Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4940 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Gibt es Demokratiedefizite im Blindenwohnheim Wilhelm-Marhauer-Haus in Hannover? Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD), eingegangen am 18.09.2019 - Drs. 18/4624 an die Staatskanzlei übersandt am 23.09.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 24.10.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Von Bewohnerseite gibt es Beschwerden über die diesjährige Wahl zum Bewohnerbeirat im Blindenwohnheim Wilhelm-Marhauer-Haus in Hannover. Die Wahl des Beirates hat nach meinem Wissen mittlerweile stattgefunden. Vorbemerkung der Landesregierung Dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) sind Beschwerden sowohl zu der Zusammensetzung des Wahlausschusses als auch zu der Wahl der Heimbeirates bekannt. Die Zusammensetzung des Wahlausschusses ist Gegenstand einer laufenden Landtags-Petition sowie weiterer Schriftwechsel in diesem Zusammenhang. MS hat seine Stellungnahme am 13.09.2019 abgegeben. Die Wahl zum Heimbeirat selbst wurde mit Erklärung der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e. V. (BIVA) vom 07.08.2019 angefochten. Hierzu wurde die BIVA von drei Bewohnern der Einrichtung bevollmächtigt. Diese Anfechtung wurde durch Verfügung des Landesamts für Soziales, Jugend und Familie mit Datum vom 11.09.2019 zurückgewiesen. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat MS darüber berichtet. 1. Hat die Landesregierung Kenntnis über die Wahl zum Heimbeirat im Blindenwohnheim Wilhelm-Marhauer-Haus in Hannover? Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 a des Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG) ist das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie zuständige Heimaufsichtsbehörde für Heime oder Teile von Heimen für volljährige Menschen mit Behinderungen, für die keine Verträge nach § 72 Abs. 1 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs bestehen. Das Wilhelm-Marhauer-Haus, Hannover, ist eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, und somit ist zuständige Heimaufsichtsbehörde das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie. Es unterliegt der Fachaufsicht des MS. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4940 2 2. Sind der Landesregierung Beschwerden über die Heimbeiratswahl sowie die Vorbereitung zur Heimbeiratswahl bekannt? Siehe Vorbemerkung. 3. Hat die Landesregierung Kenntnis über die Zusammensetzung des am 21.05.2019 installierten Wahlausschusses zur Heimbeiratswahl? Siehe Vorbemerkung. 4. Vor dem Hintergrund der Wahldurchführungsverordnung, die besagt, dass der Wahlausschuss aus drei Bewohnern der Einrichtung bestehen soll: a) Hat die Landesregierung Kenntnis davon, wie die Wahlkommission tatsächlich zusammengesetzt worden war, wenn ja, wie? Gemäß § 6 Abs. 1 der Verordnung über die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebes (Heimmitwirkungsverordnung - HeimmwV) bestellt der bestehende Heimbeirat drei Wahlberechtigte als Wahlausschuss. Gemäß § 3 Abs. 1 HeimmwV sind wahlberechtigt alle Personen, die am Wahltag im Heim wohnen. Der Wahlausschuss ist daher aus dem Kreis der Bewohnerschaft zu bestellen. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 HeimmwV hat die Leitung des Heims den Wahlausschuss zu bestellen, wenn sechs Wochen vor Ablauf der Amtszeit des Heimbeirats kein Wahlausschuss besteht. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 HeimmwV hat die Leitung in diesen Fällen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Heims zu Mitgliedern des Wahlausschusses zu bestellen . Da lediglich zwei Wahlberechtigte zum Heimbeirat des Wilhelm-Marhauer-Hauses, Hannover, ihre Bereitschaft erklärt hatten, im Wahlausschuss mitzuwirken, konnte der Wahlausschuss nicht im erforderlichen Umfang aus dem Kreis der Bewohnerschaft gebildet werden. Dies hat der Heimbeirat Mitte Mai 2019 der Heimleitung rückgemeldet. Hierauf hat die Heimleitung einen Mitarbeitenden des Heims als drittes Mitglied des Wahlausschusses benannt. Dies war der pädagogische Leiter der Einrichtung. Der bestehende Heimbeirat hat einstimmig den pädagogischen Leiter der Einrichtung als drittes Mitglied des Wahlausschusses gewählt. Damit wurde der Wahlausschuss mit zwei Wahlberechtigten des Wilhelm-Marhauer-Hauses und einem Mitarbeitenden aus dem Heim besetzt. b) Wenn von dem Grundsatz zur Zusammensetzung des Wahlausschusses seitens der Heimleitung bzw. mit Einverständnis der Heimaufsicht abgesehen wurde: Welche Gründe gab es hierfür? Siehe Antwort zu a). 5. Hat die Landesregierung Kenntnis darüber, dass die Namen der Mitglieder der Wahlkommission den Bewohnern des Hauses nicht bekannt gemacht wurden? Trifft es zu, dass die Heimaufsicht ebenfalls keine Kenntnis über die Zusammensetzung der Wahlkommission hat/hatte (beide Fragen bitte einzeln beantworten)? Hierüber liegen keine Erkenntnisse vor. Die Heimmitwirkungsverordnung schreibt aber eine solche Bekanntmachung der Mitglieder des Wahlausschusses weder an die Bewohnerschaft des Heims noch an die Heimaufsichtsbehörde vor. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4940 3 6. Hat die Landesregierung Kenntnis darüber, dass das normale Abstimmungsprozedere mittels Handheben durch eine schriftliche Stimmabgabe ersetzt wurde? Wurden in diesem Zusammenhang sämtliche Wahlzettel den Bewohnern blinden- und behindertengerecht zur Verfügung gestellt? Gemäß § 7 a HeimmwV kann in Heimen mit in der Regel bis zu 50 Bewohnerinnen und Bewohnern der Heimbeirat auf einer Wahlversammlung gewählt werden. Gemäß § 11 a Abs. 2 HeimmwV bedarf es hierzu eines Antrags des Wahlausschusses an die zuständige Behörde. Dieser § 11 a steht unter der Überschrift „Abweichende Bestimmungen für die Bildung des Heimbeirates“. Damit ist klargestellt, dass das Wahlverfahren, wie es nach § 5 HeimmwV vorgegeben ist, dass regelgerechte Wahlverfahren ist und die Wahl des Heimbeirats durch Abstimmung auf einer Wahlversammlung die Ausnahmeregelung. Gemäß § 5 Abs. 1 HeimmwV wird der Heimbeirat in gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt. In dieser Form hat die Wahl zum Heimbeirat stattgefunden. Da das Wilhelm-Marhauer-Haus mit bis zu 83 Bewohnerinnen und Bewohnern belegt werden kann, hätte auch für einen Antrag des Wahlausschusses an die zuständige Behörde auf Wahl des Heimbeirats in einer Wahlversammlung kein Raum bestanden. Zum Zeitpunkt der Wahl lebten in der Einrichtung Wilhelm-Marhauer-Haus, Hannover, ca. 60 Bewohnerinnen und Bewohner. Ca. die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner verfügt über ein geringes Restsehvermögen. Diese Bewohnerinnen und Bewohner sind in der Lage, Schriftstücke unter Zuhilfenahme entsprechender Hilfsmittel zu lesen. Von den Bewohnerinnen und Bewohnern ohne Sehvermögen verfügen einige über die Fähigkeit, Punktschrift (Braille) als Mittel der Kommunikation zu nutzen. Die Einrichtung nutzte daher im Vorfeld der Wahl weitere Möglichkeiten zur Information der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Wahllisten wurden in Schwarzschrift und Punktschrift am Schwarzen Brett ausgehängt. Die Kandidatinnen und Kandidaten zur Heimbeiratswahl wurden außerdem mittels Lautsprecherdurchsagen bekanntgegeben. Weiterhin kam als technisches Hilfsmittel ein sogenannter Talker zum Einsatz. Auf diesem Gerät gespeicherte Informationen können beliebig oft abgerufen werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden auch rechtzeitig darauf hingewiesen , dass sie am Wahltag durch eine Vertrauensperson begleitet werden können, die entsprechende Hilfestellung beim Ausfüllen des Wahlzettels leistet. Bei der Stimmabgabe stand nach Angaben der Einrichtung zusätzlich eine von dieser gestellte Vertrauensperson zur Verfügung. Diese fungierte als Assistenz zum Ausfüllen der Wahlzettel. Diese Verwaltungskraft war am sonstigen Wahlverfahren nicht beteiligt und auch nicht Mitglied der Wahlausschusses . 7. Hat die Landesregierung Kenntnis über das Auszählungsprozedere der Heimbeiratswahl ? Wurde von den Bewohnern eine Zählkommission gewählt, die unabhängig und selbstständig die Auszählung der Wahlzettel vorgenommen hat? Gibt es Hinweise oder Beschwerden seitens der Bewohner, dass die Wahlkommission bei der Auszählung übermäßig eingegriffen hat? Gemäß § 7 Abs. 2 HeimmwV hat der Wahlausschuss die Wahlhandlung zu überwachen, die Stimmen auszuzählen und das Wahlergebnis in einer Niederschrift festzustellen. Nach den Feststellungen des LS lag hierzu eine Beschwerde eines Bewohners vor. Demnach wäre beabsichtigt gewesen , dass der Heimleiter an der Auszählung der Stimmen mitwirken sollte. Das LS hat die Heimleitung daher noch vor der Wahl zum Heimbeirat darauf hingewiesen, dass es ausschließliche Aufgabe des Wahlausschusses ist, die Wahl durchzuführen. Das Vier-Augen-Prinzip ist auf andere Weise sicherzustellen. Weitere Beschwerden zur Arbeit der Wahlkommission lagen nicht vor. 8. Sind der Landesregierung Körperverletzungen an Bewohnern bekannt? Es lag die Beschwerde eines Bewohners vor, wonach dieser weitere körperliche Übergriffe befürchtet hatte, denen er, nach seinem Vortrag, bereits im Vorfeld der Heimbeiratswahlen ausgesetzt gewesen war. Dieser Bewohner hatte vorgetragen, dass er von verschiedenen Personen an mehreren Tagen mehrfach geschlagen und getreten worden sei. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/4940 4 Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat diese Beschwerde am 05.08.2019 erreicht. Am 09.08.2019 ist das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie dieser Beschwerde nachgegangen . Die Einrichtung wurde an diesem Tag gemäß § 9 Abs. 1 NuWG anlassbezogen und unangemeldet überprüft. Anlässlich dieser Überprüfung wurde mit dem Beschwerdeführer, dem Heimleiter und weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen. Das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie hat am Tag der anlassbezogen Prüfung außerdem telefonisch bei der zuständigen Polizeiinspektion Süd (Bemerode) zum Beschwerdevortrag des Bewohners nachgefragt. Der Bewohner hat gegenüber einer Mitarbeiterin des Landesamts für Soziales, Jugend und Familie bekundet, dass er sich von einem anderen Bewohner bedroht und provoziert fühlt. Der Bewohner führt dazu weiter aus, dass es in einer Situation auch zu einem, von ihm so empfundenen, körperlichen Übergriff von diesem Bewohner gekommen ist. Weiter hatte der Bewohner gegenüber einer Mitarbeiterin des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie bestätigt, dass er von niemand anderem geschlagen oder getreten worden sei. a) Gab es diesbezüglich strafrechtliche Ermittlungen bzw. Anzeigen seitens der Bewohner ? Durch die Polizeiinspektion Süd wurde auf Nachfrage einer Mitarbeiterin des Landesamtes für Soziales , Jugend und Familie ein Einsatz in der Einrichtung bestätigt, weil der betreffende Bewohner die Polizei in die Einrichtung gerufen hatte. Eine Strafanzeige liegt nicht vor. b) Konnten Körperverletzungen seitens der Ermittlungsbehörden an Bewohnern festgestellt werden? Körperverletzungen konnten nicht festgestellt werden. c) Wer war für die Verletzungen verantwortlich? Welche Gründe gab es für die Taten (bitte nach Vorkommnis einzeln aufschlüsseln)? Siehe Antwort zu b). d) Wie ist die Heimleitung damit umgegangen? Auf Nachfrage durch eine Mitarbeiterin des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie erklärte die Heimleitung, dass sie weder von Körperverletzungen zum Nachteil von Bewohnern noch von einem Polizeieinsatz in der Einrichtung Kenntnis gehabt hatte. Die Heimleitung konnte aber berichten , dass es schon öfter Spannungen zwischen den betreffenden (beiden) Bewohnern gegeben habe. Körperliche Übergriffe hätten sich aber nach ihrer Kenntnis nicht ereignet. e) Wie ist die Heimaufsicht damit umgegangen? Durch eine Mitarbeiterin des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie wurde im Wege der Beratung gemäß § 10 NuWG gegenüber der Heimleitung auf die Meldepflicht aus § 7 Abs. 4 NuWG gegenüber der Heimaufsichtsbehörde bei Bekanntwerden von Gewalt in der Pflege hingewiesen . Auf Nachfrage erklärte der Heimleiter, dass bereits Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Deeskalationstechniken erfolgt sind. Hierzu wurden Teilnahmelisten eingesehen. Weitere Schulungen wurden angeregt und sollen folgen. Es wurde dringend angeregt, den internen Informationsfluss zu überprüfen, gleichwohl ein Mangel hierzu nicht sicher festgestellt werden konnte. (Verteilt am 28.10.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Gibt es Demokratiedefizite im Blindenwohnheim Wilhelm-Marhauer-Haus in Hannover?