Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/508 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung Supermarkt ohne Kassen und Kassierer Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD), eingegangen am 13.02.2018 - Drs. 18/333 an die Staatskanzlei übersandt am 20.02.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung vom 13.03.2018, gezeichnet Dr. Bernd Althusmann Vorbemerkung des Abgeordneten In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde in Seattle der erste Supermarkt ohne Kassen und Kassierer durch Amazon eröffnet. Statt Kassierertätigkeiten auszuüben, ist das Personal für die Zubereitung von Salaten, das Befüllen der Regale, die Begrüßung am Eingang und Alterskontrolle beim Alkohol verantwortlich. Vorbemerkung der Landesregierung Amazon ist der Vision, dass Käufer die Waren direkt in ihre Einkaufstaschen legen und am Ende das Geschäft einfach verlassen können, einen Schritt näher gekommen. Ladenbesucher müssen hierfür zunächst ein Konto bei Amazon einrichten und eine spezielle App auf ihr Smartphone herunterladen . Dieses müssen sie beim Betreten und Verlassen des Geschäfts an eine Schranke am Eingang halten. Der Betrag für ihren Einkauf wird dann vom Einkaufskonto abgebucht. Das Geschäft ist mit spezieller Technik ausgestattet, wie z. B. Waagen an jedem Regalboden, um entnommene Artikel zu registrieren, oder Kameras und Sensoren, die erkennen, welche Artikel welcher Käufer aus den Regalen entnimmt. Die Technologie stößt an ihre Grenzen, wenn sie bei größeren Menschenmengen den Überblick behalten soll. Eine von der IHKN in Auftrag gegebene Befragung der Niedersächsischen Händler1 ergab, dass das Angebot technologischer Unterstützungen beim Kassiervorgang gering ist. Nur 27 % der befragten Händler bieten beispielsweise kontaktloses Bezahlen an oder planen demnächst den Einsatz dieser Technologie. Self Scanning Kameras setzen sogar nur 4 % ein. Immerhin 34 % bieten kostenloses W-LAN an oder planen dessen Einsatz. Auf der Kundenseite, insbesondere bei der jüngeren Klientel, steigt hingegen die Nachfrage nach Selbstbedienungskassen und kontaktlosem Bezahlen. 1 IHKN Fokus Februar 2018. ibi research: Der deutsche Einzelhandel 2017. Sonderauswertung Niedersachsen . Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/508 2 1. a) Gibt es rechtliche Hindernisse für einen solchen Supermarkt in Niedersachsen? Wenn ja, welche? b) Wie bewertet die Landesregierung einen solchen Supermarkt im Hinblick auf das Niedersächsische Gesetz über die Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten (NLöffVZG vom 8. März 2007)? c) Gibt es patentrechtliche Schwierigkeiten bei der Einführung eines solchen Konzeptes durch deutsche Supermarktketten? Wenn ja, welche? Zu 1 a: Auch neuartige Geschäftsmodelle müssen selbstverständlich geltendes Recht einhalten. Die Details des Konzepts, das hinter dem in der Frage beschriebenen Supermarkt besteht, sind hier nicht bekannt, eine umfassende Betrachtung der einschlägigen rechtlichen Vorgaben ist daher nicht möglich. Für einen Supermarkt ohne Kassen und ohne Kassiererinnen oder Kassierer sind relevante und zu beachtende Rechtsbereiche z. B. das Gewerberecht und das Arbeitsrecht. Erkenntnisse über spezielle Hindernisse aus diesen Bereichen liegen nicht vor. Der Bereich des Datenschutzrechts wird in Frage 2 gesondert behandelt. Spezielle rechtliche Regelungen für Supermärkte ohne Kassen und ohne Kassiererinnen oder Kassierer bestehen nach derzeitiger Kenntnis nicht. Zu 1 b: Das Niedersächsische Gesetz über Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten (NLöffVZG) gilt für Verkaufsstellen . In diesem Zusammenhang werden neben den Verkaufszeiten und dem Verkaufsangebot an Waren auch die Beschäftigung von Verkaufspersonal in Verbindung mit den gesetzlich anerkannten Öffnungszeiten geregelt. Insoweit ist es ohne Belang, ob in der Verkaufsstelle Personal zum Kassieren beschäftigt wird oder nicht, die gesetzlichen Öffnungszeiten nach dem NLöffVZG sind einzuhalten. Zu 1 c: Die Landesregierung hat der öffentlichen Presse- und anderweitigen Berichterstattung im Internet entnommen, dass Amazon für die neue Einkaufstechnologie im Februar 2014 bei dem US-Patentamt ein Patent angemeldet hat. Über die Anmeldung scheint noch nicht entschieden worden zu sein. Den Ausgang des Registrierungsverfahrens sowie den genauen Inhalt eines gegebenenfalls gewährten Patents vermag die Landesregierung nicht vorherzusehen. Für den Fall einer Patentgewährung dürfte die konkret geschützte Technologie nicht unbefugt genutzt werden. Dies schlösse die Entwicklung anderweitiger Strategien und Techniken zur Realisierung eines vergleichbaren Einkaufssystems jedoch nicht aus. So geht beispielsweise aus einem Eintrag des Online-Lexikons Wikipedia zum Stichwort „Amazon Go“ hervor, dass ein Drittanbieter in der Vergangenheit bereits ein Modell mit Funketiketten erprobt hat. Insoweit bleibt der weitere Fortgang abzuwarten. Eine umfassende und abschließende patentrechtliche Bewertung ist mangels Kenntnis der Details des Konzepts nicht möglich. Spezielle patentrechtliche Schwierigkeiten für Supermärkte ohne Kassiererinnen oder Kassierer sind derzeit nicht bekannt. Allgemein gilt: Mit einem Patent lassen sich technische Erfindungen schützen, wenn sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind (§ 1 Abs. 1 PatG). Patentrechtliche Schwierigkeiten ergeben sich daher, wenn ein deutscher Unternehmer in Deutschland ein Verfahren zum Patent anmeldet, das die o. g. Voraussetzungen nicht erfüllt, insbesondere z. B. nicht neu ist, weil es bereits an anderer Stelle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, vgl. § 3 PatG. Für den Fall, dass ein deutsches Unternehmen ein Verfahren nutzt, auf das ein anderer ein in Deutschland gültiges Patent hält, muss der Verantwortliche mit einem Verbot rechnen oder Lizenzgebühren bezahlen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/508 3 2 a) Wie bewertet die Landesregierung das Konzept im Hinblick auf den Datenschutz? b) Wie bewertet die Polizei das Konzept in Bezug auf Ladendiebstähle? Zu 2 a: Zu diesem konkreten Geschäftsmodell in den USA liegt der Niedersächsischen Landesbeauftragten für Datenschutz kein belastbarer Sachverhalt vor. Eine datenschutzrechtliche Bewertung ist daher nicht möglich. Zu 2 b: Da Einzelheiten der zu verwendenden Technik, die im Rahmen des o. g. Konzepts eingesetzt werden soll, nicht bekannt sind, ist eine abschließende Bewertung des Konzepts im Hinblick auf Ladendiebstähle nicht möglich. 3 a) Geht die Landesregierung davon aus, dass ein solches Konzept den Anteil der Geringverdiener erhöht? Wenn ja, in welchem Umfang in absoluten Zahlen? b) Welchen Einfluss hätte die Einführung eines solchen Konzeptes auf den Arbeitsmarkt in Niedersachsen? c) Welchen Einfluss hätte die Einführung eines solchen Konzeptes auf den Ausbildungsberuf „Kaufmann im Einzelhandel“ in Niedersachsen? Die Teilfragen zu 3 a und 3 b werden zusammen beantwortet. Eines von vielen Beispielen für den erheblichen Strukturwandel, dem der Einzelhandel derzeit unterliegt , ist der Technikeinsatz im stationären Einzelhandel im Rahmen des in der Erprobung befindlichen Konzepts der Supermärkte ohne Kassen. Wie in der Vorbemerkung des Abgeordneten ausgeführt, sind in diesem Konzept zwar keine Kassiererinnen und Kassierer mehr vorgesehen, gleichwohl wird aber Personal für verstärkte Kontrollen und Servicedienstleistungen innerhalb des stationären Einzelhandels benötigt. Die aus der Umsetzung des Konzepts des Supermarkts ohne Kassen gewonnenen Erkenntnisse decken sich mit Prognosen zum Einfluss der Digitalisierung auf die künftige Arbeitswelt. So lautet die Kernbotschaft einer Studie des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB-Forschungsbericht 11/2015 „Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt - Substituierbarkeitspotenziale von Berufen in Deutschland“), dass ein negativer Effekt aus dem verstärkten Technikeinsatz auf die Gesamtzahl der Beschäftigten heute noch nicht sichtbar sei, wohl aber eine deutliche Veränderung von Qualifikationsanforderungen und Tätigkeiten bevorstehe. Zahlen und Daten, die allein die Auswirkungen der Einführung eines solchen Konzepts der Supermärkte ohne Kassen ausweisen, liegen der Landesregierung nicht vor. Zu 3 c: Im Rahmenlehrplan des Ausbildungsberufs „Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel“ ist der schulische Teil des berufsbezogenen Unterrichts geregelt. Er gliedert sich in 14 Lernfelder, die sich an den beruflichen Handlungsfeldern des Berufes orientieren. Das Lernen in der Berufsschule zielt auf die Entwicklung von umfassender Handlungskompetenz, die es den Auszubildenden ermöglicht, die aktuellen und zukünftigen Aufgaben des Berufes zu erfüllen. Handlungskompetenz beinhaltet auch die Entwicklung beruflicher Flexibilität, um auf die sich wandelnden Anforderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft adäquat reagieren zu können. Im Hinblick auf die genannten „Kassierertätigkeiten“ sei angemerkt, dass diese im Lernfeld 3 „Kunden im Servicebereich Kasse betreuen“ nur einen kleinen Anteil der dort formulierten Kompetenzen betreffen und somit bei einem möglichen Wegfall keinen nennenswerten Einfluss auf die Berufsausbildung insgesamt hätten. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/508 4 4 a) Von welchen volkswirtschaftlichen Zeitgewinnen geht die Landesregierung jährlich durch ein solches Konzept aus (monetäre Bewertung)? b) Von welchen volkswirtschaftlichen Kosten bzw. Verlusten geht die Landesregierung jährlich durch ein solches Konzept aus (monetäre Bewertung)? Zu 4 a: Nach einer aktuellen Studie des EHI Retail Institute zum Self-Checkout und zum Self-Scanning im deutschen Handel existierten in 2017 deutschlandweit 488 Geschäfte mit 3 020 stationären Self- Checkout-Kassen2. Nach den Ergebnissen einer Verbraucherbefragung des EHI Retail Institute zur Akzeptanz von Self-Checkout-Systemen im deutschen Einzelhandel aus dem Jahr 20153 ist für 92 % der Nutzerinnen und Nutzer das Vermeiden bzw. die Überbrückung von langen Wartezeiten an herkömmlichen Kassen und der Zeitgewinn bei kleineren Einkäufen (88 %) ausschlaggebend zur Nutzung einer SB-Kasse. Eine monetäre Bewertung möglicher jährlicher Zeitgewinne durch Self-Checkout-Systeme im stationären Einzelhandel ist aufgrund der Vielzahl der individuellen Opportunitätskosten alternativer Tätigkeiten (z. B. Erwerbstätigkeit, Freizeitgestaltung, Haushaltsführung, Qualifizierung) sowie fehlender empirischer Grundlagen nicht möglich. Zu 4 b: „Volkswirtschaftliche Kosten bzw. Verluste“ sind im Allgemeinen als negativer Beitrag zur Bruttowertschöpfung zu Herstellungskosten (BWS) und damit als negativer Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (BIP) monetär bewertbar. Aus dem geschilderten Sachverhalt ist nicht ableitbar , ob oder in welcher Höhe ein negativer Beitrag zu BWS oder BIP erfolgen wird. 2 https://www.ehi.org/de/pressemitteilungen/selbst-ist-der-kunde/; abgerufen am 06.03.2018 3 EHI-Whitepaper: Self-Checkout-Systeme aus Kundensicht, 2015. S. 10. (Verteilt am ) (Verteilt am 20.03.2018) Drucksache 18/508 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Henze (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Supermarkt ohne Kassen und Kassierer