Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/821 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung Fall Steinhoff und PoCo: Funktionieren die Steuerprüfung und Steuerfahndung bei multinationalen Unternehmen? Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE), eingegangen am 03.04.2018 - Drs. 18/619 an die Staatskanzlei übersandt am 11.04.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung vom 07.05.2018, gezeichnet Dr. Bernd Althusmann Vorbemerkung des Abgeordneten Das erste Unternehmen der Unternehmensgruppe Steinhoff wurde in Westerstede in Niedersachsen gegründet. Heute ist die Steinhoff International Holding in Frankfurt und Johannesburg an der Börse gelistet. Teile des Geschäfts werden laut Website auch heute aus Westerstede gesteuert. Berichten zufolge besteht das Unternehmen heute aus ca. 700 Tochterunternehmen und 40 Marken , die in 32 Ländern aktiv sind. In den letzten sechs Monaten hat das Unternehmen mehr als 90 % seines Börsenwertes verloren. Dabei soll auch der südafrikanische Government Employee Pension Fund hohe Verluste erfahren haben. Tagesschau.de berichtete am 28.02.2018 über den Fall Steinhoff: „Führende Mitarbeiter des Möbelkonzerns Steinhoff haben offenbar wesentlich länger Unternehmensbilanzen manipuliert als bislang bekannt. Das geht aus internen E-Mails hervor, die NDR und Süddeutsche Zeitung auswerten konnten. Demnach unterhielten sich zwei deutsche Manager mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Steinhoff … bereits im Jahr 2014 ausführlich darüber, wie sie die Bilanzen des Konzerns in einem besseren Licht erscheinen lassen können. Die E-Mails legen außerdem den Verdacht nahe, dass auch frühere Jahresabschlüsse von Manipulationen betroffen sein könnten und dass weitere Steinhoff-Berater von den Vorgängen wussten. Die E-Mails stammen aus dem Jahr 2014, neben“ (dem Vorstandsvorsitzenden) „sind ein ehemaliger und ein amtierender Steinhoff-Manager aus Norddeutschland beteiligt.“ Capital zitierte in der Ausgabe 4/2018 einen Anteilseigner des Konzerns mit den Worten „Und wenn dein Management einen Betrug begeht, den die Wirtschaftsprüfer nicht entdecken, nicht die Anteilseigner , die Makler, die Analysten, nicht die Banken, die dir Geld geben - dann bist du vollkommen verwundbar“. Welche Rolle der Chefaufseher dabei spielte, bleibt offen. 1. Liegen die von Tagesschau.de zitierten o. g. E-Mails der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft in Niedersachsen vor? Die Erkenntnisse der Landesregierung und der nachgeordneten Behörden aus Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren unterliegen dem Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/821 2 2. Wie bewertet die Landesregierung die in den E-Mails beschriebenen Vorgänge aus rechtlicher Sicht? Eine Bewertung der in der Vorbemerkung vom Fragesteller dargestellten Inhalte der zitierten E-Mails aus rechtlicher Sicht ist der Landesregierung - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - noch nicht abschließend möglich; zumindest bleibt der derzeit noch ausstehende Abschluss der Ermittlungen abzuwarten. 3. Sind die Landesregierung und nachgeordnete Behörden über die Anhörungen und die Aussagen Betroffener und Beteiligter vor dem südafrikanischen Parlament bzw. den zuständigen Ausschüssen zu dem Fall Steinhoff vollumfänglich informiert? Über die Anhörungen und die Aussagen Betroffener und Beteiligter vor dem südafrikanischen Parlament oder den zuständigen Ausschüssen zu dem Fall Steinhoff liegen weder der Landesregierung noch der Staatsanwaltschaft Oldenburg über die allgemeine Presseberichterstattung hinausgehende Informationen vor. Anlass für die Stellung eines Rechtshilfeersuchens an die südafrikanische Justiz sieht die Staatsanwaltschaft bei dem derzeitigen Stand der Ermittlungen insoweit nicht. 4. Wie bewertet die Landesregierung den Beitrag von Moneyweb.co.za vom 01.03.2018 „Some big mistakes“ aus rechtlicher Sicht? Eine abschließende Bewertung des Beitrags lässt der Stand der Ermittlungen noch nicht zu. 5. Welche Wirtschaftsprüfer haben den Konzernabschluss in den letzten zehn Jahren geprüft ? Die börsennotierte Steinhoff International Holdings N.V. wurde nach den der Landesregierung vorliegenden Erkenntnissen von der Deloitte & Touche SA/Johannesburg geprüft. Außerdem ist einer Ad-hoc-Mitteilung des Unternehmens vom 05.12.2017 zu entnehmen, dass das Supervisory Board der Steinhoff International Holdings N.V. das Unternehmen PricewaterhouseCoopers mit der Untersuchung etwaiger Bilanzunregelmäßigkeiten beauftragt hat. 6. Welche Wirtschaftsprüfer haben die ca. 700 Tochterunternehmen des Konzerns in den letzten zehn Jahren geprüft? Eine vollständige Liste der Wirtschaftsprüfer, die den Konzern und die Tochtergesellschaften innerhalb der letzten zehn Jahre geprüft haben, liegt weder der Landesregierung noch einer nachgeordneten Behörde vor. Zu eventuellen Erkenntnissen der Finanzbehörden wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren bezieht sich nicht auf alle angeblich 700 Tochterunternehmen. Es deckt auch nicht den gesamten, hier erfragten Zeitraum von zehn Jahren ab. 7. Entsprechen die Eintragungen für ca. 150 PoCo Märkte im Handelsregister (140-mal Amtsgericht Göttingen, dreimal Amtsgericht Berlin, sechsmal Amtsgericht Hamm, einmal Amtsgericht FfM, einmal Amtsgericht Mainz) den gesetzlichen Vorgaben? Von den genannten Gerichten liegt nur das Amtsgericht Göttingen im Zuständigkeitsbereich der Landesregierung. Zu den Eintragungen in den von den anderen Gerichten geführten Handelsregistern liegen der Landesregierung keine über die allgemein zugänglichen Informationen hinausgehenden Erkenntnisse vor. Im Handelsregister A des Amtsgerichts Göttingen sind 134 Kommanditgesellschaften eingetragen, deren Firma jeweils auf „POCO Markt BVBA & Co. KG“ endet (AB - POCO Markt BVBA & Co. KG, AC - POCO Markt BVBA & Co. KG, AD - POCO Markt BVBA & Co. KG, AG - POCO Markt BVBA & Co. KG usw.). Rechtlich handelt es sich um 134 eigenständige Gesellschaften , sodass jede dieser Gesellschaften gemäß § 161 Abs. 2 i. V. m. § 106 Abs. 1 des Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/821 3 Handelsgesetzbuchs (HGB) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden war. Die Eintragung erfolgte jeweils im Handelsregister des Amtsgerichts Göttingen, weil sie nach den genannten Vorschriften bei dem Gericht zu erfolgen hat, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. Die 134 Kommanditgesellschaften haben ihren Sitz sämtlich in Hardegsen, das im Amtsgerichtsbezirk Northeim liegt, für den das Handelsregister vom Amtsgericht Göttingen geführt wird (§ 16 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung - ZustVO-Justiz - vom 18.12.2009, Nds. GVBl. S. 506, zuletzt geändert durch Verordnung vom 07.02.2018, Nds. GVBl. S. 24). Vor der Eintragung prüft das Registergericht, ob deren formelle Voraussetzungen erfüllt sind, zu denen insbesondere die Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung gehört, d. h. ob sie durch eine zur Anmeldung berechtigte Person erfolgt ist, alle erforderlichen Angaben enthält und die Form des § 12 HGB gewahrt ist. Eine Pflicht zur materiellen Prüfung der Anmeldung besteht nur dann, wenn begründete Zweifel an der Wirksamkeit der zur Eintragung angemeldeten Erklärungen oder der Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen bestehen (BGH NJW-RR 2011, 1184 Rn. 10). Der Landesregierung sind keine Auffälligkeiten im Zusammenhang mit den 134 Eintragungen im Handelsregister des Amtsgerichts Göttingen bekannt. 8. Sind die Eintragungen nach Frage 7 vollständig im Sinne des HGB? Wenn nein, was fehlt? Die Eintragung einer Kommanditgesellschaft in das Handelsregister hat – den Namen, Vornamen, das Geburtsdatum und den Wohnort jedes persönlich haftenden Gesellschafters bzw. bei persönlich haftenden Gesellschaftern, die selbst Handelsgesellschaft oder juristische Person sind, deren Firma, Rechtsform und Sitz sowie bei entsprechender Eintragung Register und Registernummer (§ 162 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 162 Abs. 2 Nr. 1 HGB, § 40 Nr. 3 lit. b und Nr. 7 der Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters - Handelsregisterverordnung, HRV), – die Firma der Gesellschaft, den Ort, an dem sie ihren Sitz hat, und die inländische Geschäftsanschrift (§ 162 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 162 Abs. 2 Nr. 2 HGB), – die Vertretungsmacht der Gesellschafter (§ 162 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 162 Abs. 2 Nr. 4 HGB) sowie – die Bezeichnung der Kommanditisten und den Betrag der Einlage eines jeden von ihnen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 HGB) zu enthalten. Eine stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen im Handelsregister des Amtsgerichts Göttingen hat ergeben, dass die erforderlichen Angaben enthalten und die Eintragungen damit vollständig sind. 9. Sind die Unternehmen nach Frage 7 in den Jahresabschlüssen 14/15 und 15/16 des Steinhoff Konzerns mit 50 % oder mit 100 % konsolidiert? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 10. Was hat die Handelskammer am Gerichtshof in Amsterdam/Niederlande am 19.02.2018 zur Konsolidierung von PoCo-Märkten im Jahresabschluss der Steinhoff International Holding entschieden? Die Entscheidung des Amsterdamer Gerichtshofs ist sowohl der Landesregierung als auch deren nachgeordnetem Geschäftsbereich nur aus der Presse bekannt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/821 4 11. Welche Auswirkungen auf die Steuerschuld in den beteiligten Ländern haben die in der Schweizer Handelszeitung vom 04.10.2017 unter dem Titel „Das Möbel-Imperium Steinhoff zeigt Risse“ beschriebenen Geschäfte von Steinhoff mit der Firma Campion Capital , deren Tochtergesellschaften und weiteren Firmen wie Southern View Finance und Genesis Investment Management, die laut Berichten von ehemaligen oder aktiven Steinhoff Managern geführt werden oder wurden? Die Landesregierung wird sich zu spekulativen Annahmen und zu rechtlichen Wirkungen von Teilsachverhalten in anderen Ländern nicht äußern. Soweit sich die Frage auf den Finanzbehörden in Niedersachsen möglicherweise vorliegende Daten beziehen sollte, unterliegen die geschützten Daten dem Steuergeheimnis nach § 30 der Abgabenordnung. 12. Wie bewertet die Landesregierung Geschäfte mit außerbilanziellen Vehikeln von Mitgliedern des Managements eines Konzerns aus rechtlicher Sicht? Die Landesregierung ist nicht in der Lage, eine rechtliche Bewertung von Geschäften mit „außerbilanziellen Vehikeln“ abzugeben, weil unklar ist, welche Art von Geschäften der Fragesteller hierunter versteht. 13. Prüfen Finanzaufsicht, Finanzämter oder Staatsanwaltschaften, ob Geschäfte mit außerbilanziellen Vehikeln auf einen Fall von „Looting“ hinauslaufen könnten (Akerlof/Romer 1993)? Eine allgemeine staatliche Finanzaufsicht über das geschäftliche und finanzielle Gebaren von Unternehmen und deren Organen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Unternehmen existiert in Deutschland nicht. Finanzämter haben nach § 85 der Abgabenordnung die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Hierfür haben sie von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln, wobei den Beteiligten bei Auslandsberührung eine erhöhte Mitwirkungspflicht obliegt. In bestimmten Fällen bestehen weitergehende Dokumentationspflichten. Im Zusammenhang mit der steuerlichen Anerkennung von Aufwendungen prüfen die Finanzämter insbesondere die betriebliche Veranlassung und bei Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen den sogenannten Fremdvergleich. Zum Begriff des Nahestehens bei international verbundenen Unternehmen wird auf die Tz. 1.4 und 1.5 des BMF-Schreibens vom 23.02.1983 (BStBl. I, 218) verwiesen. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg prüft unter sämtlichen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten , ob Straftatbestände erfüllt sind. Ob die hier im Rahmen der Ermittlungen geprüften Geschäftsvorfälle auf einen Fall von „Looting“ hinauslaufen könnten, ist daher nicht Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft Oldenburg geführten Ermittlungsverfahrens. 14. Wird der Ministerpräsident bei seinem geplanten Besuch in Eastern Cape, Western Cape und Gauteng auch Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit bei der grenzübergreifenden Bekämpfung von Marktmanipulation oder Steuerhinterziehung ansprechen? Bei den politischen Gesprächen in Südafrika wird Ministerpräsident Stephan Weil aller Voraussicht nach generell über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern sprechen, darunter auch über aktuelle Probleme im Zusammenhang mit dem Steinhoff-Konzern. Zunächst ist die Aufbereitung des Steinhoff-Falls jedoch Sache der Justiz in beiden Ländern. Erst wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, ob und, wenn ja, welche Defizite in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südafrika grenzüberschreitende Marktmanipulationen oder Steuerhinterziehungen ermöglicht haben, wird über konkrete Verbesserungen in der internationalen Zusammenarbeit gesprochen werden können. (Verteilt am 08.05.2018) Drucksache 18/821 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Fall Steinhoff und PoCo: Funktionieren die Steuerprüfung und Steuerfahndung bei multinationalen Unternehmen?