Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Beobachtung der „Identitären Bewegung“ Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD), eingegangen am 20.03.2018 - Drs. 18/561 an die Staatskanzlei übersandt am 28.03.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 19.04.2018, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung des Abgeordneten Aus dem Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht des Jahres 2016 geht u. a. die Beobachtung der „Identitären Bewegung“ (IB) durch den niedersächsischen Verfassungsschutz hervor. Vorbemerkung der Landesregierung Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) in Niedersachsen wird seit Anfang 2014 vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Im Jahresbericht 2014 wurde erstmals über die Organisation berichtet. In den Publikationen, Verlautbarungen und Aktionen der IBD zeigen sich unverkennbar islam- und fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch-nationalistischen Haltungen, auch wenn die Organisation bemüht ist, sich nach außen hin als eine gemäßigte, islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren. Ziel ist die Anschlussfähigkeit der IBD an breite gesellschaftliche Kreise. In Niedersachsen verfügt die IBD über ein Mitgliederpotenzial von etwa 50 Personen, die in unterschiedlicher Zusammensetzung an Aktivitäten teilnehmen. Regionale Schwerpunkte sind der Raum Lüneburg-Hamburg sowie der Raum Hannover-Hildesheim-Braunschweig. Seit Mai 2016 existiert bei Facebook nur noch das neu eingestellte Profil „Identitäre Bewegung Niedersachsen“. Bundesweit liegt das Mitgliederpotenzial der IBD bei ungefähr 500 Personen, hauptsächlich im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Zu einzelnen Aktivisten gibt es Erkenntnisse über Kontakte zu oder über frühere Mitgliedschaften in anderen rechtsextremistischen Organisationen wie der NPD/JN oder neonazistischen Gruppierungen. 1. Was sind die Gründe für die Beobachtung der IB? Im Mittelpunkt ihrer Ideologie steht ein kollektivistisches Begriffsverständnis von „Heimat, Freiheit, Tradition“ (so der Slogan der IBD), das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. Die Identitären sehen sich in einem Kampf gegen Multikulturalismus und Einwanderung und für den Erhalt der „ethnokulturellen Identität“. Gemeinschaft wird hier zwar nicht im Sinne eines klassischen Rassismus erklärt, jedoch aus der Tradierung vermeintlicher kultureller Errungenschaften der ethnisch homogen definierten Eigengruppe abgeleitet. Islamfeindlichkeit und Einwanderungsdebatte gehen bei den Identitären Hand in Hand und sind Ausdruck einer ideologisch tief verankerten Fremdenfeindlichkeit, zu deren Legitimation der Rückgriff auf das Konzept des Ethnopluralismus erfolgt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 2 Beim Ethnopluralismus handelt es sich um eine modernisierte Variante völkischer Ideologie. Das Konzept billigt ethnischen Gruppen in räumlicher Trennung vorgeblich ihre Eigenständigkeit zu, zielt aber tatsächlich anhand von Kollektivmerkmalen wie Kultur, Herkunft und Geschichte auf die Betonung ethnisch bzw. rassisch determinierter Gruppenunterschiede ab. Eine Zuwanderung von „Fremden“, die nicht Teil dieser „ethnokulturellen Identität“ sind, wird grundsätzlich abgelehnt. Die Identitären inszenieren sich dabei als die wahren Verteidiger von Vielfalt und Freiheit gegen die angebliche Gleichmacherei vermeintlich linker Ideologien. In ihrer Kritik zeigt sich jedoch ein übersteigerter Nationalismus, der das Individuum weitgehend negiert und stattdessen kollektivistisch die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Hiermit richtet sich die IBD gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheits- und Menschenrechte (Artikel 1 bis 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). 2. Wie viele und welche Straftaten der IB in Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt ? In den Jahren 2015 bis 2017 sind neun Straftaten polizeilich bekannt geworden, die der „Identitären Bewegung“ zugeordnet werden. Dabei handelt es sich in allen Fällen um Sachbeschädigungen in Form von Sprüh- und Schmieraktionen. 3. Wie hat sich die IB in Niedersachsen nach Kenntnis der Landesregierung konkret verfassungsfeindlich geäußert? Siehe Antwort zu Frage 4. 4. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Durchführung verfassungsfeindlicher Aktionen der IB in Niedersachsen? Die Einschätzung, ob eine Organisation extremistische Bestrebungen verfolgt, ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung von Äußerungen und Aktivitäten, d. h. von Worten, Schriften, Taten und Aktionen , sowie durch den Kontakt mit anderen extremistischen Organisationen. Das Auftreten der IBD in der Öffentlichkeit ist vielfältig, u. a. Demonstrationen, Flugblattverteilungen , Zeigen von Transparenten (z. B. an Brücken und Häusern), Störung von Veranstaltungen des „politischen Gegners“, Flashmobs bzw. Guerilla-Aktionen (überraschend durchgeführte, kurzzeitige Versammlungen, insbesondere „Besetzungsaktionen“ (meist) gegen Einrichtungen des „politischen Gegners“). Die Aktivitäten der IBD lassen sich jedoch nicht immer einem konkreten Bundesland zuordnen, da die einzelnen IBD-Gruppen häufig in überregionalen Strukturen eingebunden sind, wie die gemeinsamen Aktivitäten der IB Großraum Lüneburg und der IB Hamburg zeigen. Im Folgenden wird daher eine umfängliche Auswahl von Aktionen der Identitären Bewegung sowohl in Niedersachsen als auch unter Beteiligung von Mitgliedern der IBD aus Niedersachsen aufgeführt: – Am 28.06.2015 besetzen Aktivisten der IBD nahezu zeitgleich die Landesgeschäftsstelle der SPD in Hamburg (Kurt-Schuhmacher-Haus) und die Bundeszentrale der Partei in Berlin (Willy- Brandt-Haus). Die Aktivisten, darunter in Hamburg auch Personen aus Niedersachsen, erklimmen die dortigen Balkone und befestigen Transparente mit den Aufschriften „Grenzen retten Leben. Pro Border! Pro Nation! Stoppt den großen Austausch #Der Austausch“ sowie „Festung Europa macht die Grenzen dicht!“. Zusätzlich schwenken sie mehrere Fahnen mit dem Lambda -Symbol der Identitären Bewegung. In einer durch die IBD veröffentlichten Erklärung zu den Aktionen wird die SPD als Mitverursacher für „den Großen Austausch“ genannt und somit dafür verantwortlich gemacht, dass angeblich „Deutsche in nur wenigen Jahrzehnten zur Minderheit im eigenen Land“ würden. – Am 22.03.2016, dem Tag des islamistischen Terroranschlags in Brüssel, wird von Aktivisten der Identitären Bewegung im Raum Lüneburg ein großformatiges Transparent mit der Aufschrift „Heute Brüssel, morgen Hamburg“ an eine Autobahnbrücke über die A 1 bei Seevetal in Fahrtrichtung Hamburg angebracht. Bilder dieser Aktion sowie eine Kritik an der „verfehlten Einwan- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 3 derungspolitik“ finden sich medial aufbereitet auf der Facebook-Seite der IB Großraum Lüneburg . – Am 09.04.2016 sorgt in Mecklenburg-Vorpommern eine Aktion für Aufsehen, die von den Identitären als „Burka-Invasion“ bezeichnet wird. Auf der Uferpromenade im Ostseebad Warnemünde demonstrieren etwa 15 Aktivisten vollverschleiert und mit dem Ruf „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“), unter ihnen auch mehrere Personen aus Niedersachsen. Die mitgeführten Schilder mit der Aufschrift „Unterwerft euch“ sollen den eigenen Angaben nach auf die „drohende Islamisierung “ hinweisen. – Im Juli 2016 thematisiert die IBD im Rahmen ihrer aktuellen Kampagne verstärkt die islamistischen Terroranschläge von Paris, Brüssel und Würzburg, aber auch die Berichte über sexuelle Übergriffe von Migranten, um auf die ihrer Meinung nach gefährlichen Folgen der Politik des „Großen Austauschs“ hinzuweisen. Am 10.07.2016 veröffentlicht die IBD (auch unter Beteiligung der IB Niedersachsen) auf ihrer Facebook-Seite den Beitrag „Aktionistische Intervention der IBD auf den Bahnhöfen der Metropolen Hamburg, Frankfurt und München“: „Es waren namentlich Attentäter, die Terroristen und Frauenschänder aller Herren Länder, die sinnbildlich für ihre Taten Steckbriefe bei sich trugen und für Verwirrung bei den Schaulustigen sorgten. Sie standen symbolisch für die Aufgabe von Souveränität, Sicherheit und Staatlichkeit im Zuge der offenen Grenzen. (…) Sie sind die apokalyptischen Reiter, die die Vorhut für die gesellschaftliche Zersetzung durch Migration, Kriminalität und Wohlfahrtsverlust bilden und eines Tages dafür sorgen könnten, dass die durch die Protagonisten des Großen Austauschs herbeigeklatschte Zerrüttung unseres Landes alsbald eintreten könnte.“ – Am 12.04.2016 befestigen ortsansässige Aktivisten an der niedergebrannten Flüchtlingsunterkunft in Winsen/Luhe ein hochwertig bedrucktes Transparent mit der Aufschrift „Flame-Fugees - Not Welcome - Burn Down Your Own Houses“. Hintergrund ist die durch einen Bewohner verursachte Brandstiftung an dem Gebäude. Die Gestaltung des Transparentes persifliert dabei das bekannte „Refugees Welcome“-Emblem, da man Kritik am „Verhalten der Migranten, aber auch ein Zeichen gegen die Doppelmoral der Einwanderungsbefürworter“ setzen wolle. Wie bereits die „Burka-Invasion“ wird auch diese Aktion in professioneller Form fotografisch festgehalten bzw. videografiert und ist auf der (mittlerweile gelöschten) Facebook-Seite der IB Großraum Lüneburg abrufbar. – Am 17.07.2016 beteiligt sich die IB Niedersachsen durch Absperren eines Seitenzugangs der Fußgängerzone in Hildesheim an einer überregionalen Aktion unter dem Hashtag „#nichtweitergehen “, um gegen die „verfehlte Einwanderungspolitik“ und den „Umbau der europäischen Gesellschaft zu multiethnischen Zwangskonstrukten“ zu demonstrieren. An der Aktion beteiligen sich auch andere Gruppen der Identitären Bewegung von der IB Mecklenburg-Vorpommern über die IB Schwaben bis zur IB Österreich. – Am 19.07.2016 veröffentlicht die IBD (auch unter Beteiligung der IB Niedersachsen) auf ihrer Facebook-Seite den Beitrag „Video zur Aktion am Hamburger Hauptbahnhof“. Bei der Aktion demonstrierte eine Gruppe von zehn bis 20 Aktivisten in Flashmob-Manier vor einem am Bahnsteig wartenden ICE und thematisierte abermals die Gefahr des islamistischen Terrorismus: „Das Blutbad von Würzburg klebt auch an den Händen der Multikultis, die mit ihrer Politik der offenen Grenzen die europäische Bevölkerung schutzlos dem islamischen Terror ausliefern. Daher kann die Antwort auf diese Tat nur heißen: Schluss mit der Heuchelei und den offenen Grenzen, für die Festung Europa!“ – Am 28.07.2016 werden an Autobahnbrücken über die A1 bei Hamburg zwei Transparente mit den Aufschriften „Multikulti tötet - Grenzen dicht“ und „Würzburg, Reutl., Ansbach, HAMBURG“ durch Aktivisten der IB Niedersachsen angebracht, um nach eigenem Bekunden darauf hinzuweisen , dass „Integration eine Lüge ist und die Utopie einer funktionierenden multikulturellen Gesellschaft gescheitert ist“. – Ende Juli 2016 wird eine bundesweite Aktion der Identitären Bewegung initiiert, bei der - ähnlich einer Tatortmarkierung der Polizei - Kreideumrisse von Personen auf die Straße gemalt und mit Kunstblut oder roter Farbe versehen werden. Diese Zeichnungen werden durch den Schriftzug Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 4 „#Remigration“ ergänzt. Auch auf der Facebook-Seite der IB Niedersachsen findet sich ein Hinweis auf die Beteiligung an dieser Aktionsform. So hätten „identitäre Aktivisten“ in der Nacht des 28.07.2016 ein „unmissverständliches Zeichen“ setzen wollen, indem sie mit Kreide die Umrisse eines Körpers versehen mit roter Farbe, symbolisch für Blut, auf die Straßen gezeichnet hätten. Diese Zeichnungen sollen laut Identitärer Bewegung die Terroropfer der letzten Zeit darstellen. Fotos sind auf der Seite beigefügt. – Am 08.08.2016 berichtet die IB Niedersachsen auf ihrer Facebook-Seite über eine „Brunnenaktion “ in Lüneburg. Die Aktion habe dazu gedient, anlässlich der islamistischen Terroranschläge auf die negativen Folgen der „Politik der offenen Grenzen“ aufmerksam zu machen. Daher habe man das Wasser des Brunnens rot gefärbt und mithilfe von „Absperrband und Grabkerzen“ ein deutliches Zeichen hinterlassen. Dem Artikel folgt der Aufruf, sich aktiv an der Arbeit der Identitären Bewegung zu beteiligen oder zu spenden. – Am 13.08.2016 präsentieren sich drei Aktivistinnen der Identitären Bewegung aus Hamburg und Niedersachsen stilisiert als Frauen aus dem Jahr 2006 (unauffällig), dem Jahr 2016 mit geschminkten Blutergüssen im Gesicht und aus dem Jahr 2026 mit einer vermeintlichen „Burka“ bekleidet, um das Kampagnenthema „Der Große Austausch“ mit Übergriffen auf Frauen durch männliche Asylbewerber zu verknüpfen und auf diese Weise Muslime und Flüchtlinge pauschal mit Gewalt und Kriminalität gleichzusetzen. Zusätzlich wurde bei der Aktion in der Hamburger Hafencity ein Transparent mit der Aufschrift „Wann ist es euch bunt genug? - [Islamisierung] Loading… Please Wait - Identitäre Bewegung“ gezeigt. – Am 27.08.2016 klettern etwa 15 Aktivisten, darunter auch Personen aus Niedersachsen, auf das Brandenburger Tor in Berlin und besetzen kurzzeitig das symbolträchtige Bauwerk im Zentrum der Bundeshauptstadt. Einige Aktivisten gelangen bis auf die Quadriga, entzünden dort Rauchfackeln und schwenken Flaggen mit dem Erkennungszeichen der Identitären. Auf einem entrollten Transparent, das nahezu auf ganzer Länge die Front des Brandenburger Tores abdeckt , steht die Aufschrift „Sichere Grenzen - Sichere Zukunft“. Unterhalb der Quadriga ist ein kleineres Transparent mit der Aufschrift „Identitäre Bewegung“ angebracht, direkt neben der Quadriga halten Aktivisten ein Transparent mit der Aufschrift „Festung Europa - Grenzen schützen ! Leben retten!“ Nach Aufforderung der Polizei räumen die Aktivisten das Bauwerk wieder. Zuvor waren sie mithilfe einer Leiter über das Dach eines Seitenbaus, in dem sich der „Raum der Stille“ befindet, auf das Brandenburger Tor gelangt. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde dabei ausgesperrt. – Am 09.10.2016 verteilen Aktivisten der IB Niedersachsen in der Innenstadt von Lüneburg Pfefferspray an Frauen. Das Motto der Aktion lautet „Werde nicht zum Opfer - Selbstschutzkampagne in Lüneburg“. Hintergrund ist die mutmaßliche Vergewaltigung einer jungen Frau durch Asylbewerber. In einem Statement heißt es, man wolle mit der Aktion „über die Gefahren (…) informieren, die sich aus der Masseneinwanderung von zumeist männlichen Migranten in unser Land ergeben.“ Fotos der Aktion sind auf der eigenen Facebook-Seite eingestellt. – Am 06.05.2017 inszenieren IBD-Aktivisten aus Hamburg und aus dem Raum Lüneburg einen nachgestellten Terroranschlag mit lebensgroßen Stoffpuppen am Tag des Hamburger Hafengeburtstags in der Mönckebergstraße; begleitend dazu werden Flugblätter und Informationsmaterial verteilt. – Am 19.05.2017 versuchen rund 50 IBD-Aktivisten, darunter auch Angehörige der IB Niedersachsen , in das Bundesjustizministerium in Berlin einzudringen. Die Aktion kann jedoch von der Polizei frühzeitig gestoppt werden. – Am 17.06.2017 findet eine Demonstration der IBD in Berlin unter dem Motto „Zukunft für Europa “ mit rund 700 Teilnehmern statt. Zu der Veranstaltung reisen Aktivisten der Identitären Bewegung aus dem gesamten Bundesgebiet (auch aus Niedersachsen) sowie aus dem europäischen Ausland an. Unter den Teilnehmern sind zudem Angehörige anderer rechtsextremistischer Gruppierungen. – Am 02.07.2017 während des Schützenauszugs in Hannover zeigen Mitglieder der IB Niedersachsen , die mit einer vermeintlichen Burka bekleidet sind, von einem Parkhausdach in der Innenstadt ein Transparent mit der Aufschrift „Heute Tracht - Morgen Burka“. Die Aktivisten wer- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 5 fen dabei Papierschnipsel mit der Aufschrift „Identitäre Bewegung Niedersachsen“ auf den vorbeiziehenden Festumzug hinab. Der Protest soll nach eigenen Angaben die „Machtausübung“ des Islams auf den deutschen Alltag bewusst machen. – Am 09.09.2017 gelangen Aktivisten der IB Niedersachsen auf das Dach des Braunschweiger Schlosses, wo sie großflächig Transparente mit dem Lambda-Symbol (dem Erkennungszeichen der Identitären Bewegung) und der Aufschrift „Defend Europe - Grenzen schützen - Leben retten “ an der Balustrade aufhängen sowie Leuchtfeuer entzünden. Mit der Aktion will die Gruppierung nach eigenen Angaben auf die „Problematik der illegalen Migration“ und den damit angeblich einhergehenden „schleichenden Verlust der inneren Sicherheit und staatlichen Ordnung“ hinweisen, wie auf der Facebook-Seite der IB Niedersachsen zu lesen ist: „Nach wie vor sind die europäischen Außengrenzen ungeschützt und auch die Zugänge nach Deutschland unterliegen keinerlei Kontrolle. Dass dies aber dringend nötig wäre, zeigen nicht nur die sich immer mehr häufenden An- und Übergriffe auf Einheimische, sondern auch die in der Vergangenheit verübten Anschläge in unserem Land.“ – Am 04.11.2017 erfolgt in der Berliner Innenstadt der Auftakt zur Kampagne „Kein Opfer ist vergessen “. Gegen Mittag gelangen IBD-Aktivisten, die hierfür aus Niedersachsen und anderen Bundesländern angereist sind, mit Bauhelmen und Warnwesten bekleidet auf das Dach eines leerstehenden Gebäudes (ehem. Haus der Statistik) in der Nähe des Alexanderplatzes. Zeitgleich verschaffen sich Aktivisten Zugang zum zweiten Obergeschoss des Europa-Centers nahe dem Breitscheidplatz. An beiden Örtlichkeiten wird ein großflächiges Transparent mit der Aufschrift „Damit die Erinnerung nicht stirbt - Opfer von Multikulti“ entrollt, das zudem Portraitaufnahmen und Personalien von Opfern des islamistischen Terroranschlags vom 19.12.2016 auf dem Breitscheidplatz zeigt. Begleitend zu der Aktion teilt die IB Niedersachsen am selben Tag auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag der IBD. In üblicher Diktion der Identitären Bewegung werden darin Migration, Gewalt und Islam miteinander gleichgesetzt und letztlich kriminalisiert und diffamiert: „Die Opfer von Multikulti, Masseneinwanderung und Islamisierung sind zu Opfern zweiter Klasse degradiert worden. Die politisch Verantwortlichen betrachten sie lediglich als statistische Größen. (…) Jetzt muss gehandelt werden! Der islamistische Terror und die tägliche Kriminalität auf unseren Straßen, darf von der Politik nicht mehr länger ignoriert und verschwiegen werden. Die Islamisierung als Folge der ungebremsten Masseneinwanderung müssen unverzüglich gestoppt werden. Wir brauchen eine Politik der Remigration. (…)“ [sic!] – Am 18.12.2017 berichtet die IB Niedersachsen auf ihrer Facebook-Seite über eine Aktion auf dem Weihnachtsmarkt in Braunschweig am dritten Adventssonntag. Aktivisten hatten vor Betonquadern an den Zugängen zum Weihnachtsmarkt Grablichter und Schilder der aktuellen Kampagne mit der Aufschrift „Ermordet. Verhöhnt. Vergessen“ positioniert, um nach eigenen Angaben „auf die fatalen Folgen jahrelanger ‚Politik der offenen Grenzen‘ aufmerksam“ machen zu wollen. – Am 30.03.2018 (Karfreitag) hält eine kleine Gruppe von Aktivisten der IB Harz (Thüringen) per Megafon eine in Flashmob-Manier durchgeführte Kundgebung an zentraler Stelle auf dem Marktplatz in Goslar ab und verteilt dabei Flugblätter. Die Aktion wird auf der eigenen Facebook -Seite mit Bildern dokumentiert und mit einem reaktionären wie gleichermaßen asylfeindlichen Aufruf versehen: „Besinnt euch wieder auf die alten Werte und Traditionen die unser Land zu einer Heimat gemacht haben und lasst nicht zu, dass unser Land das Opfer des Merkel-Regimes und ihrer verfehlten Asylpolitik wird.“ [sic!] – Am 08.04.2018 demonstrieren Aktivisten der IB Niedersachsen am Rande des Marathonlaufs in Hannover, u. a. mit Plakaten entlang der Strecke und mit einem Transparent in Höhe der „Löwenbastion “ am Rudolf-von-Bennigsen-Ufer, auf dem zu lesen ist: „Die Angst läuft mit“. Bilder der Aktion und ein Begleittext, in dem erneut die Gleichsetzung des Islams mit Gewalt und Terrorismus erfolgt, finden sich auf der eigenen Facebook-Seite: Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/737 6 „Die Terrorgefahr, der wir heute bei Großveranstaltungen ausgesetzt sind, ist eine importierte Gefahr. Es ist eine direkte Folge von Islamisierung, Multikulti, offenen Grenzen und ‚refugees welcome‘-Wahn.“ Anlass der Aktion sei der vereitelte Terroranschlag beim Halbmarathon in Berlin gewesen, wie die IB Niedersachsen auf ihrem Twitter-Kanal mitteilt. In bekannter Manier wird dabei versucht, islam- und fremdenfeindliche Ängste zu schüren und gezielt die Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern. Im Begleittext zu der Aktion heißt es deshalb als Begründung: „War der Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin nicht genug? Sind die täglichen Vergewaltigungen, Messerattacken und sonstigen Gewalttaten durch Migranten nicht schon zu viel? Sind die Massaker von Paris, London und beim Boston Marathon schon vergessen? Vielleicht sind Deine Familie, Deine Freunde oder sogar Du selbst das nächste Opfer, wenn sich an einem sonnigen Tag wie heute wieder die grausame Konsequenz der Islamisierung zeigt. Wir wollen nicht länger zusehen, wie unsere Heimat zum Schlachtfeld wird!“ [sic!] Der Text schließt mit der Aufforderung, aktiv zu werden und sich zur Wehr zu setzen. Neben „sicheren Grenzen“ und „eine(r) friedliche(n) Zukunft für uns und unsere Kinder“ wird in diesem Zusammenhang auch „ein Ende von Multikulti und Islamisierung“ gefordert. Gewissermaßen als Fazit steht unten in Großbuchstaben die Parole „MULTIKULTI IST EINE LÜGE UND ISLAMI- SIERUNG TÖTET!“ 5. Hält die Landesregierung die weitere Beobachtung der IB durch den niedersächsischen Verfassungsschutz für geboten und falls ja, warum? Ideologisch verfolgt die Identitäre Bewegung einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Sinne eines volksgemeinschaftlichen Denkens wird hierbei die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den ideologischen Bezugsrahmen bieten rechtskonservative Theoretiker zur Zeit der Weimarer Republik wie Oswald Spengler, Carl Schmitt und Ernst Jünger, die zu den antiliberalen und antiegalitären Denkzirkeln der „Konservativen Revolution“ gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffsverständnis von „Freiheit, Heimat, Tradition“, das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und das sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. Darüber hinaus darf die IBD nicht isoliert betrachtet werden. Mit ihren Thesen und Aktionen gehört sie zu einem Geflecht aus muslimfeindlichen Organisationen und Internetplattformen, das um Einflussnahme auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess bemüht ist, d. h. um das Erlangen kultureller Hegemonie und einer Deutungshoheit über politische Begriffe. Die Aktivitäten richten sich zwar nicht (primär) gegen das Institutionengefüge der Bundesrepublik Deutschland, aber doch gegen das normative Fundament der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf freie Religionsausübung. Das Ziel ist eine ethnisch homogene Gesellschaft, wobei die Zuordnung zu einer Ethnie in einer kulturalistischen Interpretation über die Zugehörigkeit zu einer Religion erfolgt. In der Praxis ist dem ethnopluralistischen Ansatz deshalb die Abwertung von Muslimen immanent. Die Beobachtung der Identitären Bewegung Deutschland in Niedersachsen durch den niedersächsischen Verfassungsschutz ist daher aus Sicht der Landesregierung auch weiterhin geboten. (Verteilt am 25.04.2018) Drucksache 18/737 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Beobachtung der „Identitären Bewegung“