Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5015 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Fragen zur Berechnung von Kontokorrent- und Darlehenszinsen bei den Sparkassen und anderen Finanzinstituten Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE), eingegangen am 08.10.2019 - Drs. 18/4767 an die Staatskanzlei übersandt am 11.10.2019 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 06.11.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Das Oberlandesgericht Celle verurteilte am 23.11.2016 die Sparkasse Verden, einem Kläger „28 330,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.8.2016 zu zahlen“. Ein großer Teil älterer Forderungen des Klägers war laut Gerichtsentscheid verjährt. Hintergrund der Klage war eine jahrzehntelange Kundenbeziehung. Grund des Streits war eine gleitende Zinsklausel für Kontokorrentkredite auf dem Girokonto und bei Darlehen der Sparkasse . Nach Auffassung des Gerichts hatte die Sparkasse zu hohe Zinsen berechnet. Im Zuge des Streits kündigte die Sparkasse die Geschäftsbeziehung und stellte die offenen Forderungen in Rechnung. Der Kunde musste landwirtschaftlichen Grundbesitz verkaufen, um die unmittelbar fällig gestellten Kredite zu begleichen. Hintergrund des Streits ist ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2009 mit dem Aktenzeichen BGH XI ZR 78/08. Danach müssen Banken den bei der Kontoeröffnung bzw. Darlehensabschluss herrschenden Zinsabstand zwischen dem Zentralbankzins und dem Zins, der dem Kunden gewährt wurde, während der gesamten Laufzeit einhalten. Das ursprünglich vereinbarte vertragliche Äquivalenzverhältnis darf nicht einseitig zugunsten des Instituts verändert werden. Auch Kostensenkungen des Instituts müssen demnach an Kunden weitergegeben werden. Der NDR berichtete über den Fall am 01.09.2019 bei „Hallo Niedersachsen“, und 02.09.2019 online unter dem Titel: „Zocken Sparkassen Kunden bei Giro-Konten ab?“ Vorbemerkung der Landesregierung Das Thema „Zinsberechnung unter Verwendung von Zinsanpassungsklauseln“ bei Sparkassen und anderen Finanzinstituten steht derzeit durch Berichte in den Medien im Fokus der Öffentlichkeit. Grundsätzlich steht es den Kreditinstituten und ihren Kunden nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit frei, die Bemessung von Darlehenszinsen unter Berücksichtigung der Grenzen der Sittenwidrigkeit zu vereinbaren. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen formularmäßig verwendete Zinsberechnungs - bzw. -anpassungsklauseln unterliegen nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung der Inhaltskontrolle durch die Gerichte. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08 - Anforderungen an Zinsanpassungsklauseln in Sparverträgen formuliert. Danach ist der Kunde nur dann nicht unangemessen benachteiligt, wenn das ursprünglich vereinbarte Äquivalenzverhältnis gesichert ist. Die Klausel muss somit eine Bindung des Kreditinstituts an den Umfang der Kostensteigerung vorsehen und eine Verpflichtung enthalten, Kostenminderungen an die Kunden weiterzugeben, ohne dass dem Kreditinstitut ein Ermessen eröffnet ist. Diese Anforderungen wurden in der Folgezeit von den Obergerichten auf Zinsanpassungsklauseln in Darlehensund Kontokorrentverträgen übertragen. Im Gegensatz zu den Urteilen etwa des OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. April 2012, 6 U/11, oder des OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Mai 2014, 9 U 75/11, han- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5015 2 delt es sich bei dem o. a. Urteil des OLG Celle um eine Einzelfallentscheidung, die nicht veröffentlicht worden ist. Weitere Ausführungen hierzu sind daher nicht möglich. Neben der gerichtlichen Kontrolle obliegt die fachlich-inhaltliche Überprüfung, ob Zinsberechnungen unter formularmäßiger Verwendung von Zinsanpassungsklauseln durch Kreditinstitute fehlerhaft vorgenommen worden sind, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Der auf die Rechtsaufsicht über die niedersächsischen Sparkassen beschränkte gesetzliche Auftrag der Sparkassenaufsicht in Niedersachsen (§ 25 des Niedersächsischen Sparkassengesetzes) sieht dagegen eine derartige Überprüfung nicht vor. Darüber hinaus liegen der Sparkassenaufsicht in Niedersachsen diesbezüglich keine Anhaltspunkte für systematische Fehler seitens der Sparkassen vor. Die BaFin hat im Jahr 2016 im kollektiven Verbraucherschutz verschiedene aufsichtsrechtliche Themenschwerpunkte gesetzt, bei denen u. a. die vertraglichen Zinsanpassungsklauseln bei variabel verzinsten Verbraucherdarlehen Gegenstand einer Marktuntersuchung waren. Dabei sollte geklärt werden, ob die Kreditinstitute systematisch Kunden benachteiligen, indem sie bei Verbraucherkrediten Zinsänderungen mit ungerechtfertigter Verzögerung an die Kunden weitergeben. Bei sieben der 50 angeschriebenen Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken ergaben sich Hinweise darauf, dass die verwendeten Vertragsklauseln gegen geltende Rechtsprechung verstoßen bzw. den geltenden rechtlichen Anforderungen nicht in vollem Umfang genügen (https://www.bafin.de/DE/PublikationenDaten/Jahresbericht/jahresbericht_node.html, BaFin-Jahresbericht 2016, Seiten 34, 36, 37). Die BaFin will dieses Thema weiter verfolgen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage in der 18. Wahlperiode geht hervor, dass der BaFin keine Anhaltspunkte für systematisches Fehlverhalten der Institute vorgelegen haben (Bundestags- Drucksache 18/13167). 1. Gibt es in Niedersachsen nach Kenntnis der Landesregierung bei Sparkassen, Genossenschaftsbanken oder Geschäftsbanken neben dem Urteil zur Sparkasse Verden weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zur langjährigen Berechnung von Zinsen bei Kontokorrent- oder Darlehenskrediten vor dem Hintergrund des o. g. BGH-Urteils? Ja. 2. Wenn ja, bei welchen Instituten? Die betreffenden Kreditinstitute haben sich unter Bezug auf das Betriebsgeheimnis gegen eine Weitergabe der Information ausgesprochen. Unter Abwägung der Interessen einer Offenlegung aufgrund des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts gegenüber dem Interesse der Institute überwiegt nach Auffassung der Landesregierung das Geheimhaltungsinteresse der Institute, weil es sich im Zusammenhang mit einem Klageverfahren bei der namentlichen Benennung der Institute und Einzelheiten zum Verfahren (z. B. Streitwert) um Betriebsgeheimnisse handelt. Es ist beispielsweise nicht auszuschließen, dass die Offenlegung der genannten Informationen zu Reputationsschäden oder wirtschaftlichen Schäden führen kann. 3. Wenn ja, wie hoch ist der Streitwert? Siehe Antwort zu Frage 2. 4. Hat die Sparkassenaufsicht nach § 25 des Niedersächsischen Sparkassengesetzes in Niedersachsen Kenntnis von weiteren Konfliktfällen um das Äquivalenzverhältnis von Kontokorrent- und Darlehenskrediten seit dem BGH-Urteil? Ja. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5015 3 5. Hat die Sparkassenaufsicht eigene Prüfungen bei Sparkassen vorgenommen? Nein, vgl. Ausführungen zum gesetzlichen Auftrag der Sparkassenaufsicht in der Vorbemerkung. 6. Wenn ja, in welchem Zeitraum? Entfällt. 7. Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Entfällt. 8. Gibt es Empfehlungen des niedersächsischen oder des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes zur Umsetzung des Äquivalenzverhältnisses des BGH-Urteils in der Praxis ? Der Niedersächsische Sparkassen- und Giroverband (NSGV) hat seine Mitgliedssparkassen über das Urteil des BGH aus dem Jahr 2009 (XI ZR 78/08) unverzüglich informiert. Zur Umsetzung des vom BGH festgestellten Äquivalenzverhältnisses bei Zinsanpassungen wurde über die erforderliche Vereinbarung einer Zinsanpassungsklausel mit den Kundinnen und Kunden in den betroffenen Kreditverträgen informiert. 9. Wenn ja, wie lautet diese Empfehlung in Bezug auf die Marge und den Wertstellungstag ? Empfehlungen bezüglich der Marge oder des Wertstellungstages erfolgen durch den NSGV nicht. Die in den standardisierten Vordrucken enthaltene Zinsanpassungsklausel sieht sowohl bezüglich des Referenzzinssatzes, des Anpassungswertes wie auch des Anpassungsintervalls (Wirkungszeitpunkt ) ein variables, individuell zu befüllendes Feld vor. 10. Gibt es Empfehlungen des Bankenverbandes Niedersachsen zur Umsetzung des Äquivalenzverhältnisses in der Praxis? Der die gemeinsamen Interessen der privaten Banken in Niedersachsen vertretende Bankenverband Niedersachsen hat von einer Stellungnahme abgesehen. 11. Wenn ja, wie lautet diese Empfehlung in Bezug auf die Marge und den Wertstellungstag ? Siehe Antwort zu Frage 10. 12. Hat der Bankenverband Niedersachsen Kenntnis von weiteren Konfliktfällen um das Äquivalenzverhältnis von Kontokorrent- und Darlehenskrediten seit dem BGH-Urteil? Siehe Antwort zu Frage 10. (Verteilt am 07.11.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung Fragen zur Berechnung von Kontokorrent- und Darlehenszinsen bei den Sparkassen und anderen Finanzinstituten