Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5143 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Clankriminalität in Niedersachsen Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD), eingegangen am 09.10.2019 - Drs. 18/4803 an die Staatskanzlei übersandt am 16.10.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 18.11.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Einem Bericht der WELT ist zu entnehmen, dass das Bundeskriminalamt den durch die organisierte Kriminalität verursachten Gesamtschaden im Jahr 2018 auf 691 Millionen Euro (2017: 209 Millionen Euro) beziffert. Hierunter falle ein durch die „Clankriminalität“ verursachter Schaden von 28 Millionen Euro im Jahr 2018. Aufgrund des Dunkelfeldes sei jedoch von einem noch höheren Schadenspotenzial auszugehen. Trotz einer am 1. Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetzesänderung, mit der die strafrechtliche Vermögensabschöpfung habe erleichtert werden sollen, betrage der Anteil der gesicherten Vermögenswerte an den kriminell erwirtschafteten Erträgen 10,7 % (https://www.welt.de/politik/deutschland/article200844742/Organisierte-Kriminalitaet-BKA-Lagebilderstmals -mit-Zahlen-zu-Clankriminalitaet.html). In Nordrhein-Westfalen wurde im Mai ein „Lagebild Clankriminalität“ präsentiert, das auch bislang unbekannte Fakten geliefert habe (https://www.focus.de/politik/deutschland/grossfamilien-in-nrwfake -kaempfe-shisha-bars-frauen-ermittler-geben-tiefe-einblicke-in-clan-strukturen_id_107157 37.html). In der Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung (Drucksache 18/4596) erklärt die Landesregierung: „Die Landesrahmenkonzeption sieht u. a. vor, den kriminellen Clanstrukturen konsequent mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen.“ Der Migrationsforscher Ralph Ghadban schließt Berührungspunkte zwischen Clans und Dschihadismus nicht aus (https://www.landeszeitung.de/blog/lokales/2608108-deutschland-als-beute). Vorbemerkung der Landesregierung Wie schon anlässlich verschiedener parlamentarischer Initiativen - u. a. Kleine Anfrage der Abgeordneten Genthe, Oetjen u. a. (FDP) zu „Clankriminalität in Niedersachsen“, Drs. 18/973 vom 27.06.2018, anlässlich einer Aktuellen Stunde zu dem Antrag der Fraktion der AfD zum Thema „Kriminelle Familienclans in Niedersachsen - Unternimmt die Landesregierung genug?“ (Drs. 18/1441) zu TOP 2 a am 22.08.2018, der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Ahrends (AfD) zu „Einsatz des SEK der Polizei in Delmenhorst“, Drs. 18/1606 vom 12.09.2018, der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Ahrends (AfD) zu „Clan-Familien in Niedersachsen“, Drs. 18/3427 vom 05.04.2019, sowie zuletzt in Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Ahrends zu „Clans in Niedersachsen“, Drs. 18/4342 vom 13.09.2019, - ausgeführt, bildet die Bekämpfung der Clankriminalität respektive krimineller Clanstrukturen seit Jahren einen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung in Niedersachsen. Bereits 2013 wurde das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen beauftragt, ein jährliches Lagebild zur Clankriminalität - zunächst mit Fokus auf die ethnische Zugehörigkeit der Mhallamiye - zu erstellen. Es ist unterteilt in einen allgemeinen strategischen und phänomenbezogenen Analyseteil sowie einen weiteren Teil mit Berichten zu relevanten Ereignissen im Kontext der Clankriminalität aus den niedersächsischen Polizeidienststellen. Das Lagebild Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5143 2 Clankriminalität ist als Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch - eingestuft und hat mit den dargestellten taktischen und aufbereiteten Maßnahmen und Informationen das vorrangige Ziel, die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung bezogen auf Clankriminalität weiter zu optimieren. Aufgrund der notwendigen Einstufung als Verschlusssache ist das Lagebild nie in Gänze öffentlich dargestellt worden, wie es Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr mit seinem erstmals erstellten Lagebild praktiziert hat. Davon unbenommen, wurden vorhandene Daten, soweit möglich, in der Beantwortung zahlreicher Presse- oder Landtagsanfragen einbezogen. Neben dem Lagebild verfügt die niedersächsische Polizei seit März 2018 über eine Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachen, welche landesweit einheitliche Standards für die polizeiliche Einsatzbewältigung und Ermittlungstätigkeit setzt. Auch hier nimmt Niedersachsen eine Vorreiterrolle ein. Das Konzept hat bundesweit Beachtung und vielfache Anerkennung erfahren. Seit 2012 veranstaltet das Landeskriminalamt jährlich Tagungen, an denen hochrangige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Polizei, der Justiz, des Zolls, des BKA sowie Gäste aus Politik und Wissenschaft teilnehmen. Unter anderem war auch der in den Vorbemerkungen des Abgeordneten Ahrends zitierte Islamwissenschaftler, Politologe und Publizist Dr. Ralph Ghadban im November 2016 bei dieser Veranstaltung als Gastredner vertreten. Insoweit hat Niedersachsen frühzeitig das Problem erkannt und sich der Thematik Clankriminalität umfassend angenommen. Der Austausch mit Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen als besonders betroffenen Bundesländern besteht ebenfalls schon seit Langem, da kriminelle Aktivitäten nicht an den Ländergrenzen Halt machen und sowohl überregionale als auch länderübergreifende Clanstrukturen frühzeitig erkannt und mit den betreffenden Strafverfolgungsbehörden kommuniziert wurden. Im bundesweiten Vergleich nimmt Niedersachsen sowohl auf strategischer Ebene als auch im operativen Bereich eine aktive Rolle ein und ist auf allen polizeilichen Gremienebenen bis zur Innenministerkonferenz engagiert vertreten. Zudem sind Experten des LKA auf Bundesebene federführend mit Aufgabenpaketen zur Umsetzung der bundesweiten Initiative zur kooperierenden länderübergreifenden Zusammenarbeit betraut. Wir können also in Niedersachsen auf fundierte Expertise in Sachen Clankriminalität zurückgreifen. Bereits vorhandenen Analysetools werden kontinuierlich verfeinert mit der Zielrichtung, valide Daten und Erkenntnisse über sämtliche in Niedersachsen agierende kriminelle Clanstrukturen (nicht nur der Mhallamiye) zu erlangen. Vernetztes Zusammenwirken wie die BAO Räderwerk im Heidekreis und konsequentes niedrigschwelliges Vorgehen auch bei geringen Verstößen zeigen schon jetzt erste Erfolge. Die Landesregierung hat bereits mehrfach betont, dass sich Verbrechen nicht lohnen darf und die Sicherung inkriminierter Vermögenswerte einen wichtigen Baustein in der Kriminalitätsbekämpfung darstellt. Seitens der Justiz und der Polizei konnten diesbezüglich 2018 entsprechende Erfolge erzielt werden: So wurden im Bereich der Organisierten Kriminalität kriminelle Erträge in Höhe von rund 17 Millionen Euro abgeschöpft, was bei den geschätzten kriminellen Gewinnen in Höhe von rund 24 Millionen Euro einer Abschöpfungsquote von über 70 % entspricht. Gleichwohl ist hier weiterhin konsequentes Handeln unter Ausschöpfung vorhandener Rechtsgrundlagen erforderlich. 1. Wie hoch ist der durch die organisierte Kriminalität entstandene Gesamtschaden in Niedersachsen in den Jahren seit 2015 (bitte nach Jahren auflisten)? Die den Delikten der organisierten Kriminalität zuzuordnenden Schadenssummen ergeben sich nur aus dem polizeilichen Hellfeld, also den der Polizei bekannt gewordenen Straftaten. Ein durch organisierte Kriminalität in Niedersachsen entstandener „Gesamtschaden“ kann damit nicht exakt beziffert werden, da die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) die im sogenannten Dunkelfeld liegenden Fälle nicht berücksichtigen kann. Insoweit sind die PKS-Schadenssummen als Teilmenge zu bewerten. Laut PKS sind in den Jahren 2015 bis 2018 nachfolgende Schadensummen für in Niedersachsen geführte OK-Verfahren erfasst: 2015: 20 235 040 Euro, 2016: 18 002 005 Euro , Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5143 3 2017: 4 871 711 Euro, 2018: 19 753 260 Euro. Für das Jahr 2019 können noch keine Angaben gemacht werden, da lediglich unterjährige, noch nicht als valide zu betrachtende Zahlen vorliegen. 2. Wie hoch ist der durch Clankriminalität entstandene Gesamtschaden in Niedersachsen in den Jahren seit 2015? Bitte nach Jahren auflisten. In der PKS ist eine Selektion der Schadenssummen im Hinblick auf Straftaten von kriminellen Clanstrukturen oder anderen ethnischen Zugehörigkeiten im Bereich der allgemeinen Kriminalität nicht möglich. 3. In welcher Höhe gelang es in den jeweiligen Jahren, Vermögenswerte, die durch die organisierte Kriminalität erlangt wurden, einzuziehen? Bitte die in dem Bereich der Clankriminalität eingezogenen Werte gesondert angeben. Basierend auf den Erhebungen zum gemeinsamen jährlichen Lagebild der Justiz und der Polizei zur Organisierten Kriminalität in Niedersachsen (OK-Lagebild Niedersachsen) konnten in den Jahren 2015 bis 2018 nachfolgende Abschöpfungssummen vorläufig gesichert werden: 2015: 1 297 272 Euro, davon OK-Clankriminalität: 30 670 Euro, 2016: 1 039 103 Euro, davon OK-Clankriminalität: 179 865 Euro, 2017: 1 388 168 Euro, davon OK-Clankriminalität: 42 753 Euro, 2018: 17 443 806 Euro, davon OK-Clankriminalität: 187 513 Euro. 4. In wie vielen Fällen und in welcher Höhe wurden bislang Vermögenswerte gemäß § 76 a Abs. 4 StPO in Verbindung mit der Beweiserleichterungsregel des § 437 StPO abgeschöpft ? Bitte nach Jahren auflisten. Im Jahr 2018 sind in drei Verfahren Entscheidungen im selbstständigen Einziehungsverfahren gemäß § 76 a Abs. 4 StGB ergangen (Vermögenswert insgesamt: 1 782 352,52 Euro zuzüglich noch zu verwertender Sachwerte). Im Jahr 2019 sind bislang in vier Verfahren Entscheidungen im selbstständigen Einziehungsverfahren gemäß § 76 a Abs. 4 StGB ergangen (Vermögenswert insgesamt: 805 405,61 Euro zuzüglich noch zu konvertierender ausländischer Devisen). 5. Bei wie vielen der Clanmitglieder, gegen die ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, sind Bezüge zu islamistischen Personen, Vereinen oder sonstigen Gruppierungen bekannt? Bei zehn Mitgliedern von Clanstrukturen, gegen die im Zeitraum 2015 bis 2018 ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, sind Bezüge zu islamistischen Personen, Vereinen oder sonstigen Gruppierungen bekannt. Daten aus 2019 können erst nach ihrer Festschreibung im Jahr 2020 valide und belastbar benannt werden, da sich bis zur Festschreibung fortlaufend Änderungen ergeben können (z. B. bezüglich des Deliktsschlüssels oder des Status der Tatverdächtigen). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5143 4 6. Wie viele der Clanmitglieder in Niedersachsen, gegen die derzeit ein Ermittlungsverfahren geführt wird oder die wegen einer Straftat bereits verurteilt wurden, verfügen über die deutsche Staatsangehörigkeit? Die Beantwortung dieser Frage ist auf der Basis polizeilicher Vorgangsbearbeitungs-, Auskunftsund Informationssysteme nicht möglich, ohne in eine - nicht ohne weiteres eingrenzbare - Vielzahl von Einzelfallprüfungen zu sogenannten offenen und an die Staatsanwaltschaft endabgebenen Vorgängen einzutreten. Im staatsanwaltschaftlichen Geschäftsbereich wird die Clan-Zugehörigkeit Beschuldigter weder statistisch erfasst noch ist sie automatisiert anhand der Vorgangsbearbeitungs- und Verwaltungssysteme selektierbar. Daher kann auch nicht festgestellt werden, welche Staatszugehörigkeit verurteilte Clan-Mitglieder haben. Die Fragestellung ließe sich vielmehr nur aufgrund einer händischen Auswertung des gesamten Aktenbestandes bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften beantworten . Damit wäre insgesamt ein Aufwand verbunden, der ohne Verletzung der gesetzlichen Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft, zu denen vor allem die zügige und nachhaltige Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gehört, nicht zu leisten wäre. Eine solche Auswertung würde daher das zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage Zumutbare und Leistbare übersteigen und muss deshalb unterbleiben. 7. Welche rechtsstaatlichen Mittel werden in Niedersachsen genutzt, um kriminellen Clanstrukturen zu begegnen? Kriminelle Clan-Mitglieder werden - wie auch andere Straftäter - mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Strafprozessordnung verfolgt. Entsprechend der zum 01.03.2018 in Kraft getretenen „Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in Niedersachsen“ haben inzwischen alle niedersächsischen Staatsanwaltschaften Ansprechpartnerinnen und -partner „Clan“ benannt. Diese sollen bei einschlägigen Einsatz- und Verfahrenslagen ergänzend zu der sachleitenden Staatsanwältin / dem sachleitenden Staatsanwalt informiert werden und als Netzwerkpartner im Zusammenwirken mit der Polizei sowie als behördeninterne Berater (Wissensmittler) agieren. 8. Welchen Aufenthaltsstatus haben die straffällig gewordenen Angehörigen krimineller Clans? Bitte auflisten nach Anzahl der Straffälligen und Aufenthaltsstatus. Der Begriff „straffällig“ ist gesetzlich nicht definiert, es handelt sich aber um einen allgemein in Rechtsprechung und Rechtsliteratur gebräuchlichen Begriff für Personen, die sich einer Straftat schuldig gemacht haben. Diese Bedeutung ist jedoch nicht mit den für die polizeiliche Bearbeitung relevanten Begriffen „Tatverdächtiger“ oder „Beschuldigter“ gleichzusetzen. Von daher kann die Frage so nicht beantwortet werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 9. Aus welchen Gründen wurde keine Abschiebung durchgeführt, falls straffällig gewordene Clanmitglieder vollziehbar ausreisepflichtig sind, ohne über eine Duldung zu verfügen ? Nach Ablauf der Frist für eine freiwillige Ausreise wird die Ausreisepflicht vollziehbar und die Abschiebung ist gesetzlich zwingend einzuleiten. Im Rahmen der Vorbereitung der Aufenthaltsbeendigung haben die Ausländerbehörden individuelle inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen. Wenn diese Prüfung ergibt, dass dem Vollzug rechtliche oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen , ist der Aufenthalt der vollziehbar ausreisepflichtigen Person gemäß § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zu dulden. Die Regelungen des AufenthG gelten bundesweit für Drittstaatsangehörige und EU-Staatsangehörige, die keine Freizügigkeit genießen, unabhängig davon, ob diese Personen im Bundesgebiet von den Strafverfolgungsbehörden den kriminellen Clanstruk- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5143 5 turen zugerechnet werden. Bei einem Wegfall der individuellen Duldungsgründe wird unverzüglich die Aufenthaltsbeendung eingeleitet. Der Landesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen ohne Vorliegen von Duldungsgründen keine Rückführung eingeleitet worden ist. Daten für eine differenzierte Statistik vollziehbar ausreisepflichtiger Personen, die dem sogenannten Clan-Milieu zugerechnet werden, werden nicht erhoben. 10. Beabsichtigt die Landesregierung, ein Lagebild zur Clankriminalität nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens erstellen zu lassen. Falls nein, warum nicht? In Niedersachsen wird bereits seit 2013 ein jährliches Lagebild zur Clankriminalität in Niedersachsen erstellt. Ansonsten siehe Vorbemerkungen. (Verteilt am 20.11.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jens Ahrends (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Clankriminalität in Niedersachsen