LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10009 19.10.2015 Datum des Originals: 19.10.2015/Ausgegeben: 22.10.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3905 vom 24. September 2015 der Abgeordneten Henning Höne und Karlheinz Busen FDP Drucksache 16/9852 Betreibt Rot-Grün die Existenzvernichtung von Landwirten? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3905 mit Schreiben vom 19. Oktober 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie unter anderem die Rheinische Post vom 24.09.15 berichtet, ist in diesem Jahr die Feldmauspopulation explodiert. Bei massenhaftem Auftreten verursachen Feldmäuse Fraßschäden , die im Extremfall zu vollständigen Ernteverlusten führen, insbesondere an Möhren, Kartoffeln sowie bei Obstkulturen, da die regulär zugelassenen Pflanzenschutzmittel nicht mehr ausreichen. Allein in NRW zeichnen sich bereits Ernteverluste in Millionenhöhe ab. Deswegen hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit kurzfristig das Inverkehrbringen des nicht mehr zugelassenen Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Chlorphacinon für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung von September bis Dezember 2015 ausnahmsweise zugelassen. Nach Ansicht des Bundesamtes stelle die Anwendung des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs für Haustiere „praktisch kein und für Wildtiere nur ein geringes Risiko“ dar, weil der Einsatz an strenge Kriterien geknüpft sei: So darf die Anwendung nur auf Flächen erfolgen, auf denen ein sehr starker Befall nachgewiesen ist. Die konkrete Anwendung muss vom zuständigen Pflanzenschutzamt angeordnet werden. Dabei zieht das Pflanzenschutzamt die Naturschutzbehörde hinzu. So ist sichergestellt , dass das Mittel nicht auf Flächen angewandt wird, auf denen bedrohte Wildtiere wie der Feldhamster leben. Schließlich dürfen Köder nur auf bewachsene Flächen ausgebracht werden. Dort fallen die Köderteilchen in die Vegetation, wo sie gut für die Mäuse erreichbar sind, aber schlecht für Vögel. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10009 2 Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass vorbeugende alternative Maßnahmen wie tiefes Pflügen und das Aufstellen für Sitzstangen nicht in jedem Fall Abhilfe leisten. Wie die Rheinische Post weiter berichtet, hat die rot-grüne Landesregierung die begrenzte Anwendung jedoch gleichwohl bisher kategorisch untersagt. Da die Anwendung von Chlorphacinon selbst als letztes Mittel verboten wird, wird von Umweltminister Remmel die in manchen Fällen drohende Existenzvernichtung von Landwirten infolge der Feldmausplage offenbar billigend in Kauf genommen. 1. Mit welcher wissenschaftlich tragfähigen Begründung hat sich die Landesregierung über die Erteilung der Notfallzulassung von Chlorphacinon durch das BVL hinweggesetzt und ein Anwendungsverbot ausgesprochen? Rodentizide mit blutgerinnungshemmenden Wirkstoffen (Antikoagulanzien) sind in Deutschland üblicherweise nur als Biozide zugelassen. Bei der Verwendung von Ratten- und Mäusebekämpfungsmitteln mit diesen Wirkstoffen bestehen erhebliche Umweltrisiken und Risiken der Resistenzentwicklung. Im Rahmen der EU-weiten Wirkstoffbewertung wurden sehr hohe Risiken durch die Anwendung von Rodentiziden mit Antikoagulanzien für Wildtiere festgestellt. Es besteht die Gefahr, dass nicht nur Ratten und Mäuse, sondern auch andere Tiere, die nicht Ziel der Bekämpfung sind, von den Ködern fressen und dadurch unabsichtlich vergiftet werden (Primärvergiftung). Darüber hinaus besteht eine sehr hohe Vergiftungsgefahr auch für Tiere, die vergiftete Nager fressen. Sie können noch an dem Gift sterben, das sich im Nager befindet. So sind vor allem Greifvögel, wie Mäusebussarde oder Eulen, aber auch räuberische Säuger, wie Füchse, Wiesel oder Katzen, stark gefährdet (Sekundärvergiftung ). Der Grund für diese hohen Risiken liegt darin, dass die Blutgerinnung in Säugetieren und Vögeln in etwa gleich abläuft. Da Antikoagulanzien die Blutgerinnung hemmen, sind sie für alle diese Lebewesen giftig. Aufgrund der hohen Risiken für Nicht-Zielorganismen und die Umwelt hatten Antikoagulanzien eigentlich keine Chance, in den Anhang I der Biozid-Richtlinie aufgenommen zu werden. Die Aufnahme erfolgte nur, weil eine wirksame Nagetierbekämpfung insbesondere für den Infektionsschutz (Seuchenbekämpfung) unabdingbar ist. Es fehlen für diese Anwendung gleichermaßen wirksame und weniger gefährliche Alternativen zu den Antikoagulanzien. In Anbetracht des oben geschilderten Sachverhaltes, und übertragen auf einen flächigen Einsatz auf landwirtschaftlichen Kulturflächen, ist aus Sicht der Landesregierung das Risiko einer Primär- oder Sekundärvergiftung von Nicht-Zielorganismen daher als besonders hoch einzuschätzen. Hierin liegt auch der Grund, warum Chlorphacinon seit vielen Jahren nicht mehr zugelassen ist. Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat sich weder über die erteilte Notfallzulassung des BVL „hinweggesetzt“ noch hat es ein „Anwendungsverbot “ ausgesprochen. Die Notfallzulassung des BVL sieht ausdrücklich vor, dass die Anwendung von Chlorphacinon nur auf Anordnung des zuständigen Pflanzenschutzdienstes erfolgen darf. Nach umfangreicher Prüfung der Sachlage hat das Ministerium entschieden , dass Anordnungen lediglich in besonderen Ausnahmefällen und nach intensiver Prüfung der Einzelanträge in Obstbaukulturen für die breitflächige Anwendung von Chlorphacinon erfolgen können. Eine Anordnung in den anderen vorgesehenen Einsatzgebieten (Ackerbau, Grünland, Gemüse) ist aus den oben beschriebenen Gründen in NordrheinWestfalen auch weiterhin nicht vorgesehen. 2. Warum werden keine Ausnahmen für die Anwendung von Chlorphacinon als letztes Mittel für den Fall ermöglicht, dass der Einsatz milderer Mittel für die Betroffenen keine Abhilfe geschaffen hat? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10009 3 Siehe Antwort zu Frage 1. 3. Was unternimmt die Landesregierung, um die angekündigte Prüfung von Alternativen kurzfristig abzuschließen und die von der Landesregierung zu verantwortenden Ernteverluste zu begrenzen? Der Landesregierung ist bewusst, dass das derzeit hohe Mäuseaufkommen in einzelnen, begrenzten Regionen Nordrhein-Westfalens zu Ertrags- und Einkommensverlusten in der Landwirtschaft führen kann. Nach Ansicht der Landesregierung sind aber regelmäßige Notfallzulassungen von umweltgefährdenden Wirkstoffen nicht das Mittel der Wahl, um solche Kalamitäten jetzt und in Zukunft wirkungsvoll einzudämmen. Zumal dann nicht, wenn keine Anzeichen dafür existieren, dass durch den Hersteller bzw. Inverkehrbringer von Chorphacinon eine reguläre Zulassung gemäß der EU-Zulassungs-verordnung für Pflanzenschutzmittel angestrebt wird. Ein kurzfristiges Ergebnis ist bei der angekündigten Prüfung von Alternativen nicht zu erwarten , da es hierzu möglicherweise auch der Durchführung von Feldversuchen und ggfs. der Klärung naturschutz-, tierschutz- oder zulassungsrechtlicher Fragen bedarf. 4. Welche Risikominderungsstrategie verfolgt die Landesregierung? Die Landesregierung verfügt nicht über eine eigene Risikominderungsstrategie gegen Mäuseschäden und beabsichtigt auch nicht, eine solche zu erstellen. 5. Ist die Landesregierung bereit, den betroffenen Landwirten die durch die Versagung des Einsatzes von Chlorphacinon verursachten Ernteschäden zu ersetzen? Die Landesregierung ist grundsätzlich weder befugt noch bereit, Ernteausfälle jedweder Art zu ersetzen. Ernteausfälle gehören in der Landwirtschaft zum unternehmerischen Risiko und sind von den Betrieben zu tragen. Neben der breitflächigen chemischen Bekämpfung von Mäusen sind je nach Kultur und Anbauverfahren auch andere u.a. pflanzenbauliche Maßnahmen möglich, um Schäden durch Mäuse zu begrenzen (z.B. Bodenbearbeitung, Ausbringung von Ködern mit der Legeflinte). Diese Maßnahmen können auch weiterhin durchgeführt werden. Sie sind u.U. zeit- und personalaufwändiger als die breitflächige chemische Bekämpfung, aber dennoch häufig geeignet , den Befall auf ein vertretbares Maß einzudämmen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10009