Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4863 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Unbegleitete minderjährige Ausländer (Flüchtlinge) in Niedersachsen Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD), eingegangen am 13.09.2019 - Drs. 18/4613 an die Staatskanzlei übersandt am 18.09.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 17.10.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Laut Zeitungsmeldung vom 7. August 2019 hat das Land Hessen 138 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Ausländer im Jahr 2018 bezahlt (https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2019/ hessen-zahlt-138-millionen-fuer-unbegleitete-minderjaehrige-auslaender/). Vorbemerkung der Landesregierung Die Tätigkeit auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe nehmen die Jugendämter als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen des eigenen Wirkungskreises der Kommunen als Selbstverwaltungsaufgabe wahr. Hierzu zählen auch die Entscheidungen der Jugendämter im Zusammenhang mit der Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern (umA). Zur Beantwortung der Fragen 2 bis 4 wurden die niedersächsischen Jugendämter um Auskunft gebeten . Von 54 Jugendämtern haben innerhalb der gesetzten Frist 30 Jugendämter geantwortet. Zu den Fragen 2 bis 4 haben viele Jugendämter nur eine Gesamtsumme für die Jahre 2017 und 2018 mitgeteilt. Die Minderjährigkeit ist Voraussetzung für die (vorläufige) Inobhutnahme einer bzw. eines umA (§ 42 Abs. 1 Satz 1, § 42 a Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Sozialgesetzbuchs - Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe [SGB VIII]). Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 01.11.2015 durch das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015 (BGBl I, S. 1802) ausdrücklich normiert. Nach der auf Drängen des Bundesrates aufgenommenen Regelung des § 42 f SBG VIII hat das Jugendamt die Minderjährigkeit der betroffenen Person durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere oder ähnliche Dokumente (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages, BT-Drs. 18/6392, S. 20) festzustellen . Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft der oder des Betreffenden (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - OVG 1 B 303/15). Verbleiben danach Zweifel, ist eine Alterseinschätzung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen. Diese würdigt den Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Jugendamtes durch- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4863 2 zuführen (vgl. VGH München, Beschluss vom 16.08.2016 - 12 CS 16.1550 und OVG Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - OVG 1 B 303/15). Erst wenn die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis führt, hat das Jugendamt auf Antrag der betroffenen Person, ihrer gesetzlichen Vertretung oder von Amts wegen eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 SGB VIII). Die ärztliche Untersuchung ist mit den schonendsten und soweit möglich zuverlässigsten Methoden von qualifizierten medizinischen Fachkräften durchzuführen. Dies schließt beispielsweise Genitaluntersuchungen aus (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 21). In Betracht kommen gegebenenfalls eine Röntgenaufnahme der Hand und der Schlüsselbeine sowie eine zahnärztliche Untersuchung (Zahnstatus, vgl. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter [BAGLJÄ], 2. aktualisierte Fassung 2017 - beschlossen auf der 122. Arbeitstagung der BAGLJÄ vom 26. bis 28.04.2017 in Saarbrücken, S. 37). Die betroffene Person ist umfassend über die Untersuchungsmethode und über mögliche Folgen des Untersuchungsergebnisses aufzuklären (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 21). Die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihrer gesetzlichen Vertretung vorgenommen werden (§ 42 f Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). Dieses dargestellte abgestufte Verfahren der Altersfeststellung hat das OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 22.03.2017 (4 ME 83/17) ausdrücklich bestätigt. Das Altersfeststellungsverfahren nach § 42 f SGB VIII wird im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme durchgeführt. Die meisten der in Niedersachsen lebenden umA wurden nicht von niedersächsischen Jugendämtern vorläufig in Obhut genommen, sondern wurden den niedersächsischen Jugendämtern nach vorläufiger Inobhutnahme durch Jugendämter anderer Bundesländer über das Bundesverwaltungsamt von der niedersächsischen Landesverteilstelle zugewiesen. Eine von einem anderen Jugendamt in einem anderen Bundesland vorgenommene Altersfeststellung ist nicht bindend. Jugendämter haben bei Zweifeln am festgestellten Alter im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen unter Beachtung der üblichen Grundsätze zu ermitteln (§§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 SGB X). Die Behörde bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, und führt ein Altersfeststellungsverfahren durch. Die Erstattungspflicht des Landes für die von den örtlichen Trägern aufgewendeten Kosten richtet sich nach dem Siebten Kapitel, Dritter Abschnitt SGB VIII (insbesondere gem. § 89 d Abs. 1 SGB VIII). Weiterhin gewährt Niedersachsen für die Zeit ab dem 01.11.2015 eine einmalige Pauschalzahlung an die örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Höhe von 2 000 Euro für jeden zugewiesenen umA. Mit der Änderung des Nds. AG SGB VIII ist die Pauschale in § 16 b Abs. 2 Nds. AG SGB VIII gesetzlich verankert. Zur Höhe der Pauschale wurde eine Vereinbarung zwischen dem Land Niedersachsen und den kommunalen Spitzenverbänden Niedersachsens abgeschlossen. 1. Wie viel Euro hat das Land Niedersachsen für wie viele unbegleitete minderjährige Ausländer in den Jahren 2017 und 2018 ausgegeben (bitte Kosten und Anzahl getrennt nach Jahren angeben)? In 2017 lagen dem Niedersächsischen Landesjugendamt für 7 483 unbegleitete minderjährige Ausländer Kostenerstattungsanträge vor, die seit dem 01.11.2015 eingegangen sind. In 2018 kamen 954 neue Kostenerstattungsanträge hinzu. Die Kostenerstattung ist nachgelagert. In wie vielen Fällen in 2017 oder 2018 den Kommunen Kosten erstattet wurden und in welchen Zeiträumen den Kommunen diese Kosten entstanden sind, wird im Landesjugendamt nicht statistisch erfasst. Kosten , die den Kommunen seit dem 01.11.2015 entstanden sind, verjähren gegenüber den Kommunen gemäß § 113 SGB X frühestens Ende 2019. Daher können die Jahresausgaben des Landes nicht zur UMA-Anzahl ins Verhältnis gesetzt werden. Die Ausgaben beliefen sich im Jahr 2017 auf 261 063 131 Euro und im Jahr 2018 auf 237 375 724,51 Euro. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4863 3 2. Bei wie vielen unbegleiteten minderjährigen Ausländern hat das Land Niedersachsen 2018 bzw. 2017 eine Altersfeststellung durchgeführt? Siehe Vorbemerkungen. Ein Jugendamt hat nur die ärztlichen Untersuchungen angegeben, die durchgeführt wurden, nachdem Zweifel an der Minderjährigkeit der umA aufgekommen sind (29 Fälle in den Jahren 2017 und 2018). Sieben Jugendämter haben nur eine Gesamtanzahl an durchgeführten Altersfeststellungen mitgeteilt , jedoch nicht aufgeschlüsselt, welcher Art die Altersfeststellung war (29 Fälle). 22 Jugendämter haben angegeben, in 53 Fällen das Alter durch die Vorlage von Ausweispapieren, in 32 Fällen durch Selbstauskunft, in 146 Fällen mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme durchgeführt zu haben und in 17 Fällen eine Altersfeststellung durch eine ärztliche Untersuchung durchgeführt zu haben. Es wurden in den Jahren 2017 und 2018 insgesamt 306 Altersfeststellungen von den 30 Jugendämtern durchgeführt. 3. In wie vielen Fällen wich das Ergebnis der Altersfeststellung von den Angaben des Ausländers ab? In 72 Fällen wich das Alter ab (in zwei Fällen hatten sich die umA als älter ausgegeben). In weiteren acht Fällen wurde eine Altersabweichung durch andere Behörden festgestellt, in einem Fall belegten nachträglich bekannt gewordene Dokumente ein anderes Alter, und in einem Fall gab der umA nachträglich zu, ein anderes Alter zu haben. 4. In wie vielen Fällen wurde festgestellt, dass ein nach eigenen Angaben minderjähriger Ausländer bereits volljährig war? In 62 der bei Frage 3 genannten Fälle stellte sich eine Volljährigkeit heraus. Hinzu kamen sieben Fälle, in denen die Volljährigkeit durch andere Behörden festgestellt wurde (von den acht Fällen bei Frage 3), sowie ein Fall, in dem der Betroffene dies selbst nachträglich angab. 5. Wie viele unbegleitete minderjährige Ausländer sind im ersten Halbjahr 2019 in Niedersachsen neu aufgenommen worden? Im ersten Halbjahr 2019 sind 216 umA neu nach Niedersachsen gekommen. 6. Wie viele unbegleitete minderjährige Ausländer bzw. Flüchtlinge leben derzeit in Niedersachsen ? Derzeit befinden sich 2 793 unbegleitete minderjährige und junge volljährige Ausländer in Jugendhilfemaßnahmen der Niedersächsischen Jugendämter, hiervon sind 1 782 volljährig (Stand: 30.09.2019). 7. Mit welchen Kosten für unbegleitete minderjährige Ausländer rechnet die Landesregierung im Jahr 2019? Siehe Ausführungen zu Frage 1. Die Landesregierung rechnet nach derzeitigem Antragsaufkommen mit Ausgaben für die umA in Höhe von mindestens 107 Millionen Euro. (Verteilt am 18.10.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Unbegleitete minderjährige Ausländer (Flüchtlinge) in Niedersachsen