LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10324 25.11.2015 Datum des Originals: 25.11.2015/Ausgegeben: 30.11.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3989 vom 20. Oktober 2015 des Abgeordneten Christian Möbius CDU Drucksache 16/10031 Salafistenorganisation führt Ausflug für Flüchtlingskinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes durch Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3989 mit Schreiben vom 25. November 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 28. September 2015 wurde vom Verein „Medizin mit Herz“ aus Hennef ein Ausflug für 150 Minderjährige und deren Eltern organisiert, die in einer landeseigenen Erstaufnahmeeinrichtung der Bezirksregierung Köln im Kölner Stadtteil Chorweiler untergebracht sind. Die Organisation „Medizin mit Herz“ wird vom Landesamt für Verfassungsschutz NRW beobachtet und als „extremistisch“ und „salafistisch“ eingestuft. Ziel des mit mehreren Bussen durchgeführten Ausflugs war ein Kinderspielland in Köln-Porz, das von den Organisationen „Medizin mit Herz“ sowie „Weltweiter Einsatz für Arme“ (Wefa) für einen Tag angemietet wurde. Neben dem freien Eintritt in das Spieleland und dem kostenlosen Bustransfer erhielten die Kinder jeweils ein ausgiebiges Menu sowie ein in buntes Papier eingepacktes Geschenk. Vereinsmitglieder sollen gegen Ende des Ausfluges die Flüchtlingsfamilien gedrängt haben, dass die Minderjährigen und deren Eltern zur Erteilung von Deutschunterricht in die vereinsgenutzten Einrichtungen von „Medizin mit Herz“ kommen. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass versucht wird, die Flüchtlinge über derartige Hilfsangebote in die extremistische Szene zu ziehen und für die Ziele der Salafisten empfänglich zu machen. Dass dies ausgerechnet in einer landeseigenen Erstaufnahmeeinrichtung geschehen konnte, macht fassungslos. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10324 2 1. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Organisationen „Medizin mit Herz“ und „Weltweiter Einsatz für Arme“? Der Verein „Medizin mit Herz“ ist im Sommer 2013 unter dem Namen „Medizin ohne Grenzen “ gegründet worden und hatte bis vor kurzem seinen Sitz in Troisdorf bei Bonn. Aktuell ist er nach Hennef umgezogen. Der Verein sammelt Hilfsgüter und Krankenwagen für vordergründig humanitäre Zwecke in Syrien. Durch seine Aktivitäten hat er Bezüge über die Region Bonn hinaus auch in andere Bundesländer. Akteure, die für den Verein tätig sind und für ihn werben, sind der salafistischen Szene im Raum Bonn zuzurechnen. Seit Jahresanfang agiert der Verein unter der Bezeichnung „Medizin mit Herz“. Eine wesentliche Änderung hinsichtlich handelnder Personen oder deren grundsätzlicher salafistischer Ausrichtung ist jedoch nicht erkennbar. Der Verein "WEFA - Humanitäre Organisation e.V." ist im Jahr 2006 in Köln gegründet worden . Die Bezeichnung "WEFA" steht für "Weltweiter Einsatz für Arme". Der Verein sammelt Spenden für verschiedene Hilfsprojekte und führt hierzu auch entsprechende Veranstaltungen durch. Eine Zusammenarbeit mit Organisationen oder Personen aus dem salafistischen Spektrum war in der Vergangenheit nicht feststellbar. 2. Wie beurteilt die Landesregierung den dargestellten Sachverhalt? Angesichts der wachsenden Anzahl von Flüchtlingen in Deutschland versuchen extremistische Salafisten die Notsituation der ankommenden Menschen auszunutzen und sie für ihre Ziele zu vereinnahmen. Den Verfassungsschutz NRW erreichen zunehmend Meldungen über Salafisten, die gezielt den Kontakt zu muslimischen Flüchtlingen suchen und diese durch vermeintlich gut gemeinte Hilfsangebote unterstützen möchten. Nach außen hin „wohltätige “ salafistische Gruppen und Organisationen versuchen im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften vor allem an junge Menschen heranzutreten und sie zu einem antidemokratischen Weltbild zu verführen. Dazu gehört auch die Aktion des Vereins „Medizin mit Herz“ in Köln. 3. Wie konnte es dazu kommen, dass Vertreter von „Medizin mit Herz“ ohne genauere (Personal-) Prüfung in Kontakt mit den Flüchtlingen treten konnten und den Ausflug organisieren konnten, während z.B. einem gewählten Landtagsabgeordneten der Zutritt zu dem Flüchtlingslagern zuvor verwehrt worden war? Die Notunterkunft in Köln-Chorweiler erreichen viele verschiedene Hilfsangebote von ehrenamtlich tätigen Privatpersonen. Auch das Angebot, für Flüchtlingskinder für den 28.09.2015 einen Ausflug in ein Kinderland zu organisieren, wurde von einer Privatperson an den Betreiber der Landesunterkunft, die Johanniter Unfallhilfe, herangetragen. Zu diesem Zeitpunkt war nicht ersichtlich oder bekannt, dass es sich bei dieser Person um einen Vertreter des Vereins "Medizin mit Herz" handelt. Der Ausflug fand in Begleitung der Eltern und einer pädagogischen Fachkraft statt. Dieses Angebot war eines von vielen Angeboten von Privatpersonen, die den Betreuungsverband erreicht haben. Alle durchgeführten Veranstaltungen haben außerhalb der Unterkunft mit Begleitung von Vertretern der Johanniter stattgefunden. Allgemein ist das ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger sehr groß und aufgrund des hohen Freizeitanteils der Flüchtlinge und Asylsuchenden in den Landesunterkünften auch sehr wichtig für die Bewohner selbst wie auch für den Betrieb der Landesunterkünfte. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10324 3 4. Was unternimmt die Landesregierung, damit die Flüchtlinge nicht in die Hände von extremistischen und/oder salafistischen Scharfmachern fallen? Die Landesregierung verfolgt beim Umgang mit gewaltorientierten Salafisten eine Doppelstrategie , die sowohl mit verfolgenden und überwachenden als auch präventiven Ansätzen arbeitet. Im Rahmen dieser Doppelstrategie ist auch der Verfassungsschutz NRW aktiv. Einerseits beobachtet er die Bestrebungen salafistischer Organisationen, die versuchen, Einfluss auf in Nordrhein-Westfalen schutzsuchende Menschen zu gewinnen. Andererseits trägt der Verfassungsschutz NRW zur Aufklärung und Sensibilisierung gerade auch der Personen bei, die hauptberuflich oder ehrenamtlich mit Flüchtlingen arbeiten. Dazu wurde eine Broschüre erarbeitet, die dabei unterstützen soll, salafistische Anwerbungs- und Rekrutierungsversuche in Flüchtlingsunterkünften zu erkennen und von den Angeboten seriöser Organisationen zu unterscheiden. Die Broschüre wurde Ende September 2015 an die folgenden Einrichtungen, Behörden und Institutionen versandt: Kommunen, Bezirksregierungen, Kreisspitzenverbände, Erstaufnahmeeinrichtungen, Zentrale Unterbringungseinrichtungen und Notunterkünfte des Landes Nordrhein-Westfalen, Betreuungsorganisationen in Landesunterbringungseinrichtungen, BAMF-Außenstellen in Nordrhein-Westfalen sowie Bundesamt für Verfassungsschutz und alle Landesämter für Verfassungsschutz. Insbesondere die Letztgenannten haben die Broschüre als Vorlage für die Erfüllung ihrer eigenen Aufklärungsaufträge angefragt. Unter http://www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/aktuelles steht die Broschüre für jedermann zum Herunterladen bereit. Darüber hinaus kann sie dort auch kostenlos als Druckwerk angefordert werden. Seit ihrem Erscheinen wurde die Informationsbroschüre mehr als 7.000mal verteilt bzw. bestellt. Darüber hinaus bietet der Verfassungsschutz NRW im Rahmen der Islamismus-Prävention neben zahlreichen Publikationen zum Salafismus auch Sensibilisierungsmaßnahmen und Veranstaltungen für Multiplikator/innen aus den Bereichen Schule, Jugend, Justiz und Polizei an. In der weiteren Planung sind zudem Veranstaltungen für Beschäftigte von Flüchtlingsunterkünften selbst. Die Maßnahmen und Veranstaltungen sollen über die Gefahren salafistischer und islamistischer Umtriebe aufklären und zur Stärkung einer demokratischen Haltung beitragen. Bei den Veranstaltungen werden regelmäßig die Anwerbe- und Missionierungsversuche durch Salafisten im Kontext von Flüchtlingseinrichtungen angesprochen. Daneben stehen die landesweiten Hilfsangebote der Programme "Wegweiser" und "Aussteigerprogramm Islamismus" für Ratsuchende und Betroffene zur Verfügung. 5. Welche konkreten Anweisungen/Erlasse gibt es, die die Kontaktaufnahme mit Flüchtlingen in landeseigenen Einrichtungen regeln? Einheitliche Vorgaben, die die Kontaktaufnahme mit Flüchtlingen in den Landeseinrichtungen regeln, bestehen insoweit, dass der Zugang zu der jeweiligen Unterkunft durch die Sicherheitsdienste der eingesetzten Betreuungsverbände kontrolliert wird. Die Kontrolle basiert auf der einheitlichen Leistungsbeschreibung, die Grundlage der Verträge mit den Sicherheitsdienstleistern ist. Hinsichtlich des Umgangs mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern wird aktuell geprüft, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, welche für alle Beteiligten Informationen und Rahmenbedingungen aufzeigen sollen. Die Flüchtlinge selbst dürfen sich in und außerhalb der Landesunterkünfte frei bewegen und unterliegen diesbezüglich keiner Reglementierung. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10324