Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/791 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Eva Viehoff, Stefan Wenzel und Christian Meyer (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur namens der Landesregierung Droht dem Göttinger Institut für Demokratieforschung „Umbruch und Wissensverlust“ (HNA vom 08.03.2018)? Anfrage der Abgeordneten Eva Viehoff, Stefan Wenzel und Christian Meyer (GRÜNE), eingegangen am 28.03.2018 - Drs. 18/586 an die Staatskanzlei übersandt am 03.04.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur namens der Landesregierung vom 02.05.2018, gezeichnet Björn Thümler Vorbemerkung der Abgeordneten Laut HNA vom 08.03.2018 plant die Universität Göttingen, „das anerkannte Institut für Demokratieforschung “ thematisch neu auszurichten. „60 hochqualifizierte Mitarbeiter fürchteten um ihre Jobs und die Existenz.“ Das Institut für Demokratieforschung wurde 2010 gegründet und gehört zur Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. Leiter war bis Herbst 2017 Prof. Dr. Franz Walter. Ziel der Forschungsarbeit war und ist, politische Entwicklungen zu untersuchen und zu analysieren. Das Institut hat sich insbesondere mit der Erforschung des Rechtsextremismus und -populismus, der NS-Vergangenheit niedersächsischer Politiker sowie der Protestbewegungen und Bürgerinitiativen einen Namen gemacht. Die Liste der Veröffentlichungen und Bücher, die im IfD entstanden, ist lang. Die Publikationen werden häufig von Forschenden und Medien zitiert. Am 14.03.2018 meldete der NDR nun: „Demokratieforschung in Göttingen wohl gesichert Das Göttinger Institut für Demokratieforschung soll seinen bisherigen Schwerpunkt behalten. Das hat die Spitze der Universität Göttingen nach massivem politischem Druck entschieden, wie NDR 1 Niedersachsen berichtet. Die Uni rückt demnach von ihrem ursprünglichen Plan ab, die Institutsleitung einem Wirtschaftshistoriker zu übertragen - damit wäre die komplette Neuausrichtung der renommierten Forschungseinrichtung verbunden gewesen. Unklar ist derzeit noch, wie das Institut personell ausgestattet wird und ob es im selben Umfang wie bisher arbeiten kann. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass das Institut momentan keine neuen Forschungsaufträge annehmen darf und befristete Verträge auslaufen. Die Mitarbeiter hatten befürchtet, die Einrichtung könne vor dem Aus stehen.“ Wie der HNA vom 16.03.2018 zu entnehmen ist, fürchten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch weiterhin um die Zukunft des Instituts: „Die Beschäftigten aber sind nach dieser Information durch die Uni-Leitung weiter beunruhigt. Eine Neuausrichtung würde weiterhin die an Themen gebundenen Tätigkeiten und Stellen bedrohen, war aus Mitarbeiterkreisen zu hören. Das bestehende Verbot seitens der Uni-Leitung, neue Forschungsprojekte anzunehmen und zu beantragen, führe dazu, dass Kontakte wegbrechen. Die Befürchtung: Die Zuwendenden werden sich neue Partner suchen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/791 2 Zudem sei dann ein einzigartiger Lehr- und Lernort in Gefahr, wie Studierende des Schwerpunkts ‚Demokratie und gesellschaftliche Konflikte‘ schreiben. Sie betonen, dass dort - im Gegensatz zu anderen Studienschwerpunkten - die Seminare vorwiegend aktuelle, realpolitische Themen behandeln , was wiederum dazu führt, dass die Absolventinnen und Absolventen oft gute Berufschancen hätten, nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im publizistischen Bereich. Der von der Studierendenvertretung als ‚toll‘ bezeichnete Schwerpunkt sei so beliebt, dass während des Studiums viele Studierende in diesen wechseln, vor allem um ihre Masterarbeiten zu schreiben. All das müsse die Uni beachten. Eine Neuausrichtung des IfD, so ist auch zu hören, gefährde auch die über Aufträge eingenommen Drittmittel.“ 2010 wurde von der damaligen Landesregierung im Rahmen der Bleibeverhandlungen mit Prof. Dr. Franz Walter vom Ministerpräsidenten zugesichert: „Das Institut soll auch im Falle des Ausscheidens von Prof. Franz Walter als Direktor langfristig weiterbestehen und als Aushängeschild der Universität diese repräsentieren.“ Am 29.07.2011 bekräftigte der damalige Ministerpräsident David McAllister brieflich: „Die Universität und das Land haben Ihnen dazu erhebliche zusätzliche Mittel in den Berufsverhandlungen zugesichert und so den Aufbau des ‚Instituts für Demokratieforschung‘ auf Dauer ermöglicht.“ Vorbemerkung der Landesregierung Das Göttinger Institut für Demokratieforschung (im Weiteren „IfD“) befasst sich mit einer Fülle von gesellschaftsrelevanten Themen und Gegenständen aus den Bereichen Soziologie, politische Geschichte und der Parteien- und politischen Kulturforschung. Ein Fokus liegt auf der die Teilbereiche verzahnenden Demokratieforschung, welche ebenso namensgebend wie forschungsleitend für das IfD ist. Ein Schwerpunkt des IfD ist die wissenschaftliche Analyse der Kommunikations- und Vermittlungsprobleme zwischen Politik und Gesellschaft. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Merkmale die Kommunikationsprozesse zwischen Politik und Zivilgesellschaft charakterisieren und welche Defizite und Versäumnisse in diesen Prozessen diagnostiziert werden können. Das IfD, im März 2010 aus der Göttinger Parteienforschung entwickelt, ist aus Sicht der Landesregierung eine herausragende Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, weil es wichtige Beiträge für das Demokratieverständnis und zur Vermittlung politischer Zusammenhänge in die Bürgergesellschaft leistet. Das ist in der heutigen Zeit, in der die Werte der Demokratie einerseits als profane Selbstverständlichkeit verstanden werden, andererseits die Demokratie aber auch teilweise bis an ihre Grenzen in Anspruch genommen wird, wichtiger denn je. Sehr begrüßenswert ist es daher auch, dass am IfD im November 2016 eine „Dokumentations- und Forschungsstelle zur Analyse und Bewertung von Demokratiefeindlichkeit und politischer Gewaltbereitschaft in Niedersachsen“ eingerichtet wurde, die mit Blick auf das Phänomen Rechts- und Linksextremismus sowie den radikalen Islamismus/Salafismus Grundlagenforschung leistet. Ergänzt wird die Dokumentationsstelle durch die Bundesfachstelle „Linke Militanz“, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ebenfalls am IfD eingerichtet wurde. 1. Fühlt sich auch die jetzige Landesregierung an die damaligen Aussagen zur langfristigen Sicherung des Instituts für Demokratieforschung gebunden? Wie in der Vorbemerkung ausgeführt, leistet das IfD der Universität Göttingen wichtige Beiträge für das Demokratieverständnis und zur Vermittlung politischer Zusammenhänge. Daher bleibt die Landesregierung bei ihrer Auffassung, dass das Institut als wichtiger Impulsgeber für die Wissenschaft und die Gesellschaft erhalten bleiben muss. Die Landesregierung wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/791 3 2. Wenn ja, was hat die Landesregierung zur Stärkung des „Aushängeschilds der Universität “ unternommen? Zum Zweck des Ausbaus der ursprünglichen Arbeitsgruppe für Parteienforschung an der Universität Göttingen zu einem Institut für Demokratieforschung wurde die Finanzhilfe der Universität Göttingen ab dem Jahr 2010 um 790 000 Euro p. a. erhöht. Daneben hat das IfD wiederholt zusätzliche Förderungen des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) für einzelne Projekte erhalten : – Politische Führung im deutschen Föderalismus - Die Ministerpräsidenten Niedersachsens; Zweites Projekt: Edition der Kabinettsprotokolle der Niedersächsischen Landesregierung 1946 bis 1951; Förderbetrag 233 590,00 Euro, – Diesseits von Versäulung, Lagern und sozialmoralischen Milieus. Zur politischen, sozialen und kulturellen Perspektive europäischer Demokratien im Auflösungsprozess kollektiver Großstrukturen ; Förderbetrag 460 127,42 Euro, – Aufbau eines Demokratieinstitutes, 1. Bewilligung; Förderbetrag 554 139,35 Euro, – Aufbau eines Demokratieinstitutes, Nachbewilligung; Förderbetrag 329 322,00 Euro, – Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende; Förderbetrag 322 231,12 Euro, – Die Rolle des Sexualwissenschaftlers im Pädosexualitätsdiskurs - Zum Beispiel: Helmut Kentler ; Förderbetrag 176 164,00 Euro, – Rudolf Stich: Hochschullehrer, Chirurg, Göttinger Bürger im Nationalsozialismus; Förderbetrag 103 338,00 Euro. 3. Welche „erheblichen zusätzlichen Mittel“ haben das Land und die Universität in den Aufbau des Instituts für Demokratieforschung investiert? Zu den vom Land zur Verfügung gestellten Mitteln siehe Antwort auf Frage 2. Die Universität Göttingen hat dem Institut, wie allen Einrichtungen, Räume zur Verfügung gestellt. Außerdem können die Mitglieder des Instituts alle Leistungen der Universität und der zugehörigen Einrichtungen in Anspruch nehmen. Diese Leistungen sind nach Mitteilung der Universität im Einzelnen nicht zu beziffern. 4. Gehen diese Finanzmittel direkt an das Institut, oder kann die Universität darüber frei verfügen? Die die Universität tragende Stiftung finanziert gemäß § 56 Abs. 3 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) die Erfüllung ihrer Aufgaben u. a. mit der jährlichen Finanzhilfe des Landes. Die entsprechenden Mittel des Landes werden dem Institut gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 NHG zur Verfügung gestellt. 5. Wie sieht die Nachfolgeregelung für den Direktor Prof. Dr. Franz Walter aus? Die Nachfolge von Prof. Dr. Franz Walter wird von der Fakultät Sozialwissenschaft in den nächsten Wochen ausgeschrieben. Die Denomination der Professur wird sich, wie bisher, auf die Demokratieforschung /Parteienforschung beziehen. 6. Aus welchen Geldern soll die eventuelle Humboldt-Professur nach dem Auslaufen der Humboldt-Förderung bezahlt werden? Die Ablöse von Humboldt-Professuren wird immer aus Mitteln der jeweiligen Fakultät und zentralen Mitteln übernommen. Dies wird in jedem Einzelfall verhandelt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/791 4 7. Werden Mittel für das Institut für Demokratieforschung in andere Bereiche der Universität umgeschichtet? Wie das IfD zukünftig aufgestellt sein wird, wird nach Mitteilung der Universität zwischen der zukünftigen Stelleninhaberin bzw. dem zukünftigen Stelleninhaber (also der Leitung des Instituts), der Fakultät und dem Präsidium festgelegt werden. Entsprechend solle auch die Mittelallokation erfolgen . Das Land wird darauf achten, dass die speziell für Zwecke des IfD vorgesehenen Mittel auch dort verbleiben. 8. Bleiben die 60 Stellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig erhalten? Nach Mitteilung der Universität sind im IfD derzeit 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon 14 befristet) beschäftigt. Außerdem sind 29 studentische Hilfskräfte und neun wissenschaftliche Hilfskräfte im Institut tätig. Die Universität hat erklärt, dass alle Beschäftigten auf Qualifikationsstellen die Möglichkeit haben, ihre Qualifikationsarbeiten zu Ende zu bringen. Die Verträge der studentischen Hilfskräfte, die für bestimmte Aufgaben in Projekten oder der Verwaltung eingestellt sind, werden bis zum Abschluss dieser Aufgaben aufrechterhalten. Die weiteren Planungen sollen nach Mitteilung der Universität nach Besetzung der Professur durch die neue Stelleninhaberin bzw. den neuen Stelleninhaber gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Fakultät und dem Präsidium erfolgen. 9. Wie sieht die zukünftige Schwerpunktsetzung für das Institut für Demokratieforschung aus? Die Demokratie- und Parteienforschung des IfD soll weitergeführt werden. Nach Besetzung der Professur wird die neue Stelleninhaberin bzw. der neue Stelleninhaber gemeinsam mit der derzeitigen kommissarischen Leitung des Instituts, der Fakultät und dem Präsidium das zukünftige Konzept des Instituts entwickeln. (Verteilt am 03.05.2018) Drucksache 18/791 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Eva Viehoff, Stefan Wenzel und Christian Meyer (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur Droht dem Göttinger Institut für Demokratieforschung „Umbruch und Wissensverlust“ (HNA vom 08.03.2018)?