LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10317 25.11.2015 Datum des Originals: 24.11.2015/Ausgegeben: 30.11.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3974 vom 14. Oktober 2015 der Abgeordneten Dirk Wedel und Henning Höne FDP Drucksache 16/10003 Vergaberechtliche Fragen in Bezug auf den Neubau des LANUV in Duisburg Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3974 mit Schreiben vom 24. November 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Zuschlagserteilung vom 25.09.2015 hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) die Planung, Ausführung und Erbringung der Bauleistung im Rahmen der Ersatzbeschaffung für den Büro- und Laborstandort Düsseldorf am neuen Standort in Duisburg an ein dort ansässiges Immobilienunternehmen ohne ein vorgeschaltetes europaweites Vergabeverfahren freihändig vergeben (http://www.evergabe.nrw.VMPCCenter/). Die entsprechende am 21.08.2015 abgesendete Bekanntmachung ist derzeit nicht mehr auf dem Portal “Vergabemarktplatz Nordrhein- Westfalen“ (http://www.evergabe.nrw/) abrufbar. Im Anhang D1 der entsprechenden “Bekanntmachung vergebener Aufträge“ des LANUV (Richtlinie 2004/18/EG) wurde zur Begründung der Auftragsvergabe ohne vorherige Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union angekreuzt, dass die Bauleistungen aus technischen Gründen nur von einem bestimmten Bieter ausgeführt werden könnten . Der Schutz von Ausschließlichkeitsrechten wurde nicht als Begründung angekreuzt. Im Anhang D1 folgt dann eine ausformulierte Begründung des LANUV, weshalb die Auftragsvergabe ohne vorherige Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union und damit ohne ein Vergabeverfahren rechtmäßig sei (http://www.evergabe.nrw.VMPCCenter/). Maßgeblich beruft sich das LANUV auf den Ausnahmetatbestand des § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A, da die Auftragnehmerin ein Ausschließlichkeitsrecht an dem als Standort ausgewählten Grundstück in Duisburg habe. Nach Auffassung des LANUV schließe das dingliche Eigentumsrecht eine Vergabe im Wettbewerb aus, wenn der Eigentümer die Bebauung des Grundstücks für Zwecke des Auftraggebers davon abhängig mache, dass er selbst mit der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10317 2 Projektrealisierung beauftragt werde. Unter Berufung auf Stimmen aus der Literatur sei dementsprechend die Vorschrift des § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A über ihren Wortlaut hinaus auf alle Konstellationen anzuwenden, in denen einem Unternehmen aus faktischen oder rechtlichen Gründen eine Monopolstellung zukomme (http://www.evergabe.nrw.VMPCCenter/). Der Auftraggeber habe sich im Rahmen der ihm zustehenden Beschaffungsautonomie dafür entschieden, das neue Büro- und Laborgebäude auf den Flächen der Auftragnehmerin in Duisburg errichten zu lassen, da dieses Grundstück den sachlich gerechtfertigten Standortanforderungen am besten gerecht werde. In diesem Zusammenhang sei zu beachten, dass das Vergaberecht nicht regelt, “was“ beschafft wird, sondern lediglich “wie“ ein definierter Auftragsgegenstand zu beschaffen ist. Wenn sich daher ein Auftraggeber aufgrund sachlich nachvollziehbarer Erwägungen entscheidet, ein Grundstück für einen öffentlichen Zweck, beispielsweise in Innenstadtlage einer bestimmten Stadt, zu suchen, so sei diese Entscheidung als solche vergaberechtlich nicht zu beanstanden (http://www.evergabe.nrw.VMPCCenter/). Auf die Anmietung des noch zu errichtenden Büro- und Laborgebäudes in Duisburg bezogen habe der Auftraggeber ausschließlich mit der Auftragnehmerin verhandeln dürfen, da der Auftraggeber im Rahmen der ihm zustehenden Beschaffungsautonomie auf der Grundlage einer Markterkundung festgelegt habe, dass die neu benötigten Büro- und Laborflächen auf dem Grundstück der Auftragnehmerin in Duisburg realisiert werden sollen. Nach dem Ergebnis der aufgrund objektiver Kriterien durchgeführten Markterkundung erfülle das Grundstück der Auftragnehmerin die Standortanforderungen des Auftraggebers mit Abstand am besten. Zudem solle aus politischen Gründen der Standort Duisburg gestärkt werden. Die Festlegung eines Behördenstandortes sei immer auch eine politische und somit eine dem Vergabeprozess vorgelagerte Entscheidung (http://www.evergabe.nrw.VMPCCenter/). Im Rahmen der Anwendung des § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A als Ausnahme vom Vergaberechtsregime lässt sich zunächst festhalten, dass es sich hierbei um einen restriktiv anzuwendenden Ausnahmetatbestand handelt. Allein der Auftraggeber trägt in diesem Zusammenhang die Beweislast für das Vorliegen des Ausnahmefalles (vgl. EuGH, Urteil v. 02.06.2005 – Rs. C-394/02; Ganske, BauR 2008, 1994). Grundsätzlich obliegt es im Rahmen der Grenzen des § 7 EG VOB/A dem Auftraggeber, den Vertragsgegenstand zu bestimmen (OLG Koblenz VergabeR 2002, 617, 626f.; Kapellmann /Messerschmidt, VOB, § 3 EG VOB/A Rn. 110f.). Entscheidet dieser sich aus sachlich nachvollziehbaren Gründen für die Beschaffung einer Leistung, die nur ein Unternehmer erbringen kann, ist der Anwendungsbereich der Norm eröffnet (OLG Düsseldorf VergabeR 2005, 513; Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 EG VOB/A Rn. 110f.). Nicht ausreichend ist es nach dem Wortlaut der Norm allerdings, wenn zwei Bieter in Betracht kommen (OLG Frankfurt a.M. VergabeR 2008, 275, 279; Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 EG VOB/A Rn. 110f.) Die Vorschrift ist dementsprechend nur anwendbar, wenn bereits vor der Auftragsvergabe die Person des Auftragnehmers feststeht, ein Wettbewerb also von vornherein ausscheidet. Eine solche Aussage kann der Auftraggeber oftmals erst nach Durchführung einer Markterkundung treffen (vgl. OLG Düsseldorf ZfBR 2012, 391; Kapellmann /Messerschmidt, VOB, § 3 EG VOB/A Rn. 110f.) Ob nur ein einzelnes Unternehmer im Sinne des § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A allein in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen, bedarf nach der Rechtsprechung des EuGH einer sorgfältigen , europaweiten Markterforschung (vgl. EuGH, Urt. V. 15.10.2009 – Rs. C-275/08; Ingenstau /Korbion, VOB, § 3 EG VOB/A Rn. 31). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10317 3 Zusammenfassend kommt es somit bei der Anwendung des Ausnahmetatbestands § 3 EG Abs. 5 Nr. 3 VOB/A in Bezug auf ein aus dem Eigentum an einem Grundstück abgeleitetes Ausschließlichkeitsrecht maßgeblich darauf an, ob sachlich nachvollziehbare Gründe für die Beauftragung sprechen, ohne dass ein zweiter Bieter für die Auftragserledigung in Betracht käme. Eine solche Bewertung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine sorgfältige , europaweite Markterforschung voraus. Wie bereits der Landesrechnungshof NRW in Bezug auf ein aus dem Eigentum abgeleitetes Ausschließlichkeitsrecht festgestellt hat, könnte andernfalls bei der vorherigen Einengung auf einen Standort ohne sach- und auftragsbezogene Kriterien über eine vorgeschaltete – vergaberechtfreie – Standortentscheidung das beim Kauf bzw. Miete der Immobilie regulär zu beachtende Vergaberecht regelmäßig ausgehebelt werden (Landesrechnungshof NRW, Bericht über die Prüfung der Unterbringung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen vom 06.10.2011 – IV B – 2004 – 97 - 154, S. 22). Im Falle des für das LANUV zu errichtenden Ersatzbaus werden die objektiven Kriterien der durchgeführten Markterkundung, wonach das Grundstück der Auftragnehmerin mit Abstand am besten abgeschnitten habe, und die politischen Gründe für den Standort in der bereits benannten Bekanntmachung nicht näher erläutert. Vielmehr wird unter IV.2.1 der Bekanntmachung ohne die vorgesehene Aufführung von Kriterien und jeweiliger Gewichtung in nicht nachvollziehbarer Weise behauptet, es handele sich um das wirtschaftlich günstigste Angebot . Auch kann das vom LANUV angeführte Argument, dass sich die Auftragnehmerin nicht an einem etwaigen Vergabeverfahren im Wettbewerb beteiligt und zudem das Grundstück nicht an einen anderen Interessenten verkauft hätte unter der grundsätzlichen Prämisse eines freien und fairen Wettbewerbs nicht dazu dienen, einen sachlichen Grund für die vergaberechtfreie Vergabe der Bauleistung zu bieten. Der Umgehung des Vergaberechts und damit der Verletzung der europarechtlich geschützten Grundfreiheit des freien und fairen Wettbewerbs wären andernfalls Tür und Tor geöffnet. 1. Weshalb ist die entsprechende Bekanntmachung bezüglich der Auftragsvergabe auf dem Portal „Vergabemarktplatz Nordrhein-Westfalen“ (http://www.evergabe.nrw/) nicht mehr abrufbar? Es ist nicht primäre Funktion des Vergabemarktplatzes NRW, Bekanntmachungen langfristig zu archivieren. Die Bekanntmachung ist dauerhaft über das Amtsblatt der Europäischen Union einsehbar. Link: http://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:299528-2015:TEXT:DE:HTML Von daher besteht kein Anlass, die in Rede stehende Bekanntmachung auf dem Portal “Vergabemarktplatz Nordrhein-Westfalen“ ( http://www.evergabe.nrw/ ) für mehrere Monate abrufbar zu halten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10317 4 2. Weshalb hat das LANUV als Begründung für die vergaberechtsfreie Vergabe „technische Gründe“ angekreuzt, obwohl es sich in der ausformulierten Begründung auf ein aus dem Eigentum der Auftragnehmerin an dem Grundstück abgeleitetes Ausschließlichkeitsrecht beruft? Wie sich aus der im Amtsblatt der Europäischen Union und auf dem Vergabemarktplatz NRW hinterlegten textlichen Begründung ergibt, handelt es sich um ein Versehen. Tatsächlich hätte das Begründungsfeld „aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten“ angekreuzt werden müssen. Allerdings ergibt sich aus der ausführlichen Begründung unter Ziff. IV.1.1 der Bekanntmachung, dass nur die Auftragnehmerin Zugriff auf die für das Neubauprojekt ausgewählten Grundstücksflächen hat, die Direktbeauftragung also mit einem Ausschließlichkeitsrecht begründet wird. Auch der Landesrechnungshof erkennt an, dass die Einengung auf einen Standort zu einem Ausschließlichkeitsrecht führen kann, wenn sie anhand sach- und auftragsbezogener Kriterien erfolgt. So heißt es in dem Bericht über die Prüfung der Unterbringung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen vom 06.10.2011 auf Seite 22: „Zwar kann das Eigentumsrecht an einem Grundstück grundsätzlich ein Ausschließlichkeitsrecht im Sinne der vorgenannten Regelung begründen. Dies setzt aber voraus, dass die vorherige Einengung auf einen Standort anhand sach- und auftragsbezogener Kriterien erfolgt ist.“ 3. Inwieweit sieht die Landesregierung die Gefahr, dass bei der vorherigen Einengung auf einen Standort über eine vorgeschaltete – vergaberechtsfreie – Standortentscheidung das beim Kauf bzw. Miete der Immobile regulär zu beachtende Vergaberecht regelmäßig ausgehebelt werden könnte? Die Auswahl eines geeigneten Standorts bzw. geeigneter Grundstücksflächen für ein neues Labor- und Bürogebäude gehört zur Bestimmung des Beschaffungsbedarfs und ist damit einem Vergabeverfahren vorgelagert. Die Entscheidung für einen bestimmten Standort kann dazu führen, dass bezüglich der Bebauung der ausgewählten Grundstücksflächen eine Auftragsvergabe im Wettbewerb nicht möglich ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Eigentümer der entsprechenden Flächen diese nicht für eine Auftragsvergabe im Wettbewerb zur Verfügung stellt, sondern beansprucht, diese selbst zu bebauen. Auch dann ist die Entscheidung für einen bestimmten Standort aber nicht zu beanstanden, wenn sie sachlich begründet werden kann und damit nicht etwa dazu dient, vergaberechtliche Bestimmungen auszuhebeln. 4. Inwiefern hätte die Auffassung der Landesregierung ein im vorliegenden Fall durchgeführtes Vergabeverfahren zur Anmietung noch zu errichtender Büro- und Laborflächen mit entsprechendem Leistungsverzeichnis in die Beschaffungsautonomie des Auftraggebers eingegriffen und damit das „was“ der Beschaffung beeinflusst ? Bezüglich der Anmietung eines zu erreichenden Labor- und Bürogebäudes wird der Auftragsgegenstand bzw. das „was der Beschaffung“ maßgeblich durch den Standort der Immobile bestimmt. Ein Vergabeverfahren mit mehreren Anbietern hätte vorausgesetzt, dass das LANUV sich nicht auf bestimmte Grundstücksflächen als Standort der neuen Immobile festlegt, sondern auch andere, aus seiner Sicht weniger geeignete Grundstücksflächen in Duisburg oder ggf. auch anderen Städten als neuen Labor- und Bürostandort zulässt. Zwar hätte das LANUV den Standort des Neubaus ggf. dadurch beeinflussen können, dass es von den Anbietern nicht nur die Erfüllung bestimmter Standortkriterien fordert, sondern die Lage /Eignung des Neubaustandorts als eines von mehreren Kriterien bei der Vergabeeinschätzung berücksichtigt. Der konkrete Standort des Neubaus hätte sich aber aus dem Ergebnis LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10317 5 des Vergabewettbewerbs ergeben. Es stand zudem zu befürchten, dass das nunmehr ausgewählte Grundstück im Falle einer Ausschreibung des Anmietungsvorhabens nicht zur Verfügung gestanden hätte. 5. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass politische Gründe eine Umgehung des Vergaberechts rechtfertigen? Nein. Vorliegend kann allerdings von einer Umgehung des Vergaberechts nicht die Rede sein. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10317