Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4907 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Verbliebene Probleme nach Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 26.09.2019 - Drs. 18/4690 an die Staatskanzlei übersandt am 02.10.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 21.10.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Nachdem die Wahlrechtausschlüsse für Menschen unter Vollbetreuung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurden, verabschiedete der Bundestag einen Gesetzesentwurf (Bundestags- Drucksache 19/9228). Der Gesetzesentwurf, welcher nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gesetzeslage anpassen sollte, beinhaltet eine Klarstellung der Strafbarkeit der Wahlfälschung bei zulässiger Assistenz . Des Weiteren werden einige notwendige Änderungen der Bundes- und Europawahlordnung vorgenommen. Bei Betreuern und Angehörigen sorgt der Gesetzesentwurf für Unklarheit und Verunsicherung, denn er beschreibt strafrechtliche Folgen bei Beeinflussung. Vorbemerkung der Landesregierung Das Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht. Daher ist es auch nicht zulässig, dass eine andere Person anstelle einer wahlberechtigten Person wählt. Zulässig ist es jedoch, dass eine Person, die des Lesens unkundig oder wegen einer Behinderung an der Stimmabgabe gehindert ist, sich der Hilfe einer anderen Person bedienen kann. Dabei hat sich die Hilfeleistung auf die Erfüllung der Wünsche der wählenden Person zu beschränken, d. h. die Hilfsperson darf nur eine von der wahlberechtigten Person selbst getroffene und geäußerte Wahlentscheidung umsetzen, nicht jedoch eine eigene Entscheidung treffen und selbst anstelle der wahlberechtigten Person wählen. An dieser Rechtslage hat sich auch durch die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die aktuellen Gesetzesanpassungen auf Bundesebene grundsätzlich nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29. Januar 2019 für das Bundeswahlrecht entschieden, dass die zu jener Zeit (noch) bestehenden Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten nach § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWG) und für wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Straftäter nach § 13 Nr. 3 BWG verfassungswidrig sind. § 13 Nr. 3 BWG ist darüber hinaus für nichtig erklärt worden (BVerfG 2 BvC 62/14). Auch in dieser Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht, dass das Wahlrecht ein höchstpersönliches Recht sei. Eine treuhänderische Wahrnehmung sei verfassungsrechtlich unzulässig . So könne das Wahlrecht (als höchstpersönliches Recht) von vornherein auch nicht Gegenstand einer Betreuerbestellung sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in der o. g. Entscheidung ausgeführt, dass die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nrn. 2 und 3 BWG für das Verfassungsgut des Schutzes der Integrität der Wahl vor Manipulations- und Missbrauchsgefahren nicht erforderlich seien, da diesbezüglichen Gefahren Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4907 2 durch mildere, gleich geeignete Maßnahmen hinreichend Rechnung getragen werden könne. Das geschehe sowohl durch verfahrensrechtliche Sicherungen gegen Manipulationsgefahren im Bundeswahlgesetz als auch durch die strafrechtliche Sanktionierung einer Verletzung der Integrität des Wahlvorgangs gemäß §§ 107 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Darüber hinaus gab das oberste Gericht den Hinweis, dass sich diese Vorkehrungen bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte weiter ausbauen ließen. Mit dem am 1. Juli 2019 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Juni 2019 (BGBl. I S. 834) hat der Bundesgesetzgeber dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 Rechnung getragen. Er hat die bisherigen Ausschlüsse vom aktiven und passiven Wahlrecht für die oben genannten Personen vollständig gestrichen. Zugleich hat er vor dem Hintergrund, dass das Wahlrecht ein höchstpersönliches Recht ist und eine Assistenz auch weiterhin nur bei der Kundgabe der von der wahlberechtigten Person selbst getroffenen Wahlentscheidung zulässig ist, die geltenden Voraussetzungen für eine zulässige Assistenz zur Klarstellung und zum Schutz von allen am Wahlvorgang beteiligten Personen näher konkretisiert und teilweise Vorschriften aus der Verordnung zusätzlich auf die Ebene des Gesetzes hochgezont. Konkret wurden z. B. die Regelungen über die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Hilfsperson und deren Geheimhaltungspflicht überarbeitet, und es wurde die Unzulässigkeit einer Ausübung der Wahl durch eine Vertreterin oder einen Vertreter anstelle der wahlberechtigten Person klargestellt . Zudem wurde in § 107 a Abs. 1 StGB, der ein „unbefugtes“ Wählen als Wahlfälschung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, ein neuer Satz 2 angefügt, der ausdrücklich klarstellt, dass auch strafbewehrt unbefugt wählt, wer im Rahmen einer an sich zulässigen Assistenz entgegen der oder ohne eine geäußerte Wahlentscheidung der wahlberechtigten Person wählt. Die Vorschriften der §§ 107 bis 108 c StGB gelten sowohl für die Bundestags- und Eurowahlen als auch für die Wahlen und Abstimmungen in den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaften (§ 108 d StGB). In Niedersachsen wurden als Reaktion auf die o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits mit Gesetz vom 27. März 2019 (Nds. GVBl. S. 70) die Wahlrechtsausschlüsse im Kommunal - und Landeswahlrecht für Betreute in allen Angelegenheiten und für wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Straftäter (§ 48 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes und § 3 Nrn. 2 und 3 des Niedersächsischen Landeswahlgesetzes ) gestrichen. Von einer Änderung oder Ergänzung der bestehenden Regelungen zur Stimmabgabe unter Inanspruchnahme einer Hilfsperson im Kommunal- und Landeswahlrecht war zunächst abgesehen worden, um die auf Bundesebene zu erwartende Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Nachdem auf Bundesebene die neuen wahlrechtlichen Assistenzregelungen in Kraft getreten sind, wird derzeit geprüft, ob und wie die im Bundes- und Europawahlrecht vorgenommenen Änderungen zur Harmonisierung der wahlrechtlichen Bestimmungen auch in das niedersächsische Landes- und Kommunalwahlrecht übernommen werden können. 1. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in welchen es bei vergangenen Wahlen zu Problemen mit der Wahlassistenz gekommen ist, und falls ja, welche? (Was ist wann wo passiert?) Die Neuregelung über die Strafbarkeit der Wahlfälschung bei zulässiger Assistenz ist am 1. Juli 2019 in Kraft getreten. Seitdem haben erst in einigen niedersächsischen Kommunen einzelne Direktwahlen der Hauptverwaltungsbeamten stattgefunden. Probleme bei diesen Wahlen sind der Landesregierung nicht bekannt. Soweit die Frage nach „Problemen mit der Wahlassistenz“ bei vergangenen Wahlen so weit ausgelegt werden soll, dass - unabhängig von den im Jahr 2019 erfolgten Wahlrechtsänderungen - auch Fälle gemeint sind, bei denen in unzulässiger Weise für andere Personen gewählt wurde, ist der Landesregierung bekannt, dass es Probleme bei den allgemeinen Kommunalwahlen 2016 in Qua- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4907 3 kenbrück, die dort teilweise wiederholt werden mussten, gegeben hatte. Kommunale Politiker aus zwei Parteien hatten dort die Wahlen manipuliert, indem sie die Unerfahrenheit von Personen ausnutzten und Wahlunterlagen anstelle der Wahlberechtigten ausfüllten, unzulässig Einfluss auf die Wahlentscheidung nahmen oder Briefwahlunterlagen entwendeten. Auch bei den allgemeinen Kommunalwahlen 2006 gab es ähnliche Vorkommnisse in der Gemeinde Wietze. Dort musste die Gemeindewahl wiederholt werden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Altenheim-Betreiberin zum Teil selbst Stimmzettel ausgefüllt hatte oder Senioren dazu überredet hatte, das Kreuz bei kandidierenden Angehörigen der Altenheim-Betreiberin zu machen. Als Belohnung erhielten die Senioren Schokolade und Zigaretten. 2. Wie positioniert sich die Landesregierung zur möglichen Strafbarkeit der Wahlfälschung bei zulässiger Assistenz, welche im Gesetzesentwurf klargestellt wird? Wer zwar im Rahmen einer an sich zulässigen Assistenz, aber entgegen der oder ohne eine geäußerte Wahlentscheidung der wahlberechtigten Person wählt, wählt „unbefugt“ und begeht damit eine Wahlfälschung im Sinne von § 107 a Satz 2 StGB. Die Ergänzung des Satzes 2 in dieser Vorschrift dient der Rechtssicherheit sowohl für die Wählerinnen und Wähler, die für die Wahlteilnahme der Assistenz einer Hilfsperson bedürfen, als auch für die Assistenzpersonen selbst. Sie wird daher von der Landesregierung begrüßt. Im Übrigen war auch als Ergebnis der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen bundesweiten „Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung “ im Jahr 2016 festgestellt worden, dass im Falle der Streichung der Wahlrechtsausschlüsse gleichsam kompensatorisch u. a. auch eine Strafvorschrift in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden müsse, die das Verfälschen der Stimmabgabe in Fällen assistierter Wahlhilfe unter Strafe stelle. 3. Plant die Landesregierung, in dieser Thematik aktiv zu werden, z. B. durch eine Bundesratsinitiative ? Die Landesregierung plant nicht, in dieser Thematik durch eine Bundesratsinitiative aktiv zu werden . Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. (Verteilt am 23.10.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Verbliebene Probleme nach Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse