Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/983 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner, Jörg Bode und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung Einflussnahme der Staatskanzlei auf die Justiz? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner, Jörg Bode und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 04.04.2018 - Drs. 18/782 an die Staatskanzlei übersandt am 02.05.2018 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 31.05.2018, gezeichnet In Vertretung Dr. Stefan von der Beck Vorbemerkung der Abgeordneten Nach einem Bericht des Politikjournals Rundblick (19.03.2018) gibt es in der Staatskanzlei Überlegungen , die Besetzung der demnächst vakant werdenden Stelle des Generalstaatsanwaltes in Braunschweig „nicht allein dem Justizministerium zu überlassen“. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig ist örtlich zuständig für eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des VW-Konzerns im Zuge des sogenannten Diesel-Skandals. Das Land Niedersachsen wird im Aufsichtsrat des VW-Konzerns von Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann und Ministerpräsident Stephan Weil vertreten, Letzterer wirkt zugleich als Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrats mit. Vorbemerkung der Landesregierung Der in der Vorbemerkung der Abgeordneten zitierte Bericht des Politikjournals Rundblick ist unzutreffend . 1. An welchen Auswahlentscheidungen für Beförderungsdienstposten des MJ selbst und des Geschäftsbereichs des MJ hat sich in der laufenden Legislatur und in den letzten sechs Monaten vor dem Regierungswechsel 2017 die Staatskanzlei inhaltlich beteiligt bzw. über eine notwendige Kabinettsbefassung hinaus eingebracht? In welcher Weise hat sie sich in diesen Fällen eingebracht? Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung und der Ministerien in Niedersachsen (GGO) werden die Beratungen und Beschlüsse der Landesregierung durch schriftliche Kabinettsvorlagen vorbereitet. Dazu stehen die jeweils betroffenen Ressorts mit der Staatskanzlei in geschäftsmäßigem Austausch. Darüber hinaus hat sich die Staatskanzlei in der laufenden Legislatur und in den letzten sechs Monaten vor dem Regierungswechsel 2017 weder bei Auswahlentscheidungen für Beförderungsdienstposten des MJ selbst noch des Geschäftsbereichs des MJ „inhaltlich beteiligt“ bzw. darüber hinaus „eingebracht“. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/983 2 2. Für welche Fälle ist dies in welcher Weise für laufende und zukünftige Verfahren vorgesehen ? Eine Änderung der bisherigen Praxis ist nicht beabsichtigt. 3. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig und die Staatsanwaltschaften in ihrem Bezirk sind für die derzeit laufenden Verfahren gegen Verantwortliche des VW-Konzerns zuständig. Welchen Einfluss hat dieser Umstand auf die Anforderungen an die fachliche und persönliche Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern für die Stelle der Generalstaatsanwältin oder des Generalstaatsanwalts in Braunschweig nach der Auffassung der Landesregierung? Im Zusammenhang mit der besonderen Belastung der Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft Braunschweig durch Verfahren im Zuge der sogenannten VW-Affäre sind die betroffenen Behörden durch Abordnungen und Neueinstellungen personell unterstützt worden; der von der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig ermittelte Personalmehrbedarf wurde vollständig abgedeckt . Derartige Belastungsspitzen stellen die betroffenen Behörden vor besondere organisatorische Herausforderungen , können aber grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich jeder Justizbehörde vorkommen . Dementsprechend fordert das Anforderungsprofil für Führungsämter in der Justiz ein hohes Maß an persönlicher Belastbarkeit und vielfältige funktionsbezogene Kenntnisse (z. B. Organisationsvermögen , Verwaltungserfahrung, Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit, Motivationsfähigkeit und Medienkompetenz). Dieses Anforderungsprofil gilt auch für das in Braunschweig zu besetzende Amt einer Generalstaatsanwältin oder eines Generalstaatsanwaltes. Eine Veränderung dieses Anforderungsprofils im Hinblick auf einzelne anhängige Verfahren im Zuständigkeitsbereich einer Behörde ist nicht beabsichtigt. 4. Wie beurteilt die Landesregierung mögliche Vakanzen auf dieser Stelle für die Bearbeitung der Verfahren im Zusammenhang mit dem VW-Diesel-Skandal? Das Justizministerium ist bei allen Stellenbesetzungsverfahren - insbesondere auch bei der Besetzung von Führungsämtern - bestrebt, unnötige Vakanzen zu vermeiden. Die Wahrnehmung der Amtsgeschäfte ist aber auch in Zeiten einer Vakanz durch Vertretungsregelungen sichergestellt. Bei bisherigen Vakanzen auf vergleichbar bedeutenden Positionen konnte stets aufgrund des vorbildlichen Einsatzes der stellvertretenden Behördenleitungen eine Fortführung der Amtsgeschäfte auf unverändert hohem Niveau gewährleistet werden. Konkrete Auswirkungen einer Vakanz auf die Bearbeitung der Verfahren im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Skandal stehen daher nicht zu befürchten. 5. Wenn es bei einer Auswahlentscheidung um den Vergleich von fachlicher und persönlicher Eignung geht, hält die Landesregierung Vorerfahrungen, die in politischen Statusämtern gesammelt wurden, für uneingeschränkt vergleichbar mit Vorerfahrungen, die in anderen, nicht politischen Statusämtern erworben wurden? Bei einer Auswahlentscheidung nach Artikel 33 Abs. 2 GG sind nicht „Vorerfahrungen“ als solche, sondern das Vorliegen und die Ausprägung der nach den jeweiligen Anforderungsprofilen erforderlichen fachlichen und persönlichen Stärken zu vergleichen. Das bisher ausgeübte Amt einer Bewerberin oder eines Bewerbers erlaubt regelmäßig einen Rückschluss auf das Ausmaß der dafür erforderlichen und durch eine erfolgreiche Amtsführung unter Beweis gestellten Kompetenzen. Diese Prüfung im Rahmen der Bestenauslese hat jedoch anhand des konkret betroffenen Anforderungsprofils in jedem Einzelfall zu erfolgen, weshalb sich formelhafte Bewertungen zu Vorerfahrungen in „politischen“ und „nicht-politischen“ Statusämtern verbieten. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/983 3 6. Sieht die Landesregierung eine mehrjährige Tätigkeit als verplante Staatsanwältin oder verplanter Staatsanwalt als Voraussetzung dafür an, für die Position einer Generalstaatsanwältin bzw. eines Generalstaatsanwaltes fachlich und persönlich geeignet zu sein? Auch herausgehobene Führungsämter wie das einer Generalstaatsanwältin oder eines Generalstaatsanwalts sind nach Grundsätzen der Bestenauslese gemäß Artikel 33 Abs. 2 GG zu vergeben. Das Anforderungsprofil für Behördenleitungen in der niedersächsischen Justiz stellt entsprechend hohe fachliche und persönliche Ansprüche an potenzielle Bewerber. Eine mehrjährige planmäßige Tätigkeit im Eingangsamt der entsprechenden Behörde ist im Anforderungsprofil für Behördenleitungen nicht als formelle Voraussetzung oder zwingendes Eignungskriterium vorgesehen. 7. Haben sich die Landesregierung, die Staatskanzlei oder das Justizministerium in der laufenden Legislaturperiode durch Weisungen oder durch die Anforderung von Absichtsberichten in die Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig und der ihr nachgeordneten Staatsanwaltschaften in Bezug auf die Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des VW-Konzerns eingebracht? Wenn ja: In welcher Form ist das geschehen? Das Justizministerium wird regelmäßig gemäß der Allgemeinen Verfügung vom 23.10.2015 (Berichtspflichten in Straf- und Bußgeldsachen, VORIS 33200 00 00 00) über den Stand der Ermittlungen in den einzelnen Verfahren gegen Verantwortliche des Volkswagen-Konzerns informiert. Das Justizministerium hat in der laufenden Legislaturperiode aber weder durch Weisungen noch durch die Anforderung von Absichtsberichten auf die Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig oder der ihr nachgeordneten Staatsanwaltschaften eingewirkt. Die übrigen Mitglieder der Landesregierung haben den erfragten Einfluss auf die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig oder die ihr nachgeordneten Staatsanwaltschaften weder ausgeübt noch ausüben können. Ihnen obliegt kein Recht zur Aufsicht und Leitung (§ 147 Nr. 2 GVG). 8. Beabsichtigen die Landesregierung, die Staatskanzlei oder das Justizministerium, sich durch Weisungen oder die Anforderung von Absichtsberichten in die Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig und der ihr nachgeordneten Staatsanwaltschaften in Bezug auf die Ermittlungen gegen Verantwortliche des VW-Konzerns einzubringen? Das Justizministerium hat derzeit keinen Anlass, in Bezug auf die einzelnen Verfahren gegen Verantwortliche des Volkswagen-Konzerns Weisungen zu erteilen oder Absichtsberichte zu fordern. Hinsichtlich der übrigen Mitglieder der Landesregierung wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. 9. In welchem Umfang machen die Landesregierung, die Staatskanzlei und das Justizministerium von der Möglichkeit Gebrauch, den Generalstaatsanwaltschaften in Niedersachsen und den ihnen nachgeordneten Staatsanwaltschaften Weisungen zu erteilen oder durch die Anforderung von Absichtsberichten Einfluss auf deren Arbeitsweise zu nehmen? Die Generalstaatsanwaltschaften und die ihnen nachgeordneten Staatsanwaltschaften sind Teil einer hierarchisch gegliederten Organisationsstruktur. Das Recht der Landesjustizverwaltung zur Aufsicht und Leitung (sogenanntes externes Weisungsrecht) erfasst grundsätzlich die Befugnis, neben allgemeinen Anordnungen auch Einzelfallweisungen zu erteilen, wozu auch die theoretische Möglichkeit der Anforderung von Absichtsberichten gehört. Allerdings sind die Generalstaatsanwaltschaften und die nachgeordneten Staatsanwaltschaften zwar Teil der Exekutive, jedoch zugleich der Dritten Gewalt zugeordnete Organe der Rechtspflege und in dieser Funktion an das gesetzlich normierte Legalitätsprinzip gebunden. Nach § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft deshalb verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/983 4 Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Im umgekehrten Fall ist sie gehindert, Ermittlungen zu führen, wenn solche Anhaltspunkte nicht gegeben sind. Es geht bei der Strafverfolgung nicht um Durchsetzung politischer Vorstellungen, sondern allein um staatliche Rechtsgewährung. Das Justizministerium orientiert sich deshalb bei der Ausübung des Weisungsrechts an langjährig praktizierten Grundsätzen, die dem Spannungsverhältnis zwischen notwendiger Steuerung und politisch unbeeinflusster staatsanwaltlicher Amtsführung Rechnung tragen. Danach würden Einzelfallweisungen allenfalls erteilt, wenn sie sachlich unabweisbar geboten wären, um juristisch nicht mehr vertretbares staatsanwaltliches Handeln zu korrigieren. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. (Verteilt am 05.06.2018) Drucksache 18/983 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner, Jörg Bode und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums Einflussnahme der Staatskanzlei auf die Justiz?