Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5186 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Hermann Grupe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung Welche Gründe haben dazu geführt, die Fischtreppe am Wehr Geesthacht zu verschütten? Anfrage des Abgeordneten Hermann Grupe (FDP), eingegangen am 21.10.2019 - Drs. 18/4920 an die Staatskanzlei übersandt am 23.10.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung vom 25.11.2019 Vorbemerkung des Abgeordneten Am 17.09.2019 teilte die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes per Pressemitteilung mit, dass eine temporäre Außerbetriebnahme der Fischaufstiegsanlage am Wehr Geesthacht (Südseite) erfolge. Die Dauer der Außerbetriebnahme stehe noch nicht fest. 1. Welche Gründe waren ausschlaggebend für die Verfüllung der Fischaufstiegsanlage? Fischaufstiegsanlage Nord „Doppelschlitzpass“ (FAA-Nord): Am 1. August 2019 wurden durch Mitarbeiter der WSV Lauenburg Dammschäden an der Überlaufschwelle im Bereich des Wehres Geesthacht (Nordseite) festgestellt. Daraufhin wurden aus Sicherheitsgründen die Wehrverschlüsse geöffnet und der Wasserspiegel im Staubereich um ca. 0,5 m abgesenkt. In einer Notmaßnahme wurden Dammsicherungsarbeiten ausgeführt, um einen progressiven Schadensfortschritt bzw. ein Totalversagen der Stauhaltung zu vermeiden. Dabei wurden die fünf Überlaufrinnen, die für die Leitströmung zur FAA-Nord sorgen, verfüllt und somit außer Betrieb genommen. Die FAA selbst musste nur für wenige Tage vollständig abgesperrt werden. Weiterhin besteht jedoch aufgrund der unterbundenen externen Leitströmung eine wesentliche Funktionsminderung der FAA-Nord. Fischaufstiegsanlage Süd „Rauhgerinne“ (FAA-Süd): Im Rahmen einer Bauwerksinspektion der FAA-Süd wurde am 27. August 2019 an einer Stelle eine Neigung der nördlichen Gerinne-Spundwand festgestellt. Die Schadensdarstellung legte den Schluss nahe, dass es sich um einen aktiven Versagensprozess handelt. Es bestand die Besorgnis, dass die elbseitige Spundwand ebenfalls versagt und dann das gestaute Flusswasser unkontrolliert über die Fischaufstiegsanlage abfließt. Als Folge wurde die FAA-Süd in Gänze dauerhaft außer Betrieb genommen. Dazu wurde sie im oberen und mittleren Bereich vollständig mit Erdstoff verfüllt. Darüber hinaus wird auf eine Zuständigkeit des Bundes verwiesen. 2. Wie lange soll die Fischaufstiegsanlage noch außer Betrieb sein? Rund 60 Jahre nach Fertigstellung ist für das gesamte Elbwehr eine Grundinstandhaltung dringend erforderlich. Hierzu wird es auch umfassende Umbauten im Wehrbereich sowie im Unterwasser (Tosbecken) geben. Die diesbezüglichen Planungen durch das GDWS/WSV-Neubauamt in Hannover sind weit fortgeschritten. Insgesamt wird mit einer Umsetzungsphase von zwölf bis 15 Jahren ab heute gerechnet. Die einzelnen Bauabschnitte gliedern sich in die vier Wehrfelder. Nach jetzigen Überlegungen sollen die Bauarbeiten am südlichen Wehrfeld in drei Jahren beginnen. Nach Mitteilung der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt auf der Sitzung des Elberates am 14. November 2019 werden die erforderlichen Baumaßnahmen zur Instandsetzung der FAA-Süd derzeit Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5186 2 vorbereitet. Dazu gehört insbesondere die Neuherstellung einer Spundwand. Es wird angenommen , dass die Anlage mindestens ein Jahr außer Betrieb sein wird. Es wird auf eine Zuständigkeit des Bundes verwiesen. 3. Welche Behörden wurden über die Verfüllung informiert? Mit Schreiben des WSA-Lauenburg an den Landkreis Harburg (Winsen) vom 29. August 2019 wurde über die Zuschüttung der FAA-Süd informiert. Weitere offizielle Informationen (z. B. Ministerien /Behörden der Länder S-H, HH, NI) sind bisher nicht bekannt. Es wird auf eine Zuständigkeit des Bundes verwiesen. 4. Warum wurden die örtlichen Fischereiverbände nicht zeitnah über das Vorhaben informiert ? Hierfür bestand keine verpflichtende Veranlassung. Es wird auf eine Zuständigkeit des Bundes verwiesen. 5. Wie ist die Außerbetriebnahme der Fischaufstiegsanlage mit der Durchgängigkeit der Fließgewässer als Hauptthema der WRRL zu vereinbaren? Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) schreibt eine ökologische Durchgängigkeit der Fließgewässer als Zielvorgabe verbindlich vor. Aufgrund der hohen Relevanz der Fischpassierbarkeit am Übergang der Tide- in die Mittelelbe bedarf es zwingend an beiden Flussufern leistungsstarker (d. h. voll funktionstüchtiger) Fischaufstiegsanlagen. 6. Wie schätzt die Landesregierung die Auswirkung der Beeinträchtigung der Durchgängigkeit des einzigen Wehrs im deutschen Teil der Elbe auf die Durchgängigkeit der Fließgewässer insgesamt ein? Die seit August 2019 bestehende Beeinträchtigung der ökologischen Durchgängigkeit wird als gravierend angesehen. In Geesthacht (D-Strom-km 585,9) befindet sich seit Ende der 1950er-Jahre die einzige Staustufe der Elbe auf deutschem Gebiet. Oberhalb dieses Bauwerkes erstrecken sich mehr als 90 % des Flusseinzugsgebietes. Die Staustufe besteht aus einem Stauwehr sowie zwei Schleusenkammern. Für die ökologische Durchgängigkeit an dieser wasserwirtschaftlichen Anlage sorgen zwei Fischaufstiegsanlagen. Die Fischaufstiegsanlage am Südufer existiert seit 1998. Seit September 2010 ergänzt eine zweite Fischaufstiegsanlage am Nordufer die Wehrpassierbarkeit. Seitdem ist eine qualitative Durchgängigkeit für Fische und Neunaugen gewährleistet, jedoch zeigen umfangreiche Monitoringergebnisse, dass der quantitative Aufstieg (Anzahl an Individuen je Art) von der Tideelbe in die Mittel- und Oberelbe weiterhin deutlich zu gering ist. Durch die Verfüllung wird die Erreichbarkeit oberhalb gelegener Gebiete im Elbeeinzugsgebiet erschwert . Aufgrund kumulativer Effekte wird die Durchgängigkeit im Einzugsgebiet der Elbe insgesamt verschlechtert. 7. Wie ist die Verfüllung mit dem Fischartenschutz in Einklang zu bringen? Die Verfüllung lässt sich nicht mit dem Fischartenschutz in Einklang bringen; siehe dazu auch die Begründungen zu den Fragen 5 und 6. Das Wehr Geesthacht hat aufgrund seiner exponierten Lage im Unterlauf der Elbe eine Schlüsselfunktion für die Erreichbarkeit insbesondere der Langdistanzwanderarten in die Einzugsgebiete von Mittel- und Oberelbe. Wegen der Breite des Stromes im Bereich des Wehres und des großen Einzugsgebietes oberhalb ist eine Fischwechseleinrichtung am Nordufer und am Südufer für eine effiziente Durchgängigkeit angemessen. Für den Schutz wandernder Fischarten stellt die Verfüllung der Fischwechseleinrichtung am Südufer ein erhebli- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/5186 3 ches Problem dar, da sich die Bedingungen für einen zeitnahen und effektiven Aufstieg zu den Laichplätzen erheblich verschlechtern. 8. Wie ist die Verfüllung mit den umfangreichen Aalbesatzmaßnahmen, die eine Verbesserung der Bestandssituation zum Ziel haben, in Einklang zu bringen? Der Aal schwimmt nach Erreichen der Geschlechtsreife flussabwärts ins Meer, um dort zu laichen. Dieses katadrome, stromab gerichtete Wanderverhalten wird durch die zugeschüttete FAA-Süd nicht beeinträchtigt. Jedoch ist die natürliche Wanderung der Jungaale (Steig-/Gelbaale) aus der Tide- in die Mittel- und Oberelbe durch die Zuschüttung der FAA-Süd - zumindest auf dieser Elbseite - bis auf Weiteres vollständig unterbunden. Dieser Missstand wird den natürlichen (d. h. sich selbst reproduzierenden) Aalbestand im gesamten Elbe-Einzugsgebiet weiter schwächen. Die umfangreichen Besatzmaßnahmen, die im Elbegebiet seit 2006 gefördert werden, erfolgen mit dem Ziel, den Aalbestand zu stützen. Im Idealfall wird es aufgrund der europaweiten Anstrengungen zu einer Erhöhung des natürlichen Aufstiegs kommen, für den mittelfristig eine uneingeschränkte Durchgängigkeit auch in Geesthacht Voraussetzung ist. 9. Wie schätzt die Landesregierung den Einfluss der Verfüllung auf den Laichaufstieg der FFH-Arten Lachs und Flussneunauge ein? Für den Laichaufstieg der FFH-Arten Lachs und Flussneunauge in Gewässer des niedersächsischen Einzugsgebiets der Elbe resultieren durch die Verfüllung keine Auswirkungen, da bedeutende Zuflüsse stromab von Geesthacht in die Tideelbe einmünden. Für das oberstromige Gewässersystem sind dagegen erhebliche Beeinträchtigungen nicht auszuschließen (s. Punkt 7). Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. 10. Welchen Stellenwert haben Fischaufstiegsanlagen hinsichtlich Wiederansiedlungsprogrammen für Fische wie z. B. Stör, Lachs und Aal? Fischaufstiegsanlagen haben eine besondere Bedeutung für die Sicherstellung der Erreichbarkeit oberhalb gelegener und geeigneter Laich- und Aufwuchsgebiete. Für die Entwicklung und den Erhalt diadromer Arten wie z. B. Stör, Lachs und Aal ist daher eine ungehinderte Durchgängigkeit von entscheidender Bedeutung. Im Bereich von Querbauwerken muss hierfür eine mindestens zweimalige ungehinderte Passage in ihrem Lebenszyklus (Jungfische/Laichfische) sowohl stromauf als auch stromab über geeignete und funktionsfähige Fischwechseleinrichtungen gewährleistet sein. Seit Mitte der 1990er-Jahre finden in zahlreichen Nebenflüssen der Elbe (z. B. Stepenitz, Lachsbach , Polenz, Sebnitz, Kirnitzsch) Wiederansiedlungsprojekte von Lachs und Meerforelle - sowie weiteren einheimischen Fisch- und Neunaugenarten - statt. Hierfür wurden über die Jahre erhebliche finanzielle und personelle Aufwendungen sowohl seitens der Länder als auch durch Angel- und Fischereiverbände sowie Umweltorganisationen erbracht. Bis heute haben sich - nach anfänglichen Erfolgen - jedoch kaum sich selbst reproduzierende, stabile Laicherbestände eingestellt. Die artspezifischen Rückkehrerquoten sind zu gering. Infolge der aktuellen, langfristig anhaltenden, massiven Einschränkung der Fischpassierbarkeit am Elbwehr Geesthacht besteht die begründete Besorgnis , dass sich hierdurch die Zielerreichung der Wiederansiedlungsprogramme zusätzlich maßgeblich erschwert. (Verteilt am 25.11.2019) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LTmit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Hermann Grupe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung Welche Gründe haben dazu geführt, die Fischtreppe am Wehr Geesthacht zu verschütten?