Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/708 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Belastung der Gerichte durch Asylklagen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 14.03.2018 - Drs. 18/499 an die Staatskanzlei übersandt am 16.03.2018 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 17.04.2018, gezeichnet Barbara Havliza Vorbemerkung der Abgeordneten Am 06.03.2018 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), dass die Verwaltungsgerichte zunehmend durch Asylklagen belastet seien. So sei die Zahl der Klagen im Jahr 2017 um 101 % auf 22 163 Verfahren gestiegen. Die Niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza rechnet laut dem Bericht „mit einer anhaltenden Belastung der Verwaltungsgerichte“. Man habe zwar personell schon einiges gemacht. „So seien 123 neue Stellen geschaffen worden, davon 65 Richterstellen, die allerdings zunächst nur bis Ende 2018 zur Verfügung stehen“, so die Ministerin. Auch wenn das Justizministerium eine Verlängerung für die Stellen beim Etat angemeldet habe, plädiere die Ministerin zusätzlich für eine Reform des Asylverfahrensrechtes. „Für Grundsatzfragen, die sich in zahlreichen Verfahren stellen, muss der Zugang zu den höheren Instanzen erweitert werden, sodass die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht entscheiden können .“ „Dies würde zunächst zu steigenden Verfahren auch bei den Obergerichten führen, auf längere Sicht aber die Verwaltungsgerichte deutlich entlasten, weil nicht jedes einzelne Gericht die Lage eines Herkunftslandes überprüfen müsste“, so die Ministerin weiter. Vorbemerkung der Landesregierung Soweit in der Vorbemerkung der Abgeordneten Frau Ministerin Havliza mit der Bemerkung zitiert wird, dass bei den Verwaltungsgerichten 65 Richterstellen zunächst nur bis Ende 2018 zur Verfügung stehen, ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass sich diese 65 Stellen wie folgt aufteilen: – 51 Richterstellen tragen einen kw-Vermerk zum 31.12.2018. – Elf weitere Richterstellen sind zwar mit einem kw-Vermerk zum 31.12.2021 versehen, Beschäftigungsvolumen und Budget stehen für diese Stellen nach dem geltenden Haushaltsplan aber ebenfalls nur bis zum 31.12.2018 zur Verfügung. – Drei Richterstellen sind zwar unbefristet veranschlagt, es handelt sich aber um sogenannte Stellenhülsen, d. h. Stellen ohne Beschäftigungsvolumen und Budget. Diese drei Stellen könnten in den kommenden Jahren nur genutzt werden, wenn die dafür benötigten Haushaltsmittel an anderer Stelle innerhalb des dem Oberverwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Gesamtbudgets erwirtschaftet werden würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/708 2 1. Wie gliedern sich die genannten 65 Stellen auf (bitte nach Gerichten aufschlüsseln)? Die genannten 65 Stellen verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Gerichte: Stellenwertigkeit Anzahl Gesamt Verwaltungsgericht kw mit Ablauf des 31.12.2018 kw mit Ablauf des 31.12.2021 Unbefr. Bes.-Gr. R 2 (Vors. Richter/-in am Verwaltungsgericht) 1 -- -- 1 Braunschweig 1 -- -- 1 Hannover 2 -- -- 2 Lüneburg 1 -- -- 1 Oldenburg 1 -- -- 1 Osnabrück 1 -- -- 1 Stade 6 -- -- 6 zentral verwaltet 13 -- -- 13 Bes.-Gr. R 1 (Richter/-in am Verwaltungsgericht ) 5 2 -- 7 Braunschweig 3 -- -- 3 Göttingen 11 -- -- 11 Hannover 6 1 -- 7 Lüneburg 4 1 -- 5 Oldenburg 3 3 -- 6 Osnabrück 4 1 -- 5 Stade 2 3 3 8 zentral verwaltet 38 11 3 52 Gesamt: 51 11 3 65 2. Welche der 65 Stellen werden zum Ende des Jahres wieder gestrichen, und welche Gerichte betrifft dies? Wie zu Frage 1) dargestellt, entfallen mit Ablauf des 31.12.2018 insgesamt 51 Richterstellen. Hiervon betroffen sind die folgenden Gerichte: Verwaltungsgericht Braunschweig: 6, Verwaltungsgericht Göttingen: 3, Verwaltungsgericht Hannover: 12, Verwaltungsgericht Lüneburg: 8, Verwaltungsgericht Oldenburg: 5, Verwaltungsgericht Osnabrück: 4, Verwaltungsgericht Stade: 5, Zentral verwaltet: 8. Elf weitere Stellen sind bis zum 31.12.2021 ausgebracht. Für diese Richterstellen steht gemäß dem Haushaltsvermerk Nummer 8 zum Beschäftigungsvolumen bei Kapitel 11 01 ein entsprechendes Beschäftigungsvolumen und Budget allerdings ebenfalls nur bis zum 31.12.2018 zur Verfügung. Über die Fortsetzung der Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung des asylbedingten Mehraufwands bei den Verwaltungsgerichten wird die Landesregierung im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs 2019 entscheiden. 3. Wie lange dauerten durchschnittlich Verfahren zu Asylklagen in den Jahren 2016 und 2017? Die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten Asylklagen hat im Jahr 2016 8,5 Monate, im Jahr 2017 6,9 Monate betragen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/708 3 4. Wie viele Verfahren wurden insgesamt vor dem Oberverwaltungsgericht seit 2013 verhandelt (bitte für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 aufschlüsseln)? Die Anzahl der Verfahren, die verhandelt werden, wird nicht statistisch erfasst und ist deshalb mit vertretbarem Aufwand nicht ermittelbar. 5. Wie viele Asylverfahren wurden vor dem Oberverwaltungsgericht seit 2013 verhandelt (bitte für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 aufschlüsseln)? Es gilt die Antwort zu Frage 4. 6. Wie viele Richterstellen hatte das OVG jeweils in den Jahren 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017? Nds. Oberverwaltungsgericht 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl Richterstellen 35 35 35 35 36 7. Wie viele Richter waren jeweils in den Jahren 2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 für Asylverfahren zuständig? In den Personalübersichten wird die durchschnittliche Personalverwendung ausgewiesen. Bei diesen Zahlen handelt es sich nicht um taggenaue Angaben. Bei der Personalverwendung werden u. a. Bedienstete nicht berücksichtigt, die in einem Kalendervierteljahr mehr als 20 Arbeitstage nicht in der Dienststelle anwesend waren. Verwaltungsgerichte 2013 2014 2015 2016 2017 durchschnittliche Personalverwendung der Richter in Rechtssachen 115,1 116,89 132,03 146,3 158,96 darunter in Asylkammern 19,09 30,78 45,21 57,49 78,65 Oberverwaltungsgericht durchschnittliche Personalverwendung der Richter in Rechtssachen 28,85 28,56 29,27 29,3 28,47 darunter in Asylsenaten 0,95 1,28 1,43 2,65 3,06 8. Auf welchem Wege will sich die Landesregierung für eine Reform einsetzen? Niedersachsen leitet gemeinsam mit Baden-Württemberg die von der Justizministerkonferenz im Jahr 2015 eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Asylprozess“. Diese Arbeitsgruppe hat bereits 2016 einen Bericht vorgelegt, der Vorschläge zur Erweiterung der Berufungszulassungsmöglichkeiten , zur Sprungrevision und zur Zulassungsbeschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes enthält. Die Regelungsvorschläge zur Sprungrevision haben mittlerweile Eingang in das Asylgesetz gefunden . Die Vorschläge zur Erweiterung der Berufungszulassung und zur Zulassungsbeschwerde werden gegenwärtig in den beteiligten Bundesministerien geprüft und sind auch Gegenstand einer Bundesratsinitiative. Die von Niedersachsen und Baden-Württemberg geleitete Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Asylprozess “ prüft gegenwärtig auf Bitten der Justizministerkonferenz aus dem November 2017, ob das Bundesverwaltungsgericht im Asylprozess zukünftig allgemeine Tatsachenfragen mit fallübergreifender Bedeutung entscheiden soll. Einen entsprechenden Bericht, der gegebenenfalls mit einem Regelungsvorschlag verbunden sein wird, wird die Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz im Juni 2018 zur Entscheidung vorlegen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/708 4 9. Wie soll die Reform genau ausgestaltet werden, um eine Beschleunigung der Verfahren zu erreichen? Eine Reform des Asylprozessrechts sollte nach Auffassung der Landesregierung aus zwei Elementen bestehen: – Berufungszulassung (auch) durch das Verwaltungsgericht bei grundsätzlicher Bedeutung der Asylsache und bei Divergenz (§ 78 Abs. 2 AsylG) Mit einem Fall von grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz kann sich das Oberverwaltungsgericht nach gegenwärtiger Rechtslage erst bei einem entsprechenden Zulassungsantrag des Unterlegenen gegen eine ihm ungünstige Entscheidung befassen. Zukünftig soll es auch den Verwaltungsgerichten ermöglicht werden, die Berufung aus den vorgenannten Gründen selbst zuzulassen. Das Oberverwaltungsgericht könnte sich dann unmittelbar der streitigen Tatsachen - oder Rechtsfrage zuwenden und durch entsprechende Leitentscheidungen schneller als bisher für Rechtssicherheit sorgen. – Beschränkte Zulassungsbeschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei grundsätzlicher Bedeutung (§ 80 AsylG) Nach geltender Rechtslage ist eine Überprüfung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich. Dies führt zu einer uneinheitlichen Rechtsprechungspraxis der Verwaltungsgerichte bzw. sogar einzelner Spruchkörper innerhalb desselben Gerichts. Eine Klärung im Hauptsacheverfahren scheidet im Asylprozess in vielen Fällen aus, da häufig nach dem Eilverfahren mit einem Vollzug der Entscheidung zu rechnen ist. Dem kann durch Einführung einer Beschwerdemöglichkeit in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung begegnet werden. Dabei hängt die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens von der Zulassung durch die Verwaltungsgerichte ab, damit nur ausgewählte Verfahren vor das Oberverwaltungsgericht gelangen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ausgeschlossen, um in allen anderen Verfahren Verzögerungen zu vermeiden und die Ressourcen des Oberverwaltungsgerichts zu schonen. Ein mögliches drittes Element einer Reform des Asylprozessrechts betrifft die Klärung grundsätzlich bedeutsamer Tatsachenfragen durch das Bundesverwaltungsgericht. Denn die gerichtliche Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen ist häufig mit hohem Aufwand verbunden. Dies betrifft vor allem die Einschätzung der Lage in bestimmten Herkunftsländern (Beispiele: Syrien, Afghanistan ). Die Feststellungen der Gerichte gehen hier nicht selten in unterschiedliche Richtungen. Sowohl der Aufwand als auch die durch eine zersplitterte Rechtsprechung bedingte Rechtsunsicherheit ließen sich vermindern, wenn man dem Bundesverwaltungsgericht die Befugnis eröffnete, im Revisionsverfahren auch verbindliche Feststellungen zu entscheidungserheblichen Tatsachen von grundsätzlicher Bedeutung zu treffen. Ein Ergebnis der mit der Bewertung beauftragten Bund- Länder-Arbeitsgruppe „Asylprozess“ wird im Juni 2018 erwartet (siehe die Antwort auf Frage 8). Die Landesregierung wird das Ergebnis prüfen. (Verteilt am 19.04.2018) Drucksache 18/708 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Belastung der Gerichte durch Asylklagen?