Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/608 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Christian Meyer, Helge Limburg und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Rechter „Lieder- und Vortragsabend“ in Lingen Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Christian Meyer, Helge Limburg und Anja Piel (GRÜNE), eingegangen am 07.03.2018 - Drs. 18/481 an die Staatskanzlei übersandt am 13.03.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 04.04.2018, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung der Abgeordneten Wie die Lingener Tagespost am 26. Februar 2018 berichtete, kam es am 24. Februar in Lingen zu einem größeren Polizeieinsatz wegen eines Rockkonzerts der sogenannten rechten Szene. Wie die Zeitung berichtete, buchte der Veranstalter unter dem Motto eines „Lieder- und Vortragabends“ eine Gaststätte, in der man ca. 200 Teilnehmer und zwei in der rechten Szene bekannte Rockbands erwartete. Die Polizei wurde auf die Vorbereitungen für die Veranstaltung aufmerksam, kontrollierte An- und Abfahrtswege und nahm die Personalien der Gäste auf. Gegen 17 Uhr zog die Polizei wieder ab. Störungen wurden laut Polizei nicht gemeldet. Unter den angereisten Gästen befand sich auch die bekannte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Laut Recherchen des Mediennetzwerkes „Recherche-Nord“ sollte das Konzert ursprünglich im Landkreis Osnabrück stattfinden, wurde jedoch kurzfristig nach Lingen verlegt. „Recherche Nord“ berichtet außerdem, dass auch nach dem Abrücken der Polizei weitere Besucherinnen und Besucher angekommen seien und ohne Personalienfeststellung die Gaststätte betreten konnten. Wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 5. März 2018 berichtete, gab es am vergangenen Wochenende erneut den Versuch, ein Rechtsrockkonzert im Landkreis Emsland durchzuführen. Die Lokalität wurde laut Zeitungsbericht allerdings unter falschem Vorwand gemietet, und die Vermieterin trat nach Information durch die Polizei vom Mietvertrag zurück. Vorbemerkung der Landesregierung Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden gehen seit Jahren konsequent gegen den Rechtsextremismus in Niedersachsen vor. Hierzu gehört auch eine effektive Strategie zur Verhinderung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen, da diese Musik ein wichtiges Ausdrucks- und Propagandamittel für die rechtsextremistische Szene ist. Die Musik hat insbesondere als Integrationsfaktor eine hohe Bedeutung und bildet damit eine Grundlage für den Zusammenhalt rechtsextremistischer Organisationen. Des Weiteren dient sie der Gewinnung von vorwiegend jugendlichem Nachwuchs und Sympathisanten für die rechtsextremistische Szene. Die Planung und Durchführung dieser Musikveranstaltungen erfolgt überwiegend konspirativ und bei der Anmietung von geeigneten Räumlichkeiten häufig unter Angabe eines falschen Hintergrundes. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/608 2 Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden ist es u. a. im engen Zusammenwirken mit den Kommunen und privaten Betreibern von Veranstaltungsräumlichkeiten gelungen, die Anzahl von durchgeführten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen in Niedersachsen insgesamt zu reduzieren und auf einem sehr niedrigen Niveau zu halten. Sowohl in der Gesamtkonzeption des Ministeriums für Inneres und Sport gegen Rechtsextremismus vom 16.01.2012 als auch in der Landesrahmenkonzeption der niedersächsischen Polizei zur Bekämpfung der Politisch motivierten Kriminalität -rechts- vom 21.04.2017 findet sich die konsequente Aufklärung und Verhinderung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen als Bekämpfungsschwerpunkt wieder. Zu den präventiven Kernmaßnahmen gehört daher auch die Sensibilisierung von Gaststättenbetreibenden und sonstigen Verantwortlichen bezüglich rechtsmotivierter Konzerte und sonstiger Zusammenkünfte von Szeneangehörigen. Seitens des Landeskriminalamts Niedersachsen wurden in Kooperation mit dem Deutschen Hotelund Gaststättenverband Niedersachsen (DEHOGA Niedersachsen) „Informationen für Vermieter von Veranstaltungsräumlichkeiten“ entwickelt. In diesem Informationsmerkblatt werden Strategien der (rechts-)extremistischen Szene bei der Anmietung von Räumlichkeiten zur Durchführung von Konzerten dargestellt sowie Hinweise für Vermieter von Veranstaltungsräumlichkeiten aufgeführt, wie sie dies erkennen und sich dagegen schützen können. Das Informationsmerkblatt wurde bereits am 23.10.2014 auf der Herbsttagung des DEHOGA Niedersachsen in Hannover vorgestellt und offiziell eingeführt. Im Vorfeld des seitens der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am 05.03.18 berichteten Versuchs zur Durchführung eines Rechtsrockkonzerts im Landkreis Emsland ist durch Recherchen im Internet und sozialen Medien durch den polizeilichen Staatsschutz der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim bekannt geworden, dass am Samstag, den 03.03.2018 ein Treffen der rechtsmotivierten Szene im Emsland stattfinden könnte. Von einer Angehörigen einer der rechtsmotivierten Szene zuzuordnenden Person wurde unter dem Vorwand einer Geburtstagsfeier eine Örtlichkeit in Emsbüren (Landkreis Emsland) für Samstag, den 03.03.18, angemietet. Nach polizeilicher Kontaktaufnahme trat die Vermieterin von ihrer Zusage der Vermietung zurück. Des Weiteren erfolgten Gefährderansprachen bei der genannten Person der rechtsmotivierten Szene. Im Zuge weiterer Aufklärungsmaßnahmen am Veranstaltungstag konnte als Veranstaltungsort eine Örtlichkeit in Rheine (NRW) festgestellt werden. Die zuständige Kreispolizeibehörde Steinfurt in Nordrhein-Westfalen wurde zur Durchführung eigener Maßnahmen entsprechend unterrichtet. Darüber hinaus wurden in diesem Zusammenhang im Rahmen von Anfahrtskontrollen im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft 16 Identitätsfeststellungen aus gefahrenabwehrenden Gründen durchgeführt. 1. Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten die Veranstaltung in Lingen, und aus welchen Bundesländern kamen diese? Insgesamt nahmen nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in der Spitze rund 200 Personen an der Veranstaltung in Lingen teil. Bei 95 Personen erfolgten durch die Polizei Identitätsfeststellungen . Die Personen, deren Identität festgestellt wurde, kamen überwiegend aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Des Weiteren besuchten vereinzelt Personen aus den Bundesländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen die Veranstaltung. Daneben waren auch vier Personen aus den Niederlanden anwesend . 2. Waren unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung in Lingen auch Mitglieder rechter Parteien, Kameradschaften oder anderer rechter Gruppierungen? Bei der Veranstaltung in Lingen waren auch Mitglieder der in der Fragestellung genannten Gruppierungen vertreten. Seitens der einsatzführenden Polizeidienststelle wurden Mitglieder der Parteien „Die Rechte“ und der „JN/NPD“ und Angehörige der rechten Gruppierung „Amsivaren“ festgestellt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/608 3 Eine vollständige Zuordnung der kontrollierten Personen zu Parteien und Gruppierungen ist allerdings nicht möglich, da die Zugehörigkeit im Einzelfall nicht bekannt ist und eine Parteizugehörigkeit im Rahmen einer Identitätsfeststellung nicht abschließend verifiziert werden kann. 3. In welchem Zeitraum hat die Polizei am 24. Februar 2018 Personalienfeststellungen durchgeführt, und zu welchem Zweck wurden Teilnehmende registriert? Die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wurden unter Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens konsequent durchgeführt. Hierzu zählten auch Identitätsfeststellungen. Mit Beginn des polizeilichen Einsatzes am 24.02.18 um 13:00 Uhr bis ca. 30 Minuten nach Beginn der rechtlich nicht zu verhindernden Veranstaltung im geschlossenen Raum um 16:30 Uhr wurden unmittelbar am Veranstaltungsort Identitätsfeststellungen aus gefahrenabwehrenden Gründen durchgeführt. Diese Maßnahmen wurden ab ca. 17:00 Uhr unmittelbar am Veranstaltungsort aufgegeben und im Rahmen von Aufklärungsmaßnahmen im Umfeld bis zum Veranstaltungsende fortgesetzt. 4. In welchen Dateien wurden wie viele Teilnehmende registriert? Die erhobenen Personalien wurden unter den gegebenen rechtlichen Voraussetzungen im polizeilichen Vorgangssystem NIVADIS festgehalten. Speicherungen des niedersächsischen Verfassungsschutzes werden grundsätzlich in der gemeinsamen Datenbank der Verfassungsschutzbehörden NADIS WN vorgenommen; eine abschließende Prüfung des zugrundeliegenden Sachverhaltes steht noch aus. 5. Kam es dabei zu Durchsuchungen von Autos und mitgeführten Kisten oder Kartons? Wenn ja, was wurde bei den Durchsuchungen gefunden? Nein. 6. Wurden im Zuge der Personalienfeststellungen Platzverweise ausgesprochen? Nein. 7. Welche weiteren polizeilichen Maßnahmen wurden am Zuge des Konzerts in Lingen wann mit welchem Ergebnis ergriffen? Vor der Veranstaltung hat es seitens der einsatzführenden Dienststelle der Polizei eine Kontaktaufnahme mit der Stadt Lingen gegeben. Baurechtliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Verhinderung der Veranstaltung lagen nach Auskunft der Fachbereiche Recht und Ordnung sowie Bauordnung zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Darüber hinaus erfolgte eine Kontaktaufnahme mit den Veranstaltern und dem Vermieter sowie Inaugenscheinnahmen der Veranstaltungsörtlichkeit. Am Veranstaltungsort wurde die Holocaust-Leugnerin Frau Haverbeck angetroffen und nach einem durchgeführten Kooperationsgespräch nach Hause begleitet, wo gegen sie vorab durch die Kreispolizeibehörde Herford eine zeitlich befristete Meldeauflage erlassen wurde. Eine formelle Platzverweisung war daher nicht erforderlich. Des Weiteren wurden standardisierte polizeiliche Maßnahmen wie z. B. Aufklärung und Raumschutz durchgeführt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/608 4 8. Hat die Landesregierung Kenntnis darüber, dass das Konzert am 24. Februar 2018 ursprünglich an einem anderen Ort stattfinden sollte? Zur Verhinderung polizeilicher und verwaltungsrechtlicher Maßnahmen werden Veranstaltungen der rechtsmotivierten Szene regelmäßig konspirativ geplant. Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse darüber vor, dass die Veranstaltung im Vorfeld für West-Niedersachsen und das Emsland beworben wurde. Für den konkreten Veranstaltungsort wurde sich erst kurzfristig seitens der Veranstalter entschieden. 9. Wie wurde das Konzert bzw. der „Lieder- und Vortragsabend“ beworben? Die Veranstaltung wurde öffentlich über ein soziales Netzwerk im Internet, u. a. über einen Account , in dem zur Solidarität mit Ursula Haverbeck aufgerufen wird, beworben. Daneben fand eine szeneinterne Bewerbung der Veranstaltung statt. 10. Wer oder welche Gruppierung hat die Veranstaltung organisiert? Die Veranstaltung wurde von Personen, die der Neonaziszene Emsland zugerechnet werden, organisiert . Vor Ort wurden als Organisatoren drei dem polizeilichen Staatsschutz bekannte Personen aus der Gruppe der „Amsivaren“ durch die einsatzführende Polizeidienststelle festgestellt. 11. Lagen Anträge bei der Ordnungsbehörde vor? Wenn ja, wie hat diese entschieden? Wenn nein, wann wurde diese durch wen informiert? Nein, Anträge lagen bei der Ordnungsbehörde nicht vor. Hinsichtlich der Information der Ordnungsbehörde wird auf die Ausführungen unter Frage 7 verwiesen. 12. Wurden Eintrittsgelder für die Veranstaltung am 24. Februar entrichtet? Die Erhebung von Eintrittsgeldern wurde vor Ort nicht festgestellt. Alle Gäste trugen ein goldfarbenes Kontrollarmband mit dem Aufdruck „Amsivaren“. Allerdings war die Veranstaltung als Solidaritätsveranstaltung für Ursula Haverbeck deklariert. Die erzielten Einnahmen sollten ihr als finanzielle Unterstützung zugutekommen. 13. Wann und wie erlangten die Sicherheitsbehörden Kenntnis über die Konzerte bzw. Liederabende ? Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden hatten seit Januar 2018 Kenntnis über die offen beworbene Ankündigung einer „Vortragsveranstaltung mit Ursula Haverbeck und anschließendem Balladenabend“. 14. Kam es im Zusammenhang mit dem Konzert in Lingen zu Straftaten? Wenn ja, zu welchen ? Nein. Es wurden keine anlassbezogenen Straftaten festgestellt. 15. Wurden auf der Veranstaltung in Lingen Materialien, wie CDs, Bücher, Infohefte, T-Shirts, verkauft? Zum Rahmen derartiger Veranstaltungen gehören in der Regel auch das Angebot und der Verkauf von Szeneartikeln. Ein Verkauf im Rahmen der Veranstaltung konnte seitens der eingesetzten Polizeikräfte nicht festgestellt werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/608 5 Allerdings wurden im Rahmen einer Inaugenscheinnahme eines Pkw mitgeführte Materialien wie Banner, T-Shirts, Spendendosen, Bücher und CDs festgestellt. Dabei handelte es sich überwiegend um Merchandising-Artikel bekannter Musikbands (u. a. Kategorie C). 16. Wurden CDs oder andere rechte Materialien überprüft oder konfisziert? Mitgeführte Materialien wurden durch die eingesetzten Polizeikräfte überprüft. Dabei handelte es sich um eine Vielzahl von Merchandising-Artikeln, Tonträgern, CDs, Bücher und Parteiwerbung (Flyer der Partei NPD). Es wurden keine verbotenen Materialien bzw. Gegenstände wie indizierte Tonträger/CDs, Waffen oder verfassungswidrige Symbole festgestellt, die strafrechtlich relevant sind. 17. Wurde der Abend genutzt, um Werbung für weitere musikalische Veranstaltungen oder Demonstrationen zu machen? Zu Veranstaltungen dieser Art gehören regelmäßig auch Hinweise zu weiteren geplanten Aktionen und Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene. Im Mittelpunkt solcher Werbung steht derzeit der „Tag der deutschen Zukunft“, der am 02.06.2018 in Goslar stattfinden soll. Durch die eingesetzten Polizeikräfte konnte eine Werbung für weitere Veranstaltungen der rechtsmotivierten Szene nicht festgestellt werden. (Verteilt am 12.04.2018) Drucksache 18/608 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Belit Onay, Christian Meyer, Helge Limburg und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Rechter „Lieder- und Vortragsabend“ in Lingen