Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/524 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung Kostenloser ÖPNV: Will die Landesregierung kostenlosen ÖPNV erproben? Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Imke Byl (GRÜNE), eingegangen am 14.02.2018 - Drs. 18/335 an die Staatskanzlei übersandt am 20.02.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung vom 19.03.2018, gezeichnet Dr. Bernd Althusmann Vorbemerkung der Abgeordneten Aufgrund drohender Klagen der EU-Kommission im März 2018 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) plant die Bundesregierung, kostenlosen ÖPNV in fünf Städten zu testen. Das schrieben laut dpa und dem Magazin Politico vor wenigen Tagen Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU- Umweltkommissar Karmenu Vella. Die fünf „Modellstädte“ sollen laut Presseberichten Bonn, Essen , Herrenberg (Baden-Württemberg), Reutlingen und Mannheim sein. Vorbemerkung der Landesregierung Grundsätzlich wird vorausgeschickt, dass der Begriff „kostenloser öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)“ irrtümlich nahelegen könnte, es sei keinerlei öffentliche Finanzierung erforderlich. Der ÖPNV, der insbesondere auch der Daseinsvorsorge dient, benötigt aber - unabhängig davon, ob und in welcher Höhe Fahrtentgelte erhoben werden - in jedem Fall eine ganz erhebliche öffentliche Finanzierung aus Steuermitteln. So werden bereits heute z. B. im Rahmen der Schülerbeförderung fehlende Fahrgeldeinnahmen der Verkehrsunternehmen aus Steuermitteln ausgeglichen. Darüber hinaus werden beispielsweise Infrastrukturmaßnahmen und die Beschaffung von umweltfreundlichen Fahrzeugen aus öffentlichen Förderprogrammen subventioniert. Die durch einen „kostenlosen ÖPNV“ entstehende weitere Finanzierungslücke müsste durch erhebliche zusätzliche Steuermittel geschlossen werden. Hinzu kämen weitere hohe Kosten für den Ausbau der im Fall deutlicher Fahrgastzuwächse vielerorts überlasteten Infrastruktur sowie für zusätzliche Fahrzeug- und Personalbedarfe. Der Hintergrund der aktuellen Diskussion über einen sogenannten kostenlosen ÖPNV ist der Gedanke , den Städten, die die Grenzwerte für die Stickstoffdioxidbelastungen überschreiten, Möglichkeiten einzuräumen, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, um dadurch eine Verbesserung der Luftreinhaltung zu erreichen und Fahrverbote zu vermeiden. Die geschäftsführende Bundesregierung hat dazu eine Mitteilung an die Europäische Kommission gesandt, die eine Aufzählung von Maßnahmen zur Reduktion von Stickstoffdioxidemissionen beinhaltet. Hierbei werden neben einer Reihe von anderen Ansätzen in einem Satz auch Überlegungen für einen „kostenlosen ÖPNV“ genannt. Die der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen ergänzen das bereits laufende Sofortprogramm „Saubere Luft 2017 bis 2020“ des Bundes und sollen es den Städten ermöglichen, die Einhaltung der Grenzwerte so schnell wie möglich zu erreichen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/524 2 Aus der öffentlichen Berichterstattung geht hervor, dass die fünf von der geschäftsführenden Bundesregierung vorgeschlagenen Modellkommunen das Thema „kostenloser ÖPNV“ nicht weiter verfolgen , da nicht erwiesen sei, dass dies zu einer Reduzierung der Luftverschmutzung führe. 1. Sind auch in Niedersachsen durch die Landesregierung Modellstädte für die Erprobung von kostenlosem ÖPNV geplant? Wenn ja, welche und ab wann? Planungen seitens der Landesregierung, auch in Niedersachsen Modellstädte für die Erprobung des „kostenlosen ÖPNV“ zu identifizieren, gibt es vor dem Hintergrund der in der Vorbemerkung dargestellten Diskussion nicht. 2. Wenn ja, durch welche Maßnahmen sollen die prognostizierten, sich stark erhöhenden Fahrgastzahlen im ÖPNV nicht zu einer Überforderung der ÖPNV-Unternehmen, ihrer Busse und Bahnen und deren Mitarbeiterschaft führen? Eine Antwort ist vor dem Hintergrund der Antwort zu Frage 1 entbehrlich. 3. Welche Unterstützungsmaßnahmen plant die Landesregierung an dieser Stelle? Eine Antwort ist vor dem Hintergrund der Antwort zu Frage 1 entbehrlich. 4. Welche Städte sind nach Wissen der Landesregierung bundesweit im Gespräch, Modellstädte für kostenlosen ÖPNV zu werden? Von den ursprünglich von Bundesseite in Erwägung gezogenen Modellstädten Bonn, Essen, Herrenberg , Reutlingen und Mannheim beabsichtigt laut Presseberichten aktuell keine, einen „kostenlosen ÖPNV“ tatsächlich zu erproben. Die Landesregierung verfügt aktuell über keine Kenntnis dazu , ob andere Bundesländer planen, Modellstädte für die Erprobung von „kostenlosem ÖPNV“ zu identifizieren. 5. Sind aus Sicht der Landesregierung Modellstädte für kostenlosen ÖPNV eine kurzfristige oder mittel- bis langfristige Maßnahme zur Reduzierung von Luftverschmutzung in Städten? Der Landesregierung liegen keine Kenntnisse zum Minderungspotenzial eines „kostenlosen ÖPNV“ bezüglich der Luftverschmutzung vor. Daher kann eine Wirksamkeit für Modellstädte mit „kostenlosem ÖPNV“ aktuell nicht beurteilt werden. 6. Wie steht die Landesregierung generell zur Idee eines landes- bzw. bundesweit kostenlosen ÖPNV? Die Landesregierung steht einer solchen Idee grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Eine Finanzierung mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln von Land und Kommunen ist allerdings nicht möglich, da ein „kostenloser Nahverkehr“ Einnahmeausfälle in erheblicher Höhe bedeutet. Der ÖPNV wäre derzeit weder infrastrukturell noch bezüglich der vorhandenen Fahrzeuge und des erforderlichen Personals in der Lage, die im Fall einer Kostenfreiheit voraussichtlich entstehenden Nachfragezuwächse abzudecken. Es bedürfte in diesem Fall zusätzlicher Mittel für Infrastrukturausbau , Fahrzeugbeschaffung und Personalmehrbedarf. Unabdingbare Voraussetzung wäre deshalb , dass der Bund diese Mehrbedarfe und die entstehenden Einnahmeausfälle vollständig abdecken würde. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/524 3 7. Wie sollen die Attraktivität und das Angebot von ÖPNV in Niedersachsen gesteigert werden? 8. Welche konkreten Maßnahmen plant die Landesregierung, um gleichzeitig auch das Angebot an die gestiegenen und weiter steigenden Fahrgastzahlen anzupassen? Die Fragen 7 und 8 werden aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Das Land Niedersachsen hat ein breites Spektrum an Beratungs-, Unterstützungs- sowie finanziellen Maßnahmen entwickelt, um Angebot und Attraktivität des ÖPNV stetig zu steigern. Ein wesentlicher Aspekt ist, die für den ÖPNV verantwortlichen Aufgabenträger - das sind die Landkreise, kreisfreien Städte und entsprechende Zweckverbünde - mit den notwendigen Mitteln und der Fähigkeit zu flexiblem, bedarfsgerechtem Handeln auszustatten: Die kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger haben dazu seit dem 01.01.2017 die vollständige Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für Planung und Finanzierung des straßengebundenen ÖPNV inklusive der Ausgleichszahlungen für die sogenannten Ausbildungsverkehre erhalten. Außerdem stellt das Land zusätzlich 20 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, damit der ÖPNV vor Ort ausgebaut oder verbessert werden kann. Diese zusätzlichen Mittel können flexibel für ortsangepasste Angebote und lokale Bedürfnisse verwendet werden. Ziel des Landes ist, dass die Aufgabenträger gemeinsam mit Verkehrsunternehmen und anderen Akteuren wie Gemeinden, Vereinen, Initiativen, Bürgern Lösungsansätze für ein zukunftsgerichtetes Mobilitätsangebot in ihrer Region entwickeln und erproben. Zur Unterstützung hat die Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) seit September 2016 eine landesweite zentrale Beratungs- und Informationsstelle für Mobilität im ländlichen Raum eingerichtet. Fragen der finanziellen Förderung, der genehmigungsrechtlichen Einordnung ländlicher Mobilitätsangebote und der Vernetzung stehen im Mittelpunkt. Die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) erhalten zusätzlich Mittelzuweisungen für die Finanzierung von SPNV-Betriebsleistungen. Durch den Einzug des Wettbewerbs in diesem Bereich zusammen mit dem Aufbau von SPNV-Fahrzeugpools bei den SPNV-Aufgabenträgern ergeben sich Wettbewerbsgewinne, die für zusätzliche nachfrageorientierte Angebote genutzt werden. Neben diesen pauschalen Mittelzuweisungen an die Aufgabenträger existiert ein ÖPNV-Förderprogramm , mit dem das Land einzelne Vorhaben unterstützt. Durch moderne Infrastruktur und neue Fahrzeuge wird landesweit die Attraktivität des ÖPNV auf diesem Wege kontinuierlich gesteigert . Im Rahmen der bestehenden ÖPNV-Programme fördert das Land u. a.: – Neu- und Ausbau sowie Grunderneuerungen von Bushaltestellen und zentralen Omnibusbahnhöfen (ZOB), insbesondere zur Herstellung von Barrierefreiheit, – Aus- und Neubau von Park&Ride-/Bike&Ride-Anlagen sowie Kurzzeit- und Taxistellplätzen an Bahnhöfen und Verknüpfungspunkten, – Ladestationen für E-Bikes und Elektroautos an Verknüpfungspunkten, – Erst- und Ersatzbeschaffung von Bussen für den ÖPNV-Linienverkehr sowie von Bürgerbusfahrzeugen ; insbesondere auch von Fahrzeugen mit CO2-freiem Antrieb, – Projekte zur Realisierung von Echtzeitinformationen zur Fahrgastinformation, – Maßnahmen zur ÖPNV-Beschleunigung, – die Einrichtung von Mobilitätszentralen in den Regionen als Serviceeinrichtungen für Informationen und Dienstleistungen rund um die Mobilität, – den Betrieb von Landesbuslinien zur Verbesserung der Anbindung von Zentren ohne ausreichenden Schienenanschluss durch schnelle und qualitativ hochwertige Busangebote. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/524 4 9. Welche finanziellen Auswirkungen für die Kommunen und das Land prognostiziert die Landesregierung für einen landesweit kostenlosen ÖPNV? Konkrete Kostenschätzungen liegen nicht vor und können nur in einem aufwändigen Verfahren gemeinsam mit den Aufgabenträgern und den Verkehrsverbünden ermittelt werden. Nach Auffassung der Landesregierung erfordert dies eine umfangreiche gutachterliche Ermittlung. 10. Wie würden die Mindereinnahmen der Verkehrsbetriebe und der Kommunen durch das Land kompensiert? Wie stellt sich die Landesregierung die finanzielle Beteiligung des Bundes in dieser Frage vor? Es wird auf die Vorbemerkung sowie die Antwort zu Frage 9 verwiesen. Eine Kompensation der Mindereinnahmen durch das Land scheidet aus. Eine Finanzierung müsste von Bundesseite erfolgen . 11. Wann und in welcher Form hat die Bundesregierung ihren Brief an EU-Umweltkommissar Vella mit der Landesregierung abgestimmt? Die geschäftsführende Bundesregierung hat ihren Brief an EU-Umweltkommissar Vella nicht mit der Landesregierung abgestimmt. Niedersachsen ist derzeit auch nicht vom Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa - Verfahren Nr. 2015/2073 betroffen. Grundlage des Briefes war lediglich eine Abfrage des Bundeskanzleramts an die Landesregierungen mit der Bitte, konkrete Maßnahmen zu benennen, die kurzfristig dazu beitragen könnten, die NO2-Emissionen zu reduzieren. Auf Grundlage einer Zulieferung des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz auf Basis der Initiativen in den betroffenen Städten Niedersachsens hat die Niedersächsische Staatskanzlei entsprechende Maßnahmenvorschläge übermittelt. Die Landesregierung hat das Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz , Bau und Reaktorsicherheit, des Chefs des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erst im Nachgang zur Kenntnis erhalten. (Verteilt am 21.03.2018) Drucksache 18/524 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Kostenloser ÖPNV: Will die Landesregierung kostenlosen ÖPNV erproben?