer hauptamtlichen Anstaltsärztin bzw. einem hauptamtlichen Anstaltsarzt oder in einem Justizvollzugskrankenhaus untergebracht werden kann bzw. muss. Anders gestaltet sich das Procedere in Fällen der Untersuchungshaft: Weist die oder der Verurteilte während des Haftverkündungstermins auf besondere Erkrankungen hin, die die Haftfähigkeit berühren könnten, nimmt die Ermittlungsrichterin bzw. der Ermittlungsrichter die benannten Erkrankungen und/oder benötigten Medikamente sowie selbst wahrgenommene körperliche Auffälligkeiten (z. B. Symptome einer akuten Entzügigkeit) in das Protokoll und das Aufnahmeersuchen auf. In Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4739 2 der Justizvollzugsanstalt wird sodann im Rahmen der alsbald nach Aufnahme erfolgenden Zugangsuntersuchung die Haftfähigkeit der bzw. des Verurteilten geprüft. 2. Nach welchen Kriterien entscheidet wer nach der Zuführung in eine JVA zwecks Haftantritts , ob die gefangene Person haftfähig ist oder in ein Justizvollzugskrankenhaus oder ein anderes Krankenhaus einzuliefern ist? Die Beurteilung der Haftfähigkeit obliegt der jeweiligen Anstaltsärztin oder dem jeweiligen Anstaltsarzt im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen ärztlichen Zugangsuntersuchung alsbald nach Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt. Bei Akutfällen außerhalb der Dienstzeiten der Anstaltsärzte wird der kassenärztliche Notdienst oder der Rettungsdienst gerufen oder der oder die Gefangene direkt im örtlichen Krankenhaus vorgestellt. In Einzelfällen wird das Justizvollzugskrankenhaus um Aufnahme gebeten. 3. Kann der Entscheidungsprozess aus den Fragen 1 und 2 im Sinne einer optimalen und beschleunigten gesundheitlichen Versorgung der Betroffenen verbessert werden? Falls ja, welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung? Dem Justizministerium sind im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe bei den beschriebenen Verfahren bislang keine Probleme bekannt geworden. Die Einhaltung der Standards bei der ärztlichen Zugangsuntersuchung ist Bestandteil der regelmäßigen Fachaufsichtsbesuche in allen Anstalten. Einzelfälle , die sich im Nachhinein als problematisch erweisen, werden vom Justizministerium aufgearbeitet . 4. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 2018 und 2019 im Zuge einer beabsichtigten Zuführung zu einer JVA statt in eine JVA in ein Justizvollzugskrankenhaus oder ein anderes Krankenhaus eingeliefert (bitte nach Art des Krankenhauses [Justizvollzugskrankenhaus oder anderes Krankenhaus] differenzieren)? Justizvollzugskrankenhaus anderes Krankenhaus 2018 17 19 20191 10 15 Bei den Zuführungen in das Justizvollzugskrankenhaus durch die Polizei ließ sich nicht ermitteln, ob es sich um vorläufig festgenommene Gefangene handelte oder solche, die aufgrund eines Haftbefehls festgenommen wurden. Darüber hinaus hat sich sowohl in 2018 als auch in 2019 je ein Gefangener im Justizvollzugskrankenhaus zum Strafantritt gestellt. 5. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 2018 und 2019 beim Haftantritt in ein Justizvollzugskrankenhaus oder ein anderes Krankenhaus eingeliefert (bitte nach Art des Krankenhauses [Justizvollzugskrankenhaus oder anderes Krankenhaus]) differenzieren )? Justizvollzugskrankenhaus anderes Krankenhaus 2018 15 3 2019 12 6 1 Soweit Zahlen für das Jahr 2019 genannt werden, beziehen sich diese auf den Zeitraum bis zum 02.09.2019 (Eingang der Kleinen Anfrage). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4739 3 6. Wie viele Personen wurden jeweils in den Jahren 2018 und 2019 während der Haft in ein Justizvollzugskrankenhaus oder ein anderes Krankenhaus eingeliefert (bitte nach Art des Krankenhauses [Justizvollzugskrankenhaus oder anderes Krankenhaus] differenzieren )? Justizvollzugskrankenhaus anderes Krankenhaus 2018 350 304 2019 268 193 7. Wie viele Personen sind jeweils in den Jahren 2018 und 2019 während der Haft verstorben (bitte nach dem Ort des Versterbens [JVA, Justizvollzugskrankenhaus oder anderes Krankenhaus] differenzieren)? JVA Justizvollzugskrankenhaus anderes Krankenhaus Suizid Natürlicher Tod 2018 4 2 0 3 2019 2 6 2 3 8. Welche Angebote macht das Land den Bediensteten zur psychischen Bewältigung der beim Auffinden von verstorbenen Gefangenen entstehenden Eindrücke? Wie oft wurden solche Angebote in den Jahren 2018 und 2019 von Bediensteten wahrgenommen? Der Justizvollzug in Niedersachsen hält eine Reihe von unterschiedlichen Maßnahmen der Personalpflege vor, die im Beratungskonzept für den niedersächsischen Justizvollzug gebündelt werden. Zur Bewältigung der beim Auffinden von verstorbenen Gefangenen entstehenden Eindrücke werden grundsätzlich allen beteiligten Bediensteten Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kriseninterventions- bzw. Einsatznachsorgeteams angeboten. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Psychosozialen Beratung und der Supervision. Die Angebote können sowohl einzeln als auch als Gruppenmaßnahme innerhalb der Dienstzeit wahrgenommen werden. Ob Gesprächs- oder Beratungsangebote angenommen werden, wird zum Schutz der Bediensteten nicht erhoben. 9. Wie viele Krankheitstage bei Bediensteten hatte das Auffinden von verstorbenen Gefangenen jeweils in den Jahren 2018 und 2019 zur Folge? Für das Jahr 2018 haben die Justizvollzugsanstalten von insgesamt vier Dienstunfähigkeitstagen (verteilt auf drei Bedienstete) nach dem Auffinden eines verstorbenen Gefangenen berichtet. Für das Jahr 2019 wurde von allen Justizvollzugsanstalten Fehlanzeige erstattet. 10. Wie viele Ansteckungen durch kranke Gefangene haben jeweils in den Jahren 2018 und 2019 bei Bediensteten oder Gefangenen stattgefunden (bitte auch Verdachtsfälle beziffern )? Die Quelle eines Infektionserregers ist bei einem Erkrankten selten festzustellen. Die überwiegende Zahl der Infektionserkrankungen tritt auf, ohne dass die Infektionsquelle konkret ermittelt werden kann. Eine intensivere Suche nach der Infektionsquelle wird nur unternommen, sofern zu befürchten ist, dass weitere Infektionen von dieser Quelle ausgehen könnten. Viele Infektionserkrankungen führen jedoch nur kurzfristig zur Infektiosität. Die Suche nach der Infektionsquelle ist dann nicht mehr zielführend. Nach dem Tod eines an Tuberkulose erkrankten Gefangenen im Januar 2019 wurde durch das zuständige Gesundheitsamt eine sogenannte Umgebungsuntersuchung gemäß § 16 des Infektions- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4739 4 schutzgesetzes organisiert. In diesem Rahmen wurde ein weiterer Verdachtsfall aufgedeckt, nach weitergehender Diagnostik bestätigt und als niedrig infektiös eingestuft. Ob sich dieser Gefangene bei dem im Januar verstorbenen Gefangenen angesteckt hatte oder eine davon unabhängige Infektion bestand, ist aktuell Gegenstand weiterer molekularbiologischer Tests im deutschen Tuberkulosereferenzzentrum in Borstel. Aussagekräftige Zahlen zur Häufigkeit von Neuinfektionen in Haft liegen vor dem geschilderten Hintergrund nicht vor. Da alle Gefangenen bei Inhaftierung eine ärztliche Zugangsuntersuchung erhalten, überwiegend die Unterbringung in Einzelhafträumen erfolgt und erkannte Infektionsträger durch Isolierung und Behandlung als weitere Infektionsquelle ausgeschaltet werden, ist die Infektionsgefahr in Haft im Übrigen insgesamt oft als geringer einzuschätzen als in vielen sozialen Milieus außerhalb der Justizvollzugseinrichtungen . (Verteilt am ) (Verteilt am 09.10.2019) Drucksache 18/4739 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Gesundheitsversorgung von Gefangenen