Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4931 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Anfrage bezüglich einer abstrakten Normenkontrolle des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP), eingegangen am 23.09.2019 - Drs. 18/4650 an die Staatskanzlei übersandt am 09.10.2019 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 24.10.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten In seinem rechtswissenschaftlichen Gutachten zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Erhebung des Solidaritätszuschlags (ab 2020) weist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier an verschiedenen Stellen darauf hin, dass eine unbefristete Erhebung des Solidaritätszuschlags , wie sie derzeit durch die Bundesregierung geplant ist, das Interesse des Landes Niedersachsen in erheblichem Maße berühre. Gleichermaßen weist der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags in seiner Ausarbeitung zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags auf selbiges hin. – Gutachten Prof. Papier, abrufbar unter: https://www.fdpbt.de/sites/default/files/2019-05/Papier_ Soli-Gutachten.pdf. – Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/655866/4410c74d5f58e7ccf5830b0c4c2d3f39/WD-4- 099-19-pdf-data.pdf). Folgende Passagen des Gutachtens von Prof. Papier sind in diesem Zusammenhang zu beachten: – „Es besteht mit anderen Worten die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, dass sich eine voraussetzungslose und im Wesentlichen auf Dauer angelegte Handhabung des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG zu einem juristischen Hebel entwickelt, das grundgesetzliche System der bundesstaatlichen Aufgaben- und Ausgabenverteilung, also den Grundsatz der Konnexität von Aufgaben- und Ausgabenzuständigkeit (Art. 104 a Abs. 1 GG), faktisch zu verändern oder zu unterlaufen, und zwar zulasten der Bundesländer, die auf diese Weise Stück für Stück ihre vom Grundgesetz vorausgesetzte Eigenstaatlichkeit verlieren.“ (Papier, 2019, S. 24), – „Aufgrund eines solchen Formenmissbrauchs durch Ausweichen auf das Institut der Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG würde den Ländern ihr Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer als Gemeinschaftssteuer nach Art. 106 Abs. 3 S. 1 und 2 GG insoweit vorenthalten werden. Dieser Formenmissbrauch würde darüber hinaus auch die Beteiligungsrechte des Bundesrates gemäß Art. 105 Abs. 3 GG umgehen.“ (Papier, 2019, S. 28). Der Wissenschaftliche Dienst nennt zudem ähnliche Argumente in den folgenden Passagen: – In Bezug auf die Anforderung an einen besonderen Finanzbedarf im Zusammenhang mit der Erhebung einer Sonderabgabe heißt es: „Dem wendet die Literatur aber mit guten Gründen das Argument entgegen, dass es so an jeder Schranke für die Einführung einer Ergänzungsabgabe fehlen würde und dem Bund keine Grenzen mehr gesetzt wären.“ (Wissenschaftlicher Dienst, 2019, S. 15). – „Papier führt insoweit aus, dass die Finanzverfassung eine Schutz- und Begrenzungsfunktion erfülle und der Bürger darauf vertrauen dürfe, nur im Rahmen der vorgesehenen Instru- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4931 2 mente besteuert zu werden. Dies wiederum setze voraus, dass eine Ergänzungsabgabe sich nicht aus jedem allgemeinen Finanzierungsbedarf rechtfertigen könne. ‚Der Bundesgesetzgeber erlangte dann nämlich die Möglichkeit, außerhalb der Aufkommensverteilung nach Art. 106 Abs. 3 GG zwischen dem Bund und den Ländern und ohne Zustimmung des Bundesrates beachtliches Aufkommen aus der Einkommensbesteuerung nach ‚eigenem Gutdünken‘ zu generieren.“ (Wissenschaftlicher Dienst, 2019, S. 15). – „Papier führt schließlich weiter aus, dass eine dauerhafte Besteuerung der Bürger sich nach den dazu erforderlichen Gesetzgebungsprozessen in der Finanzverfassung richten müsse und resümiert: ‚Ein voraussichtlich dauerhafter Finanzbedarf des Bundes muss entweder über eine entsprechende Anpassung der Regelsteuern oder über eine Neuverteilung der Umsatzsteueraufkommen nach Maßgabe des Art. 106 Abs. 3 Sätze 3 ff. GG erfolgen‘.“ (Wissenschaftlicher Dienst, 2019, S. 16). Weiterhin nennt der Wissenschaftliche Dienst die Befürchtung einer Progressionsverschärfung und von Progressionssprüngen gemäß Wernsmann 2018. Diese Wirkung verglich das BVerfG einst mit einer Tarifänderung der Einkommensteuer, welche jedoch „nur unter der Mitwirkung der Länder im Wege eines Zustimmungsgesetzes erfolgen könne“ und somit ohne diese Zustimmung gemäß Wernsmann 2018 zur Verfassungswidrigkeit führe (Wissenschaftlicher Dienst, 2019, S. 21 f.): – „Könnte der Bund nun durch eine nicht streng akzessorisch (proportional) an die Höhe der Einkommensteuerschuld anknüpfende Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe eigene politische Gestaltungsvorstellungen hinsichtlich des Tarifverlaufs (bezogen auf die Gesamtsteuerbelastung des einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens) umsetzen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss, so kommt es zu einer Umgehung des Art. 105 III GG und damit zu einem Wertungswiderspruch zu Art. 105 III GG.“ (Wissenschaftlicher Dienst, 2019, S. 22). Entsprechend den aufgeführten Beispielen bemerken Prof. Papier sowie weitere Sachverständige, wie es auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes an zahlreichen Stellen feststellt, dass das SolZG 1995 unter den gegebenen Voraussetzungen ab dem 01.01.2020 verfassungswidrig sei. Eine abstrakte Normenkontrolle ist nicht fristgebunden und könnte daher auf Grundlage des beschriebenen Sachverhalts gegen das bestehende SolZG 1995 beantragt werden. Ebenfalls kann bezugnehmend auf eine etwaige Änderung des Gesetzes durch die Bundesregierung in diesem Jahr eine abstrakte Normenkontrolle beantragt werden. Antragsberechtigt ist u. a. ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestags oder eine Landesregierung. 1. Inwiefern teilt die Landesregierung die Einschätzung von Prof. Papier betreffend die Interessen des Landes Niedersachsens mit Bezug auf das SolZG 1995? Im Rahmen der Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 wurden seitens des Landes Niedersachsen die Schlussfolgerung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragtem für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung und weiterer Experten, dass der teilweise Fortbestand des Solidaritätszuschlags verfassungsrechtlichen Risiken unterliegt, geteilt. 2. Wird die Landesregierung in Wahrnehmung der Interessen des Landes Niedersachsens eine abstrakte Normenkontrolle des SolZG 1995 (bzw. bezugnehmend auf die Änderung des Gesetzes wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgeführt) beantragen? Es ist nicht beabsichtigt, eine abstrakte Normenkontrolle des SolZG 1995 zu beantragen. 3. Falls ja, wann? Entfällt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4931 3 4. Falls nein, warum nicht? Die abstrakte Normenkontrolle des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 ist entbehrlich, da beim Bundesverfassungsgericht bereits Normenkontrollverfahren anhängig sind. Unter anderem hat das BVerfG noch über eine Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) zur Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags zu entscheiden. Das NFG hält den Solidaritätszuschlag aufgrund folgender Punkte für verfassungswidrig: – Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Einkünfte, – Ungleichbehandlung gewerblicher und nichtgewerblicher Einkünfte, – Verletzung der Finanzverfassung/verfassungsmäßigen Ordnung, – Verstoß gegen die allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen/Rechtstaatprinzip. Zum Fortbestand des Solidaritätszuschlags ist zudem eine Musterklage beim Finanzgericht Nürnberg (Az.: 3 K 1098/19) anhängig betreffend die Festsetzung des Solidaritätszuschlag in den Einkommensteuervorauszahlungen 2020. Deren Ausgang bleibt abzuwarten. (Verteilt am ) (Verteilt am 25.10.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Anfrage bezüglich einer abstrakten Normenkontrolle des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995