Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4750 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Entweichen aus dem Maßregelvollzug Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD), eingegangen am 09.09.2019 - Drs. 18/4568 an die Staatskanzlei übersandt am 12.09.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 08.10.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Im Zusammenhang mit einer Anfrage eines Radiosenders ist mir bekannt geworden, dass es sowohl in diesem wie auch den vergangenen Jahren Vorfälle gegeben haben soll, bei denen Personen aus dem Maßregelvollzug entwichen sein sollen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) wird von einem Gericht angeordnet , wenn die Gesamtwürdigung der Täterin oder des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihr oder ihm infolge ihres oder seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und sie oder er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) soll von einem Gericht angeordnet werden , wenn die Gefahr besteht, dass die Straftäterin oder der Straftäter infolge ihres oder seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Ziel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist es, die untergebrachte Person soweit wie möglich zu heilen oder ihren Zustand so weit zu bessern, dass sie nicht mehr gefährlich ist. Ziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist es, die untergebrachte Person von ihrem Hang zu heilen und die zugrundeliegende Fehlhaltung zu beheben. Beide Maßregeln dienen gleichzeitig dem Schutz der Allgemeinheit und sollen die untergebrachte Person auf eine eigenständige Lebensführung nach der Unterbringung vorbereiten. 1. Trifft es zu, dass sich derzeit Personen, die sich im Maßregelvollzug befinden sollten, außerhalb dessen aufhalten? Bejahendenfalls, um wie viele Personen handelt es sich? Zur Erreichung der Unterbringungsziele ist es notwendig, dass sich Patientinnen und Patienten des Maßregelvollzugs zeitweise auch außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtungen aufhalten. Dies erfolgt in den meisten Fällen über die Gewährung von Vollzugslockerungen, die zum Teil in Begleitung von Personal der Maßregelvollzugseinrichtung und zum Teil ohne Personalbegleitung durchgeführt werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4750 2 Außer auf der Grundlage von Vollzugslockerungen können sich Patientinnen und Patienten auch aufgrund gesetzlicher Vorgaben (Anspruch auf angemessene somatische Krankenbehandlung) oder sonstiger Verpflichtungen (z. B. Gerichtstermine) außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung aufhalten. Diese Termine außerhalb der Einrichtung werden immer in Begleitung von Krankenhauspersonal durchgeführt. Über Vollzugslockerungen verfügen durchgängig etwa 60 % bis 70 % der untergebrachten Personen . Am 31.08.2019 betreuten die niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen 1 309 Patientinnen und Patienten. Vier Patienten sind aktuell flüchtig. Hierbei handelt es sich um einen Fall aus dem Jahr 2017, einen Fall aus dem Jahr 2018 sowie zwei Fälle aus dem Jahr 2019 (Stand 30.09.2019). 2. Wie viele Personen sind insgesamt in den Jahren 2015, 2016, 2017, 2018 und 2019 aus dem Maßregelvollzug entwichen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Bei Entweichungen aus dem Maßregelvollzug wird zwischen sogenannten aktiven Entweichungen und sogenannten passiven Entweichungen unterschieden. Eine aktive Entweichung liegt vor, wenn die untergebrachte Person direkt aus der Maßregelvollzugseinrichtung oder bei einer von Krankenhauspersonal begleiteten Maßnahme außerhalb der Einrichtung entweicht. Eine passive Entweichung ist die Nichtrückkehr aus unbegleiteter Vollzugslockerung bzw. der Verstoß gegen Auflagen im Rahmen dieser Lockerungen. Die Zahlen der Jahren 2015 bis 2019 stellen sich wie folgt dar: 2015 2016 2017 2018 2019 (Stand: 30.09.) Anzahl Personen mit aktiver Entweichung 15 15 8 7 7 Anzahl Personen mit passiver Entweichung 58 40 56 22 24 Die Quote der Entweichungen im Verhältnis zu allen erfolgten Vollzugslockerungen liegt in jedem Jahr im Promillebereich. 3. Bei welchen Gelegenheiten sind die Personen gemäß Frage 2 entwichen? Wie zu Frage 2 dargestellt, erfolgten die Entweichungen zum überwiegenden Teil im Rahmen von unbegleiteten Vollzugslockerungen. Die aktiven Entweichungen erfolgten mehrheitlich bei personalbegleiteten Außenaktivitäten (32 Personen), während 20 Personen direkt aus den Einrichtungen entwichen sind. 4. Wie viele der aus dem Maßregelvollzug Entwichenen gemäß Frage 2 sind wieder in die dafür vorgesehenen Einrichtungen zurückgeführt worden? Mit Ausnahme von vier Patienten (siehe Antwort zu Frage 1) konnten alle entwichenen Personen wieder aufgegriffen werden, davon haben sich etwa 20 % der entwichenen Personen selbst gestellt und sind freiwillig in die Einrichtung zurückgekehrt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4750 3 5. Wie lange befanden aus dem Maßregelvollzug Entwichene sich außerhalb des Maßregelvollzugs ? Von den in den Jahren 2015 bis 30.09.2019 insgesamt aktiv und passiv entwichenen 252 Patientinnen und Patienten konnten 139 Personen (55 %) innerhalb von 24 Stunden, meist noch am selben Tag, aufgriffen werden bzw. haben sich selbst gestellt. Weitere 61 (24 %) Patientinnen und Patienten wurden innerhalb einer Woche aufgriffen oder haben sich selbst gestellt. 48 (19 %) Patientinnen und Patienten waren länger als eine Woche flüchtig. Vier Patienten sind gegenwärtig flüchtig, davon zwei mehr als ein Jahr. 6. In wie vielen Fällen gemäß Frage 2 wurden während der Dauer des Entweichens weitere Straftaten begangen und wenn ja, welche? Polizei und Strafvollstreckungsbehörden haben MS und die MRV-Einrichtungen über insgesamt 14 Fälle seit 2015 informiert, in denen es während der Entweichung zu strafrechtlich relevanten Vorkommnissen gekommen ist. Dies sind ein Tankstellenüberfall, ein versuchter schwerer räuberischer Diebstahl, drei Körperverletzungen , vier Betäubungsmittel-Verstöße, zwei Diebstähle, zwei Widerstandshandlungen gegen Polizisten und einmal Fahren unter Alkoholeinfluss. 7. Welche Umstände sind aus Sicht der Landesregierung für das Entweichen von Personen aus dem Maßregelvollzug verantwortlich? Aus Sicht der Landesregierung sind die Ursachen für Entweichungen vielschichtig und oftmals individuell zu betrachten. Im Rahmen der Aufarbeitung der Fälle der vergangenen Jahre sind in den Einrichtungen folgende tatsächliche Ursachen in den jeweiligen Einzelfällen festgestellt worden: Zum Beispiel verstießen Untergebrachte gegen Lockerungsauflagen und hatten Angst vor den Konsequenzen im Rahmen der Unterbringung im MRV, es bestand Angst vor der Entlassung aus dem Maßregelvollzug, es gab familiäre Probleme, die man sofort klären wollte, Verlust des Arbeitsplatzes bei Freigängern, Probleme mit dem Personal der MRV-Einrichtung, Probleme mit Mitpatientinnen und Mitpatienten, suizidale Absichten. Bei aktiven Entweichungen spielt insbesondere der Suchtdruck eine leitende Rolle. 8. Was plant die Landesregierung zu unternehmen, um das Entweichen aus dem Maßregelvollzug künftig zu verhindern? Jede Entweichung aus dem Maßregelvollzug wird eingehend in Sinne eines Qualitätsmanagements aufgearbeitet, um etwaige Schwachstellen zu erkennen und umgehend zu beseitigen. Dies betrifft sowohl bauliche wie auch personelle Aspekte. Darüber hinaus bemühen sich alle Einrichtungen, im Kontakt mit den Patientinnen und Patienten etwaige Problemlagen im Vorfeld eingehend zu erörtern und mögliche Lösungswege aufzuzeigen. In der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten in den Einrichtungen, insbesondere den Vollzugs- und Pflegedienstleitungen und den Sicherheitsbeauftragten, arbeitet die Landesregierung kontinuierlich an der konzeptionellen und tatsächlichen Optimierung des Maßregelvollzugs. (Verteilt am 09.10.2019) Drucksache 18/4750 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Entweichen aus dem Maßregelvollzug