Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Anja Piel, und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Armut bei Migrantinnen und Migranten Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Anja Piel, und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE), eingegangen am 10.04.2018 - Drs. 18/677 an die Staatskanzlei übersandt am 17.04.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 17.05.2018, gezeichnet Dr. Carola Reimann Vorbemerkung der Abgeordneten Laut einer dpa-Meldung vom 27.08.2015 waren damals fast 37 % der Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Niedersachsen armutsgefährdet. Die Gefährdungsquote sei damit fast zweieinhalbmal so hoch gewesen wie in der Gesamtbevölkerung. Durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom Dezember 2016 wurde die gesundheitliche Versorgung für Arbeit suchende EU-Bürgerinnen und -bürger eingeschränkt. Die Bundesregierung ging in der Gesetzesbegründung davon aus, dass dieses Gesetz eine Lenkungswirkung auf die betroffenen Menschen hat, sie also zur Ausreise bewegen werde oder dazu, von ihrer Einreise abzusehen. Der Paritätische Gesamtverband stellte in seiner „Arbeitshilfe: Ansprüche auf Leistungen der Existenzsicherung für Unionsbürger/-innen“ vom 25.04.2017 fest: „Die gesetzliche Neuregelung führt bereits wenige Wochen nach Inkrafttreten dazu, dass vielen, teils seit Jahren rechtmäßig hier lebenden Unionsbürger/-innen nun plötzlich durch die Sozialämter sämtliche Leistungen gestrichen werden.“ Die Folgen seien drohende Wohnungslosigkeit, Mittellosigkeit, Schutzlosigkeit, massive Gefahr der Ausbeutung, Verelendung. Insbesondere für besonders schutzbedürftige Personen wie Schwangere , Familien mit Kindern, kranke oder behinderte Menschen führe dies zu dramatischen Konsequenzen . Der Paritätische hält die Leistungsausschlüsse für „verfassungsrechtlich problematisch, da sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen“. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt laut einer anderen Arbeitshilfe des Paritätischen Gesamtverbands mit dem Titel „Soziale Rechte für Flüchtlinge“ vom Dezember 2016 ein „Sondersozialsystem “ dar, „nach dem der Lebensunterhalt für bestimmte Gruppen ausländischer Staatsangehöriger gedeckt werden soll“. Am 18. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht zusammen mit der Feststellung „Die in Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ die Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für verfassungswidrig erklärt, da diese evident unzureichend seien, ein verfassungsrechtlich geschütztes menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Daraufhin hat der Bundesgesetzgeber im März 2015 das AsylbLG reformiert. Seitdem sind jedoch in mehreren Änderungen bereits wieder Einschränkungen beschlossen worden, die laut dem Paritätischen „in vielen Fällen dem höchstrichterlichen Urteil offensichtlich widersprechen“. Der Paritätische setzt sich wie auch andere Verbände „seit Langem für eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein, da er es für ein diskriminierendes Gesetz hält. Stattdessen sollten die Leistungsberechtigten in die regulären Sozialhilfesysteme (SGB II, SGB XII) einbezogen werden“. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 2 Tagesschau.de berichtete am 23. Februar 2018, dass die Essener Tafel nach ihrer Entscheidung, vorerst keine Migranten mehr neu in ihre Kartei aufzunehmen, „unter Druck geraten“ sei. Der Anteil der Migranten sei zuletzt auf etwa drei Viertel angestiegen. Auch Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) habe die Entscheidung kritisiert: „Eine Gruppe pauschal auszuschließen, passt nicht zu den Grundwerten einer solidarischen Gesellschaft. Das fördert Vorurteile und Ausgrenzung.“ Der Sozialverband Deutschland (SoVD) habe ebenfalls den Aufnahmestopp für Migranten kritisiert, aber gleichzeitig auf „größere soziale Zusammenhänge“ hingewiesen. Ursache für den Andrang seien laut dem Leiter Sozialpolitik des NRW-Verbandes, Michael Spörke, unzureichende staatliche Leistungen. „Die Tafeln sind Lückenbüßer dafür, dass staatliche Leistungen nicht reichen.“ Der Vorsitzende der Tafeln in Deutschland, Jochen Brühl, sagte laut einem Bericht von Tagesschau.de vom 1. März 2018, grundsätzlich solle die Politik sich um diejenigen kümmern, die abgehängt sind. Deutschland habe ein „enormes Armutsproblem“, einen „unfassbaren Niedriglohnsektor“ und eine „unzureichende Grundsicherung“. Die politischen Rahmenbedingungen müssten verbessert werden . „Das ist nicht die Aufgabe der Tafel. Das ist Aufgabe des Staates.“ Vorbemerkung der Landesregierung Aufgrund der Flüchtlingsbewegung in den Jahren 2015 und 2016 ist die Zahl von Ausländerinnen und Ausländern in der Grundsicherung angestiegen. Die Integration dieser Menschen stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur durch ein gemeinsames Handeln staatlicher Stellen und zivilgesellschaftlicher Initiativen erfolgreich gemeistert werden kann. 1. Wie hoch war jeweils in den Jahren seit 2015 a) die Armutsgefährdungsquote unter den Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Niedersachsen, b) die Armutsgefährdungsquote in der niedersächsischen Gesamtbevölkerung, c) die Armutsgefährdungsquote unter den Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bundesweit, d) die Armutsgefährdungsquote in der Gesamtbevölkerung bundesweit? Zu a) 2015: 40,5 %, 2016: 43,0 %. Zu b) 2015: 15,9 %, 2016: 16,0 %. Zu c) 2015: 33,7 %, 2016: 35,5 %. Zu d) 2015: 15,7 %, 2016: 15,7 %. Die Daten sind den Berichten der Handlungsorientierten Sozialberichterstattung des Landes Niedersachsen sowie den Statistischen Monatsheften des Landesamtes für Statistik entnommen. Für das Jahr 2017 liegen noch keine Zahlen vor. 2. Sind bestimmte besonders gefährdete Gruppen unter den armutsgefährdeten Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erkennbar, und welche sind dies gegebenenfalls ? In der Handlungsorientierten Sozialberichterstattung wird die Gruppe von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit nicht weiter differenziert. Es ist jedoch zu erwarten, dass auch hier - wie bei der Gesamtbevölkerung - die Armutsgefährdungsquote bei Erwerbslosen, Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau sowie bei Alleinerziehenden überdurchschnittlich hoch ist. Außerdem befanden sich natürlich die meisten in den Jahren 2015/2016 zugewanderten Flüchtlinge noch im Leistungsbezug. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 3 3. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um die Armutsgefährdungsquote unter den Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zu reduzieren? Die Landesregierung setzt sich im Rahmen der bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein. Hierzu zählt insbesondere die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Um eine Arbeitsintegration zu fördern, werden unterschiedliche Programme und Maßnahmen in Niedersachsen durchgeführt: – Im Rahmen der Richtlinie zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit von Langzeitarbeitslosen werden seit Mitte letzten Jahres Coaching-Angebote der Jobcenter zum Abbau von Sprachhemmnissen und fehlender Qualifikation mit dem Ziel einer Arbeitsintegration gefördert. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) ist dafür federführend zuständig. – Mit den sogenannten Anerkennungsgesetzen besteht die Möglichkeit, die Gleichwertigkeit im Ausland erworbener Berufsqualifikationen in Niedersachsen feststellen zu lassen. MS leistet eine Kofinanzierung für das IQ Netzwerk Niedersachsen, um das Angebot an Beratung und Qualifizierung ausweiten zu können. – Für geflüchtete Menschen hat das Land ein Sprachlernangebot aufgebaut. Jugendliche Geflüchtete erhalten Berufsorientierung und können hierüber an die Aufnahme einer Berufsausbildung herangeführt werden. Ihre Vermittlung und Einbindung in Betriebe wird unterstützt. Diese Auswahl zeigt das weite Spektrum der Landesmaßnahmen auf, mit denen die bundesseitigen Angebote, insbesondere der Bundesagentur für Arbeit ergänzt werden. Daneben fördert das Land ein breites Beratungsangebot, dadurch werden zugewanderte und zuwandernde Menschen beispielsweise bei der Wohnungssuche, bei der Vermittlung in eine notwendige medizinische Behandlung , bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder bezüglich des Schulbesuchs ihrer Kinder unterstützt. Es wird ein Beratungsangebot für zugewanderte und zuwandernde Menschen als Ergänzung zur vom Bund finanzierten Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderinnen und Zuwanderer (MBE) und den Jugendmigrationsdiensten (JMD) organisiert. 4. Kann die Landesregierung eine Lenkungswirkung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom Dezember 2016 feststellen (bitte begründen und mit Zahlen - insbesondere zu Ausreisen des betroffenen Personenkreises - belegen)? Das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom 22. Dezember 2016 ist seit dem 29. Dezember 2016 in Kraft. Das Gesetz stellt eine Reaktion auf mehrere Entscheidungen des Bundessozialgerichts seit Dezember 2015 dar. Nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 18/10211 vom 07.11.2016) schafft die Vorschrift eine Klarstellung der Leistungsansprüche und -ausschlüsse ausländischer Personen im SGB II und SGB XII. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich keine konkrete Zielerwartung hinsichtlich einer Lenkungswirkung der getroffenen Regelungen. Im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung wird von einer Wirkung auf die Anzahl der SGB-II-Anspruchsberechtigten ausgegangen, diese sei allerdings nicht quantifizierbar. Zu den erfragten Zahlen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit und die Bundesstatistik zur Sozialhilfe sehen derartige Erhebungen nicht vor. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 4 5. a) Welche Erfahrungen haben die Landesregierung oder die niedersächsischen Kommunen mit der Anwendung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom Dezember 2016 gemacht? Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Die Landesregierung hat die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsen um eine Stellungnahme zu dieser Frage gebeten. Die Arbeitsgemeinschaft hat mit Schreiben vom 25.04.2018 mitgeteilt, dass dort keine Informationen vorliegen. Eine Befassung der Mitglieder ist aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich. 5. b) Was haben die Landesregierung oder die Kommunen in Niedersachsen unternommen, um das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimums bei der Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten? Den Anforderungen an das menschenwürdige Existenzminimum bei der Auslegung des Gesetzes werden die Landesregierung und die Kommunen gerecht, indem sie den konkreten Bedarf und die Dauer der Überbrückungs-, Härtefall- und Rückreiseleistungen für die davon betroffenen Personen in jedem Einzelfall prüfen. Unionsbürger können sich darauf verlassen, dass ihre Existenz im EU-Herkunftsstaat gewährleistet wird. Die Landesregierung hat sich in der Vergangenheit bei der Regelbedarfsermittlung immer für eine gerechte Bedarfsermittlung der Regelsätze eingesetzt, damit ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle Personen gesichert ist. 6. a) Wie viele Personen beziehen in Niedersachsen Leistungen nach dem AsylbLG? Laut der jüngsten vorliegenden Asylbewerberleistungsstatistik bezogen zum Stichtag 31.12.2016 insgesamt 75 401 Personen Regelleistungen nach § 2 und §§ 3 bis 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Zudem haben zum vorgenannten Stichtag 247 Personen ausschließlich besondere Leistungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG oder Hilfe in besonderen Lebenslagen nach § 2 AsylbLG in Anspruch genommen. Darüber hinaus wird für die Kostenabgeltung nach dem Aufnahmegesetz unterjährig zu bestimmten Stichtagen die Anzahl an Personen erhoben, denen tatsächlich Regelleistungen nach § 2 und § 3 AsylbLG und ausschließlich laufend besondere Leistungen (§§ 4 und 6 AsylbLG bzw. Fünftes bis Siebtes Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches in entsprechender Anwendung) gezahlt wurden. Nach dem letzten hier vorliegenden Ergebnis dieser Abfrage bei den örtlichen kommunalen Trägern und der Anzahl der in den landeseigenen Einrichtungen untergebrachten Personen bezogen zum Stichtag 30.09.2017 insgesamt 38 560 Personen Regelleistungen nach § 2 und § 3 AsylbLG und 153 Personen ausschließlich besondere Leistungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG oder Hilfe in besonderen Lebenslagen nach § 2 AsylbLG. 6. b) Wie viele dieser Personen sind armutsgefährdet? Armutsgefährdung beginnt bei einem Einkommen von weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens (Äquivalenzeinkommen) der Bevölkerung in Privathaushalten gemessen am Median. Es ist davon auszugehen, dass so gut wie alle Empfänger von staatlichen Grundsicherungsleistungen, also auch denen nach dem AsylbLG, finanzielle Mittel unterhalb dieser Schwelle beziehen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 5 7. a) Welche Erkenntnisse und Zahlen liegen der Landesregierung zum Anteil von Migrantinnen und Migranten unter den Kundinnen und Kunden der niedersächsischen Tafeln vor? Seit 2010 fördert das MS lediglich die Führung der Geschäftsstelle des Landesverbands der Tafeln in Niedersachsen und Bremen e. V. Darüber hinaus gehende Daten, z. B. einzelner Tafeln, liegen nicht vor. 7. b) Ist der Landesregierung in Niedersachsen eine ähnliche Situation wie in Essen bekannt ? Siehe Antwort zu Frage 7 a. 8. Wie steht die Landesregierung zu der eingangs zitierten Aussage der Bundessozialministerin , und wie passt diese Aussage zur Anwendung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und des vom Paritätischen als „Sondersozialsystem“ bezeichneten Asylbewerberleistungsgesetzes? Die zitierte Aussage der Bundessozialministerin bezieht sich auf eine konkrete Entscheidung der Essener Tafel und den pauschalen Ausschluss einer Gruppe. Hierzu lässt sich kein Zusammenhang zu den Anwendungsbereichen des Sozialleistungsrechts herstellen oder ableiten. Die bundesgesetzlichen Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes wurden infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 zum 01.03.2015 novelliert, indem die Leistungsansprüche entsprechend angepasst wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil allerdings nicht außer Frage gestellt, dass besondere Lebensumstände von Personengruppen , deren Aufenthalt in der Bundesrepublik (zunächst) nur auf vorübergehende Dauer angelegt ist, auch eigenständige Regeln erfordern und somit Differenzierungen vorgenommen werden können. Unterschiede ergeben sich u. a. daraus, dass bei Aufenthalten in zentralen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt wird und sich bei einem begrenzten vorübergehenden Aufenthalt eine andere Bedarfslage ergibt als bei einem längeren oder auf Dauer absehbaren Verbleib. 9. a) Wie bewertet die Landesregierung die eingangs zitierten Aussagen des SoVD und des Vorsitzenden der Tafeln in Deutschland, Ursache für den Andrang seien unzureichende staatliche Leistungen und die politischen Rahmenbedingungen müssten verbessert werden, was nicht die Aufgabe der Tafel sei, sondern die des Staates? Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss aus dem Jahre 2014 die gesetzlichen Vorschriften zur Ermittlung der Regelbedarfe und der Höhe der Regelsätze nach dem SGB II und SGB XII als noch mit dem Grundgesetz vereinbar - und damit auskömmlich - angesehen. Soweit es Risiken einer Unterdeckung - insbesondere bei den Regelbedarfen für Kinder und Jugendliche - aufgezeigt hat, hat sich die Landesregierung in der Vergangenheit wiederholt für eine bedarfsgerechte Ausgestaltung dieser Regelbedarfe eingesetzt. 9. b) Welche Maßnahmen wären nach Ansicht der Landesregierung auf Landes- und Bundesebene erforderlich, um die Existenz von Einrichtungen wie den Tafeln auf Dauer obsolet zu machen? Durch die Möglichkeit, beim Einkauf zu sparen, verschaffen die Tafeln Bedürftigen einen bescheidenen finanziellen Spielraum. Gleichzeitig bieten sie Raum für Begegnung und damit den Rahmen zum Aufbau eines sozialen Netzwerks, das von Armut Betroffenen Halt gibt und sie dabei unterstützen kann, ihre Situation zu verbessern. Sie erbringen eine Leistung, durch die der Lebensmit- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/918 6 telverschwendung entgegen gewirkt und gleichzeitig bedürftigen Menschen zusätzliche Ressourcen eröffnet werden. Die Tafeln unterstützen daher Menschen in sozialen Problemlagen, sind aber unabhängig von dem gesicherten Rechtsanspruch auf Grundsicherungsleistungen zu betrachten. 9. c) Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um die Armutsgefährdungsquote in Niedersachsen zu senken? Die Bekämpfung von Armut ist historische Grundlage und Wesenskern staatlicher Sozialpolitik, die einem ständigen Wandel unterliegt und notwendiger Weise von immer neuen Initiativen begleitet werden muss. Sie beinhaltet die Sicherstellung und ständige Optimierung von Leistungen der sozialen Sicherungssysteme, um armutsgefährdende Lebensrisiken (Arbeitslosigkeit, Alter, Pflege, Unfallfolgen, Krankheit) abzusichern sowie die Gewährung und Verbesserung von staatlichen Transferleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Reduzierung von Armutsrisiken erfordert ebenso Maßnahmen, die dem Ziel dienen, allen Menschen ökonomische und soziale Teilhabechancen zu ermöglichen oder diese zu verbessern, insbesondere durch Bildung. Mit diesem umfassenden Blick ist die Bekämpfung von Armut für die Landesregierung einer der wichtigsten politischen Schwerpunkte. Die Aktionsfelder reichen von Bundesratsinitiativen zur Optimierung der o. a. bundesgesetzlichen Leistungen bis hin zu Förderprogrammen und Projekten auf Landesebene, die sich hier nur wie folgt beispielhaft skizzieren lassen: – Das Land fördert mit 20 Millionen Euro 1 000 Plätze öffentlicher Beschäftigung und ein begleitendes Coachingprogramm zur Arbeitsintegration und für mehr Teilhabe auch für Familienmitglieder . Die zuständigen Ministerien evaluieren das Programm und prüfen die Fortsetzung abhängig von der Ausgestaltung der geplanten Bundesprogramme. – Die Bekämpfung von Kinderarmut ist für die Landesregierung ein zentrales Anliegen. Das Land fördert hierbei ein breites Angebot früher Hilfen und Projekte zur Teilhabe von Kindern, die auch in Zukunft fortgesetzt werden. Aktuell hatte sich die Landesregierung erfolgreich für eine Erhöhung des Kindergelds, Kinderzuschlags, des Wohngelds und der Ausweitung des Unterhaltsvorschusses eingesetzt. Zurzeit untersucht eine von der Konferenz der Ministerinnen und Minister , Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales (ASMK) eingesetzte Bund-Länder- Arbeitsgruppe unter Federführung Niedersachsens Möglichkeiten wirksamerer Leistungssysteme für Kinder wie z. B. das System einer „Kindergrundsicherung“, wonach jedem Kind - möglichst unbürokratisch - ein auskömmlicher Betrag als eigener Rechtsanspruch zur Verfügung gestellt werden soll. Ein Grobkonzept wird der ASMK Ende 2018 vorgestellt. – Um für Haushalte mit geringen Einkommen Entlastung zu schaffen, werden bis 2019 800 Millionen Euro für den Bau von sozialgebundenem Wohnraum zur Verfügung gestellt. Dies trägt entscheidend dazu bei, Menschen, die von Armut bedroht sind, direkt zu helfen und gutes Wohnen zu ermöglichen. – Zur Prävention von Wohnungslosigkeit und Unterstützung von Wohnungslosen sollen die Einrichtung von Krankenwohnungen, Hygienecenter und die Verbesserung der Standards in der Obdachlosenunterbringung gefördert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei besonders vulnerable Personengruppen wie kranke Menschen, Frauen und Kinder. Dies soll durch die Förderung investiver Maßnahmen bis zu einer Fördersumme von 250 000 Euro nachhaltig erfolgen. Mit der Handlungsorientierten Sozialberichtserstattung Niedersachsen wird jedes Jahr über die soziale Lage Niedersachsens auf empirischer Grundlage berichtet. Diese bietet die Basis für alle Akteure der Armutsbekämpfung in Politik, Verwaltung und Verbänden, um bestehende Projekte zu hinterfragen oder zu optimieren und neue Maßnahmen anzuregen. Die Landesregierung versteht dies als fortwährenden Prozess. (Verteilt am 22.05.2018) Drucksache 18/918 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Anja Piel, und Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Armut bei Migrantinnen und Migranten