Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/970 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Björn Försterling, Sylvia Bruns und Susanne Victoria Schütz (FDP) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung Wie ist die Situation von Schülerinnen und Schülern mit einer Autismus-Spektrum-Störung in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Björn Försterling, Sylvia Bruns und Susanne Victoria Schütz (FDP), eingegangen am 07.05.2018 - Drs. 18/825 an die Staatskanzlei übersandt am 09.05.2018 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 28.05.2018, gezeichnet In Vertretung Gaby Willamowius Vorbemerkung der Abgeordneten Autismus ist eine sehr vielgestaltige Behinderung. Menschen mit einer Autismus-Spektrum- Störung, insbesondere Kinder, brauchen eine besondere Zuwendung seitens der Eltern und Lehrkräfte . Diese Zuwendung gestaltet sich von Kind zu Kind sehr individuell. Immer wieder kommt es laut Aussagen von Eltern betroffener Kinder zu Problemen in der Schule. Dazu gehören neben sozialen Komponenten und schwachen Leistungen - obwohl die Kinder nicht selten von normaler oder sogar außergewöhnlicher Intelligenz sind - auch Sanktionen, bis hin zu Suspendierungen. Dabei können teils einfache Maßnahmen diese schwerwiegenden Folgen verhindern. Vorbemerkung der Landesregierung Autismus-Spektrum-Störungen treten in außerordentlich vielen Formen auf. Sie können sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Spanne der kognitiven Fähigkeiten kann von der Hochbegabung bis zu erheblichen Einschränkungen reichen. Die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und mit situativen Anforderungen können schwerpunktmäßig z. B. in der verbalen Kommunikation oder im Verhalten liegen. Daher muss sich jeder schulische Umgang mit Autismus-Spektrum-Störungen an den Bedarfen der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers ausrichten. Dabei bedingt die medizinische Feststellung einer Autismus-Spektrum-Störung nicht per se einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung . Vielmehr sind die jeweils sehr individuell auftretenden Erscheinungsformen im schulischen Kontext zu betrachten und können gegebenenfalls den gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) bestehenden sonderpädagogischen Förderschwerpunkten zugeordnet werden. Hierfür hält das Land Niedersachsen ein ausdifferenziertes und bewährtes System der sonderpädagogischen Unterstützung vor. Die Zuweisung von Ressourcen erfolgt gemäß Erlass „Klassenbildung und Lehrerzuweisung an niedersächsischen Schulen“ (RdErl. d. MK v. 07.07.2011 - VORIS 22410), hier insbesondere gemäß den Ziffern 4 und 5.10, in denen der Umfang der sonderpädagogischen Grundversorgung sowie für schülerbezogene Zuweisungen als Soll-Bedarfe geregelt sind. 1. Wird Autismus bei Kindern in der Regelbeschulung speziell erfasst? Autismus-Spektrum-Störungen bei Schülerinnen und Schülern werden statistisch nicht erfasst. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/970 2 2. Werden bei Förderplanungen für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung die für Autismus relevanten Bereiche berücksichtigt? Für Schülerinnen und Schüler, die einen festgestellten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung haben, wird ein Förderplan erstellt. Jede Förderplanung ist auf die individuellen Förderbedürfnisse des einzelnen Kindes bzw. Jugendlichen ausgelegt. Entsprechend werden alle förderrelevanten Bereiche berücksichtigt. 3. Inwieweit wird die Handlungsempfehlung der Landesschulbehörde für Schülerinnen und Schüler mit Autismus-Spektrum-Störung im gemeinsamen Unterricht tatsächlich umgesetzt? Ist sie allgemein bekannt? Welche Hemmnisse gibt es bei der Umsetzung in den Regelschulen? Welche Hilfe brauchen die Regelschulen bei der Umsetzung? Die Empfehlung „Schüler und Schülerinnen mit Autismus-Spektrum-Störung im gemeinsamen Unterricht “ der Niedersächsischen Landesschulbehörde (NLSchB) ist öffentlich zugänglich und beispielsweise über herkömmliche Suchmaschinen im Internet leicht aufzufinden. Die Umsetzung der Empfehlung wird nicht evaluiert. Dementsprechend liegen über den Bekanntheitsgrad sowie eventuelle Hemmnisse und Hilfebedarfe keine Erkenntnisse vor. 4. Welche Stunden für sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gibt es für Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung? Eine pauschale Aussage ist hierzu nicht möglich, da die Zuweisung von Stunden stets vom festgestellten , individuellen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung abhängt. 5. Wie viel Personal gibt es an Schulen, das sich auf Kinder mit einer Autismus-Spektrum- Störung spezialisiert hat? Welche Berufsgruppen sind spezialisiert? Eine Basis- oder Zusatzqualifizierung zum Umgang mit Autismus-Spektrum-Störungen ist nicht standardisiert oder zertifiziert; eine quantitative Erfassung von Fachkenntnissen ist daher nicht möglich. 6. Wie viele Schulungen gibt es zum Thema Autismus für pädagogisches Personal (Anzahl , Standorte)? Wie viele Lehrerinnen und Lehrer haben in den letzten Jahren (2015, 2016, 2017) daran teilgenommen? Das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) hat im Zeitraum seit 2015 folgende Veranstaltungen angeboten bzw. geplant: Anzahl der Veranstaltungen Standort der Kompetenzzentren Anzahl der Teilnehmenden 2015 9 Bad Bederkesa Braunschweig Lingen Oldenburg Papenburg Vechta 107 2016 7 Braunschweig Hannover Lingen Papenburg Vechta 107 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/970 3 Anzahl der Veranstaltungen Standort der Kompetenzzentren Anzahl der Teilnehmenden 2017 9 Braunschweig Hannover Lüneburg Oldenburg Osnabrück Papenburg Vechta 126 2018 11* Braunschweig Lingen Lüneburg Oldenburg 13** * Beinhaltet auch geplante Veranstaltungen. ** Bislang fand eine Veranstaltung in Papenburg mit 13 Teilnehmenden statt. Nicht erfasst von dieser Darstellung sind Fortbildungsangebote freier Anbieter. 7. Kann die Landesregierung sicherstellen, dass alle Kinder mit einer Autismus-Spektrum -Störung bedarfsgerecht beschult werden, und ist die Landesregierung bereit, im Einzelfall abweichend mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen? Auf die Vorbemerkung der Landesregierung sowie die Beantwortung der Fragen 2 und 4 wird verwiesen . 8. Wie viele Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung sind derzeit in Niedersachsen vom Unterricht suspendiert (bitte aufteilen zwischen inklusiv beschulten Schülerinnen und Schülern und Schülerinnen und Schülern an Förderschulen sowie nach den Jahrgängen Grundschule, 5./6. Klasse, 7./8. Klasse, 9./10. Klasse, ab der 11. Klasse)? Es wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. 9. Wie viele Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind derzeit länger als acht Wochen krankgeschrieben (bitte aufteilen zwischen inklusiv beschulten Schülerinnen und Schülern und Schülerinnen und Schülern an Förderschulen sowie nach den Jahrgängen Grundschule, 5./6. Klasse, 7./8. Klasse, 9./10. Klasse, ab der 11. Klasse)? Die Krankenzeiten von Schülerinnen und Schülern werden nicht zentral erfasst, sodass hierüber im Rahmen der zur Verfügung stehenden verhältnismäßigen Mittel keine Aussage getroffen werden kann. 10. Was wird seitens der Landesregierung unternommen, damit Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung nicht vom Unterricht ausgeschlossen werden? Wie werden die Familien unterstützt? An wen können sich die Familien konkret wenden ? Schülerinnen und Schüler werden gemäß individuellen Förderplänen bestmöglich unterstützt. Beratung und Unterstützung wird durch die Förderschullehrkräfte und durch die NLSchB, hier besonders durch die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren Inklusive Schule (RZI), die Fachdezernentinnen und dezernenten sowie die Fachberaterinnen und Fachberater, geleistet. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/970 4 11. Werden in Niedersachsen bei allen Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung die zustehenden Nachteilsausgleiche anerkannt und umgesetzt? Kennen die Eltern die Möglichkeiten dieser Nachteilsausgleiche? Wenn nein, wie gedenkt die Landesregierung , diese bekannter zu machen? Die Nutzung von Nachteilsausgleichen ist Bestandteil der individuellen Förderplanung. Es ist jeweils unter Berücksichtigung des Einzelfalls zu entscheiden, wie Nachteilsausgleiche zielführend zu gestalten sind. Über den Bekanntheitsgrad möglicher Nachteilsausgleiche bei Erziehungsberechtigten liegen keine Erkenntnisse vor. Die Erziehungsberechtigten können sich jedoch an den Schulen kompetent zu möglichen Nachteilsausgleichen beraten lassen. Hinweise zum Nachteilsausgleich bei Autismus-Spektrum-Störungen sind darüber hinaus öffentlich zugänglich und z. B. über herkömmliche Suchmaschinen im Internet leicht recherchierbar. Eine darüber hinausgehende Bekanntmachung ist nicht vorgesehen. 12. Wie steht die Landesregierung zur Poolbildung bei Schulbegleitern? Durch das neue Bundesteilhabegesetz wird Pool-Bildung von Schulbegleitungen ab dem Jahr 2020 rechtlich ermöglicht werden: Der Regelung des novellierten § 112 Abs. 4 SGB IX ermöglicht künftig die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe im Bildungsbereich (sogenanntes Poolen), wenn eine gemeinsame Inanspruchnahme für die Leistungsberechtigten zumutbar ist und angemessene Wünsche des Leistungsberechtigten nicht entgegenstehen. Eine gemeinsame Inanspruchnahme ist vorzusehen, wenn die Leistungsberechtigten dies wünschen. Die Neuregelung wird zum 01.01.2020 in Kraft treten. Gegen in diese Richtung weisende Absprachen - etwa zwischen NLSchB und Schulträgern - bestehen diesseitig keine Bedenken. In begründeten Einzelfällen wird ein entsprechendes Vorgehen bereits aktuell ermöglicht. 13. Welche Möglichkeiten der begleitenden Hilfen haben Schulbegleiter in der Regelschule, um ihre Tätigkeit auch bei Kindern mit Autismus umsetzen zu können? Es wird auf die Beantwortung der Frage 12 verwiesen. 14. An wen kann sich eine Schule wenden, wenn durch das sehr individuelle Störungsbild Autismus zusätzliche Methoden, Arbeitsmaterialien und Räumlichkeiten benötigt werden (TEACCH-Material, Unterstützte Kommunikation, geschützte Räume etc.)? Wer finanziert diese Bedarfe? Die sächliche Ausstattung von Schulen obliegt gemäß § 108 Abs. 1 NSchG dem Schulträger. 15. Welchen speziellen Bedarf haben Regelschulen, um Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung zu unterrichten? Aufgrund der außerordentlich stark divergierenden Erscheinungsformen von Autismus-Spektrum- Störungen kann diese Frage stets nur einzelfallbezogen beantwortet werden. 16. Wie kann flächendeckend sichergestellt werden, dass trotz bestehenden Raummangels an Regelschulen ein Rückzugs- und Ruheraum für Schülerinnen und Schüler mit einer Autismus-Spektrum-Störung vorgehalten wird? Gibt es dazu konkrete Pläne seitens der Landesregierung? Die räumliche Ausstattung von Schulen liegt gemäß § 108 Abs. 1 NSchG in der Zuständigkeit des Schulträgers. Mit dem „Gesetz über finanzielle Leistungen des Landes wegen der Einführung der Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/970 5 inklusiven Schule“ vom 12.11.2015 (Nds. GVBl., S. 313), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 15.12.2016 (Nds. GVBl., S. 301), gewährt das Land den Schulträgern einen finanziellen Ausgleich der sächlichen Kosten. 17. Welche Erfahrungen wurden mit der Empfehlung „Schüler und Schülerinnen mit Autismus -Spektrum-Störung im gemeinsamen Unterricht“ gemacht? Werden die Empfehlungen für betroffene Schülerinnen und Schüler in den Schulen angewendet? Würde die Überarbeitung und Weiterentwicklung in einen Erlass hilfreich sein? Aufgrund der Variationsbreite in den Erscheinungsformen der Autismus-Spektrum-Störungen erscheint eine Zusammenfassung in einem Erlass nicht zielführend. Der Anspruch auf eine individuell angepasste Förderung ist durch bereits bestehende Verordnungen und Erlasse abgedeckt. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 3 verwiesen. 18. Beabsichtigt die Landesregierung, die Besonderheit der Regionalabteilung Lüneburg in Form der Spezialisierung auf Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung auch auf andere Regionalabteilungen auszuweiten (s. Drucksache 17/6970)? Es gibt bereits in allen Regionalabteilungen der NLSchB Beratungsangebote (z. B. Fachberatung Sonderpädagogische Förderung/Inklusion), die auch im Hinblick auf die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen von den Schulen in Anspruch genommen werden können. 19. Gibt es Pläne seitens der Landesregierung, einen eigenen Förderschwerpunkt Autismus einzuführen, um den Bedürfnissen betroffener Kinder und Eltern besser gerecht zu werden? Derzeit bestehen keine Pläne der Landesregierung, einen eigenen Förderschwerpunkt Autismus einzuführen. 20. Inwieweit könnte eine Autismusbeauftragte/ein Autismusbeauftragter an allen Regionaldirektionen der NLSchB eingeführt werden? Die NLSchB hält umfangreiche Beratungsangebote vor, die im Hinblick auf die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen in Anspruch genommen werden können. Zudem wurde der Fachbereich Inklusion eingerichtet, der durch Fachdezernentinnen und Fachdezernenten in allen Regionalabteilungen vertreten wird. Ein darüber hinausgehender Bedarf an Beauftragten wird nicht gesehen. 21. Gibt es Inklusionsbeauftragte an Schulen? Wenn ja, an welchen allgemeinbildenden Schulen? Wenn nein, ist es geplant, Inklusionsbeauftragte an allen Schulen zu implementieren ? Gemäß § 4 NSchG sind alle öffentlichen Schulen in Niedersachsen inklusive Schulen. Den Schulen stehen ein breites Angebot an Beratung und Unterstützung der NLSchB sowie umfängliche Fortbildungsmöglichkeiten des NLQ zur Verfügung. Darüber hinaus wurden zur Unterstützung der Schulen bei der Verwirklichung der inklusiven Schule im Kontext des gesamten Beratungs - und Unterstützungssystems 11 RZI zum 01.08.2017 eingerichtet. Weitere 24 RZI werden zum 01.08.2018 folgen. Für eine zusätzliche Implementierung von Inklusionsbeauftragten an Schulen wird daher keine Notwendigkeit gesehen. (Verteilt am 29.05.2018) Drucksache 18/970 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Björn Försterling, Sylvia Bruns und Susanne Victoria Schütz (FDP) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums Wie ist die Situation von Schülerinnen und Schülern mit einer Autismus-Spektrum-Störung in Niedersachsen?