LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 24.11.2015 Datum des Originals: 24.11.2015/Ausgegeben: 27.11.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3983 vom 19. Oktober 2015 der Abgeordneten Marc Lürbke und Dr. Joachim Stamp FDP Drucksache 16/10019 Solinger Salafist führt Rechtsstaat und Sicherheitsbehörden vor Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3983 mit Schreiben vom 24. November 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der führende Solinger Salafist H.K. – alias A.I. – führt den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden seit drei Jahren vor. Nach den Ausschreitungen von Solingen verbreitete er ungeachtet des deshalb betriebenen strafrechtlichen Verfahrens, das sich bis zur Rechtskraft über drei Jahre erstreckte, massiv extremistisches Gedankengut. Auch das Verbot der Organisationen „Millatu Ibrahim“ und „Tauhid Germany“, in denen er aktiv war, hat ihn faktisch nicht davon abhalten können, dies weiter zu tun. Die FDP-Fraktion hatte bereits Anfang April 2015 die schriftlichen Begründung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 28.11.2014 (7. kleine Strafkammer -Aktenzeichen 27 Ns-50 Js 25/13- 33/14) angefordert. Es ist unter www.justiz-nrw.de/Bibliothek/nrwe2/index.php unter Eingabe des o.g. Aktenzeichens abrufbar. Darin heißt es zu L5: „Der nicht vorbestrafte, jetzt 30 Jahre alte Angeklagte L5 ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hat Abitur und danach ein Jahr lang Bildungs- und Islamwissenschaften studiert, das Studium jedoch abgebrochen. Nach kurzer Beschäftigung über eine Zeitarbeitsfirma betrieb er in Iserlohn über ein Jahr lang einen Kiosk (…). Im Sommer 2014 – das Datum wusste er nicht – hat er nach islamischem Ritus die (…) 1989 geborene NR geheiratet und wohnt mit ihr seit Ende August in Iserlohn, wo beide seit dem 01.09.2014 als Bedarfsgemeinschaft für Lebensunterhalt und Wohnung monatlich gemäß Hartz IV insgesamt 1.211,56 EUR plus 154 EUR Kindergeld für die Frau ausbezahlt erhalten. (…) Ab Februar 2012 „predigte“ der Angeklagte L5, auch durch Audio- und Videobotschaften im Internet, unter dem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 2 Szenenamen „Abu Ibrahim“ für die Vereinigung „Millatu Ibrahim“ (im folgenden: MI). Diese Vereinigung war ein arbeitsteilig handelnder Personenzusammenschluss mit dem Ziel der Verbreitung salafistischer Ideologie, insbesondere durch Reden, Missionierung, Internetauftritte und Betreuung von muslimischen Gefängnisinsassen. Sie hatte sich im Jahr 2011 um dem inzwischen nach Ägypten ausgereisten österreichischen Staatsangehörigen NN und den inzwischen nach Syrien ausgereisten deutschen Staatsangehörigen E formiert, und L5 war einer ihrer Repräsentanten. MI betrieb eine eigene Internetseite, verbreitete ihre Ideen aber auch über andere Internetseiten, darunter vieles über YouTube. (…) MI rief Muslime in Deutschland zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung auf. Sie wendete sich ausdrücklich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, indem sie das Demokratieprinzip als Säule der bestehenden staatlichen Ordnung ablehnte, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht allen Menschen zubilligte, die Glaubens- und Gewissensfreiheit ablehnte und den Gleichheitsgrundsatz nicht anerkannte. Hierbei ging sie unter dem Deckmantel einer vermeintlich missionarischen Ausrichtung sowie der Betreuung von Strafgefangenen mit einer aggressiv-kämpferischen Grundhaltung vor, indem sie gewalttätige Ausschreitungen nachdrücklich befürwortete und zu weiterer Gewalt anstachelte, durch Internetauftritte die salafistische Bewegung maßgeblich beförderte, durch die Gefangenenbetreuung gezielt staatliche Resozialisierungsbemühungen untergrub und einer auf dieser ideologischen Basis beruhenden Straftatenbegehung Vorschub leistete. (…) Die Agitation der MI war von einer fundamentalen Aversion gegen die demokratische Ordnung des Grundgesetzes geprägt. Dies kam in den Verlautbarungen durch systematische, von hetzerischen Elementen durchsetzte Diskreditierung von Grundgesetz, Staatsorganen und Politikern der Bundesrepublik zum Ausdruck. Dementsprechend bezeichnete auch L5 in seinen Videobotschaften die Demokratie als „Schrott“, man dürfe „nicht mit dreckigen Gesetzen regieren. Wie Demokratie und Laizismus.“ Die Vereinigung MI lehnte das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantierte Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ab und forderte, gemäß der Scharia, Körperstrafen sowie die Todesstrafe. Sie missachtete auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG, indem sie den Alleinvertretungsanspruch des Islam propagierte und gegen Andersgläubige hetzte: Es müsse offensichtliche Feindschaft und Hass gegenüber den Ungläubigen herrschen, man dürfe den Ungläubigen niemals respektieren und müsse nicht nur den Unglauben, sondern auch den Ungläubigen ablehnen. (…) Nach dem Auftritt des L5 und den Ausschreitungen in Solingen am 01.05.2012 – dabei handelt es sich um das hier verfahrensgegenständliche Geschehen – und weiteren gewalttätigen Ausschreitungen in Bonn am 05.05.2012 erließ das BMI mit inzwischen unanfechtbarer Verfügung vom 25.05.2012 (Aktenzeichen ÖS II 3 – 619 314 – 6/0) eine Verbotsverfügung gegen MI. In dieser Verfügung stellte das BMI fest, dass sich die Vereinigung „Millatu Ibrahim“ gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet, erklärte diese Vereinigung sofort vollziehbar für verboten und aufgelöst und ihr Vermögen für beschlagnahmt und eingezogen, und es verbat die öffentliche Verwendung ihrer Kennzeichen und die Bildung von Ersatzorganisationen. Trotzdem weiterhin und bis heute tritt L5 unter dem Namen „Abu Ibrahim“ als salafistischer „Prediger“ auf, aktuell insbesondere für die Organisation „Tauhid Germany“. Er hält regelmäßig und häufig, zeitweise täglich, Vorträge, die er elektronisch als Audio- oder Videoaufnahmen aufzeichnen lässt und auf entsprechenden Kanälen, die dem Tauhid-Netzwerk zugerechnet werden, Internetbenutzern zugänglich macht. (…) Viele der bei „Tauhid Germany“ eingestellten Videos und Postings lassen starke Bezüge zum Jihadismus erkennen. So werden dort Beiträge und Videos eingestellt, die den gewaltsamen Jihad verherrlichen und zum Hass gegen sogenannte „Ungläubige“ aufrufen. (…) Auch aktuell verbreitet der Angeklagte L5 extremistisches Gedankengut. Das Grundmuster seiner jihad-salafistischen Argumentationsweise beinhaltet ein Gesellschaftsbild, in dem strikt zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterschieden wird, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Hierzu vermittelt er die Botschaft, dass Muslime allerorts systematisch von Nichtmuslimen unterdrückt, gedemütigt und gequält werden. Er fordert dazu auf, den Kontakt zu Ungläubigen nicht nur in jedem Fall zu vermeiden, sondern diese auch inständig zu hassen und sich gegen sie zu wehren. Dazu kommt für ihn auch Gewaltanwendung – abstrakt also auch der gewaltsame Kampf („Jihad“) – als legitimes Mittel in Betracht, und er trägt vor, der Gläubige solle sein gesamtes Leben zu Gunsten der Religion aufgeben, jeder Glaubensbruder müsse bereit sein, sein Leben zu geben, müsse die „Dunja“ (Diesseits) hassen und den Tod wollen. Insgesamt verdeutlicht L5 in seinen „Predigten“, dass er sowohl den Laizismus als auch die Demokratie und damit im weiteren Sinne die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnt, da er beides mit Unglauben („Kufr“) gleichsetzt. Ebenso lehnt er die Götzen und Götzendiener („Taghut“) – die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 3 „unislamischen“ Regierungen und deren Vertreter – ab und fordert seine Zuhörerschaft dazu auf, den „kufr auf den Taghut zu machen“, d.h. alle diejenigen zu Ungläubigen zu erklären, die sich nicht den Gesetzen Allahs unterwerfen, sondern nach weltlichen Gesetzen regieren oder diese akzeptieren und befolgen. Dadurch versucht er zu belegen, dass die hiesige Regierungs- und Gesellschaftsform im absoluten Gegensatz zu einem mit seinem Islamverständnis vereinbaren Staat – nämlich einem Scharia-Staat, dessen Einführung er propagiert – steht. Während seiner Vorträge bedient er sich stets einer emotionalisierenden Rhetorik sowie eines einpeitschenden Tons. Beides wird durch religiöse Floskeln und Hinweise auf die angeblich fatale Situation, in der sich die gesamte muslimische Gemeinschaft befinde, untermauert. Die vermittelten Inhalte ebenso wie die Machart der Videos und Tonaufzeichnungen sind dazu geeignet, orientierungslose Jugendliche mitzureißen, zu radikalisieren und letztendlich auch zu einer Ausreise zur Teilnahme am „Jihad“ zu bewegen und den „Märtyrertod“ anzustreben. So zeigt beispielsweise seine Videobotschaft „Abu Ibrahim – Was machst du für die blutende Ummah“ („Ummah“ = Gemeinschaft der Gläubigen) Bilder von blutigen Leichen, auch Kinderleichen, wozu er behauptet, dies seien von „Ungläubigen“ „geschlachtete“ Muslime, und „bald werden sie über euch herfallen“, „wenn ihr den Jihad unterlasst, dann wird Allah über euch Erniedrigung bringen“, und er ruft dazu auf, die „Kinder zu Löwen! Nicht zu Küken!“ zu erziehen.In der Videobotschaft „Abu Ibrahim – Hugba Cuma vom 08.08.2014“ sagt er unter anderem, „ohne den Kufr auf den Taghut zu machen, ohne ihn zu verleugnen, ihn zu hassen und ihn zu bekämpfen, gibt es keinen Islam“, Allah wolle, „dass du aufstehst und dieses Land verlässt“, „möge Allah den Mujaheddin den Sieg geben“ und „die Kuffar uns gegenüber blind machen“.“ Die weiteren Ausführungen des Gerichts zum Tatgeschehen in Solingen und der dortigen aggressiven Äußerungen und gewaltsamen Handlungen werden hier ausgespart. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass Tauhid Germany“ als Ersatzorganisation der 2012 verbotenen Vereinigung „Millatu Ibrahim“ vom Bundesinnenminister im März 2015 verboten wurde. Nach dieser Urteilsbegründung und den Einschätzungen der Sicherheitsbehörden verwunderte es, dass seitens der Staatsanwaltschaft keine Fluchtgefahr gesehen und keine U-Haft beantragt worden war. Während der frühere Acandor-Chef in U-Haft wanderte, weil er im Ausland einen weiteren Wohnsitz und Geld habe, sollte für einen Hetzer, der in Deutschland massiv zur Teilnahme am Jihad im Ausland aufhetzte, für verbotene Vereinigungen mit engen Kontakten und Anhängern im Ausland fungierte, deren frühere Leitfiguren wie Mohamed M. und Denis C. sich bereits in Ausland abgesetzt hatten, keine Gefahr bestehen, dass er sich im Falle eine Verurteilung in eben dieses Ausland selbst absetzt. Zumal Medien berichten , er habe sich bereits früher einmal mit anderen Salafisten kurz nach Ägypten „abgesetzt.“ Deshalb wurde der Fall im Rechtsausschuss kritisch hinterfragt. Justizminister Kutschaty antwortete darauf in Vorlage 16/2938: „In der Strafsache gegen den (nicht rechtskräftig) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilten Angeklagten' ist ein Haftbefehl weder beantragt noch erlassen worden. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Wuppertal hat insoweit berichtet, es bestehe kein Haftgrund, insbesondere keine Fluchtgefahr. Der Angeklagte sei in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe hier die Schule besucht und mit dem Abitur abgeschlossen. Er lebe mit seiner nach islamischem Ritus verheirateten Ehefrau in Iserlohn und habe sich dem gegen ihn gerichteten Verfahren bislang gestellt.“ Indes wurde zugleich ausgeführt in Vorlage 16/2847; S. 7: „Dem Ministerium für Inneres und Kommunales liegen Erkenntnisse zu 34 Personen aus Nordrhein-Westfalen vor, die Teilnehmer der gewaltsamen Ausschreitungen 2012 in Solingen bzw. Bonn waren und die mutmaßlich in jihadistischer Absicht die Bundesrepublik in Richtung Syrien/lrak verlassen haben. 19 dieser Personen sind zudem dem Umfeld von „Miliatu Ibrahim" zuzurechnen. Acht der Ausgereisten sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt, bei vier weiteren liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sie bei Kampfhandlungen in den Jihadgebieten ums Leben gekommen sind.“ Weiter wurde über die Sicherstellung eines Passes bei einem Beschuldigten der Ausschreitungen in Bonn berichtet, der Fälschungsmerkmale aufweise. Faktisch konnte H. K. auch nach den Ereignissen in 2012 bis zu seiner Absetzung unbeeinträchtigt seinen Machenschaften als Hassprediger in NRW nachgehen. Nun ist H. K. – vielleicht nicht ganz so überraschend – nicht zum Antritt seiner Haftstrafe erschienen. Der Mann aus Iserlohn sei auf der Flucht und werde europaweit mit Haftbefehl gesucht. Die Staatsanwaltschaft vermutet nun LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 4 selbst laut Medienberichten, dass sich der 31-Jährige mit seiner Familie in den Nahen Osten abgesetzt haben könnte. Spätestens nach Zurückweisung der Revision am 30. Juni vom Dritten Strafsenat und Rechtskraft der Haftstrafe hätte sich aufgedrängt, eine Verhaftung vorzunehmen. Jedenfalls hätte eine erhöhte Alarmbereitschaft bei den Sicherheitsbehörden, die H. K. ja wohl im Blick haben sollten, herrschen können, dass eine solche Absetzung droht. Vermutlich bestand ja auch ein Ausreiseverbot und ggfs. ein Einzug von Pass bzw. Personalausweis. 1. Warum wurde H. K. nicht spätestens nach Rechtskraft des Urteils verhaftet (enge Auslandskontakte; Ablehnung staatlicher Autorität; möglicherweise Zugang zu gefälschten Pässen; ggfs. drohende weitere Strafen aufgrund laufender Ermittlungen wegen Tätigkeiten in den genannten verbotenen Vereinigungen; Aufruf Dritter zur Teilnahme am Jihad im Ausland; etc.) bzw. welche Maßnahmen wurden alternativ seitens der Justiz ergriffen, um ein Erscheinen zum Haftantritt sicherzustellen ? Der Leitende Oberstaatsanwalt in Wuppertal hat berichtet (vgl. die dieselbe Person betreffende Antwort der Landesregierung auf Frage 4 der Kleinen Anfrage 3928 - Landtagsdrucksache 16/10160 - ): Der Verurteilte sei in Deutschland geboren und aufgewachsen und habe hier das Abitur gemacht . Er habe den Tatvorwurf in den gegen ihn gerichteten erst- und zweitinstanzlichen Hauptverhandlungen eingeräumt und sei zu allen Hauptverhandlungsterminen erschienen. Zunächst habe er in Hemer gewohnt. Ende August 2014 sei er, nachdem er im Sommer 2014 nach islamischem Ritus geheiratet habe, nach Iserlohn gezogen. In seinen bekannt gewordenen Äußerungen habe der Verurteilte sich grundsätzlich so dargestellt, dass er sich aus religiöser Überzeugung sowohl dem Strafverfahren als auch der Strafvollstreckung stellen werde. Es habe während des gesamten Ermittlungs- und Strafverfahrens kein Anlass für die Beantragung eines Haftbefehls bestanden. Zu keinem Zeitpunkt hätten sich tatsächliche Anhaltspunkte für den einzig in Betracht kommenden Haftgrund der Fluchtgefahr ergeben. Fluchtgefahr bestehe nur, wenn die Würdigung der Umstände des Einzelfalles es wahrscheinlicher mache, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Gegen Fluchtgefahr sprächen in der Regel starke familiäre Bindungen und der Umstand, dass ein Beschuldigter sich dem Verfahren über einen längeren Zeitraum gestellt habe. Bei der Straferwartung, aus der sich ein Fluchtanreiz ergeben könne, komme es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an. Die Straferwartung allein vermöge eine Fluchtgefahr nicht zu begründen. Der Verurteilte habe von Beginn des Verfahrens an deutlich gemacht, dass er die Verantwortung für sein Handeln übernehme. Schon am Tattage habe er verdeutlicht, dass dieser Tag deshalb ein schöner Tag für ihn sei, weil er sich endlich für seinen Glauben habe erheben können. Am 5. Mai 2012 habe er bei YouTube ein Video mit dem Titel „Die Wahrheit von Solingen“ veröffentlicht, in dem er unter anderem angegeben habe „Es war für mich eine Ehre, für - für Allahs Gesandten geschlagen zu werden, Spray abzubekommen, ins Gefängnis zu gehen, zu leiden und alles…“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 5 2. Inwieweit bestanden gegen H. K. Sicherheitsmaßnahmen wie ein Ausreiseverbot (bitte Angabe, ob Pass und Personalausweis abgegeben wurden) bzw. Überwachung von H. K. durch die Sicherheitsbehörden insbesondere nach Rechtskraft des Urteils bis zur Ladung zum vorgesehenen Strafantritt/seiner Flucht (bitte Angabe der einzelnen Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen bzw. Gründe, warum diese nicht erfolgten)? Anhaltspunkte für eine Ausreise des H. K. zum Zwecke des Jihad oder der Begehung einer Straftat im Sinne des § 89a des Strafgesetzbuchs (StGB) lagen nicht vor. Bei Reisen ins Ausland kehrte er in der Vergangenheit regelmäßig nach Deutschland zurück. Erkenntnisse darüber, dass er während dieser Aufenthalte an Kampfhandlungen oder an entsprechenden Vorbereitungen dazu teilgenommen hat, konnten nicht gewonnen werden. Für eine Entziehung des Passes und ein damit verbundenes Verbot der Ausreise lagen daher die rechtlichen Voraussetzungen nicht vor. Von 2012 bis zur Verurteilung im November 2014 wurde der Wohnsitz des H. K. regelmäßig überprüft, wodurch sein Aufenthalt bestätigt werden konnte. Diese Überprüfungen wurden auch nach dem Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 28. November 2014 weiter fortgesetzt. Letztmalig konnte am 29. Juni 2015 festgestellt werden , dass sich H. K. offenbar immer noch im Bundesgebiet aufhielt. 3. Wann ist den NRW Sicherheitsbehörden bzw. der NRW-Justiz wie bekannt geworden , dass H. K. Deutschland verlassen hat (bitte auch Angabe, ob er allein oder mit anderen – z.B. Ehefrau – abgetaucht ist)? Die Ausreise des H. K. wurde im Juli 2015 durch Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden bekannt. Über den H. K. bei der Ausreise begleitende Personen liegen keine Erkenntnisse vor. 4. Welche Maßnahmen und welcher Aufwand wird nun betrieben, um H. K. zu fassen (bitte angeben, wann internationaler Haftbefehl beantragt; ob Kontosperrungen erfolgt und wann Beendigung Transferzahlungen darauf erfolgt; welche weiteren Maßnahmen, etc.)? Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat gegen den Verurteilten Vollstreckungshaftbefehl erlassen . Er wurde am 29. September 2015 national zur Festnahme ausgeschrieben. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Wuppertal wurde er am 16. Oktober 2015 im Schengener Informationssystem und im Fahndungsraum II, Fahndungszone 2 international zur Festnahme ausgeschrieben. Der Verurteilte ist aktuell das Ziel polizeilicher Fahndungsmaßnahmen. Zu Art und Umfang wird grundsätzlich keine Auskunft gegeben, um nicht den Erfolg der Maßnahmen zu gefährden. Der personenbezogene Leistungsbezug von H.K. im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) liegt in der Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Dieser Leistungsbezug von H.K. wurde ab dem 1. September 2015 wegen des zwischenzeitlich unbekannten Aufenthaltes des H.K. durch das zuvor örtlich zuständige Jobcenter beendet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10289 6 5. Wie ist der aktuelle Sachstand Strafrechtlicher Ermittlungen gegen H. K. und weitere Anhänger im Zusammenhang mit Aktivitäten und dem Verbot der Gruppierungen Millatu Ibrahim sowie Tauhid Germany? Bei der Staatsanwaltschaft Dortmund ist gegen den Beschuldigten H.K. ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsgebot gemäß § 85 StGB anhängig. Grundlage für die Einleitung des Verfahrens war die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 26. Februar 2015, mit welcher die Vereinigung „Tauhid Germany“ als Ersatzorganisation der bereits mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 25. Mai 2012 bestandskräftig verbotenen Vereinigung „Millatu Ibrahim“ verboten wurde. Nach den Feststellungen der Verbotsverfügung war der Beschuldigte H. K. Stellvertreter des Anführers der verbotenen Vereinigung „Tauhid Germany“. Das Ermittlungsverfahren wurde mit Verfügung vom 31. August 2015 vorläufig nach § 154f der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führt gegen H.K. und 17 weitere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, nach Erlass der Verbotsverfügung bezüglich der Vereinigung „Millatu Ibrahim“ diese Vereinigung durch die als Ersatzorganisation ebenfalls verbotene Vereinigung „Tauhid Germany“ fortgeführt zu haben. Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen, die am 26. März 2015 nach dem Verbot von „Tauhid Germany“ im Auftrag des Bundesministeriums des Innern stattfanden, wurde in der Wohnung eines Beschuldigten ein auf den Namen eines Dritten lautender gefälschter Reisepass aufgefunden. Das insoweit bei der Staatsanwaltschaft Bonn wegen Urkundenfälschung u.a. geführte Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Absatz 2 StPO eingestellt, da nicht ermittelt werden konnte, wie der Beschuldigte in den Besitz des Dokumentes gekommen war. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10289